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Die Jungen

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Es ist nicht von ungefähr, daß in dem bunten Gemenge von Blättern und Blätteben, das heute den Zeitungsmarkt füllt, die Jugendzeitschriften in einer zuvor nie dagewesenen Zahl vertreten sind. Die Erklärung liegt nicht sosehr in dem Werben der verschiedenen politischen und Weltanschauungslager um den jungen Menschen, als in dem Geist der heutigen Jugend selbst, in ihrem Willen zu selbständiger Anteilnahme an der Gestaltung des eigenen Schicksals und der gesellschaftlichen Formung. Wer aufmerksam diesen Stimmen horcht, kann manche stille Freude erleben. Kein Zweifel, es meldet sich eine Jugend, die einem Lebenstrom entstiegen ist, den eine frühere noch nicht gekannt hat. Vernehmlich klingt in diesem Schrifttum eine kräftige bekenntnisfrohe österreichische Note auf und zuweilen auch eine andere: eine neue Einstellung zu dem Verhältnis von Mensch zu Mensch.

Da ist die Halbmonatschrift „D e r S t r o m“, Organ der sozialistischen Hochschuljugend. Es ist beachtlich, mit wel;h forschendem Ernst das Blatt — oder sagen wir: die Vielheit der jungen Menschen, die aus ihm erkennbar spricht — an die Probleme von Staat, Vaterland, Gemeinschaft, Wissenschaft und Kunst herangeht. Da spricht nicht selten ein autonomes Urteil von gesunder Frische. Bezeichnenderweise hat das Blatt in einem Preisausschreiben über das Thema: „Die Zukunftsaufgaben der akademischen Jugend Österreichs“ mit dem ersten Preise den Aufsatz eines Grazer Studenten Erich Körner bedacht, in dem wenige Sätze sind, denen man nicht vorbehaltlos zustimmen könnte. Der Verfasser sieht eine ungeheure Tragik in dem Geschehen der letzten zwei Jahrzehnte in Österreich:

„Ein verlorener Krieg und der Zusammenbruch einer Jahrhunderte alten Großmacht, verbunden mit der plötzlidien Zerstörung eines sich harmonisch ergänzenden Wirtschaftsraumes, das waren die armseligen Taufpaten der ersten österreichischen Republik. Schon der Beginn des neuen Staates stand im Zeichen des Unglaubens an die eigen Lebensfähigkeit. Die folgenden Wirtschaftskrisen und das mangelnde Verständnis der Siegermächte waren nicht dazu angetan, den österreichischen Staatsgedanken wesentlich zu heben. Auf diesen vorbereiteten Nährboden hatte der inzwischen in Deutschland zur Macht gekommene Nationalsozialismus mit seinen blendende Versprechungen kein allzu schweres Spiel. Unsere österreichische Schuld ist es, uns damals i n ideologischen Parteikämpfen aufgerieben zu haben, statt in einer Einheitsfront den Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Vernichter jeglicher Freiheit und Menschenwürde, aufzunehmen.“

Heute könne, was vom Nationalsozialismus übriggeblieben ist — so betont der Verfasser mit großer Entschiedenheit — „nicht mit bloßer Gewalt gebro-ch e n, sondern letzten Endes nur durch eine andere bessere Idee geistig überwunden werden“.

„In unserem Falle“, folgert der Autor, „ist das Heilmittel die positive Demokratie. Das ganze Volk muß heute beweisen, daß es nach den vergangenen schweren Jahren für diese, der Menschenwürde am ehesten entsprechende Staatsform tatsächlich reif geworden ist. Wir dürfen auch'nicht in den Irrwahn verfallen, dort fortsetzen zu wollen, wo wir 1934 unterbrochen worden sind. Inzwischen hat sich die Welt verändert und die österreichische Demokratie muß in 12jährigem Exil den Kinderschuhen entwachsen sein. Ihr Erfolg wird in großem Maße von der Intelligenz, vor allem von den Lehrern und Beamten abhängen.“ *

In Übereinstimmung mit einem andern Aufsatz der gleichen Nummer „Der neue Geis t“, der als- das Gesetz der neuen Zeit den „Geist der Liebe“ bezeichnet, einen Geist, der nicht aus dem Gehirne, sondern dem Herzen entspringen müsse, nimmt der Grazer Preisträger dagegen Stellung, daß man in jedem anders Gesinnten einen unbedingten Gegner auf allen Lebensgebieten erblickte:

„Wir Sozialisten wissen, daß auch wir in der Vergangenheit manchen Fehler begangen haben, und wir scheuen auch heute keine positive Kritik, die zu für beide Teile fruchtbaren Diskussionen führt. Kompromißlos aber werden wir immer im Kampfe gegen jede Ausbeutung arbeitender Menschen, gegen Wiederherstellung faschistischen Ideengutes und für unbedingte Sauberkeit und Gerechtigkeit im öffentlichen Leben bleiben.“

Wenn wir uns solcher Äußerungen und der Übereinstimmung der Äußerungen freuen, so wird niemand uns oder etwa die andere Seite der Absicht bezichtigen können, das Grundsätzliche zu verwaschen. E kommt uns darauf an, daß wir einmal gegenseitig lernen, dem Gemeinsamen, dem Dienste an Volk und Heimat, ohne Leidenschaft und Haß, mit gutem Willen und gegenseitiger Achtunf zuzustreben.

Es mag schon sein daß alte Landsknechte der Parteipolitik an solchen Anschauungen der Jungen, wie sie hier in einem Studentenblatt vorgetragen werden, wenig Freude haben werden. Sie trennen sich schwer von den alten Kartaunen und Feldschlangen ihrer politischen Gefechte. Wer wird recht behalten, die Alten oder die Jungen?

Aus einer Untersuchung über die Zunahme des Hochschulstudiums unter der weiblichen jungen Generation Österreichs kommen die' von dem österreichischen Forschungsinstitut für Wirtschaft und Politik in Salzburg herausgegebenen „B o-richte und Informationen“ — übrigens eine Erscheinung von sehr beachtlicher Leistung — zu der Feststellung, daß gegenwärtig die weiblichen Studenten der Philosophie die Zahl ihrer männlichen Fakultätskollegen überflügelt habe. Während des Krieges überwog bei weitem die Zahl der Medizinerinnen, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Medizinerinnen am leichtesten der Verwendung in Fabriken oder sonstigen unliebsamen Diensten erwehren und im Spitaldienst unterkommen konnten. Nun stellt sich das Zahlenverhältnis von männlichen und weiblichen Studierenden an den verschiedenen Fakultäten so- dar:

Fakultät Gesamtzahl d. Hörer davon Frauen

Innsbr.Graz Wien 'nnsbr. Graz Wien theologische 163 152 142 — — 9 rechte- u. staatswlssenschattliche 1158 1252 1601 134 137 284 medizinische 1104 1688 3377 286 377 1330 naturwissenschaftliche 972 — ■ — 241 — — philosophische 786 1524 3894 373 565 2092

Gelegentliche Rundfragen unter den Philosophiestudenten haben ergeben, wie die „Berichte“ vermerken, daß 90 Prozent das Lehramt anstreben — auch bei den Studentinnen. „Es wäre eine Katastrophe, wenn alle bei diesem Be-rufsfciel blieben; denn kaum 20 Prozent können unter normalen Verhältnissen von den österreichischen Mittelschulen aufge-. genommen werden“, urteilt die zitierte Untersuchung.

Man kann wohl annehmen, daß die Steigerung des weiblichen Andranges zum Hochschulstudium zum guten Teil zeitgebundene und auch vorübergehende Ursachen hat: Die Sorge vor verminderten Aussischten auf Heirat und Familiengründung, das Stocken der Wirtschaft, das Brachliegen vieler Frauenerwerbszweige infolge des Mangels an Material und Arbeitsgelegenheit und die im Kriege eingetretene Überfüllung der Bürodienste mit weiblichen Kräften. Aber so unerfreulich an sich die Überfüllung des Philosophiestudiums mit weiblichen Hörerinnen ist, so offenbart sich darin, daß diese studierende Jugend zu neun Zehntel dem Lehrstand zustrebt, doch ein gesunder Zug: Eine Berufswahl, die innerhalb des Frauenstudiums der stärksten natürlichen Begabung der Frau entspricht. Viele werden heiraten und nicht in den Lehrberuf eintreten. Aber wir werden künftig auch mit einem noch höheren Bildungsstand;? rd in der Familie zu rechnen haben.

Die Behauptung, dem Sport wohne eine völkerverbindende Kraft inne, wird von der Wirklichkeit mitunter Lügen gestraft. Am 30. Mai sollte in Preßburg ein Fußballkampf zwischen einer slowakischen und einer tschechischen Mannschaft ausgetragen werden. Die Wahlen in das neue Parlament waren eben erst vorüber, über dem Land lagerte noch die Spannung der letzten Wochen; in sie mischte sich die Freude über den Sieg der slowakischen Demokratischen Partei, der schließlich doch ein Sieg des Gedankens der autonomen Slowakei war. Die Spannung selbst hatte weder vor noch knapp nach der Wahl zu irgendwelchen besonderen Demonstrationen geführt. Ein paar Studenten hatten zwar nach der Wahl einen Umzug veranstaltet und die Absetzung eines Theaterstückes vom Spielplan der städtischen Bühne verlangt, weil darin angeblich die Slowakei verspottet wurde. Zwei Filme waren aus dem gleichen Grund gleich nach der Wahl verboten worden. Die politischen Häftlinge des Preßburger Gefängnisses, fast durchwegs Angehörige der ehemaligen Hlinkapartei und der slowakischen Regierung, hatten, als sie den Ausgang der Wahl erfuhren, in ihren Zellen die slowakische Hymne gesungen. Das waren aber auch die einzigen politischen Demonstrationen, bis —, ja bis beim Fußbaflwettkampf die nationalen

Wogen plötzlich emporschlugen. Die tsche-, chische Mannschaft wurde, als sie den Sportplatz betrat, ausgepfiffen, Sprüche wie „Alle Tschechen hinaus!“ und „Schlagt die Tschechen!“ wurden im Chor gerufen. Die tschechischen Zuschauer und Spieler wurden tätlich angegriffen, es kam zum Handgemenge, an dem sich auch slowakische Soldaten aktiv beteiligten, sehr zum Mißvergnügen ihres kommandierenden Generals, der gekommen war, dem Spiel beizuwohnen. Der Tumult sah so bedrohlich aus, daß die Behörden militärische Unterstützung anforderten und die Feuerwehr alarmierten, der es dann im wahrsten Sinn des Wortes gelang, die erhitzten Gemüter abzukühlen.

Dieses kleine Intermezzo wäre kaum erwähnenswert, würden sich darin nicht die Schwierigkeiten nationaler Art aufzeigen, denen sich die neue Tschechoslowakei noch immer gegenübersieht.

Nach dem . ersten Weltkrieg wurden dem alten Österreich aus den Reihen der neuen Republik oft Vorwürfe gemacht, daß es seinen Völkern nicht nationale Gerechtigkeit habe widerfahren, lassen. Die letzten Jahrzehnte der habsburgischen Großmacht waren überschattet gewesen von dem Problem, sechzehn verschiedene Völker gerecht zu regieren. Darüber lagerte noch als besondere Komponente das Verhältnis Ungarns 1 zu den österreichischen Stammländern. Einer endgültigen glücklichen Lösung sperrte der unglückliche Ausgang des Krieges den Weg. Die dann erstehende erste tschechische Republik, war ähnlich wie das alte Österreich, erfüllt von nationalen Kämpfen. Die jetzige Republik hatte versucht, die Gefahrenherde radikal, durch Ausweisung aller Deutschen und Ungarn, zu beseitigen. Die ruthenische Frage hatte sich von selbst, durch Abtretung des Landej an die Sowjetunion erledigt. So 'blieb nur die Herstellung eines guten Verhältnisses zu den Slowaken als Aufgabe übrig. Maßnahmen erfolgten, die eine Art Autonomie darstellen und den Keim eines staatlichen Dualismus in sich tragen. Aber wie die Preßburger Zwischenfälle zeigen, klafft in dem Programm irgendwie noch eine Lücke. Die Gegensätze bestehen weiter.

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