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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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Der erste Nationalrat der zweiten österreichischen Republik hat seine Selbstauflösung beschlossen. Nur einige Wochen noch, dann werden die Abgeordneten das Hohe Haus verlassen und Ferien halten. Ferien freilich, die jenen, die als Kandidaten für das neue Parlament auftreten, wenig Erholung, dafür aber viel Werbearbeit in ihren Wahlkreisen bescheren werden. Dabei dürften Rechenschaftsberichte vor den Wählern nicht zu umgehen sein. Noch vor kurzer Zeit schien es, als ob diese neben dem Nachweis über eine Anzahl glücklicher und mutiger “Lösungen auch einen großen weißen Fleck aufweisen werden. Es war ruhig geworden um die angekündigte allgemeine Amnestie für alle minderbelasteten ehemaligen Nationalsozialisten. Es schien fast zu ruhig. Nun hört man aber doch noch fünf Minuten vor zwölf, daß die Abgeordneten des Nationalrates nicht auseinandergehen werden, ohne jenen dicken Schlußstrich zu ziehen, der den Wahlkampf von dem Odium der bloßen Stimmenjagd und des Wählerfanges befreit. Damit wird der österreichische Staat um ein richtiges Bleigewicht seines inneren Aufbaues leichter. Und es braucht keine Angel vorwurfsvoll zu kreischen, wenn das Hohe Haus am Feierabend das Tor schließt.

Unter den sogenannten „vierten Parteien“, worunter man die 53 politischen Neubildungen der letzten Jahre verstehen muß, ist die Gründung des Salzburger Journalisten Dr. Kraus zweifellos die bedeutendste. Ihm war es gelungen, gleich beim Entstehen seines „Verbandes der Unabhängigen“ einige nicht ungefährliche Krisen zu überwinden und, gestützt auf Kreise ehemaliger Nationalsozialisten, ein nicht unbeachtlicher Faktor der Innenpolitik zu werden. Alle seine Versuche jedoch, auch außerhalb der durch die unglücklichen Verbotsgesetze abseits stehenden Bevölkerungsteile Verständnis zu finden, rannten sich fest. Und so kam es, daß der Verband mit der Zeit ein ihm von seinen Gründern gar nicht zugedachtes Profil annahm. Unter dem Eindruck dieser Entwicklung, aber auch verletzt durch die nicht immer sachliche Kritik des Zentralorgans, haben in letzter Zeit weite Kreise ihren Austritt aus dem VdU angemeldet. Es handelt sich dabei vor allem um einige der führenden Männer des Verbandes, denen man keine Belastungen aus ihrer politischen Vergangenheit nachsagen kann. Es ist eine Binsenweisheit: Aus Kritik allein wächst keine schöpferische Neugestaltung. Nein sagen ist noch nicht Staatspolitik.

Die Direktion Wien der österreichischen Bundesbahnen veröffentlicht in ihrem Amtsblatt eine Dienstanweisung, die über den Kreis, an den sie sich richtet, hinaus ernste Beachtung verdient. Die Leitung der Bundesbahnen sieht sich genötigt, die Zunahme der Fälle „mangelnder Nüchternheit im Dienst“ an den Pranger zu stellen, Fälle, die von „leichter Anheiterung“ bis zur .,Volltrunkenheit“ reichen. Sie schließt daran ein Verzeichnis jenes Personenkreises, dem der Genuß alkoholischer Getränke im Dienst unter allen Umständen untersagt ist. — Die Pflichterfüllung und die hohe Berufsmoral der Mehrzahl der Bundesbahnbediensteten aller Dienstgrade steht außer Zweifel. Ein Berufsstand aber, von dessen untadeliger Lebensführung das Wohl und Wehe unzähliger Menschen abhängt, kann nicht streng genug von Elementen ohne Berufsethos gereinigt werden. Ein falscher Griff an der Maschine, am Wechsel oder Signal kann zahlreiche Menschenleben gefährden. Dabei ist es gleich, ob ein Schluck vom „Sieben“- oder „Vierzigprozentigen“ die Geistesgegenwart in der kritischen Sekunde lähmt. Hier gibt es nur unerbittliche Strenge und Selbstzucht, das Gesetz für alle, in deren Hand die Verantwortung für die Sicherheit und das Leben von Mitmenschen liegt.

Dreißig Heimkehrer besonderer Art sind angekommen. Dreißig Österreicher, die wegen Vergehen gegen die Besatzungsmacht durch Militärgerichte verurteilt und jetzt vom Obersten Sowjet einer Begnadigung für würdig befunden wurden. Eine großzügige Geste, für die wir Dank wissen. Wir leiten daraus neue Hoffnung auf den Tag der endgültigen Freiheit ab. Einen grotesken Schnörkel freilich hat sich aabei die Geschichte insoferne erlaubt, als von den dreißig Heimkehrern nicht weniger als neun unseren heimischen Behörden bisher gar nicht gefehlt haben sollen. Die Lücken, die verschwundene Menschen im bürgerlichen Leben hinterlassen, sind verschieden, nie aber dürften sie so gering sein, daß das Dasein dieser Menschen erst bei ihrem Wiederauf tauchen aus der Versenkung bemerkt wird. Hoffentlich glaubt man ihnen ihre Existenz wenigstens nach ihrer Heimkehr.

Der 28. Juni, an dem die Schüsse von Sarajewo gefallen sind, ist als der Jahrestag des Kominformkonflikts erneut zum Schicksalsdatum Jugoslawiens geworden. Die Sanktionspolitik der Oststaaten hat in den vergangenen Wochen mit der Aufkündigung ihrer Handelsabkommen mit Jugoslawien einen Höhepunkt erreicht und die Liquidierung von zu Recht oder zu Unrecht der Sympathie mit Belgrad Verdächtigen ist dort überall weit vorgeschritten. Tito ist unter seinen weltanschaulichen Genossen isoliert. Sogar der Führer der siegreichen, auf ihre eigene Stärke so sehr pochenden chinesischen Kommunisten hat sich von ihm abgewendet, indem er erklärte, es gäbe nur entweder ein Bündnis mit Moskau oder ein solches mit den „Imperialisten“. Und Titos Gesprächspartner über die Triester Frage ist heute nicht mehr wie früher einmal Togliatti, sondern es sind die Vertrauensleute der bürgerlichen italienischen Regierung. Es wäre freilich ein schwerer Irrtum, zu glauben, daß sich das innenpolitische System Jugoslawiens deshalb gewandelt habe. Das gilt insbesondere für das Verhältnis zur katholischen Kirche. Die Abhaltung von Gottesdiensten in der Armee ist verboten. Offizieren ist es strengstens untersagt, ihre Kinder taufen zu lassen, die Mannschaft darf nicht die Sterbesakramente empfangen. Ab jetzt wird nun überhaupt für jede Taufe, Firmung oder kirchliche Trauung eine hohe Taxe an den Staat zu entrichten sein. Welche die in Jugoslawien üblichen Methoden sind, ist ansonsten aus der Tatsache ersichtlich, daß ehemals treue Anhänger der Kominformpolitik sich für Unterricht und Hilfe beim Einsehen ihrer Irrtümer öffentlich bei der Sicherheitspolizei bedanken müssen. Daß man dies hierzulande gerade aus der Presse der äußersten Linken erfahren konnte, entbehrt nicht eines besonderen Reizes.

Die Ergebnisse der Verstaatlichung der britischen Eisenbahnen scheinen ein Prüfstein für die Labourregierung zu werden. An mehreren aufeinanderfolgenden Sonntagen war bereits auf allen Bahnen durch die Streikaktion des Fahrpersonals der Zugsverkehr völlig lahmgelegt. Parteiorgane der Labourpartei sprachen im Hinblick auf die gleichzeitigen, immer schwierigeren allgemeinen Lohnverhandlungen mit der Gesamtgewerkschaft der Eisenbahner von „syndikalistischen“ Tendenzen. Nun hat sich die nahezu eine halbe Million Mitglieder vertretende Eisenbahnergewerkschaft in ihrer Gesamtheit für eine passive Resistenz zur Durchsetzung ihrer Forderungen entschieden und so als erste gewerkschaftliche Körperschaft offen gegen die von ihrer eigenen Partei geleitete staatliche Verwaltung Stellung bezogen. Im Hintergrund stand sogar die Drohung mit Generalstreik. Der Konflikt zwischen sozialen Forderungen der Arbeiterschaft und dem mehr und mehr sozialisierten Staat hat hiemit ein ungewöhnliches Stadium erreicht. Ist es da wirklich ein Zufall, wenn zur selben Stunde der Labourabgeordnete im Oberhaus, Lord Milverton, angesichts des neuen Verstaatlichungsprojekts der Stahlindustrie die Reihen seiner Partei verließ? Radikale Gewerkschaftsführer nehmen ansonsten mit Oberhausmitgliedern oder gar mit der konservativen Opposition nicht am selben Tisch das Frühstück ein. Hier aber zeigt sich doch eine gewisse Gemeinsamkeit des Empfindens dafür, daß Industrieverstaatlichung nicht Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck sein kann. Uber seine Anwendungsmöglichkeit in jedem einzelnen Fall entscheidet lediglich der klare Blick und nicht die Theorie. Die Resultate in England beweisen das — man wird sie auch in anderen Breitegraden nicht übersehen dürfen.

Die Entwicklung seiner Außenwirtschaft ist ein Lebensproblem des jungen Staates Israel. Seine Ausfuhr ist bisher unerheblich. Da die aus Ubersee einströmenden Hilfsgelder allmählich dünner zu werden drohen, ist die Erschließung von neuen Märkten dringend nötig und insbesondere der Handel mit dem Nahen Orient könnte zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor werden. Leider erscheint die Hoffnung auf baldige Fortschritte hier vorerst nicht groß. Der Handelsverkehr mit den arabischen Ländern liegt völlig danieder. Wie schlecht diese arabisch-jüdischen Beziehungen wirklich sein müssen, zeigt eine verblüffende Tatsache: an den Grenzen Israels wird heute nitht einmal — geschmuggelt.

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