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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DIE EUROPÄISCHEN VERKEHRSMINISTER, die in Paris am Sitze der OEEC zu der reichlich befrachteten Tagesordnung einer Konferenz zu- sammengefreten waren, haben einen Bericht der Stellvertreter über die Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts der Eisenbahnen gebilligt. Bei dieser Billigung handelt es sich — das wurde sogleich offenbar — um keine Verbilligung. Die Defizitwirtschaft der Bahnen ist eine allgemeine Erscheinung, freilich nicht in allen Staaten von gleich bedrückendem Ausmaße und schon gar nicht, wie in Oesterreich, mit alten Hypotheken vorbelastet. Nur 17 Prozent der Fahrgäste unserer Bahnen zahlen den vollen Fahrpreis, 69.338 aktiven Beschäftigten stehen 87.707 Pensionisten gegenüber. Unsere Bahnanlagen, unser rollendes Material erlitten durch die Kriegseinwirkungen und — man darf wohl sagen — durch die Besatzung beträchtliche Einbußen. Dennoch hat Oesterreich mit anerkennenswertem Zukunftsglauben wiederaufgebaut und die Elektrifizierung in einem Maße vorwärisgetrieben, wie dies vor dem Kriege nicht einmal der Fall war. Aus diesen und anderen wirtschaftlichen Tatsachen allein aber bereits eine, keusch formuliert, „Tarifregulierung' abzuleiten, einen scheelen Blick auf die Arbei- terfahrkarfen, die Begünstigungen für Schüler zu werfen, ja, was leider auch der Fall war, bedauerliche Eisenbahnunfälle als Beweis heranzuziehen, daß mit den Beträgen für die Investitionen, die gekürzt wurden, ersichtlich das Auslangen nicht gefunden werden könne, das scheint uns doch ein wenig zu weit zu gehen. Es ist daher zu begrüben, daß der Minisferrat ein Ministerkomitee, bestehend aus den Ministern für Verkehr, Handel, Finanzen und — soziale Verwaltung! zur Prüfung der Lage eingesetzt hat, mit dem Ziele, dem Ministerrat baldigst Vorschläge zu unterbreiten, wie den Empfehlungen der Pariser Konferenz angemessen Rechnung getragen werden kann. Diese Rechnung wird vom Parlament sehr kritisch geprüft werden müssen. Es wird Bedacht zu nehmen sein auf die allgemeine Preis- und Lohnentwicklung, auf die Bedeutung Oesterreichs als Transitland, und es wird unumgänglich sein, zur Organisation der Bundesbahnen konstruktive Vorschläge zu machen.

„WIR BRAUCHEN EINE GEMEINSAME KRAFTANSTRENGUNG aller an der Leistungsfähigkeit unserer an der Volkswirtschaft interessierten Stellen, aus der Privatwirtschaft und aus der öffentlichen Verwaltung, aus den Kammern und aus den freien Berufsvertretungen, die den Kindern der Arbeiter, der Angestellten und der Landwirte den Weg zum Mittel- und Hochschulstudium fėfchter machen soll", postulierte Doktor Piffermann in einer Grazer Akademikerversamth- lung. Auch der Vorsitzende der Sozialistischen Partei weif;, wie die Dinge um die studentische Förderung stehen. Nicht zum Besten. In unserem Lande wird wohl von vielen viel getan, aber dabei von diesen vielen noch zuwenig. Allein 47 Körperschaften, öffentliche und private, befassen sich mit der sozialen Betreuung der Hochschüler und tropfen zusammen rund fünf Millionen Schilling jährlich auf viele heiße Steine. Diese gewiß anerkennenswerten Stipendiengeber verlangen in ihren Bedingungen von den Bewerbern meist diverse Bekenntnisse, vor allem das demütigende der Armut, und die Bedürftig- keifsprüfung, aber in nur einzelnen Fällen die, was eigentlich wichtiger wäre, Bescheinigung hervorragender Begabung. Diese scheint weniger wichtig. Nur sie darf aber der Maßstab sein. Es wäre schon angesichts der geringen Mittel unverantwortlich, den natürlich auch quantitativ steigenden Forderungen der Zukunft nur rein quantitativ begegnen zu wollen. Nicht darauf kommt es an, daß möglichst viele die Hochschulen besuchen und deshalb viele Bedürftige, bloß weil sie bedürftig sind, gefördert werden. Es kommt vielmehr darauf an, daf; keiner, der dazu besonders befähigt ist, durch wirtschaftliche Notlage daran gehindert wird. Ohne eine Konzentration der Mittel und ohne eine gewisse Großzügigkeit werden wir alle keine rechte Freude an der Studienförderung haben. In Oesterreich betragen noch immer die höchsten Stipendien 1000 Schilling pro Semester, in England pro Semester (neun Monate) 283 Pfund, das sind rund 20.000 österreichische Schilling. Gewiß, wir sind ärmer als England, aber auch dort kam die heutige Stipendiensituation nur durch eine zielbewußte Entwicklung zustande. Vor allem aber ist eine gerechte, nur der Sache, dem Interesse der gesamten Gesellschaft dienende Studienförderung mit Bedürftigkeitsprüfung und Armutsbescheinigung unvereinbar. Entscheidend Ist die Förderung der Hochbegabten und nicht die der Mittelmäßigen. Stipendien sollte man doch auch hier endlich als eine Aufwendung für wissenschaftliche Zwecke, nicht aber durch eine sozialfürsorgerische Brille betrachten.

KATHOLIZISMUS UND POLITIK. Die erste gemeinsame Tagung deutscher und französischer katholischer Publizisten wurde als zehnte internationale Tagung der Gesellschaft katholischer Publizisten Deutschlands in Maria Laach abgehalten. An der Tagung nahmen 80 führende katholische Publizisten aus beiden Ländern teil. Auf ihr wurde in Referaten und eingehenden Diskussionen das Thema „Katholizismus und Politik in Frankreich und Deutschland" behandelt. In den Referaten über „Grundlage, Tra- diiion und Entwicklung des Verhältnisses von

Katholizismus und Politik in den beiden Ländern" betonte Staatsminister a. D. Professor Dr. Suesterhenn, Koblenz, nach einem eingehenden historischen Ueberblick über die religiöse Erneuerungsbewegung in Deutschland und das Zusammengehen der deutschen Katholiken mit den evangelischen Christen in der Politik nach dem zweiten Weltkrieg, die gemeinsam erlittene Verfolgung habe dieses Zusammengehen ermöglicht. Damit sei die Zeit des politischen Konfes- sionalismus in der deutschen Politik beendet. Der Chefredakteur von „Tėmoignage Chrėtien", George Sufferl, Paris, nannte als charakteristisch für die Lage in Frankreich heute das Aufgespaltensein der Katholiken in viele verschiedene politische Richtungen. Die Lage des Katholizismus habe sich aber insgesamt gegenüber dem Beginn des 20. Jahrhunderts radikal geändert. Frankreich befände sich heute im Stadium der Rekatholisierung. Der Katholik in Frankreich sei politisch als Slaatsbürger tätig, nicht in erster Linie als Katholik. Er betreibe die Politik meist vom Nützlichkeitsstandpunkt her. Die Unterschiede zwischen den in verschiedenen politischen Gruppen wirkenden Katholiken seien aber nicht sehr groß, zum Beispiel in der Frage der Konfessionsschule seien sich die Katholiken In allen Parteien einig. Suffert nannte als politische Aufgabe der Kirche Beschäftigung mit der Kultur des Arbeiters ’n der modernen Welt, wozu auch die Freizeitgestaltung gehöre, den Kampf gegen die Welt des Hungers, vor allem in den sogenannten unterentwickelten Staaten, die Verteidigung der Freiheit und die Weiterführung der Liquidierung des Krieges, der heute ein planetarisches Risiko darstelle.

DER PRÄSIDENT DER ITALIENISCHEN REPUBLIK hat sich Zeit genommen, um nach der von Saragaf, dem Führer der Sozialdemokraten, leichtfertig entfesselten Krise einen neuen Ministerpräsidenten zu berufen. Den Journalisten hatte er im sogenannten „Schlachfensaal" des Quirinais nach langatmiger Befragung eines guten Dutzends von führenden Parlamentariern erklärt, daß er soeben aus dem „See der verschiedensten Meinungen wieder aufgefaucht" sei und sich nun besinnen müsse, um die für das Land beste Entscheidung zu treffen. Als er dann seinen langjährigen Freund und einstigen politischen Kampfgenossen, den fast gleichaltrigen, im siebzigsten Lebensjahr stehenden christlichdemokratischen Senator Adone Zoll, mit der Neubildung der Regierung betraute, wußten es nicht nur die Eingeweihten, worauf er zielte — und es scheint im Augenblick die einzig verbleibende Lösung zu sein : auf das Kabinett der einen, größten Partei. Zweifellos hat der neue Mann dję redlichsten Absichten, das Beste daraus zu machen. Zoll, zuletzt, nach dem Tb 3e des ausgezeichneten Findnl- und späteren Budgetministers Ezio Vanöni, dessen Nachfolger im Kabinett Segni, ist in seiner jahrzehntelangen politischen Laufbahn (seit 1919 Mitglied der Partei) nie weithin sichtbar hervorgetreten. Angeborene Bescheidenheit liefj dies nicht zu. Der aus der Romagna Stammende, der in Predappio, im gleichen Orl wie einst der ungebärdige Benito Mussolini seine Kindheit verbrachte, übersiedelte später als Rechtsanwalt nach Florenz. Nach dem Tode De Gasperis (1954) wurde er einstimmig zum Vorsitzenden seiner Partei gewählt. In Italien, wo die eigentliche Parteiführung in den Händen des mächtigen Parteisekretärs liegt, ist dies ein rein dekoratives Amt, das im Regelfall den älteren, politisch wie menschlich bewährten Mitgliedern zukommt, Zoli wird im besonderen, neben seinem ausgleichenden Wesen, die Gabe der Menschenbehandlung nachgesagt, die er mit natürlicher Autorität verbindet. Diese Eigenschaften und Fähigkeiten mögen den Staatschef Gronchi veranlagt haben, den verdienten Parlamentarier Zoli mit dem hohen Amt und der grofjen Verantwortung des Ministerpräsidenten just zu einem Zeitpunkt zu betrauen, da im Hinblick auf die im nächsten Jahr fälligen Wahlen eine Sammlung aller Kräfte nötig ist. Von dem Parteivorsitzenden Zoli wird nämlich erwartet, dafj es ihm in der neuen führenden Stellung gelinge, die in der gröfjten Partei politisch oft stark divergierenden Richtungen zu einheitlichem Wirken zusammenzufassen. Nur diese Straffung, zumal im Parlament, wo es mitunter auf die letzte Stimme ankommen wird, kann die Ein- parfeiregierung befähigen, ihre Aufgaben durchzuführen. Zoli hat deshalb nicht nur die infolge des Ausscheidens der Liberalen und der Sozialdemokraten aus dem bisherigen Kabinett Segnf freiwerdenden Ressorts, u. a. das des Auswärtigen Dienstes, der Industrie, der Erziehung, det Arbeit, der Oefflnflichen Arbeiten, mit neuen Männern seiner Partei besetzt, sondern auch Umbesetzungen in einigen anderen Ressorts, besonders bei denen des Aufjenhandels, der Eisenbahn und des Postwesens, vorgenommen.

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