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Randhemerkungen zur woche

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POLITIK AUS DEM RESSENTIMENT: so lautet nicht der offizielle Titel, wohl aber der Inhalt der Rtde des Nationalstes Dr. Pittermann beim Treffen des Bundes sozialistischer Akademiker in Linz. Auf diese Rede ist in letzter Zeit mehrfach Bezug genommen worden, auch von prominenter Seite, zuletzt vom Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft katholischer Verbände, Dr. Karasek, in Zwettl. Der Grund, weshalb wir heute noch einmal auf dieses triste Zeugnis politischer Unkultur zurückkommen müssen, ist ernst genug: jetzt erst dringt der Wortlaut dieser Rede, die sehr verkürzt und entschärft publiziert worden war, an die Oeffentlichkeit. Das Gelächter und der Beifall, den Pittermann mit seinen unquali-fizierbaren Aeußerungen wachrief, zeigten, wie sehr er ins Schwarze, besser, ins Rote und Braune, traf. Der bekannte sozialistische Nationalrat verstand es nämlich meisterhaft, alte nationalsozialistische und alte sozialistische Ressentiments wachzurufen, er klagte, in gut volksdemokratischer und völkischer Art, unsere Bischöfe als Kriegstreiber an: als Hetzer, die zum inneren Krieg, zu Neuwahlen drängen. „Vielleicht kommt das Treiben der Bischöfe nach Neuwahlen daher, weil die Leute, die ihre Seelenpein in den Beichtstühlen abladen, offenbar doch nicht die öffentliche Meinung vertreten.“ So im September 1955 ein österreichischer Nationalrat, so sprach im September 1938 Reichsleiter Bürchcl zu den Massen, die eine Strohpuppe als Kardinal über den Ring trugen. Tosendes Gelächter damals — und heute: das Publikum war dasselbe. Nur der Sprecher trug einen anderen Namen: auch der Biedermann vom Herbst 1938 berief sich auf die „Freiheit“ des Volkes und der Arbeiter, die er schützen müsse vor der Wühlarbeit der Kirche.

DIB ERKRANKUNG PRÄSIDENT EISENHOWERS-wiift ihre Schatten über die nunmehr beginnende Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York. Bisher war die Ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik auf die nächsten Wahlen, die im Inland bereits die Auseinandersetzungen zu akzentuieren beginnen, noch 'nicht allzu deutlich sichtbar geworden: es sei den\t, man zähle die ostentative Betonung einer konstruktiven Friedenspolitik zu den Bemühungen, ein gutes Gesicht zu gewinnen bei jenen breiten Schichten des amerikanischen Volkes, die, müde des Kalten Krieges, Frieden, Sicherung des Wohlstandes und weltweite Geschäfte wünschen. Nunmehr beginnt jedoch infolge der unerwarteten Herzattacke des Präsidenten eine politische Bewegung, die gerade im gegenwärtigen Moment Beachtung verdient. Wenn Präsident Eiseuhower bei den Wahlen im kommenden Jahr nickt mehr kandidiert, laufen die Republikaner die größte Gefahr, Regierung und Präsidentschaft zu verlieren, da ihre offizielle Parteipolitik stark diskriminiert ist durch eine gewisse Starrheit ur.d Enge — Eisenhower hat seine Erfolge gegen die Partei, die ihn wählte, erfochten — und da die Republikaner an dem chronischen Uebel leidin, zwar einige markante Querköpfe und sehr eigenwillige Persönlichkeiten zu besitzen, aber keine Staatsmänner von hoher Popularität und großem Fotmat. Die Demokraten sind da weit besser ausgerüstet: mit Adlai Stevenson und Harriman, dem gegenwärtigen Gouverneur von New York, an der Spitze, besitzen sie ein Team von fähigen Leuten erster Garnitur. Die innenpolitische Erschütterung ist, im Zusammenhang mit dem Kurssturz an der New-Yorker Börse, groß — wir werden sie in der nächsten Nummer unseres Blattes ausführlich zu behandeln haben. — Die innere Zusammenarbeit der westlichen Welt wird jedenfalls auf eine neue Probe gestellt durch dieses unerwartete Ereignis. Wie seltsam und bedenkenswert ist dies doch im Zeitalter der Demokratie, der modernen Massenstaaten und der industriellen Großgesellschaft: die biologische Schwäche des Herzens eines Mannes läßt die Herzen von vielen Millionen Menschen schneller schlagen und von Unruhe erfüllt werden. Vielleicht liegt in dieser wenig Trost verheißenden Tatsache doch der Funke eines Trostes und einer Mahnung an alle: immer noch wird die Weltpo'titik von Menschen gemacht, wird ihr Rhythmus bestimmt nicht vom Räderwerk elektronischer Maschinen, sondern vom Schlage dieses und jenes Herzens. — Europa, und in ihm Oesterreich, weiß sich dem Präsidenten der USA mit allen guten Wünschen für eine baldige Genesung verbunden: dieser General hat ein so großes Werk des Friedens mitbegonnen, daß alle Kämpfer für einen wirklichen und dauerhaften Frieden sich ihm heute verbunden wissen.

DIE SORGE UM DAS JUGENDBUCH ist nicht uen. Dem internationalen Kongreß „Buch und Bild“, der zwischen dem 21. und 23. September in Witn tagte, brauchte mau nichts erzählen; der hatte selbst (nicht immer Schönes) zu erzählen. Vor allem und immer wieder tauchte das Gespenst der „Comics“ (der Bilderstreifen) auf, von denen es im heurigen Sommer an den literarischen Käseständen, sprich Kiosken,, gezählte 53 Organe gab. Fiat man etwas dagegen versucht? O doch: Oesterreich ist einmal beispielgebend der Welt vorangegangen, indem es das gute Buch förderte — der Buchhlub der Jugend , wirkte in dieser Richtung; mit dem Klub in Verbindung genannt werden muß die Schriftenprüfungs- ' kommission beim Bundesministerium für Unterricht: 100 Lektoren haben von 2000 vorgelegten Büchern 700 abgelehnt, was ein ganz netter Hundertsatz ist. Man organisierte die Jugeud-Wanderbüchereien — es gibt 100 von ihnen (Bücherkisten gehen in die entferntesten Dörfer Oesterreichs). In hervorragender Weise hat die Beratungsstelle der Katholischen Jugend mit ihren hauptamtlichen Kräften gearbeitet — zuletzt sind 700 Lehrer und Erzieher in Schulungskursen unterwiesen worden und 350 fanden sich in den Sommerkursen zusammen: das wirkt ebenfalls bis in die entferntesten Orte des Landes. Ein Staatspreis ist für das gute Jugendbuch ausgeschrieben, 65 Bücher reichte man ein, der erste Preisträger wird 10.000 S erhalten und der eventuelle Illustrator auch bedacht werden; und damit der Verleger den Sinn seiner Arbeit erfüllt sieht, kauft man sogleich 1000 Exemplare des dusgezeichneten Werkes und schickt sie als Geschenke (etwa zu feierlichen Preisverteilungen) ins Land hinaus. Man sieht: es ist etwas geschehen, man arbeitet — oft unbedankt — und man sieht das Ziel. Nun fragen sich die Beteiligten: was ist mit der komischen Comic-Sache los? Nun: da begaben sich einmal der Präsident des Stadtschulrates für Wien mit seinem niederösterreichischen Kollegen ins Buudesministerium für Handel und Wiederaufbau, um ein Wörtchen einzulegen gegen den Handel mit Bilderstreifen und den Abbau der Einfuhr aus dem Auslande zu verlangen. Was bekamen die Herren zu hören? Daß die Comics — liberalisiert sind) Nun, der internationale Kongreß „Buch und Bild“ war darüber nicht unterrichtet, er hätte diese Liberalität in einem Lande, das- soviel für die gute Jugendliteratur unternahm, nicht verstanden. Der Sundesminister für Unterricht, Doktor Drimmel, kam in seiner Ansprache vor dem Kongreß im Niederösterreichischen Landhause auch, auf die Frage der Comics zu sprechen. Er wies auf die Schwierigkeiten hin, deutete an, daß einen Stock tiefer im Landhaushof vom Brunneu 1S13 die Pressefreiheit verkündet worden sei, daß er aber sicher sei, ohne Einengung der. Pressefreiheit die Einfuhr der Comics zu stoppen. Es scheint, man denkt au die Abschöpfung der Profite der, Unternehmer und. in der Tat, wenn man den Geschäftigen das Geschäft mindert, sind sie an „Jugendliteratur“ minderinteressiert.

ZUWENIG UND ZU SPAT - dieses in der Geschichte der Staatskunst so häufig wiederkehrende Urteil wird auch über den. jüngsten Versuch der britischen Regierung, die Zypernfrage zu lösen, gefällt werden müssen. Es rächt sich bitter, daß matt in Whitehall nicht beizeiten an die Wirkung gedacht hatte, die der Erfolg autonomistischer und eigenstaat-licher Bestrebungen fast überall im einstigen britischen Weltreich auch auf jener Mittelmeerinsel auslosen würde, die in 60 Jahren britischer Herrschaft, bis knapp vor Kriegsausbruch 1939, aufs augenfälligste vernachlässigt worden war. Noch vor zwanzig Jahren hätte die Gewährung einer autonomen Verfassung unter der britischen Krone, wie sie nunden Zyprioten in Aussicht gestellt wird, nebst wirtschaftlichen Hilfen und einem entsprechend gesicherten Schutz der mohammedanischen Minderheit, hinlangen können, um eine allseits befriedigende Lage zu schaffen, aber heute ist das anders. Es ist zwecklos geworden, dem Ruf nach Enosis mit dem Argument zu begegnen, daß Zypern niemals zu Griechenland gehört hat und daß es durch Eingliederung in das Königreich der Hellenen schwere Einbußen in materieller und sozialer Hinsicht erleiden würde-, achtzig Prozent seiner Bewohner verlangen die staatsrechliche Vereinigung mit dem Volke, mit dem sie sich durch die Sprache und, mehr noch, durch die gemeinsame Zugehörigkeit zur griechisch-orthodoxen Kirche verbunden fühlen, und von dieser durch Gewaltakte unterstrichenen Forderung sind sie auch durch die denkbar weitestgehenden Konzessionen der Briten nicht mehr abzubringen. Aber damit ist das Problem noch nicht erschöpft. Wie die Ausbrüche antigriechischen Terrors in Istambul und Smyrua gezeigt haben, steht die muselmanische Minderheit auf Zypern keineswegs allein mit ihrer unbedingten Ablehnung jedweder Aenderung.im gegenwärtigen Kolonialstatus der Insel, und wenn Großbritannien, um seiner traditionellen Freundschaft mit Griechenland willen, sich dazu entschließen sollte, der Enosis-Bewegung freien Lauf zu lassen und den'Union Jack; wie vordem in der ägyptischen Kanalzone so auch auf Zypern zu streichen, so wären die Folgen unabsehbar; und nicht allein für die britisch-türkischen Beziehungen. Es mag sein, daß die Insel als See- und Luftstützpunkt der. NATO-Streitkräfte nicht mehr die große Bedeutung besitzt, die man ihr anfangs zusprach; worauf aber unter keinen Umständen verzichtet werden kann, ohne den Südflügel der NATQ-Defensivfront in-vielleicht verhängnisvoller Weise zu schwächen, ist die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit Griechenlands und der Türkei im Rahmen dieser Organisation. Daher kann es für die britische Politik zur Zeit kaum eine Wichtigere Aufgabe geben, als Mittel und Wege zu finden, um die Zypernfrage, die jetzt das Bündnisverhältnis zwischen den beiden Staaten sehr bedenklich belastet, auf eine Art zu lösen, mit der sich die Regierungen in Athen und in Ankara, wenn schon, nicht die zyprischen Extremisten, einverstanden erklären können. Dazu wird freilich ein wenig Phantasie gehören und ein Abrücken von den hergebrachten staatsrechtlichen Konzeptionen.

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