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Dynamit und Wahrheit

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I.

Es sagt sich leichthin, das Wort „Lausbüberei“. Und indigniertes Kopfschütteln über ein „sinnloses“ Sprengstoffattentat erspart manchem anderweitige Anstrengung eben dieses Kopfes. Aber ganz so einfach kann man es sich eben doch nicht machen.

Wir sind keine Kriminalisten, und nichts liegt uns ferner, als mit voreiligen Hypothesen der — wie wir im übrigen dringend hoffen — schonungslosen und keine Rücksicht auf Verbindungslinien irgendwelcher Art übenden Untersuchungsarbeit unserer Behörden vorzugreifen. Aber niemand kann uns verwehren, den eigentlichen Hintergrund aufzuzeigen, vor dem sich die in ganz Tirol als Fanal empfundene Sprengung des Andreas-Hofer- Denkmals auf dem Berg Isel vollzogen hat.

Man spricht davon, daß jetzt in Deutschland die „Stunde der Wahrheit“ gekommen sei, die nur der bestehen wird, der dieser viele Jahre hinter Illusionsschleiern verdeckten harten Wahrheit ins Auge zu sehen vermag. In ungleich kleinerem und mit dem komplexen deutschen Problem in keinem direkten Zusammenhang stehendem Rahmen ist diese Stunde nun auch jenseits des Brenners angebrochen. Bei den Südtirolern bricht die Erkenntnis Bahn, daß in erster und letzter Instanz sie selbst es sein werden, die über ihre Zukunft innerhalb der Grenzen eines Staates zu bestimmen haben werden, die für historisch absehbare Zeit nur im Rahmen eines allgemeinen europäischen Umsturzes abgeändert werden können. Die christlich-demokratisch geführte Regierung eines Zentrums in Rom ist die den Südtirolern gegenüberstehende Realität.

Wahrheit Nummer eins besagt zunächst einmal, daß jede dramatische Veränderung der Machtverhältnisse in Italien für die Menschen Südtirols keine wie immer geartete Verbesserung, sondern nur den sicheren Weg in den Untergang bedeuten könnte. Ein deutlicher Rechtsruck, in der Panikstimmung vor einem neuerlichen Anschwellen der Linken vielleicht sogar gewaltsam vollzogen, würde für Bozen wie für ganz Italien das Aufhören der immerhin noch garantierten persönlichen Freiheiten mit sich bringen. Eine Verschiebung nach ganz links würde eine europäische Erdrutschkatastrophe bedeuten, in deren Geschiebe es vielleicht für einige Momente so etwas wie ein Autonomie gäbe — auch Lenin begann ja seine Tätigkeit mit der Proklamation der Freiheit für die nichtrussischen Nationalitäten. Ein später folgender Kompe- tertzstreit der Verwaltungskommissare in einem unweigerlich kommunistisch beherrschten Europa hätte für die Mehrzahl der christlich-freiheitlichen Südtiroler dann aber kaum mehr praktische Bedeutung.

Aus dieser ersten Wahrheit ergibt sich mit harter Konsequenz eine zweite. Wer als europäischer Demokrat — christlicher, liberaler oder sozialistischer, ja selbst nationaler Prägung — auch jenseits des Brenners weiterzuleben wünscht, muß sich mit dieser tatsächlichen Regierung Italiens zu arrangieren suchen. Er kann keiner vergangenen nachweinen noch auf eine zukünftige sinnlos hoffen. Einer der klarsten Realisten dieser römischen Regierung — mag man seinen Typ persönlich schätzen oder nicht — ist der Innenminister Scelba. Er hat nicht ohne offenen und versteckten Widerstand in den Reihen seiner eigenen Partei, über den er aber hinwegzugehen gewohnt ist, die Initiative zu einem Direktgespräch ohne Vorbelastung ergriffen. Ein Gespräch mit Scelba hat gegenüber diplomatischvölkerrechtlichen Debatten wohl den Nachteil, daß es weder sehr tiefgründig geführt noch mit Perfektlösungen im Paragraphenstil abgeschlossen werden kann. Aber es hat einen Vorteil: Der, der es mit einer klaren Abmachung beschließt, bürgt auch für die Durchführung. Mögen noch so schöne Gesetze ausgefeilt werden. Für ihre Anwendung gegenüber dem unmittelbar betroffenen Staatsbürger ist die Exekutive zuständig. Und die Exekutive: das ist Scelba. Man hat also das Gespräch in einem von ihm geschaffenen Ausschuß begonnen. Die es in erster Linie für ihre Landsleute führen, sind die vom direkten Wählervertrauen getragenen Abgeordneten des Südtiroler Volkes. In den letzten Jahren hatte man sie — Repräsentanten der Honoratiorenpartei alten Stils — merklich in den Hintergrund gedrängt. Eine Garnitur von Parteifunktionären hatte alle Fäden in die Hand genommen und diese auch über verschiedene Grenzen hinaus nach eigenmächtigem Gutdünken gezogen.

Die dritte Wahrheit dieser Stunde, die man bei allem Respekt vor dieser oder jener menschlichen Tragödie schonungslos beim Namen nennen muß, sagt nun, daß sich eben jene Fäden zu einem Netz verwirrten, aus dem man sich nur durch gewaltsam zerreißende Gesten befreien zu können scheint.

II.

Und jetzt sind wir mitten in der aktuellen Situation.

Sie ist gekennzeichnet durch zwei gegenläufige Bewegungen. Auf der einen Seite macht die realistische Annäherung im Lande selbst unverkennbare Fortschritte. Man erkennt stillschweigend die über allzuviel Jus und Historie ganz vergessene psychologische Seite der Frage. Es sind Menschen mit Leib und Seele, keine Paragraphen und keine historischen Monumente, die miteinander auskommen müssen. Die parallelen Aktionen auf internationaler Ebene können, recht und vor allem jeweils uneigennützig verstanden, diesen Annäherungsprozeß im Lande selbst nur fördern. Ein solcher auf Vordergrundtheater verzichtender, im stillen aber um so wirksamerer Einfluß kann zur Stunde sowohl von der durch christlich-demokratische Initiative zustande gekommenen Südtirolkommission des Europarates (die durch den Belgier Struye präsidiert wird und in der unter anderen der jüngere Mac- Millan mitarbeitet) ausgehen, wie auch von den diskreten Direktgesprächen des österreichischen Außenministers mit seinem italienischen Kollegen, die am Tagungsort der UNO angeknüpft wurden und hoffentlich nicht wieder durch Deklamationen in der Vollversammlung (mit kommunistischer Ka- stagnettenbegleitüng aus Kuba) abgelöst werden. Vor allem aber hat der hier skizzierte Entwicklungsprozeß den entscheidenden Schwung und Anstoß im Lande selbst erhalten. Männer vom Schlage eines Ebner und Ammon, von der Autorität des Bozener Handelskammerpräsidenten, zum Teil auch legitimiert durch sehr klare grundsätzliche Meinungsäußerungen des Bischofs von Brixen, haben das in den Wellen treibende Ruder des gemeinsamen Schiffes ergriffen und sind an die Seite des Steuermanns Dr. Magnago auf die Kommandobrücke getreten. Die „Auf- bau"-Gruppe hat aus Parallelsituationen der Geschichte — etwa aus dem tragischen Schicksal der sudetendeutschen Aktivisten um Schütz, Jaksch und andere, die in der isolierten Stellung zwischen Henlein und der Prager Burg zerrieben wurden — gelernt. Sie will und sie wird innerhalb der Südtiroler Volkspartei arbeiten und für ihre Ziele kämpfen. Sie ist keine Spaltergruppe, kein Außenseiterverein wie die groteske Neugründung der ,,Da- bleiber“. Man muß auch das einmal auf gut deutsch sagen: Diese Männer sind die eigentlichen Herren im gemeinsamen Haus. Sie waren zuerst da, sie haben ihr Mandat durch das Südtiroler Volk empfangen.

Gerade weil diese Entwicklung nach so vielen Jahren der Enttäuschung und Täuschung nun endlich positiv zu verlaufen beginnt, steigert sich in dämonischer Reziprozität nun auch die Gegenbewegung. Niemand tritt gern von der bislang behaupteten Bildfläche ab, niemand hat es gern, wenn nun andere dort vielleicht erfolgreicher Weiterarbeiten, wo ihm — größtenteils nicht durch eigenes Verschulden — nur ein Scheitern beschert war. Aber wir halten alle jene, die zu dieser Garnitur gehören, offen gestanden für zu ehrenwert und zu vernünftig, als daß wir sie im Zusammenhang mit Spreng- attentaten auch nur erwähnen möchten. Anders freilich ist es mit denen, die ein echtes, vitales Interesse am Weiterbestehen’ eines europäischen Spannungszentrums in der Mitte Europas haben. Gewiß gehören die Kommunisten zu ihnen. Aber ihr Weizen blüht zur Zeit an so vielen anderen Orten so prächtig, daß wir in ihnen kaum die Hauptinteressenten am „Krachen" in Südtirol sehen möchten. Sie werten jedes Zerwürfnis der europäischen Demokratie als Erfolgszuwachs. Aber sie überanstrengen sich dort nicht, wo andere unwissentlich und unwillentlich ihr Geschäft besorgen. Die anderen aber müssen klar beim Namen genannt werden, selbst wenn ihre Personalien noch nicht aktenkundig sind und wohl auch noch lange Zeit nicht sein werden. Ob es italienische. österreichische oder deutsche Faschisten sind, die diese Sprengungen durchgeführt haben und wohl auch noch einige Zeit durchführen werden: Sie sind einander typ- und gesinnungsmäßig näher, als sie selbst wahrhaben wollen. Sie gehören alle miteinander zu jenen Nachhutmarodeuren der unaufhaltsam vorwärtsgehenden Geschichte, denen das Sprengen von Brücken, die Taktik der „verbrannten Erde“ zum Lebenselement geworden ist. Sie leben aus einem Denken, das auch im Vormarsch und Erfolg keine Liebe . kennt, nur Triumph und „Lebensgefühl“. Fehlt der Erfolg, dann pervertiert sich alle Energie folgerichtig zum Haß und zur Zerstörung, die ja beide von Anfang an vorhanden waren. Nicht aus Liebe zum gottgesegneten Tiroler Land, nicht aus zorniger und wehmütiger Verehrung für den „verratenen" Sandwirt — einen liebenden Christen übrigens — sprengt man Monumente in die Luft. Nein: der ohnmächtige Haß gegen ein neues Europa, der aus den letzten Tagebuchaufzeichnungen der Hitler und Mussolini, der Goebbels und Ciano spricht, Haß, gemischt mit diabolischer Schadenfreude, Zynismus und Freude am Versagen der von vornherein verfluchten Nachfolger: das sind die geistigen Sprengstoffe, die auch in diesen Tagen immer wieder explodieren im vertrauten Gespräch, im unkontrollierten Ausbruch im „kleinen Kreise“, auf Flugblättern und in Leserbriefen.

III.

Wir sagen es ganz nüchtern: Das alles wird sich wohl noch steigern. Je näher man sich südlich des Brenners, in Straßburg oder bei der UNO kommen wird, desto heißer wird die Druckluft über den Sprengsätzen seelischer und physischer Art werden. Die Logik und das Argument werden dabei kaum eine Rolle spielen. Die Bayern werden kaum daran denken, daß sie ia vor dem in Erz gegossenen auch auf den lebenden Hofer geschossen haben, die Italiener werden sich nicht ihrer atlantischen Solidarität, die die Rechte eben mit Theaterdonner dem Premier ins Gedächtnis rief, erinnern. Und die Österreicher unter ihnen … schweigen wir von ihnen.

Eine historische Tatsache sollten aber alle Beteiligten nicht ganz aus dem Auge verlieren: Nicht, als die Nationalitätenverständigung im alten Österreich hoffnungslos verbaut war und der offene Haß die Regierung lahmlegte, kam es zum Gewaltakt eines Attentats. Erst als der Thronfolger nahe daran war, zu einem Ausgleich mit den Slawen zu gelangen, mußte er „weg“. Und gerade dann fielen die Schüsse von Sarajewo …

Was not tut, ist natürlich kein geschichtlicher Fatalismus: Diesmal muß der Wettlauf durch die verständigungsbereiten, die europäischen Kräfte gewonnen werden. Wer unter ihnen zum Verhandeln und zum Handeln bereit ist, möge dies schnell tun. Und noch einmal: SchnellI

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