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RANDBEMERKUNGEN zurwoche

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DAS MIKROPHON IM HOHEN HAUS. Nicht immer soll man den Schlagworten trauen. Das von der Popularisierung parlamentarischer Arbeit durch die Aetherwellen hat es gezeigt. Der Gedanke war gar nicht schlecht. Im Gegenteil. Es fing auch ganz gut an. Regelmäßig meldete sich ein Kommentator „aus dem Parlament“ jnd erläuterte die Arbeitsvorhaben des Hohen Hauses. Dem ersten folgte bald ein zweiter Schritt. Durch Direktübertragungen während der Sessionen sollte der Staatsbürger in Stadt und Land Ohrenzeuge der Debatten des Plenums werden. Auch dieser Gedanke war gar nicht so übel — doch, ach, die Praxis. Sobald das Mikrophon im Hohen Haus eingeschaltet wurde, wechselte sofort der Ton der Rede. Man argumentierte, nicht mehr, man redete zum Fe.nster hinaus. Die Szene wurde zum Tribunal, das Hohe Haus zur Wählerversammlung. Aber noch nicht genug an der „Popularisierung“ der parlamentarischen Arbeit. Eine neue Sendung aus dem Parlamentsklub wurde gestartet. Nun verwelkte eine gute Idee vollends. Statt Erläuferungen zur parlamentarischen Arbeit gab es fernmündliche Wählerversammlungen. Die Vo;ks-partei nahm sich ein Herz. Durch den Mund ihres Generalsekretärs erklärte sie sich zum Verzicht auf diese staatlich konzessionierte Möglichkeit der Propaganda bereit und verlangte von ihren Kollegen von den anderen Fakultäten dasselbe. Zu diesem „Sprung über den eigenen Schatten“ darf man „Bravo“ sagen.

DES ERSTE SCHRITT. Eine konsequente Familienpolitik läßt die Art und Weise erwarten, in der das österreichische Parlament eben über die Ueberschüsse des Familienlastenausgleichfonds verfügt hat. Der materielle Wert für die einzelne Familie darf nicht überschätzt werden. Die Bedeutung dieser Gesetzesnovelle liegt im Grundsätzlichen. Zu begrüßen ist, daß sich der Nptio-nalrat damit im wesentlichen den Vorschlag des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform zu eigen gemacht hat, den auch die „Furche“ unterstützte. Der von der „Furche“ seinerzeif publizierte Vorschlag verlangte: möglichst weitgehende Einbeziehung auch der ersten Kinder der Selbständigen, Erhöhung der Progression für Kinderbeihilfe für die zweiten Kinder, Gewährung einer fühlbaren Geburtenbeihilfe für alle nach dem 1. Jänner 1955 Geborenen, Beschluß dieser Maßnahmen als Dauerlösung. Diese Forderungen sind erfüllt worden. Die von dar „Furche“ stets geforderte familienpolitische Gleichbehandlung aller Familien ohne Rücksicht auf ihre Standeszugehörigkeif hat nunmehr auch verschiedene Organisationen der Wirtschaft, wie die Bundeshandelskammer, den Oesterreichischen Wirfschaftsbund und die Reichsorgani-safion der Kaufleute Oesterreichs auf den Plan gerufen. Auch von sozialistischer Seite ist („A.-Z.“ vom 24. Februar 1956) diese Regelung als „sehr bedeutungsvoll“ bezeichnet worden, „weil nun zum erstenmal alle Familienerhalter in Oesterreich in das System der staatlichen Familienbeihilfe einbezogen wurden.“ Die (vor allem symbolische) Bedeutung der Erhöhung der Kinderbeihilfe für das zweite Kind liegt darin, daß der Beginn der Progression dadurch auf das zweite Kind vorverlegt wurde. Damit ist in Hinkunft jedem Geschwätz vom „bevölkerungspolitisch interessanten driften Kind“ der Boden entzogen, und die Parteien haben damit wissen lassen, daß es ihnen vor allem um die Gerechtigkeit für die Familie, nicht aber um die Gewährung bevölkerungspolitischer Prämien zu tun ist. Die Geburtenbeihilfe kann bereits im sechsten Monat der Schwangerschaft ausgezahlt werden. Damit wird dokumentiert, daß es sich auch beim Ungeborenen um einen vollwertigen Staatsbürger handelt. Wenn auch die Forderung nach der Schaffung von Ehegründungsdarlehen — wieder in Uebereinstimmung mit den genannten Vorschlägen — in dieser Novells nicht berücksichtigt werden konnte, so ist doch zu hoffen, daß diese sehr berechtigte Forderung auf andere Weise verwirklicht wird. Der erste Schritt zum Ausgleich der Familienlasten ist somit getan. Der zweite Schritt wird, was die Aufbringung der Mittel betrifft, nicht viel leichter sein als der erste. Mögen die Verantwortlichen daher mehr noch als bisher den Fachleuten Gehör schenken, deren Rat sich in dieser Frage wiederholt bewährt hat.

DUSSELDORF UND DIE ERSTEN FOLGEN:

Was die deutschen Wähler zu den Vorgängen in der westdeutschen Innenpolitik sagen, werden die nächsten Wahlen zeigen. Was die „Furche“ dazu festhalten möchte, wird unsere nächste Nummer zeigen. Bei Redaktionsschluß läßt sich notieren: Der Sturz der Regierung Arnold in Nordrhein-Westfalen beginnt früher, als erwartet, Kettenreaktionen auszulösen. Nach kurzem leidenschaftlichem Tauziehen ist die siebenjährige Koalition zwischen CDU und FDP in der Regierung der deutschen Bundesrepublik zerbrochen. Die sogenannte „Ministergruppe“ der Freien Demokraten, die, wie die Minister des BHE gerne ihre Ministerstühle und Regierungsverbindungen retten wollte, und deshalb die Partei zu spalten versuchte, ist anscheinend unterlegen. Dr. Dehler, der sich monatelang dem stärksten Druck von seilen des Bonner Kanzlers ausgesetzt sah, atmet Morgenluft. Wie dis „Freiheit“, welche die Freien Demokraten nunmehr gewonnen haben, als ein Freisein von Adenauer,für Deutschland und die Welt aussehen wird, kann erst die Zukunft zeigen.

ZWEI „FALSCHE“ LAGER. Die französisch Regierung hat nach sehr stürmisch verlaufenen Wochen ihre Lage im Parlament einigermaßen konsolidiert oder zumindest von den Gruppen der Mitte eine Art von Bewährungsfrist erhalten, während die Kommunisten sich Mühe geben, ihren wachsenden Unmut zunächst noch zu bändigen. Indessen scheint es so, daß die Gegensätze innerhalb der Regierung immer größer werden. Wohl den Höhepunkt eines Streitgesprächs, dessen von Nervosität und Ungeduld gefärbte Intensität von Woche zu Woche zunahm, bildete eine der gefürchteten .Notizen* von Francois Maurice auf der Rückseite der Zeitung „L'Express“. Hier griff dieser katholische Paladin Mendes-France' den Ministerpräsidenten Guy Mollet in einer Weise an, die an einen nahen Exodus der Mendesisten aus der Regierung denken lieh. „Ich persönlich fühle mich nicht mehr gebunden an einen Mann,' der sozusagen fürs erste Pierre Mendes-France und den General Cafroux geopfert hat.“ Mauriac und mit ihm die Radikalen um Mendes ist um dieses Programm — echter Friede in Nordafrika, Wirt-schiffs- und Sozialreform in ganz Frankreich — bange. Im Interesse dieses Programmes schlug Mauriac im Einklang mit seinen Parteifreunden unmittelbar nach den Wahlen vor, dafj die Frage der staatlichen Subventionierung der konfessionellen Schulen nicht sofort wieder aufgerollt werde. Die Sozialisten befolgten seinen Rat nicht und während sich, die Regierung blofj „der Stellungnahme enthielt“, brachten sozialistische Abgeordnete den Gesetzes-vorschlag zur Abschaffung dieser Subventionierungen ein, einen Vorschlag, der aufs Wort dem von den Kommunisten eingebrachten glich. Damit erwies sich, dafj die Sozialisten Gefangene ihrer eigenen Parteidokfrinen bezüglich der Religion sind. Auf anderen Gebieten erwiesen sie sich allerdings als kompromißfreudiger. So kam dann eine Annäherung zwischen Sozialisten und MRP zustande, die weitgehend auf Kosten der Mendesisten geht und diese stark in die Defensive drängt. Wenn die Schulfrage doch noch auf der Tagesordnung bleiben sollte, dann würde sich das tragische Schauspiel von 1951 wiederholen, in dem Frankreich in einer selbst im letzten Kommunique des französischen Episkopats als in der gegenwärtigen Lage zweitrangig genannten Frage in zwei .falsche“ Lager gespalten würde. Wenn aber Mollet einen drohenden vorgestrigen „Kulturkampf“ all Tauschobjekt im politischen Geschäft verwenden will — wie es den Anschein hat —, dann wird die Erbitterung besonders in den Kreisen der jungen Demokraten unter den Katholiken nicht weniger groß sein.

BELA KUH REDIVIVUS. Die Veröffentlichung der Rede Mikojans, in welcher dieser die Methoden Stalins als Parteihistoriker kritisierte, erfolgte erst drei Tage später, nachdem Mikojan seine Rede vor dem Plenum des Moskauer Parteikongresses verlesen hatte. Erst wieder in drei Tagen, am 2 1. Februar, veröffentlichten die Moskauer „Prawda“ und die Budapesfer „Szabad Nep“ je einen Gedenkartikel über einen Mann, dessen 70. Geburtstag auf den 2 0. Februar fiel. Diese Zeitnot zeigt deutlich, unter welchen schweren, ja vielleicht dramatischen Umständen sich die grofje Kehrtwendung vollzog. Die Revision der kommunistischen Parfeigeschichte brachte nun sogleich einen Mann an die Oberfläche, der, 1937 mit dem damaligen Kurs Stalins in Kollision geraten, kurzerhand angeklagt, verurteilt und hingerichtet wurde. Seither war sein Name tabu, und er fiel erst nach fast 20 Jahren zum erstenmal in den zu seinen Ehren geschriebenen Gedenkartikeln. Bela Kun war, als Volkskommissär für Inneres, die treibende Kraft und zeitweise auch der Diktator der ungarischen Räterepublik des Jahres 1919. Nach einer Terrorherrschatt von vier Monaten flüchtete er mit einigen seiner Leute vor den gegen Budapest vordringenden Rumänen nach Oesterreich, wo er auf ein Jahr in einer Waidviertier Burg interniert und dann nach Moskau geschickt wurde. In der Folgezeit spielte er im Komintern eine hervorragende Rolle. (Es ist interessant zu wissen, dafj mehrere Führer dieser ungarischen Sowjetrepublik derselben sozialen Schicht, nämlich dem reichen jüdischen Grofjbürgerfum, entstammen, von grofjen ungarischen Dichtern wie Andreas Ady, dann aber vom deutschen Bildungsguf stark beeinflußt wurden, und dafj sie später al Experten auf ihrem Fachgebiet in- und außerhalb der Sowjetunion zur grofjen Berühmtheit gelangten. Der Politiker Bela Kun, der Oekonom Jenö Varga, der Aesthet Georg Lukacs zählen zu ihnen. Ihre Geschichte ist noch ungeschrieben.) Im Prozefj gegen Bela Kun soll neben Dimitroff, Palmiro Togliatti, sein Landsmann Jenö Varga eine größere Rolle' als Belastungszeuge gespielt haben. Am 21. Februar 1954 zeichnet derselbe Jenö Varga als Verfasser den erwähnten „Prawda“-Artikel, der, bezeichnend genug, den Umstand, daß Bela Kun etwa tot sei, unerwähnt läßt. Ist das Kunststück'Vargas aucti dem Nachfolger Bela Kuns, Rakosi, gelungen? Vieles spricht dafür. Allerdings wurde der Artikel im „Szabad Nep“ nicht gezeichnet.

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