6650599-1958_51_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN zur wocHe

Werbung
Werbung
Werbung

DER BUNDESPRÄSIDENT WAR INKOGNITO. Vom Rechtsvertreter Herbert von Karajans erhalten wir folgende Zuschrift, der wir loyalerweise an dieser Stelle gerne Raum geben: „Sie brachten unlängst an dieser Stelle als .SPÄTE KUNDE' die Mitteilung, dafj sich Herr von Kara-jan beim österreichischen Staatsakt auf der Brüsseler Weltausstellung aus künstlerischen Gründen geweigert habe, vor der Aufführung des , Figaro' die österreichische Bundeshymne zu spielen, obwohl im Protokoll und im mehrsprachigen Programm die Hymne vorgesehen und gedruckt zu lesen stand. Diese Mitteilung war unrichtig: die für das Protokoll zuständigen belgischen und österreichischen Stellen hatten Herrn von Karajan angewiesen, vor der ersten Aufführung des ,Figaro' in Brüssel nur dann Hymnen zu spielen, wenn auch der belgische König zu dieser Aufführung erscheine; andernfalls sei die Anwesenheil des österreichischen Bundespräsidenten als inoffiziell zu betrachten und das Abspielen von Hymnen zu unterlassen. Da der belgische König zur ersten Aufführung des ,Figaro' nicht erschien, lieh Herr von Karajan die österreichische Hymne nicht spielen. Uebrigens enthielt das offizielle Programm der Brüsseler Figaro-Aufführung weder einen Hinweis auf das Abspielen der Hymnen noch ihren Text.“ Damit hat sich der an diese Mitteilung geknüpfte Kommentar als gegenstandslos erwiesen.

PRAEMIUM ERASMIANUM: Ein großer, internationaler Kulturpreis, der dieses Jahr erstmalig vergeben wurde, ist Oesterreich zuerkannt worden. In der Begründung dieses von der Europäischen Kulfurstiftung und dem niederländischen Kulturinstitut „Prinz Bernhard“ verliehenen Preises heifjt es: Oesterreich habe, statt sich in der Erinnerung an eine glänzende Vergangenheit zu verzehren, seine glänzende, für Europa unersetzliche, kulturelle Erbschaft, trotz der damit verbundenen gewaltigen Opfer, frohen Mutes angetreten und gezeigt, dofj es fest entschlossen ist, diesen für Europa wertvollen Besitz der Zukunft entgegenzutragen, ihn zu erneuern und in das europäische Ganze einzubauen. — Preis und Begründung bedeuten für Oesterreich eine Ehrung und einer ernste Verpflichtung. Der Preis trägt seinen Namen nach dem „Fürst des Humanismus“, Erasmus von Rotterdam, dessen Geist einst Jahrhunderte hindurch österreichische Humanität und Staatskunst geprägt hat: im Sinne einer politischen Humanität und einer Toleranz, die ihrer Zeit weit voraus waren. Der Name des Preises allein besagt bereits: Kultur ist nichts Museales, sondern eine eminent politische Leistung, die Opfer fordert, und die Verbindung und Verbindliches schaflt. Oesterreich kann guten Gewissens diesen Preis nur annehmen, wenn etwas von seinem Geist in Hinkunft die kulturpolitische Gesetzgebung, nicht zuletzt die Budgeterstellung und die Budgets unserer groben Interessenverbände beeinflußt. Die beste Verwendung des Preises selbst wäre: als erster Bausfein für eine Universitätsstadt in Wien und als Einladung zur Zeichnung weiterer Bausteine verwendet zu werden.

EIN POLITISCHER TEST. Mit der vom „Institut für Sozialpolitik und Sozialreform“ (Präsident: Univ.-Prof. Dr. Knoll — Geschäftsführer: Nafio-nalrat Dr. Kummer) seif Jahresfrist herausgegebenen Monatsschrift „Der Aufbruch“ haben alle jene, denen das Wort christliche Demokratie nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, einen neuen Bundesgenossen bekommen. Darüber hinaus ist ein neuer Bekenner einer geradlinigen österreichischen Staatspolitik erstanden. Beides kann man heute sehr wohl brauchen. Gerade unser Blatt, das seinerzeit als erstes die Meinung vertreten hat, die große ungenützte Chance der Volkspartei liege darin, ihren sozialreforme-rischen Flügel mit frischem Lebeifr zu erfüllen, weifj den Wert eines solchen jungen Kämpfers wohl zu schätzen. Denn kämpfen muß eine Zeitschrift, die sich schon im Untertitel als „gesell? schaftspolitische Monatsschrift“ vorstellt. Kämpfen, bekennen und die Dinge hart anfassen: das alles sind Eigenschaften, die einem zu allen Zeiten nicht überall Freunde machen. Warum sollte es im Oesterreich des Jahres 1958 anders sein. Ein Beispiel: In der letzten Folge des „Aufbruchs“ zeigte in temperamentvoller Weise Doktor Robert Prantner gewisse politische Fehlentwicklungen auf, die verraten, daß heute Personen und Gruppen, die einem ganz anderen Nährboden als dem der christlichen Demokratie entstammen, auf die Politik der ersten Regierungspartei einen mitunter bereits nicht unbedenklichen Einfluh ausüben. Die eine oder andere Formulierung Prantners mag einem vielleicht zu verallgemeinernd erscheinen, da und dort könnte man diffiziler unterscheiden. Das aber sind Methodenfragen. Wie gut gezielt aber der Schuh war, zeigt der Aufmarsch jener, die von der Spitze der Partei ein „Scherbengericht“ über die Zeitschrift und den Verfasser des inkriminierten Artikels verlangen. Schon spricht man bereits von Bemühungen, das weitere Erscheinen der Monatsschrift zu Unterbinden und den Autor auch wirtschaftlich unter Druck zu setzen. W i r können es nicht glauben. Auf jeden Fall wird es nicht zuletzt am Vorabend der Nafionalratswahl für die Katholiken sowie für alle staatsbewußten Oesterreicher von höchstem Interesse sein, zu sehen, wie sehr der „Rand“ heute bereits in den „Kern“ der ersten Regierungspartei eingerückt ist beziehungsweise deren Politik beeinflußt. So gesehen, könnte die „Affäre Aufbruch“ noch zu einem sehr ernsten politischen Test werden.

DIE FRAGE DER EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTSINTEGRATION ist nach wie vor ungelöst. Dem Gespräch Adenauers mit de Gaulle im Heilbad Kreuznach folgte die Tagung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der Sechs in Brüssel. Hier wurde nur der im Bad Kreuznach ausgehandelte Kompromiß, bei dem vor allem Frankreich Pate gestanden hatfe, offiziell aus der Taufe gehoben. Er dürfte wenigstens bewirken, daß es vorerst zu keinem Wirtschaftskrieg in Westeuropa kommt; die Benachteiligung der Nichf-EWG7Länder schließt er aber keineswegs aus. Wohl werden die EWG-Staaten am 1. Jänner 1959, dem Tag, an dem die Bestimmungen ihres Vertrages für sie wirksam werden, auch den übrigen Staaten eine ze.hn-prozenfige Zollsenkung für Industrieerzeugnisse gewähren, doch nur insoferne, als die Tarife über dem gemeinsamen EWG-Tarif liegen, der ab 1962 sukzessive in Kralt treten soll. Auch werden sie, vorbehaltlich der Gegenseitigkeit, die Einfuhrkontingente für nichfliberalisierte Industrieerzeugnisse um 20 Prozent erhöhen. Davon sollen allerdings 10 Prozent zweiseitigen Verhandlungen vorbehalten bleiben, bei denen es im Belieben der EWG-Länder steht, ob sie bei einzelnen Waren einer Erhöhung zustimmen.

England verhält sich auch diesem Kompromiß gegenüber kühl. Und die übrigen Staaten der OEEC, die diskriminiert werden? Sind Gegenmaßnahmen geplant? Wird der Block der „Anderen Sechs“, unter Führung Englands, der kürzlich in Genf tagte, wirksamere Schritte als bisher gegen die Diskriminierung unternehmen?

VIER KONFERENZEN TAGEN IN PARIS, vom

14. bis 20. Dezember. Da treffen sich die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik. Dann konferieren die Außenminister der westeuropäischen Union. Anschließend besprechen sich die Außen-, Verteidi-gungs- und Finanzminisfer der NATO. Zu guter Letzt tagt das Parlament der westeuropäischen Union. — Behandelt werden unter anderem: Eine

Reform der NATO, der Nahe Osten, dos Zypernproblem, die Freihandelszone, die Stellungnahme der afro-asiatischen Staaten in Kairo zum Europäischen Markt, die neuen Staatsförderationen in Zentralafrika. Im Mittelpunkt der Beratungen steht natürlich „Berlin“. Die Sowjets wollen den Rückzug der Westmächfe aus Berlin, der Amerikaner aus Europa. Das ist ebenso klar, wie es einleuchtend ist, dah die Westmächte diese Forderungen nicht annehmen können. Ganz unklar bleibt aber, was die westlichen Alliierten wirklich im neuen Jahr tun werden. Jedenfalls werden wenigstens für diesen Pariser Dezember die sowjetischen Drohungen ausreichen, um der Welt das Schauspiel einer demonstrativen Einigkeif des Westens zu geben. Wobei alle Beteiligten wissen: Für die Zukunft ist dies ganz ungenügend. Kleiner Lichtschimmer am Horizont: Der Bonner Kanzler hat sich am Vorabend der Pariser Konferenzen mit dem Regierenden Bürgermeister Berlins, Brandt, ausgesöhnt, der sich beim letzen Berlin-Besuch Doktor Adenauers von diesem vor den Kopf gestoben fühlte. An Bereitschaft, sich zunächst im Lager des Westens nicht ständig gegenseitig vor den Kopf zu stofjen (zwischen Bonn und London etwa), sollte es in diesen Vorweih-nachfstagen nicht fehlen.

- i % Ji ' 'V AFRIKANISCHE KONKURRENZ FÜR NASSER.

Ghana und Guinea haben sich zu einer Union zusammengeschlossen. Ghana kommt vom britischen Commonwealth her, Guinea wurde eben erst aus dem französischen Staatsverband entlassen. Den beiden Sfaafsführern Kwame Nkrumah und Sekou Toure schwebt als Ziel eine Westafrikanische Förderation vor, die Nigerien, Sierra Leone, Gambia und später wohl noch andere französische und spanische Kolonien umfassen soll. Wohl ist es möglich, darj es in Afrika zwischen dem arabischen Block und einem afrikanischen Block zu Kontroversen, ja, dafj es zu einem grohen Kräffemessen zwischen dem wirfschafflichen Potential des Ostblocks (Ruhland und China) und dem Westen kommt, wenn letztere sich entschließen sollte, sich wirtschaftlich stark im afrikanischen Block zu engagieren. Afrika könnte dergestalt ein Prüfstein für die innere Dynamik, Klugheif' und Zukunftschance der beiden grofjen Weltsysteme werden. Hier fallen die Entscheidungen der Zukunft.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung