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Randhemerhungert zur woche

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DIE EINLADUNG MOSKAUS AN DEN BONNER BUNDESKANZLER ist nur in den Augen der i breiten Massen, die allenthalben auf dieser Welt i dem Sog der Propaganda am stärksten aus- , gesetzt sind, ganz unerwartet gekommen. Indische Diplomaten sprachen von ihr zu jedem, der es hören wollte, als einer kommenden Sache bereits vor mehr als Jahresfrist. In den letzten Wochen seit dem Flug des österreichischen Bundeskanzlers nach Moskau verdichteten sich zwischen Stockholm, Belgrad, Hongkong und Tokio Nachrichten, die in diese Richtung wiesen. Die Ueberlegung, ob diese Einladung jetzt erfolgt wäre, hätte Wien nicht den ersten Schritt in Europa gewagt, den ersten Schritt aus der Angst und Enge der versteiften Nachkriegt-positionen, verdient festgehalten zu werden. — Bonn hat ruhig und gemessen auf die Einladung des Kremls reagiert. Dr. Adenauer wird sich zuerst mit den Staatsmännern des Westens besprechen und dann, zumindest für seine Regierung, die Einladung annehmen. Der Möglichkeit, dafl er nicht selbst gleich nach Moskau fährt, ist von russischer Seite in gewisser Weise die Tür geöffnet worden, indem Chruschtschow erklärte, daß er selbst der Regierungsdelegation, welche die Verhandlungen mit Westdeutschland führen werde, nicht angehören werde. Westdeutschland! Der Schock, den die erste Nachricht vom Angebot Moskaus an Bonn, politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen aufzunehmen, bei den nächsten europäischen Anrainern Rußlands und bei manchen außereuropäischen Kreisen ausgelöst hat, ist nicht sehr fundiert. Weder darf, wie manche nicht unkluge Deutsche meinen, an eine fünfte Teilung Polens gedacht werden noch auch an eine baldige Lösung der deutschen Frage. Nichts spricht augenblicklich dafür, daß Moskau Ostdeutschland, das heißt dessen Regime, aufgeben wolle. Kurz vor der Note an Bonn waren Grotewohl und eine peinische Regierungsdelegation gemeinsam zur Aussprache im Kreml, also die beiden nächsten Hauptbetroffenen kommender russisch-westdeutscher Beziehungen. Dr. Adenauer selbst denkt an lange und wohl auch langwierige Verhandlungen, worin er mit Recht ein positives Zeichen sieht: die Welt, die in kurzer Zeit zerschlagen werden kann, bedarf langer Zeit, um wirklich konstruktiv aufgebaut zu werden. Der Bonner Kanzler denkt dabei an ein älteres Konzept, das er bereits vor einiger Zeit selbst den Amerikanern vorlegte, dabei aber damals wenig Sympathie fand: Er meinte damals in Amerika, daß die Zeit gekommen sei, in der der Westen geschlossen mit Rußland über eine Beschränkung der Rüstungen und über ein gegenseitiges Sicherheitsabkommen verhandeln solle. Diese Zeit scheint nun gekommen zu sein. Moskau lädt ein, und der Westen wird annehmen; die echten Interessen beider Hemisphären unterstreichen die Aktionen der Diplomaten.

IM SCHATTEN DES BELGRADER BESUCHES der sowjetischen Regierungsdelegation nehmen die chronischen Zeichen einer inneren Zerrüttung von Wirtschaft und Gesellschaft in den bisher stets linientreuen Volksdemokratien bedrohliche Ausmaße für die dort Führenden an. Diese Zeichen sind zum Beispiel in Ungarn an sich nicht neu. Aber es war schon von Anfang an so, als ob man sich, von einer merkwürdigen Mischung von Zynismus und Fatalismus geleitet, entschlossen hätte, von nun an nur mehr blind zu fahren. Die Regierung des Landes hatte eine relativ einfache Aufgabe: sie mußte steh nur ohne Vorbehalte an die Moskauer Direktiven halten, das sicherte ihr ruhige Fahrt. So gelaug es den Kommunisten bis zum Ende der stalinistischen Aera, der Konfrontierung mit der ganzen Wirklichkeit auszuweichen. Diese für sie glückliche Zeit scheint heute, nach den ersten Fährnissen der Malenkow-Aera — in Ungarn versuchte um diese Zeit der in diesem Frühjahr von dem alten „Kader“ besiegte Imre Nagy, Beden unter die Füße zu bekommen —, nunmehr endgültig vorüber zu sein, da gegenwärtig die festen Konturen einer Politik des wirklichen Realismus — zunächst auf außenpolitischem Gebiet — seitens der Sowjetunion sichtbar werden. Es genügt hier, nur auf den Abschluß des österreichischen Staatsvertrages und auf die Belgrader Erklärung vom 2. Juni hinzuweisen. Diese beiden Ereignisse sollen in gewissen Parteikreisen in Ungarn äußerst demoralisierend gewirkt haben. (Man denke an die seinerzeit führende Rolle Rakosis in der Antt-Tito-Kampagne!) Es ist nämlich keineswegs so, daß die sowjetischen Führer ihren Vorstoß in das außenpolitische Neuland nach der notwendigen Sicherung und, wenn nötig, Umgruppierung ihrer rückwärtigen Stellungen unternommen hätten. Im Gegenteil. Das Warschauer Abkommen stellt bloß eine Fassade alten Stils dar, die aus formaljuristlschen Gründen notwendig und für demonstrative Zwecke brauchbar sein mag, aber auch das Fehlen eines Konzepts für den internen Gebrauch verrät. In diesem Stadium der Entwicklung ist es aber besonders augenfällig, daß diese neue, auf der Basis der Realität stehende oder darnach strebende sowjetische Politik die bislang treu dienenden Exponenten des Stalin-Regimes in den Volksdemokratien weitgehend für sich allein läßt. Das mußte in diesen letzten Maitagen auch für den kleinsten Parteifunktionär in Budapest oder Prag klar werden. In diesem Licht erscheinen dann die in den Budapester Parteizeitungen fast täglich geforderten Maßnahmen zur Festigung der Parteidisziplin, zur Erhöhung der Arbeitsnormen ah Versuche der Führenden, den Gürtel enger zu schnallen. Denn die Zeiten sind auch, abgesehen von der

IMoskauer Wendigkeit, gefährlicher geworden. Der „neue Kurs“ der letzten zwei Jahre brachte es mit sich, daß mau jetzt viel offener schreibt und spricht. Die Ergebnisse sind manchmal niederschmetternd. Und es gibt niemanden, der es nach dem gescheiterten Nagy mit Reformen versuchte. Man schaut nur wie gebannt nach Moskau.

DAS STREIKRECHT ist ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Freiheitsrechte, und dieses Recht vom Grundsätzlichen her zu bestreiten, würde einer Gutheißung der Zwangsarbeitsmethoden totalitärer Machthaber bedenklich nahekommen. Aber wie jedes andere menschliche Recht, so kann auch das Recht auf Arbeitsverweigerung zu Unrecht werden, wenn seine Ausübung mutwillig erfolgt und ohne Rücksicht auf die Grenzen, die durch die natürlichen Rechte anderer und das höhere Interesse der Allgemeinheit gezogen sind. In den Kreisen englischer Arbeiterführer ist diese Wahrheit offenbar weitgehend in Vergessenheit geraten. Schon der letzte Dockerstreik, der Englands große Häfen wochenlang fast völlig stillegte, mit schwerem Schaden für Handel und Industrie, war aus einem im Grunde nichtigen Anlaß, aus Macht- und Prestigefragen zweier rivalisierender Gewerkschaften, entstanden. Und nun ist ein neuerlicher Ausstand der Docker und die Einstellung der Arbeit auf mehreren hundert Schiffen in London, Liverpool,Manchester und Hull erfolgt und wieder nur deshalb, weil der Dockerverband und die Allgemeine Transportarbeitergewerkschaft ihre Privatfehde auf Kosten des Volksganzen weiterführen wollten. Aber geradezu ein Schulbeispiel mißbräuchlicher Anwendung des Streikrechtes bietet der Ausstand des Maschinenpersonals der britischen Staatseisenbahnen. Hier geht es im • wesentlichen darum, daß dieses Personal, welches größtenteils in der Gewerkschaft der Lokomotivführer und Heizer organisiert ist, die Spanne zwischen seinem Diensteinkommen und dem der „gewöhnlichen“ Bahnbediensteten als zu gering erachtet, seitdem der Nationale Eisenbahnerverband eine generelle Lohnerhöhung durchsetzen konnte. Der NEV ist anderer Ansicht und kündigt bereits neue Lohnforderungen an für den Fall, als die schon jetzt sehr gut gestellten Maschinisten und Heizer versuchen sollten, ihren Vorsprung gegenüber dem allgemeinen Lohnschema wieder zu vergrößern. Ob es notwendig und gerechtfertigt war, zur Austragung dieser intergewerkschaftlichen Differenzen einen Streik zu proklamieren, der schwerstwiegende Folgen für das englische Wirtschaftsleben nach sich zu ziehen droht und bis heute schon Zehntausende Arbeitswilliger um Brot und Verdienst gebracht hat, ist eine Frage, die sich die Führer beider Gewerkschaften überhaupt nicht vorgelegt zu haben scheinen.

DER SPUK VOM VOMPERBERG In Tirol wo seit 27 Jahren die Sekte der Gralsleute infolge der Leichtgläubigkeit ihrer Anhänger und der Langmut der Behörden ihr Unwesen treiben darf, ist in ein neues Stadium getreten. Bekanntlich hat die Witwe des Gründers, Frau Maria Bernhardt, vor einiger Zeit gegen den Kooperator Friedrich Jesacher, der gegen den Unfug in seinem Seelsorgebereich pflichtgemäß auftrat, eine Klage angestrengt. Am 16. Februar dieses Jahres hat das Bezirksgericht Schwaz die Klage abgehandelt und den tapferen Priester in allen Punkten der Anklage freigesprochen. Die Klägerin hatte noch nicht genug und berief gegen das Schwazer Urteil. Nun wird bekam/t, daß sie die Berufung doch zurückgenommen hat, womit das Schwazer Urteil vom 16. Februar 1955 rechtskräftig geworden ist. Wer sich Mühe nimmt, dieses Urteil und seine umfangreiche Begründung zu studieren, wer ferner weiß, daß zu den Gralsfeiern vom 29. bis 31. Mai d. J. zirka 900 Menschen aus aller Herren Ländern zusammengekommen sind, um dabei den „Heiligen Geist“, d. i. Oskar Ernst Bernhardt, zu verehren und auch den „Hohen Frauen“ die gebührenden Ovationen darzubringen, muß zu dem Schluß kommen, daß es nun hohe Zeit ist, mit diesem Unfug Schluß zu machen, um weitere Opfer vor Schädigung zu bewahren. Die Anhänger der Gralssekte opfern buchstäblich alles Verfügbare und stehen, wenn sie „erwachen“, nicht selten völlig verarmt da. „Glauben Sie wirklich“, meinte Frau Bernhardt nach Angabe einer Zeugin in Norfolk noch zu Lebzeiten ihres Mannes einmal, „daß da Leute den Blödsinn glauben, den mein Mann ihnen vorred't?“ Diesen Blödsinn lassen sich die Vomper-berger Götter noch heute mit 60 Schilling bezahlen — dies ist der Eintrittspreis für die „Gralsfetern“. Internationale Beflaggung, auch unsere österreichischen Farben, wehen zu den Feiern am Voutperberg! Soll unsere Fahne dieses Treiben decken? Hier muß jetzt endlich eingegriffen werden. Das Urteil von Schwaz bietet in jeder Zeile Handhabe dazu!

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