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Randhemerhungen zur woche

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IN TRAUERREDEN UND NACHRUFEN auf Dr. Gero fanden die Verdienste des verstorbenen Justizministers und großen Freundes des Sports ihre verdiente Würdigung. Das Lebensbild wäre unvollständig, fände nicht auch die unpolitische, aber da-jür um so wirksamere Unterstützung des Tierschutzes durch den Verstorbenen Erwähnung. Wahrscheinlich hätte sich die Hilfsbereitschaft Dr. Geros in diesem in Oesterreich so stiefmütterlich behandelten Kapitel noch deutlicher manifestiert, wäre ihm ein längeres Leben beschieden gewesen. Jedenfalls gebührt dem verstorbenen Minister Dank dafür, daß er für die Wünsche und gewiß mehr als berechtigten Forderungen der Tierfreunde Verständnis und Bereitwilligkeit zeigte. Aus dem merkwürdig anmutenden Zustand, daß Oesterreich kein einheitliches Bundesgesetz, sondern nur voneinander abweichende Landesgesetze für Tierschutz besitzt, ist derzeit auf Grund der Verfassung leider noch kein Ausweg gefunden; daß diese Landesgesetze völlig unzureichend sind, sei nur nebenbei bemerkt, wozu noch der bedauerliche Umstand kommt, daß die Strafen für Tierquäler fast ausschließlich von den Verwaltungsbehörden — nicht von den Gerichten —, zumeist in einem lächerlich geringen Ausmaß verhängt werden. Zur eventuellen Verbesserung dieses wenig bekannten, aber um so mehr bedauerlichen Zustandes wies Dr. Gero gelegentlich einer Vorspräche auf den begrüßenswerten vorläufigen Ausweg hin, daß anläßlich der Novellierung des Strafgesetzes unter dem Paragraphen, der Mißhandlungen und Roheitsdelikte betrifft, auch die schweren Fälle von Tierquälereien aufgenommen werden könnten, eine Anregung, die von jedem Tierfreund dankbar anerkannt werden muß und dem Verständnis des Ministers für die gute Sache das beste Zeugnis ausstellt. Eine möglichste Beschleunigung hätte gewiß auch in diesem Fall mit der wertvollen Hilfe Dr. Geros rechnen können. Und wenn hier dankbar von der Arbeit des verstorbenen Justizministers gesprochen wird, so sei gleichzeitig eine Anregung an ein anderes Ressort gerichtet. Die, wenn auch langsam, aber ständig anwachsende Tierschutzbewegung sollte das Unterrichtsministerium bewegen, u. a. auch abgrenzende Vorschriften über die eventuelle Notwendigkeit (?) und die humane Durchführung der Tierversuche an den Hochschulen und in den Laboratorien bzw. deren Ersatz durch die in anderen Ländern längst eingeführten Filmvorführungen herauszugeben. Es sei hier die Bitte und die Hoffnung ausgesprochen, daß der Leiter des Unterrichtsministeriums den %uten Willen, wie ihn Dr. Gero in seinem Ressort bewies, sinngemäß fortführe: nämlich für den Schutz der stum-Kien, wehrlosen und so oft mißhandelten Kreatur einzutreten.

DIE HAUSHALTBESTEUERUNG, das ist die Zusammenveranlagung der Einkünfte von Ehegatten, ist nicht nur in Oesterreich ein vieldiskutiertes Problem. Denn die Progression der Einkommensteuer trifft das summierte Einkommen zweier Einzelpersonen weit höher als es dem Einzelsatze entsprechen würde. Ueberdies stellt diese Bestimmung eine belastende Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen des Einkommensteuergesetzes dar. In der deutschen Bundesrepublik hat sich der Bundestag eingehend mit dieser, in der Praxis dornigen Materie befaßt — dornig deshalb, weil jede Aenderung eine Minderung der Staatseinnahmen mit sich bringt und weil man schließlich dem anderen geben muß, was dem einen billig ist, wenn man überhaupt eine Veränderung vornimmt. Man ist in Bonn hiebei zu folgender Lösung gelangt: Aus der Zusammenveranlagung können nicht nur die Einkünfte aus selbständiger u n d unselbständiger Arbeit der Ehegattin, sondern auch gleichartige Einkünfte des Ehegatten ausgeschieden werden, sofern diese letzteren niedriger sind als jene der Ehefrau. In gewissen, durch Rechtsverordnung zu bestimmenden Fällen werden auch die Einkünfte der Ehefrau aus gewerblicher Tätigkeit von der Zusammenveranlagung ausgenommen sein. Aus diesen Abänderungen spricht die gewaltige soziologische Umschichtung der letzten Jahrzehnte. Die Ehegattin ist eben als Verdienerin weithin an die Seite des Ehegatten getreten und hat ihn dabei im Erfolg, wie es scheint, nicht selten überflügelt. Sie ist nicht mehr ein Teil einer Hausgemeinschaft, dessen Arbeit, im häuslichen Kreise verrichtet, in der Finanzgebarung der Familie nur mittelbar in Erscheinung tritt. Sie verfügt über selbsterworbene „bare“ Einnahmen, die sie teils als Angestellte, teils in freien Berufen („selbständiger Arbeit“) gewinnt oder auch als Inhaberin gewerblicher Betriebe. Sie ist, mit einem Wort, im Gebiete des Steuerrechtes zur vollen Rechtspersönlichkeit erwachsen. Und darin spiegeln sich nun jene Wandlungen der Familienstruktur — wie umstritten sie immer sein mögen — die im Aufbau der heutigen Familie Tatsache geworden sind. Sie sind so vielfältig und tiefgreifend, daß sie hier nur angedeutet werden konnten.

KNAPP VOR JAHRESENDE billigte die französische Nationalversammlung die lange umkämpften Pariser Abkommen über die Wiederbewaffnung Westdeutschlands, seine Aufnahme in die NATO, die Rückgabe der Souveränität an Deutschland. Mit der kleinsten Mehrheit, die Mendes-France je erhielt, mit 27 Stimmen, erfocht der französische Premierminister einen Sieg, dessen Folgen heute noch unübersehbar sind. Nicht einmal die Hälfte der 627 Abgeordneten stimmte für das Vertragswerk, nur die Stimmenthaltungen sicherten die Mehrheit. Tief zerklüftet steht das französische Volk am Ende bitterster parlamentarischer Kämpfe im Tor des neuen Jahres. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung Frankreichs fürchtet, durch dieses Vertragswerk an „die Kette eines deutsch-amerikanischen Imperialismi geschmiedet“ worden zu sein, wie ein führender Publizist sich ausdrückt. Mendts-France soll, so spricht man in Paris, in Bälde gestürzt werden. Zu sehr habe er die Abgeordneten überfordert... — Seine großen und weitsichtigen Vorhaben würden dann zurückgedrängt werden-, diese Pläne seiner Regierung sind so wichtig, daß sie auf jeden Fall höchste Beachtung verdienen: Ausgleich in Tunesien, Ausbau der deutsch-französischen Zusammenarbeit auf breitester Grundlage, vor allem aber Durchführung jener konstruktiven Wirtschafts- und Finanzreform, die Mendes-France als seine Hauptaufgabe ansieht. In die Außenpolitik wurde er nur durch die Zeitlage gedrängt: der Fall von Dien Bien Phu, das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zwangen diesen nüchternen Rechner, auch das Außenministerium zu übernehmen, das er jetzt selbst als erstes Amt abgeben will. — Wie immer es auch sein mag: auch wenn-Mendes-France in den kommenden Tagen und Wochen gestürzt werden sollte, Frankreich kann das begonnene Werk dieses Mannes nicht vergessen und kann sich auch nicht mehr von ihm trennen. Dieses Werk wird weitergeführt werden. Wie alle guten Europäer hoffen, im Zeichen einer echten inneren Konsolidierung Frankreichs. Die Ereignisse der letzten Wochen haben wieder einmal gezeigt, daß ein innerlich gefestigtes Frankreich eine der wichtigsten Sicherungen für Europa, für Mitteleuropa darstellen würde. Die Tage der kleinen Entente sind vorbei, gewiß. Soll aber Mitteleuropa nicht ganz dem Druck der größten Weltmächte preisgegeben werden, soll Europa ein Eigengewicht erlangen, dann geht das nur durch, die Mitarbeit der westeuropäischen Staaten, an deren Spitze Frankreich steht. Zusammen mit England und auch über England, mit Italien, kann Frankreich der allzuleicht ins Hemn.itngstose drängenden Dynamik des näheren und ferneren Ostens entgegenwirken. Das weiß auf das beste Bundeskanzler Dr. Adenauer, der in einem Bündnis mit Frankreich die Garantie für eine Bändigung der deutschen Energien sieht. Was Oesterreich Frankreich zu verdanken hat, wird zu gegebener Zeit auszusprechen sein. — Die Augen der Welt bleiben also nach Paris gerichtet. 27 Stimmen Mehrheit sind zuwenig. Das französische Volk bedarf einer Erschließung seiner stärksten und eigentümlichsten Kräfte, soll es in dem Wagnis bestehen, das es nun eingegangen ist. Mendes-France ist der Mann, der Frankreich aus der Angst und Enge der vergangenen Jahre zu einer konstruktiven Zusammenarbeit in Afrika mit den afrikanischen Völkern, zu einer globalen Zusammenarbeit mit den Vertragspartnern des Pariser Vertragswerkes herausführen kann. Es wird von der Geduld und Umsicht dieser Partner abhängen, daß Frankreich den Weg weitergeht, den es jetzt schwer zögernd betreten hat.

AUF ETWAS UNGEWÖHNLICHEM WEGE proklamierte in den vergangenen Weihnachtstagen Milovan D j ilas so etwas wie ein jugoslawisches Risorgimento. Dieweil Staatschef Tito die ihm persönlich wahrscheinlich zusagende Pracht eines Maharadschabesuchs genießt, suchte der temperamentvolle Parteidoktrinär und Exideologe des Tito-Kommunismus die Gesellschaft eines amerikanischen Korrespondenten auf, um ihm die Grundzüge einer neuen Staatsform in Jugoslawien zu entwickeln, die an die Stelle der Einparteiendiktatur treten sollte. Eine zweite, sozialdemokratisch bestimmte Partei soll in Zukunft die Rolle der Opposition übernehmen und legitime Sprecherin jener Volksmassen werden, die durch die augenblickliche Herrschaft der Kommunisten nicht vertreten sind. Djilas hatte, unterstützt von seinem Parteifreund D e d i j e r, bereits vor Jahr und Tag in einer Reihe aufsehenerregender Artikel diese Ansicht vertreten und war dafür von seinen Parteiämtern entfernt worden. (Dies hatte sich allerdings . in liberaleren Formen abgespielt, als es in Moskau und den reinen Satellitenstaaten heute üblich ist.) Für den Beobachter diesseits des Eisernen Vorhanges sind die Gedankengänge Djilas durchaus einleuchtend. Sie lassen erkennen, eine wie große und bestimmende Rolle eine wahrhaft demokratische Form des Sozialismus in der Zukunft einmal spielen wird, wenn die Weltentwicklung die heutigen Formen der Uebergangstyrannis hinter dem Eisernen Vorhang beseitigt haben wird. Nur wäre es unklug, diesen Bestrebungen heute schon eine solche Bedeutung beizumessen, als ob von hier aus eine grundlegende Umgestaltung des jugoslawischen Wesens erfolgen könnte. Wie wenig das eigentliche Anliegen dieses Einzelgängers heute noch verstanden wird (oder verstanden werden will), beweist mit grausamer Ironie die Antwortrede des regimetreuen Ministers K ar-del j, in der er mit schärfsten Angriffen gegen die Rebellen nicht sparte und in den Worten gipfelte: „Die sozialistische Demokratie läßt nicht zu, daß sie erpreßt wird...“ Unter sozialistischer Demokratie aber versteht Kardelj genau das Gegenteil von dem, was Djilas forderte... Ueber das innenpolitische Moment hinaus aber gewinnt das Interview Djilas an einen westdemokratischen Korrespondenten plötzlich eine dramatische Bedeutung, wenn man es vor dem noch schattenhaften Hintergrund gewisser politischer Vorgänge der letzten Tage sieht. Die ausgestreckte, zum Schütteln schon bereite Hand nach Peking und die geradem stürmischen Freundschaftserweise Moskaus, gefolgt vom Chor der Satelliten, dies alles läßt die Worte des alten Rebellen und Freischärlers im Morgengrauen eines heraufdämmernden neuen Kom(in)formismus wie einen Schrei im Nebel erscheinen... Noch kann er den Mund öffnen!

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