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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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AUS HEITEREM HIMMEL. Die Schreckensnachrichten in den Urlaubsmonaten dieses Jahres reifjen nicht ab. Sie setzten ein mit den alarmierenden Meldungen aus dem Nahen Osten, dann kam die Ueberschwemmung in Kärnten und jetzt die zweite Unwetterkatastrophe dieses Sommers: diesmal in der Steiermark, im Mürz- und Murtal. Die Verwüstungen wurden durch ausgedehnte Wolkenbrüche und die dadurch auftretenden, Baum, Holz, Gestein mit sich reifenden gewaltigen Wassermengen verursacht. Häuser, bebaute Felder, die Früchte unzähliger Arbeitstage wurden weggeschwemmt, blühende Täler in ein einziges Jammertal verwandelt. Der Gesamtschaden ist fast unermeßlich. Man spricht von einer Schadensumme von 100 Millionen Schilling, man zählte sogar fünf Todesopfer. Ganz Oesterreich wurde durch diese Nachrichten bewegt, und es hilft, wer nur kann. Behörden und Körperschaffen stellten Geldmittel zur Verfügung, in den Kirchen wird das Ergebnis einer sonntäglichen Kollekte den Unglücklichen gewidmet. Es wurde jedoch darüber hinaus an die Opferbereitschaft der Bevölkerung appelliert, und die ersten Ergebnisse zeigen, daß die Aufrufe nicht ungehörf verhallten. In solchen Zeiten stellt unser Volk sein Heimafgefühl und seine Bereitschaft, dem Nächsten, der in Gefahr geraten ist, zu helfen, zumeist spontan und ohne viel Worte unter Beweis. Gefährdete Urlaubszeit: sie war also nichf arm zulefzt auch an guten Taten, aber dennoch sollte sie uns allen auch zur Mahnung dienen. Wer vergönnte nicht die ohnehin rasch dahineilenden Wochen des Sichausruhens, der inneren Sammlung und der Aufnahme von Reiseeindrücken in fremden Gegenden den Menschen unserer Tage? Allein auch in der ländlichen Abgeschiedenheit und auch auf Reisen bei modernem Komfort soll der Chrisfen-mensch stets bereit sein, seinen Mann zu stellen: für sich und für seine Mitmenschen. Denn die Stunde der Erprobung kann schon die nächste sein.

VERSCHENKTE MILLIONEN! Die Gerüchte um den Rückkauf des Grandhotels in Wien nehmen immer mehr konkrete Form an. Eine New-Yorker Firma erwarb vor einiger Zeit im Rahmen des offiziell geförderten Ausverkaufes österreichischer Unternehmungen an den Mindestbietenden das Grandhotel. Nun wurde es wieder von der Regierung zurückerworben, um es der Afom-behörde zur Verfügung zu stellen. Dabei gewannen die Verkäufer nicht weniger als zwanzig Millionen Schilling. Nun bedürfte es endlich einer Erklärung der verantwortlichen Stellen und des Verbindungsmannes der Regierung zur Atombehörde, des ehemaligen Aufjenministers Doktor Gruber: 'Erstens darüber, ob die veröffentlichten Ziffern auf Wahrheit beruhen, ob zweitens kein anderes und preislich besser gelegenes Objekt zur Verfügung gestanden hat als das Grandhotel, ob drittens keinerlei Einfluß von aufjen auf die Transaktion genommen wurde, aus der die Bankiers Kronstein-Flursheimer und ein Herr Direktor Solomon einen Gewinn erzielen konnte, der mit der Finanzlage unseres Landes in keinerlei Uebereinstimmung steht. Wenn auch die Verlegung der Atombehörde Oesterreich indirekt sicher mehr Einnahmen bringen wird als der Kaufpreis von 90 Millionen ausmacht, muß man eben wegen des geradezu peinlichen Schweigens den Eindruck erhalten, daß nicht alles getan wurde, um ein besseres Arrangement zu erzielen.

DIE VERWAISTEN. Ein Beweis, wie sehr Karl Arnold Repräsentant der christlichen Arbeitnehmer innerhalb dessen gewesen war, was sich deutsche christliche Politik nennt, war die Bildung einer neuen Regierung in Nordrhein-Westfalen. Obwohl es allen offensichtlich war, daf; die CDU nur deshalb/ ihren geradezu sensationellen Wahlsieg erringen konnte, weil ihr in Massen die Stimmen von Arbeitnehmern zugefallen waren, dachte man nicht daran, dieser Tafsache bei der Auswahl der Mitglieder der neuen Landesregierung Rechnung zu tragen. Ein einziges Mitglied der Landesregierung kann als Vertreter der christlichen Arbeiter angesprochen werden, der Minister für Arbeit und Soziales, der bereits im Ruhestand gewesene und über siebzig Jahre alte Johannes Ernst. Ernst gilt, wie übrigens auch der verstorbene Arnold, als Vertreter der christlichsozialen ein-heitsgewerkschafflich gesinnten Kollegenschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund und hat daher die anderen christlichen Arbeitnehmergruppen, insbesondere die Katholische Arbeiterbewegung und Teile der Sozialausschüsse der CDU gegen sich. Hätte man sich oben dazu verstanden, auch diesen Gruppen im neuen Kabinett eine Vertretung zu geben, wäre es nicht zu den bedauerlichen Auseinandersetzungen gekommen, die in der resignierten Feststellung des Organs der KAB „Kettelerwooh“, ihren Niederschlag finden: „Trotz der Wahlsiege der CDU wird der Einflufj der christlichen Arbeiterschaff immer geringer.“ Auch in Oesterreich kann man seif dem Abgang von Leopold Kunschak — wir haben schon des öfteren den Finger auf diese Wunde gelegt — so etwas wie eine fortgesetzte Schwächung der christlichen Arbeitnehmer in der Politik feststellen. Es wird Sache der Führung der ersten Regierungspartei sein, zu beweisen, dafj sie nicht gewillt ist, die ober erwähnte bedauerliche Entwicklung der CDU, die in ihrer Haltung vor allem auf Aufjenpolitik und Wehrfragen fixiert ist, mitzumachen. Die Tatsache der „Verbürgerlichung“ der Sozialisten vermag den Tafbestand, dafj die Interessen der Arbeitnehmer innerhalb der christlichen Politik relativ zu schwach vertreten werden, nicht zu verdecken.

„ER WAR EIN NARR.“ Der Staatspräsident der Sowjetunion, Klement Woroschilow, weilfe in der vergangenen Woche in Brüssel, besichtigte die Weltausstellung und stellte sich in aufgeräumter Stimmung den ihn bedrängenden Journalisten. So verweigerte er auch dann die Antwort nicht, als ihn einer von ihnen nach der Affäre Imre Nagy befragte — obwohl sich diese Frage auf „innere Angelegenheiten“ eines anderen souveränen Staates bezog als des seinen. Woroschilow aber antwortete — laut Auskunft einer Weifnachrichtenagentur — wie folgt: Die Hinrichtung Imre Nagys sei möglicherweise eine „zu harte Strafe“ für ihn gewesen, denn er war „blofj ein Narr“. Es bleibe dahingestellt, ob der Staatspräsident der Sowjetunion wirklich dies und auf diese etwas unverblümte Art sagte oder ob da etwa ein Uebersetzungsfehler vorliegt. Auf alle Fälle decken diese Worte eine auch im heutigen Ungarn offiziell und öffentlich vertretene Denkungsart, wonach Mensch und Recht keine unverrückbaren Werte darstellen und man über sie mitunter auch mit zynischen Redewendungen ruhig hinwegkommen kann. So oder ähnlich — dieser Kommentar zu Prozefj und Verurteilung der ungarischen Freiheitskämpfer war zu erwarten, wenn auch für etwas später. Er könnte eine Vorstufe für die dann fällige Rehabilitierung der Hingerichteten sein, die aus „höheren politischen Einsichten“ und Nüfzlich-keitsgründen eines Tages erfolgen kann.

DIESMAL KEIN KOREA. Die Nachrichten aus dem Glaspalast der Vereinten Nationen in New York entsprechen den Erwartungen und veranlagten Sprecher in Washington zur Feststellung: Der kalte Krieg ist in eine neue Phase getreten, denn weder der Osten noch der Westen will ein neues Korea... Das Zustandekommen und der bisherige Verlauf der Sondersession der UNO birgt in der Tat gewisse Hoffnungen in sich. Die Debatte findet sfatt — sie wird harf sein und die schwachen Stellen in der Position aller Partner schonungslos bloßstellen. Aber eine Einigung am Ende der Debatte scheint nicht ausgeschlossen. Die Moskauer „Prawda“ schreibt in diesem Zusammenhang: Es kann nichf geleugnet werden, dafj die westliche Bereitschaft zur wirtschaftlichen Hilfe eine noble Sache ist und dafj solche Vorschläge zweifellos eine Prüfung verdienen, sie dienen aber, fügt „Prawda“ hinzu im gegenwärtigen Zeitpunkt dem Versuch, von der Hauptaufgabe, dem sofortigen Abzug der fremden Truppen aus dem Libanon und Jordanien, abzulenken. Auch Außenminister Gromyko sprach in New York in diesem Sinn und lief) Wege zu weiteren Verhandlungen damit offen. Dies scheint die These zu bestätigen, dafj die Sowjetunion vorerst nichts gegen eine wirtschaftliche und politische Konsolidierung der Nahostländer hat, denn nach der kommunistischen Lehre ist eine bürgerlich-demokratische Phase vor der Revolufionierung der Prolefarier-massen im kommunistischen Sinne fast unerläßlich. Das großzügige Angebot des Präsidenten der USA könnte indessen einen Strich durch solche Rechnungen der Sowjets ziehen. Eisen-howers Programm hat nach Ansicht zahlreicher Beobachter wohl einige schwache Punkte. So werden die Vorschläge, die eine Garantie für den Libanon und Jordanien oder die Abstellung gewisser Kairoter Rundfunksendungen fordern, kaum von der notwendigen Mehrheit der Generalversammlung gutgeheißen. Die Aufstellung neutraler UNO-Streifkräfte und vor allem das Wirtschaffs- und Entwicklungsprogramm, das unter Führung der Staaten des Nahen Ostens stehen sollte und an dem alle Länder, auch die Sowjetunion, sich beteiligen könnten, wurden all-qemein begrüßt. Die Entscheidung über diese Pläne liegt nur zum Teil bei den beiden Großen. Vieles, fast alles, hängt von der Einsicht und Initiative der arabischen Staafslenker ab.

GEWISSEN IN ÖL. Polizei und Staatsanwaltschaft in der Republik Irak arbeiten prompt, das muß man ihnen lassen. Kaum drei Wochen nach dem Blutbad des 14. Juli waren bereits die ersten Angeklagten, darunter einige Frauen, im Zusammenhang mit jenem grauenvollen Geschehen vor Gericht gestellt und verurteilt; die verhängten Strafen lauteten auf Kerker im Ausmaß von drei bis fünf Jahren. Ihr Verbrechen hatte darin bestanden, daß sie — so lautete die offizielle Version — dem zunächst geflüchteten und erst später niedergemetzelten Ministerpräsidenten Nuri es-Said durch einige Stunden Unterschlupf gewährten ... Nach diesem Prozeß erübrigt sich wohl jeder weitere Beweis dafür, daß der blutige Umsturz des 14. Juli nicht im Zuge einer „spontanen Volkserhebung zur Abstellung gewisser Mißstände“ erfolgt ist, wie Sprecher der Revolutionsregierung behaupten, sondern als ein sorgsam geplantes Werkvon Männern, die auch nach erreichtem Ziel noch Rache nehmen wollen, an denen, die nicht aus politischen Gründen, sondern als Menschen dem Mordkomplott ein wenig in die Quere gekommen waren.

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