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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DEA WEIHNACHTSFRIEDE, ausgerufen und auch leidlich eingehalten von den österreichischen Parteien als große Stille vor der Wahlschlacht des nächsten Jahres, ist von bestimmten Behörden durchlöchert worden. Gewiß, einwandfreie demokratische Wahlen brauchen sorgfältige Vorarbeit. Die Wähleranlageblätter müssen gesammelt werden, Häuserbegehungen sind notwendig, und bis die lückenlosen Listen auf dęm Tisch der örtlichen Wahlkommission liegen, hat es ein gutes Stück Arbeit. Ohne Zweifel ist auch, daß die Vorverlegung des Wahltermins allen mit der technischen Durchführung der Wahl befaßten Stellen großes Kopfzerbrechen bereitet. „Die Norm muß gesteigert werden": so oder ähnlich würde man in unserer volksdemokratischen Nachbarschaft sagen. Aber bei uns ist es eben doch etivas anders. Deshalb fehlt auch bei aller Einsicht für die Größe des Arbeitsberges, der bis zum 22. Februar abgetragen werden muß, doch das Verständnis, daß auch die Weih- nächtsf eiertage — in Wien zumin- destens, wie ės ih anderen Bundesländern ist, wissen Wir nicht — mit VorberėitungS- arbeitėn für die Wahl ausgefüllt werden. Noch dazu, Wo diese von gleichsam „dienstverpflichteten“ Magistratsangestellten — Tagesgeld: 15 Schilling — ihre Auswahl erfolgte in der Regel nach sehr persönlichen Gesichtspunkten, geleistet werden muß. Viele Frauen und Mütter werden daher, wenn nicht in letzter Minute eine bessert Einsicht Platz greift, den Christtag tIhd d'en Stephariit'ag bei Karteikarten und Schreibmaschinen verbringen müssen. Haben wir keine Pensionisten, keine arbeitslosen Büroangestellten, die an anderen Tagen als „Verstärkung“ herangezogen werden können? Die arbeitenden Menschen „Übersolls“ leisten zu lassen, dazu noch an hohen Festtagen, überlassen wir lieber einem System, das wir alle verabscheuen.

DIE LANDFLUCHT ist in Österreich bekanntlich eine sehr ernste soziologische und wirtschaftspolitische Erscheinung. Ohne ihre entschiedene Eindämmung können wir nicht hoffen, unsere Agrarproduktion wieder bis zur Höhe des Jahres 1937 zu steigern. Manches Positive ist da bereits geschehen, manches steht noch auf der Wunschliste. Auf eines sei heute hingewiesen: nach einer Aussendung des Pressedienstes dės Landarbeiterkammertages hat sich die Zahl der krankenversicherten Landarbeiter im Laufe des November — durch saisonbedingte Entlassungen — um 9500 verringert. Von diesen freigesetzten Arbeitskräften erhalten während der Zeit der Arbeitslosigkeit, wie Erhebungen glaubhaft machen, rund drei Viertel keine Arbeitslosenunterstützung. Die Familienväter unter ihnen erhalten während der Zeit der Arbeitslosigkeit auch keine Kinderbeihilfen. Sie sind damit bei Beginn jener Jahreszeit, die den höchsten Lebenshaltungsaufwand mit sich bringt, besonders hart getroffen. Die Zahl der Entlassenen wird für diesen Winter auf 13.000 bis 18.000 geschätzt — jene dėr Familienväter kann daher mir einen entsprechenden Teil dieser Ziffer erreichen. Müssen sie wirklich doppelt betroffen werden und selbst den bescheidenen Rückhalt der Kinderbeihilfe verlieren? Auch eine allfällige gesetzliche Zwangsläufigkeit ist nur relativ, sie kann auf dem gleichen Wege, auf dem sie entstanden ist, wieder beseitigt werden.

IM LAND SÜÜL1CH DES BRENNERS wurde in diesen Tagen ein Fest besonderer Art gefeiert: die „Dolomite n“, das Tagblatt der Südtiroler, konnte auf 25 Jahre seines Erscheinens zurückblicken. Die Geschieht e dieses Blattes aber ist mehr als nur ein Kapitel Pressegeschichte, sie ist ein Teil dės Schicksals der Tiroler zwischen dem Urehner und der SalUrner Klause. Zuerst, Vor beinahe 30 Jahren, waren die „Dolomiten“ nur ein harmloses, mit viel Enthusiasmus und geringen journalistischen Mitteln ausgestattetes Familienblatt. Groß an Zähl und weit an Verbreitung war damals noch die deutschgeschriebene Presse in Südtirol. Ein Blatt nach dem anderen wurde nach ger Machtergreifung des Faschismus mundtot gemacht. Zuletzt fiel auch das um die Jahrhundertwende gegründete Organ des christlichen Volkes „Der Tiroler", dem schon vorher eine Namensänderung in „Der Landsmarin“ abgenötigt wurde, unter dem Beil des LiktorenbündelS. Durch über zwei Monate erschien 1926 in Siidtirol keine einzige deutschgeschriebene Zeitung. In ihrer Not wandten sich die Katholiken Südtirols an den Bischof von Trient. Sie kamen aber nicht ällein. ln seinem Vorzimmer traf der heutige Chefredakteur der „Dolomiten“ Michael Gamper, wie er in der Festausgabe seines Blattes erinnert, tkuch noch andere Petentėn. Einer von ihnen war der Chef- tedaktėuf dės ebenfalls eingestellten „Nuovö Trėntlho“. des kdthölisthen iMlt ėhiSėhėn Blattei von Trient, Alcide De Gasperi...

Durch den mutigen Einsatz einer Handvoll Männer und durch die tatkräftige Intervention hoher kirchlicher Stellen wurde dann den deutschen Südtirolern „auf Probe“ und „als Gunsterweisung“ wieder' ein Blatt zugestanden, das sich aber jeder politischen Stellungnahme zu enthalten hatte. Die Männer der Südtiroler Presse wählten deshalb den Kopf der politisch „unbelasteten“ „Dolomiten“ für ihr neues Blatt. Es wurde und ist seither das mächtige Sprachrohr der Südliröler Volkspartei, die ihre Wurzel — die große christliche und soziale Volksbewegung des alten Österreich — nie verleugnet hat.

KURZ VOR WEIHNACHTEN stand die Bonner Bundesregierung im Mittelpunkt einer Krise, die die angespannteste Aufmerksamkeit der Welt erregte. Der Versuch des Kabinėtis Adenauer, die Verträge mit den Westalliierten und über die Europäische Vertėiaigungšgemeinschaft (EVG) noch vor den Feiertagen und den Ferien des Bundestages „durchzupeitschen“, wie die parlamentarische Geschäftssprache sagt, ist gescheitert. Die Opposition der Opposition (Sozialdemokraten) und auch aus den Rėihen der Regierungsparteien war zu stark. Damit fällt das „Bismarck-Dogma“ Adenauers, wie seine bisherige politische Grundkonzeption von ihm nahestehenden PeFsöri- lichkeiten selbst genannt wurde: zuerst Außenpolitik, dann wird sich die Innenpolitik schon irgendwie meistern lasseri. Die Vorgänge in Bonn, nicht zuletzt der Appell des Bundespräsidenten an das Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der verfassungsrechtlichen Konformität der Verträge, die von vielen, auch Regierungs- anhängern, bezweifelt wird, haben gezeigt, daß dieses Dogma einen Kurzschluß in sich enthält: es gilt nämlich nur, wenn der Außenpolitiker, durch keine innenpolitischen Hemmungen gebunden, freie Hand nach außen und nach innen hat. Es gilt also nicht für eine Demokratie und für ein Staatsgebilde, das sich ernstlich bemüht, eine Demokratie zu werden. Trotz des sehr starken Druckes, der auf die Öffentlichkeit in Hinsicht auf eine sofortige Unterzeichnung der Verträge ausgeübt wurde, ein Druck, der auch von einem gewissen religiösen Konformismus in bedenklicher Weise unterstützt wurde, ging es einfach nicht. Dr. Heuss zog zwar seine Anfrage an den Bundesgerichtshof in allerletzter Minute zurück, um Adenauer den Rücktritt zu ersparen, dieser aber hat die Lehre verstanden: in einer Demokratie muß es heißen; Außenpolitik und Innenpolitik, zuerst Übereinstimmung mit dem eigenen Volk, dann mit den Repräsentanten anderer Völker. Mit der dem echten Politiker eigenen Wendigkeit hat der Bundeskanzler die Konsequenzen gezogen: er kommt mit dem Führer der Opposition, Ollenhauer, zusammen, um das ganze Vertragswerk nochmals abzusprechen, und er will dessėn einzelne Punkte mit der Verfassung des Bundesstaates abstimmen. Große Dinge verlangen ihren Preis. Deutschland wird, nur in dem Maße für Europa, für das freiheitliche Europa gewichtig, in dem es selbst freiheitlich wird. Mit dem Wachsen deiner Demokratie wächst es in Europa hinein.

DIE AUSRUFUNG DES HEILIGEN KRIEGES durch den Großmufti von Ägypten darf nicht unterschätzt werden. Gewiß werden nun nicht ägyptische Panzer auf der Via Balbia an die tunesische Grenze rollen. Aber dem Moment nationaler Auflehnung der nordafrikanischen Unabhängigkeitsbewegung hat sich jetzt das religiöse zugesellt, und es wird durch das geistliche Oberhaupt des größten islamitischen Staates im Nahen Osten ausgelöst, eines Staates, der sich in einer noch ungeklärten sozialen und politischen Umformung befindet. Ganz Französisch-Nordafrika ist vön Unruhen ergriffen, die sich rational nicht begründen lassen, denn die französische Regierung hat die Lebenshaltung der eingeborenen Bevölkerung viel mehr verbessert, als es eine inländische getan hätte. Eine besondere mohammedanische Aufbruchsbewegung trifft hier mit dem durch die ganze farbige Welt gehenden Antikoloniälismus zusammen. Mit militärischen und administrativen Mitteln werden diese Spannungen auf die Dauer nicht gelöst werden können. Einer tiefėf- greifenden Änderung steht aber die traditionelle Statik der französischen Kbtonial- poliik ebenso entgegen wie die komplizierte, für jedes der in Frage kommenden Gebiete anders gelagerte staatsrechtliche Konstruktion. Die UNO hat den Tunesienantrag der ttf-ttblschfen Staaten abgelehnt, aber werden diese auf die weitere internationale Behandlung des Problems verzichten? keae Spannungen werden dadurch jedenfalls den schon durch den großen West-Öst-Konjiikt schwerbelasteten Vereinten Nationen an fertigt. Die Lage in Nord-, Mittel- und Südafrika ist für den „weißen Mahn“ zibėif‘ėllos ėrhst.

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