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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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GIFTPFEILE. Wenn ein kleiner Staatsbeamter ein Paket Zigaretten als Geschenk „in Amtssachen" nimmt, kann er sein Brot verlieren und ist für sein Leben diffamiert. Wenn „Vermittler vom Format jener, die sich bei der VOeESt. engagierten, Riesenbeträge zugeschoben bekommen, handelt es sich offensichtlich um ein „Kavaliersdelikt", und niemand findet sich bereit, den Staatsanwälten jene Weisungen zu geben, die sie im Fall des kleinen Staatsbeamten flugs bekämen. Auch in der Sache Haselgruber hat sich gezeigt, daß man in der Art der Kreditgewährung nicht immer mit gleichem Maß gemessen hat. Was dem kleinen Greißler verwehrt wurde, der wahrlich ein besserer Vertreter der freien Wirtschaft ist, das wurde dem Grofjen ohne viele Schwierigkeiten gewährt. Das sind die Tatbestände. Auf die Einzelheiten einzu- gfehen, ist nicht möglich, weil alle vorliegenden Berichte in zwei Fassungen vorhanden sind und wir nicht immer genau wissen, an welchen der Texte Wir uns zu halten hoben. Im Wahlkampf mit 'den Problemen um die VOeESt. und um Haselgruber zu operieren, halten wir aber verfehlt. Die Skandale bei der VOeESt. allein sind kein Beweis dafür, daß das Konzept der SPOe falsch war. Und der Fall Haselgruber vermag keineswegs die Richtigkeit der Auffassungen der OeVP zu widerlegen. In beiden Fällen handelt es sich um Auswüchse. Um Entartungen eines politischen Systems. Aber nicht um den Beweis seines Versagens. Es wäre besser gewesep, beide Teile hätten die anfänglich guten Vorsätze gehalten und den Mut gehabt, die verfügbaren „Geheimwaffen’ nicht loszulassen, mufjfe man doch vermuten, dafj die Gegenseite auch ihr Arsenal an Argumenten und Sprengkörpern wohlgefüllf habe. Jedenfalls ist es falsch, ein System nur an seinen Auswüchsen zu widerlegen. Schließlich aber haben sich beide Vorfälle im Bereich der Demokratie ereignet. Die Diktatur hat es freilich leichter. Ihre Skandale bleiben weithin verborgen. Daher scheint sie mitunter den Massen „sauberer zu sein. Wenn aber das System der Demokratie durch das zu große Herausstellen von Skandalen gefährdet wird, dann waren es fast immer die Demokraten selbst, die sich bemüht haben, das von ihnen vertretene System um eines billigen Schlagers willen anzuschwärzen.

OB SICH TOTE durch Druckerschwärze wieder zum Leben erwecken lassen, fragt man sich in diesen Togen in Wiener Journalistenkreisen. Die Illustrierte K r-o n e n -»Z e i t u n.g" erscheint nath einer Pause von 15 Jahren wieder. An ihren Namen knüpft sich die Erinnerung an ein Presseerzeugnis eigener Art, das ein halbes Jahrhundert lang das Gesicht der österreichischen Publizistik mitbestimmen konnte: Journalistischer Vollblutinstinkt war dem Redaktionsstab bei allen geschmacklichen Entgleisungen nicht abzusprechen, wie sich auch ihr inzwischen verstorbener Chefzeichner durch frühe Tatsachen- illusfration und Karikatur (so die Schaffung populärer Lokalfiguren) einen Nomen machen konnte. Alles das sind freilich Eigenarten und Unarten, die sich nach Meinung vieler nicht so im Handumdrehen in das inzwischen stark gewandelte Klima unserer Tage überfragen lassen. Auch die erste Folge des neuen Blattes gibt darüber noch nicht eindeutig Auskunft. Sie ringt sichtlich noch um einen eigenen Stil zwischen gestern und heute, mischt von der ersten bis zur letzten Seite Krone und Schilling, Fraktur und Antiqua, Graphik und Funkbild, Revolverschüsse mit Lourdeswunder, Kronprinzenhochzeit mit „Sensationsprozeß um Domprälaten" und unterstreicht im übrigen mehrmals seine Parteiunabhängigkeit, die anscheinend an die Stelle der einstigen betonten Polifiklosigkeit treten soll. Wenn ein Vorwort als Programmpunkt Nummer 1 des Blattes „Herz" ankündigt, wird es in Zukunft stark darauf ankommen» welches Organ des menschlichen Körpers die 19-Kopf-Redaktion bzw. ihr redaktionelles und kommerzielles Haupt darunter genauer versteht ... Es soll recht und billig sein, wenn damit der politischen und menschlichen Härte unserer Tage ein zeitloses gemütvolles Wiener- tum entgegengehalten werden soll.Werm das Blatt jedoch lediglich die kriminellen und erotischen Sensationen der deutschen Illustrierten um eine lokale Spielart bereichern wollte, so wäre es besser gewesen, daß dieser Lazarus im Grabe geblieben wäre.

DAS ERBE DES VIERTEN KARL soll in einem Ehrenpreis lebendig erhalten werden, den die Sudetendeutsche Landsmannschaft alljährlich vergibt. Nicht dem propagandistisch soviel und nicht immer zutreffend strapazierten Imperium Karls des Großen gilt diese Huldigung, sondern dem Lebenswerk jenes Luxemburgers, den die Zeitgenossen schon den „königlichen Kaufmann" nannten. Unter seiner Herrschaft (1346 bis 1378) wurden keine romantisch-abenteuerlichen Romzüge und Eroberungsfahrten mehr gemacht, gab es zum Bedauern mancher Zeitgenossen keinen „Traum vom Reich mehr. Dafür hatten die Bauleute gute Tage, die Handwerker und Handelsbürger in den böhmischen Landen, die Entwickler neuer Manufakturen. Aber auch die Humanisten und Gelehrten fühlten sich in der Mitte Europas wohl. Karl hatte für sie die erste deutsche Universität zu Prag geschaffen -- Stammutter auch der wenig später gegründeten Alma mater Rudolfina —, Petrarca war sein Freund. An all das dachten die Männer verschiedener Partei- und Weltanschauung wohl, als sie nach einem Kandidaten suchten, der in unserer Zeit den Gedächtnispreis erhalten sollte. Ihre Wahl fiel auf Julius Raab. Der österreichische Kanzler wird diesen Preis am 17. Mai auf dem Heldenplatz zu Wien entgegennehmen. Eine Woche nach den Wahlen. Zugleich aber wird mit den Namen Karls IV. jener Geist beschworen, der diesem Tag auf österreichischem Boden allein entspricht. Dem Geist des friedfertigen, realistisch den Nachbarn anerkennenden Zusammenlebens, dem sie beide in ihrer Art und in ihrer Zeit dienten und dienen. Der ferne Kaiser des Heiligen Reichs und der heutige Kanzler des kleinen friedfertigen Oesterreich.

„DIE MÄRCHENHOCHZEIT IN TOKIO." Für die

Hochzeit des japanischen Kronprinzen Akihito mit Michiko Shoda paßt keine Schlagzeile schlechter als diese. Die Strenge und eigentümliche Kargheit der Zeremonien zeigt schon, dafj wir uns hier weit weg von der Märchenwelt Walt Disneys und der Hollywood-Prinzessinnen befinden. Hier wird eine geschichtliche Tatsache von erheblicher politischer Bedeutung sichtbar. Das japanische Volk besitzt auch heute noch, tief i unter allen westlichen und neuzeitlichen Ueber- lagerungen, jene elementare Lebensgemeinschaft, die es, furchtbar für seine Gegner und off unheimlich für seine- Freunde, als ein einziges riesiges Lebewesen erscheinen läfjt. Opferbereit, im Selbslmordflug der Kamikazes, opferbereit für die Zukunft, sie mag aussehen, wie sie will. Es entspricht dem Sinn dieser Nation als einer einzigen Opfergemeinschaft, daß der Gedanke des Opfers gerade auch bei dieser Hochzeit das Rückgrat bildet. Der Kronprinz tritt vor die Schreine seiner Ahnen, berichtet ihnen von der Hochzeit und bittet sie um ihren Segen mit den Worten: „Wir sind gekommen, um unsere Heirat zu melden und festzustellen, daß wir Freude und Leid feilen wollen und daß unsere Gefühle füreinander bis in alle Ewigkeit unverändert bleiben werden." Daran kann, nach japanischer Glaubensziftersichf, auch kein Steinwurf bet dieser Hochzeit etwas ändern. So ist also diese kaiserliche Hochzeit weit mehr als ein Schauspiel, vielmehr die feierliche Selbstdarstellung eines Volkes, das auch damit seinen Lebenswillen vor aller Welt bekundet.

EINE NEUE DIPLOMATISCHE, OFFENSIVE auf wirlschoftUcHera jGebiet hat, Mßtkjau. ift„.Penf gestartet. Es' legte der „Wirtschaftskommission für Europa" (ECE), einer seif 1947 bestehenden Regionalorganisation der „Vereinten Nationen” einen Plan vor, nach dem eine Handelsorganisation für Europa gegründet werden soll, die die Beseitigung aller handelshemmenden Vorschriften, wie Zölle usw., durchführen soli. Ein ostwestliches Gegenstück zur bestehenden „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" (EWG) also, die sich dann selbstverständlich auflösen und in der neuen Handeisorganisation aufgehen müßte. Es ist kaum anzunehmen, daß die Sowjets ernstlich an die Verwirklichung ihres Planes glauben. Die EWG wird sich wohl kaum ihnen zuliebe auflösen und im übrigen läljt sich die zentralistische Verwaltungswirtschaft des Ostblocks nicht mit der freien Marktwirtschaft des Westens in einer Organisation vereinen. Ein Propagandaschul; mehr also? Nicht ausschließlich. Was der Osten innerhalb der ECE in Genf seif eh und je anstrebt, sind langjährige Handelsabkommen mit dem Westen, die er besser in seine Planwirtschaft einbauen kann, als die bisherigen kurzfristigen. Doch dürfte das Schicksal des neuen russischen Planes etwa so aussehen: Einem Untersuchungsausschuß zugewiesen zu werden, um dann in der Aktenablage für ewige Zeiten zu verschwinden.

NATIONALISTISCHE BRANDUNG IN MALTA.

Ihrer britischen Majestät getreueste Insel, Trägerin des Geargskreuzes für hervorragende Tapferkeit im zweiten Weltkrieg, entwickelt sich mehr und mehr zu einem Sorgenkind der britischen Regierung. Die eigentliche Krise in den britisch- maltesischen Beziehungen, die schon vorher nicht reibungslos waren, begann 1955 mit dem Wahlsieg der maltesischen Labour-Partei, deren Führer, der kampflustige Mr. Mintoff, als Chef der autonomen Regierung zunächst die Integration Maltas mit Großbritannien und eine maltesische Vertretung im Parlament von Westminster verlangte, um dann, als dieses Begehren abgelehnt worden war, und er auch mit seinen überspitzten Forderungen britischer Subsidien nicht durchdringen konnte, einen einstimmigen Beschluß der gesetzgebenden Versammlung durchzusetzen, der Malta aller Verpflichtungen gegenüber dem Vereinigten Königreich ledig erklärte. In Anbetracht dessen, daß die 300.000 Malteser ihren Lebensunterhalt zu zwei Drittel aus britischen Quellen beziehen, klingt die Unabhängigkeifsparole, die Mintoff jetzt sogar durch einen Appell an die NATO unterstrichen hat, wie ein schlechter Witz. Aber damit ist die Frage, wie das Problem Malta zufriedenstellend f'"r alle Teile zu lösen ist, nicht weniger ernst geworden.

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