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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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ÖSTERREICH ist der Welt bekannt als Land . der Lieder und Töne. Wer zumal jetzt int Frühling durch das Land lährt, hört aus Tür und Fenster, die sich auftun, nicht selten ; Musik. „Nun singen sie wieder .." Vergessen der Alptraum einer nahen Vergangenheit im Lande der Phäaken? Mitnichten. Während die Lieder noch klingen und viele kleine Leute deb Sorgen und Freuden eines erleichterten Lebens sich ergeben, dienen nicht wenige Männer unseres Landes schweigend in einem schweren Dienst, den vielleicht nur ein schweigendes, aber festhaltendes und dankbares Gedenken ehren kann: unsere Gendarmen, unsere Beamten, die gerade im Raum um Wien einem schweren Druck ausgesetzt sind. Hie der Befehl ihrer Regierung, der sie den Treueid geschworen, und hier die Befehle der Kommandanturen, die bisweilen sehr anderer Absicht sind. Und die sich durchsetzen Wollen. Kürz sind die Berichte in den Blättern über die viele Stunden und Tage sich hihziehenden Verhöre, denen bald dieser, bald jener Bezirkshauptmann und andere Beamte ausgesetzt sind. Um so länger soll unsere Dankbarkeit ihnen gelten, die das Recht der Heimat verteidigen in harter Besatzungszeit. Der Rest ist Schweigen und Geduld. Die Geduldigen werden das Land besitzen.

EIN VERWANDELTES BILD bot in den letzten Tagen das österreichische Parlament. Besucher, die etwa nach dem klub der ÖeVP oder dem irgendeiner anderen österreichischen Partei gefragt hätten, wäre kein befriedigender Bescheid zuteil geworden. Dafür zeigte ein Richtungspfeil den Weg zu einem Fraktionszimmer der Christlichen Demokraten, ein anderer zu dem Klublokal der konservativen, ein dritter zu dem der Sozialisten) und ein Vierter Wiederum machte auf den Sammelplatz der Liberalen aufmerksam. Uhd statt in den Lahdwirtkchdfts- oder den BüdgetaüSschUB ging man ih dieL, II. oder 111. Kommission … kein Wunder: es tagte auch nicht der österreichische Nationalrat, sondern das Hohe Haus hatte seine Pforten Weit geöffnet, um die Europäische Versammlung der politischen Lügend aufzunehmen. Das Wort „politische Jugend" ist vieldeutig. Wer damit vielleicht Vorstellungen von am politischen Gängelband geführten Halbwüchsigen verbindet, die am Ldgetfėtier Singen, Volkstänze üben und in den Wahlbewepungen billige Plakatiertrüpps stellen, korrigiere diese möglichst rasch. Die in Wien iusammengctretehen 200 Delegierten aus 13 Ländern standen zum Teil bereits im vierten Jahrzehnt ihres Lebeds und verkörperten das, was man etwas umständlicher, aber präziser als in die Politik nachrückende Generation bezeichnen könnte: durchweg scharfe, gutprofilierte Gesichter, die etwas von dem Willen verraten, neue, noch nicht ausgetretene Wege zu gehen. Ais eine Besonderheit dieses „Europarates der Jugend" darf abet gelten, daß ihn, wie schon der Tagungsort Wien zeigte, nicht nüt die Länder des vielumstrittenen iKleinepropa“ beschickten, sondern daß neben England, den skandinavischen Staaten, Griechenland und unserer Republik, auch die ansonsten allen europäischen Bestrebungen gegenüber so zurückhaltende Schweiz durch ihre politisch wache junge Generation vertreten war. Die marmornen antiken Redner, deren steinerne Ruhe So oft in det Vergangenheit im Gegensatz zu dem turbulenten Treiben vor ihrem Angesicht im großen Sitzungssaal stand, mögen sich nicht schlecht über das Sprachengewirr zu ihren Füßen gewundert haben. Doch es ist ihnen nicht neu. Ihre Erinnerung geht Weit zurück — durch Jahrzehnte. Sie haben doch die Vertreter der im Reichsrat vertretenen Königreiche Und Länder gesehen, zu ihren Füßen Schlugen mehr als eihmdl heftig die Wogen des Nationalismus zusammen. Damals Waten „die Jungen" die lautesten Rufer Uh Streit gewesen. Schatte Unduldsamkeit gegen die Vertreter der anderen Völker, gegen die Wortführer anderer Weltanschauungen hatten Sie ausgezeichnet. Ein halbes Jahrhundert ist seither vergangen. Viele der Völker, die aus diesem Saal einmal auSzopeh, waren nicht durch Söhne und Enkel uhter der jungen Generation, die auf denselben Bänken und von der gleichen Tribüne 1954 ganz andere Meinungen verfochten, vertreten. Ihrer bei der Erstellung der Bauplähe für die Zukunft nicht zu vergessen, muß ein besonderes Anliegen der jungen Oesterreicher sein. Jene, die Wissen, daß dieset Name eine Verpflichtung bedeutet.

NACH EINEM KURZEN BESUCH IN PARIS, dėt einer Belebung der Saargespräche galt, ist Bundeskanzler AdenOtier nach Athen und Ankara geflogen. Nicht wenig hatte gefehlt, und es wäre auch zu einem BlitzbesüCh in Belgrad gekommen. Dazu aber ist die Zeit noch nicht ganz reif, aüch innenpolitische Rücksichten ließen es getalen erscheinen, auf diese Wichtigste deutsche Demonstration im heutigen Europa seit dem Ende des letzten Krieges zu Verzichten: auf eine persönliche Zusammenkunft mit Marschall Tito. Belgrad seinerseits hatte es nicht fehlen lassen in letzter Zeit an einladenden Gesten. Es unterstrich die deutsche Wehrmündigkeit und blickt nüchtern und ohne ideologische Scheuklappen aut die Leistungs-

lähigkeit der deutschen Industrie. Der Bonner Bundeskanzler, dem heute Freund uhd Feind die Meisterschaft des politischen Spieles zugestehen — selbst Molotow hat es in Berlin nicht fehlen lassen an einer anzüglichen Bemerkung in dieser Hinsicht —, Dr. Adenauer ist sehr sichet jener alten Kraftlinie deutscher Einflüsse zugeflogen, die im Balkan den neuralgischen Kiaftkhoten Europas erkennt und im Nahen Orient sich vieler Freunde und Verbündetet sicher weiß. Neben Südamerika, das sich soeben auf einen Besuch deutscher Minister Vorbereitet, gibt es kaum ein erdpolitisches Kraftfeld, das offener und bereitwilliger ist zur Aufnahme deutscher Waren, Fachleute, Arbeitskräfte und Politiker, als eben der Balkan und der Nahe Osten. Neben dem deutschen tritt der europäische Aspekt dieser Kanzlerreise sehr stark in den Vordergrund. In der Türkei hat Dr. Adenauer zum erstenmal ein Hauptquartier der NATO-Streitkräfte besucht. Der Wink ist deutlich. Westdeutschland anerkennt damit nicht hur die bekannte Kriegstüchtigkeit der türkischen Völker, Bindern will damit seinen unsicheren Partnern, den lateinischen Schwestern Frankreich und Italien, bekunden, daß es die Balkanfestung und das türkische Glacis für eine wirklichkeitsmächtige Verteidigungsstellung Europas hält. Paris hat das sehr deutlich verstanden und, je nach politischer Einstellung, auf diesen Besuch des Bonnet Kanzlers reagiert. Was Wiederum

Moskau veranlaßt hat, seine Bemühungen um Frankreich zu intensivieren . . . In der Zwischenzeit bereitet sich der Jahrgang 19 3 4 in Westdeutschland auf seinen Dienst im deutschen Europakontingent vor …

DIE GEFÄHRLICHEN SPRUNGE UND RISSE auf dem Rumpf der sogenannten Volksdemokratien Werden Unter den ersten Argumenten mit aufgezählt, wenn das Rätselraten um die Gründe geht, welche die Intransigenz des sowjetischen Außenministers Ih Berlin bestimmt haben möchten. Hierzu, nämlich zur Lage in einem unserer östlichen Nachbarstaaten, Ungarn, geben zwei AeüßerUngen ihrer Staatslenker bezeichnende Folien ab, die man 'it besonderem Interesse zur Hand nimmt. lit einem Abstand von zwei Wochen sprachen hintereinander Ungarns Ministerpräsident, litire Nagy Und sein Vorgänger, der nunmehr schlicht als „erster Sekretär des Zentralkomitees“ vorgestellte Matthias Rdkosi. Nagy berichtete im Budapester Abgeordnetenhaus von den bisherigen Ergebnissen seines Regie- rungsprögramms und machte große rednerische Anstrengungen, um über die nach wie vor bestehende Diskrepanz zwischen Volksmeinung einerseits und Regierungsabsichten und Taten anderseits hinwegzütäuschen. Seine Verbeugurigen vor der selbständigen Bauernschaft, die tatsächlich durchgCiührten Maßnahmen „zur Wiederherstellung des Rechtszustandes" (wie er sie selber nannte), Besserungen im Lebensstandard der Bevölkerung, hatten bis jetzt nicht zu den erwünschten Ergebnissen geführt. Nuri gehört abet zUm „New Look“ in Ungarn, daß man übet Mißerfolge viel offener, unverblümter als bisher spricht. So gab Nagy als Ursachen des Produktionsrückganges vornehmlich in dėt ElektrizitätsWHtSChaft Und im Kohlenbergbau den sträflich vernachlässigten ZUstahd der technischen Ausrüstung, den vielfach veralteten Maschinenpark an. Und erheüt fällte et das vernichtende urteil über die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers: „ … da Wir uns nicht noch einmal dermaßen verrechnen dürfen ,,Wie reagierte aber Rrlkosi? Ih seiner Rede vot Gewerkschaftsfunktionären, denen er diesmal das Milsprdcherecht in Aussicht stellte, erklärte dieser: „Grund der Pto- duktionsausfälle ist die schlechte Witterung.“ Als Allheilmittel stellte er den AtbeitsWett- kampf Und die Erfüllung des Plansolls hin. Im Lichte dieser ebenso Zynischen wie unvetant- wortlichen Worte wird man aber auf eine Kluft innerhalb der Regierung aufmerksam, die in ihren Folgen gewiß schwerer Wiegen muß als die latente Unzufriedenheit einer Bevölkerung, die man ohnehin nicht fragt. Die Unruhe und Furcht innerhalb der internen Parteikader versuchte wohl Innenminister Gero (aus der Räkosi-Gruppe) mit einem Hinweis auf die Leninsche Lehre, Woriach der Marxismus kein Dogma, sondern vielmehr der „Leitfaden zum Handeln" sei. zu bannen. Allein dieses „Handeln" verrät eine Neigung zum Improvisieren und damit letztlich eine Ratlosigkeit mitten in der Planwirtschaft. Nicht umsonst wufde der großangekündigte Parteitag über Nacht verschoben.

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