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RANDBEMERKUNGEN zur woche1

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HÄNDE WEG VON DER VERFASSUNG! Gespräche über Wahlen sind belieb). Gibt es an den vergangenen nichts mehr zu interpretieren, so beginnt man — langsam, ganz tangsam — mit den Prognosen für die nächsten. Mitunter sogar beschäftigt man sich mit den übernächsten. So ist es heute gar nicht mehr besonders originell, von den voraussichtlich im Herbst dieses Jahres stattfindenden National-rafswahlen zu sprechen. Politische Feinschmecker widmen ihre Konversation bereits der Wahl des Bundespräsidenten im Jahre 1957. In all den zu diesem Thema zu hörenden und zu lesenden Ueberlegungen hält sich hartnäckig das Gerücht, es gäbe in beiden großen Parteien. Strömungen, die einer Rückkehr zur Wahl des Bundespräsidenten durch die beiden Häuser der Nationalversammlung das Wort reden. Schon vor mehreren, Monaten hörte man hier kühne Kombinationen: macht die Volkspartei bei. den Nationalratswahlen das Rennen, so würde sie sich gegenüber einem sozialistischen Kandidaten aufgeschlossen zeigen, gelänge dagegen der SPOe der grofje Sprung, so möchte man sich von vornherein in der Person des kommenden Bundespräsidenten eines . Gegengewichts versichern. Auf Nummer Sicher könnte man aber nur bei einer Wahl im Hohen Haus gehen ... Aehnliche Ueberlegungen wurden von links angestellt. So das alte Gerücht. In diesen Tagen ging es nun abermals durch die Presse. Man soll es nicht zu emsf nehmen. Es ist nur sehr schwer vorzustellen, dafj sich die Regierungsparteien allen Ernstes zu so einem Schritt, der nicht nur eine Verfassungsänderung erfordern würde, sondern auch einer massiven Opposition breiter Kreise sicher' wäre, enf-schliefjen könnten. Wer immer solche Gedanken auch nur im stillen Kämmerlein überlegt, nehme Abschied von ihnen. Die „Furche“ ist seinerzeit federführend für das durch die Verfassung verbriefte Recht des Bundesvolkes auf die Wahl des Staatsoberhauptes eingetreten. Von welcher Seite immer etwa Versuche unfernommeri werden sollten, dieses Recht zu beugen: in den Spalten dieses Blattes könnten sie nur scharfen Widerspruch finden.

GEFÄHRLICHE ZEITEN sehen wir für jene zahlreichen Italiener kommen, die in Wien und anderen österreichischen Städten im Sommer ihre gastlichen Eissalons offenhalten. Sobald sie diesmal zusammen mit den Schwalben über die Alpen heraufkommen und die bekannten grünweifjrolen Fähnchen vor ihren Lokalen wehen lassen, wird es ihnen schlecht ergehen. Bärbeißige Hüter der öffentlichen Sicherheit Oestereichs werden bei ihnen vorsprechen und sie darauf aufmerksam machen, daß sie sich einer staatsgefährlichen Tätigkeit schuldig machen. Sollten sie nicht sofort ihre Trikolore einholen, wird sich der Staatsanwalt mit ihnen befassen. Lieber Leser, Sie meinen: dies sei ein besonders arges Stück von Humorlosigkeif und Barbarei? Sehr richtig. Sie meinen ferner, so etwas würde einem bei unseren lebensklugen romanischen Nachbarn im Süden nicht passieren? Falsch. Gerade dort ist es passiert. Wir sprechen von dem bekannten Zwischenfall mit den rofweißroten Fensterläden in Brixen, der so aufreizend war, daß er sogar ein Nachspiel im österreichischen Außenamt hatte. Dagegen können unsere braven Eissalonbesitzer —“ die „echten* und die weniger echten Italiener — auch im kommenden Sommer ruhig ihre Trikolore den österreichischen Lüften anvertrauen. Unsertwegen sogar zwei öder drei. Wir Wilden sind doch bessere Europäer. Auch wenn Oesterreich nicht Mitglied des Europarafes ist.

SELTSAMER „KAEFER“! In einer vielgelesenen in Salzburg erscheinenden Tageszeitung be-faßfe sich unlängst ein Herr Sepp Kaefer mit den .Leutnants von morgen“. Aus der wiederholten Nennung der Offiziersschule Enns ist zu entnehmen, daß die künftigen Leutnants des österreichischen Bundesheeres gemeint sind. Herrn Kaefers schnoddrige, mit den „forschesten“ Vokabeln des preußig-hitlerischen Militärjargons gespickte Ausführungen lassen dies jedoch nicht auf den ersten Blick erkennen. Mit unverhohlenem Spott wendet er sich gegen das „Aufkochen aller jener Ausdrücke, die schon der k. u. k. Infanterist kaum Schlucken-(!) konnte“ und „wagt“ dafür — er wagt noch allerhand mehr— „die schöne Sprache Grillparzers, Sfelzham ers und Roseggers wieder unserem Heer zu empfehlen“: Wie diese „schöne Sprache* nach der Meinung des Kritikers beschaffen ist, davon hier nur einige Kostproben: „Willems Bratenrock“; „Schießbecher“; „Pappkameraden“; „er hat den Bogen raus“; „Landser“; „Spind“; „Schießbraut“; „Reichsadler“, „Gruppe“ (lier Schwärm); „Unteroffizier“ (lies Zugsführer); „UvD.“ und „AVI“; und so fort in einer Art, an der Grillparzer, Sfelzha -mer und Rosegger, lebten sich noch, zweifellos erkennen müßten, daß sie mit ihrer Sprache „eine komplette Fehlanzeige“ geschossen haben! Oder ist es nicht doch Herr Sepp Kaefer, bei dem es „eine Fehlzündung“ gegeben hat? „Die Männer“, so schreibt er nämlich, „die heute als Offiziere bei der Truppe dienen, tragen alle ihr EK I oder ihre Nahkamplspange unsichtbar mit.. .* Diese Behauptung, so darf man mit Bestimmtheit hoffen, wird sich als Irrfum erweisen.Was die Männer, denen die Führung des österreichischen Soldaten anvertraut ist, im Herzen mit sich tragen, ist die unverbrüchliche Liebte' zum österreichischen Vaterland, ist der Stolz auf die vielhunderfjährige rühm- und ehrenvolle Tradition des österreichischen Heeres, ist ihr unerschütterlicher Entschluß, den österreichischen1 Farben bis zum äußersten zu dienen. Für.jene* die anders — nur irgendwie anders — denken und fühlen, kann und darf es im Offizierskorps unserer neuen Armee keinen plafz geben.

EIN ERBLINDENDER SPIEGEL. In dem nicht sehr, farbenreichen deutschen Blätterwald der Jahr nach 1945 nahm das „Nachrichtenmagazin“ „Der Spiegel“, eine besondere Stellung ein Seinen Erfolg verdankte es der geschickten' Uebernahme gewisser amerikanischer Aufmachungen, seinen vieiumstritfenen Meldungen und Nachrichten, und nicht zuletzt seinen Leitaufsätzen von „Jens Daniel“, dem im blühenden Jugendalter stehenden hochbegabten Gründer und Herausgeber Augstein. Viel umstritten, viel umworben: heute, da wir fast einen Nachruf auf-den „Spiegel“ schreiben müssen, geziemt es doch, seine Verdienste in diesen letzten Jahren festzuhalten: Er war in seinen besten Tagen und; besten Nummern wirklich ein Spiegel. Ein Spie-i gel des „Neonbiedermeiers“, der hemmungslosen, nach Geschäft und „Erfolg“ strebenden,,'; nicht selten skrupellosen Geldmacher, der Macher in Macht und Politik, deren lange Schatten über Westdeutschland liegen. Das dürfte nun zu Ende gehen. Der Herausgeber, der zwar immer schon eine scharfe politische, aber doch einigermaßen außerparteiliche und in seinen besten Nummern überparteiliche Linie eingeschlagen hatte, geht in die Politik. Er verbinde! sich mit dem rechten Flügel der FDP, um Middels hauwe. Also, um es auf gut Deutsch zu sagen, mit Kreisen, die mit Elementen der ewig Gestrigen gesättigt sind. Das ist aus mehr als einenv Grunde bedauerlich. Den Schaden trägt die-deufsche Presse, die deutsche Oeffenflichkeil, die. deutsche Demokratie. Die deutsche Presse, weil., das bißchen innere Buntheit, die sie wieder besaß, nun auch von hier eing.efärbf wird auf, eine harte Par'eifarbe, bedauerlich, nachdem, die Gleichschalfungen im deutschen Presseraum in den letzten Jahren ein oft fast beängstigendes Ausmaß annahmen. Die deutsche Oeffent-lichkeif, weil der groß aufgezogene Nachrich-fenapparqt des „Spiegels“ jetzt nur noch parfei-eingefärbfe Zwecknachrichten bringen dürfte. Die deutsche. Demokratie, weil, wie eben .der Fall des „Spiegels* zeigt, begabte Könner es wieder einmal vorziehen, auf der Seife ihrer Gegner Dienst zu nehmen.

ALGERIEN: AUFGABE NR. 1. Ministerpräsident Guy Mollet kann bei seinem Vorhaben, der friedlichen Regelung des algerischen Problems vor allen anderen Aufgaben seiner neuen Regierung die Priorität einzuräumen, auf die Unterstützung einer breiten parlamentarischen Mehrheit rechnen. Diese Mehrheit wäre selbst dann zustände gekommen, wenn die Kommunisten nichf für die Regierung gestimmt hätten. Die Bedeutung einer von den kommunistischen Stimmen unabhängigen Parlamentsmehrheff besteht nun darin, dafj eine „Rettung“ Französisch-Nordafrikas ohne blutigen und am Ende sinn-' losen Krieg, aber mit einwandfrei demokratischen Zielen versucht werden kann. Mendes-“ France und seine Radikalen verzichteten irr? Interesse dieses Vorhabens auf das Auswärtige Amf, denn nur mit einem Vorkämpfer der „Europäischen Idee“, wie der Sozialist Pineaiö3' es ist, als Aufjenminister, konnte das MRP für Unterstützung der Regierung gewonnen werden. Alle anderen Programmpunkte der Regierung stehen hinter der schweren Aufgabe in Norcl-afrika zurück. Dje angekündigten Mahnahmerr zur Besserstellung der Gehaltsempfänger, ditf' Beschleunigung der internationalen Abrüstungsgespräche, die Verwirklichung eines europäischen Afompools können heute die Geister in Frankreich weit weniger bewegen. Auch et*** wartet niemand so bald konkrete Pläne für einei,'• aktive Europapolitik, und selbst eine so wenig als „klerikal“ zu nennende Zeitung wie „La“ Monde“ spricht sich für die Beibehaltung des von der Linken umstrittenen Schulgesetzes aus, das seit 1951 die staatliche Subventionierung der' katholischen Schulen sichert, nichf nur weil laatf' „Le Monde“ die Mehrheit der Wähler wahrscheinlich für die Beibehaltung dieses Gesetzes sei, sondern weil „die französische' Jugend den ganzen Schulstreit für überholt halte“. Heute, der die französischen Zeitungen von schweren Aus-. schreitungen rechtsextremistischer Universität** Studenten berichten — in Montpellier gehen dieü Poujade-Anhänger gegen ihre arabischen: Studienkollegen systematisch auf die Jagd —•*■: während in Algerien Sfrafjendemonsfrationer ehemaliger Frontkämpferorganisafionen ein „Durchgreifen* gegen die „arabischen Terra' risten fordern, kann man den Wahrheitsgehalt,-/ dieser Worte nicht leugnen.

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