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Randbemerkungen zur woche

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ULTIMATIVE FORDERUNGEN hat die Gewerkschaft unserer Hochschulprofessoren in diesen Tagen in der Frage der Erhöhung der Kolleggelder erhoben. Die Studenten erheben keinen Einspruch gegen die Wünsche ihrer Professoren, obwohl sie die einzigen Leidtragenden bisher sind: aji manchen Instituten haben die Hochschullehrer die Prüfungen verschoben, was eine empfindliche Belastung der von Zeit- und Geldsorgen Bedrängten bedeutet. Auch die Dozenten haben keinen Einspruch erhoben, sie gönnen den Professoren von Herzen ein auskömmliches Gehalt. Die Öffentlichkeit schließlich wird sich in steigendem Maße der Schädigung unseres Ansehens im Ausland und der Minderung unserer Leistungsfähigkeit im Inland mangels jeglicher Förderung unserer Wissenschaft bewußt. Sie steht also an sich dem Gedanken einer Selbsthilfeaktion der Professoren, wie der geistigen Arbeiterschaft überhaupt, durchaus nicht ablehnend gegenüber, wie manche ängstliche Gegner jeder „Demonstration“ der Geistigschaffenden meinen möchten. Dennoch blickt man angesichts der neuen Lage mit Besorgnis auf die durchlöcherte Zusammenarbeit zwischen Professoren- und Studentenschaft, ohne die die unaufschiebbare Hochschulreform undenkbar ist. Alles in allem ergibt sich hier ein Bild unserer Hochschulverhältnisse nach 1945, das in bestürzend enger Korrelation zur allgemeinen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Misere steht. Nach zwei Weltkriegen hat man es hier noch nicht verstanden, den Wandel der Verhältnisse zu begreifen Und aufzüarbeiten. Die Krise der Hohen Schulen spiegelt sich offen in den Kämpfen um Salär und Kollegiengeld; mögen aber alle Beteiligten bedenken: wichtiger als alle äußere Aufwertung und Valorisierung ist die Eindämmung der schleichenden inneren Abwertung, die seit geraumer Zeit unsere Hohen Schulen zu überkommen droht.

EINE KURZNACHRICHT AUS ITALIEN ging vor kurzem durch die internationale Presse. Nenni, der Chef der italienischen Linkssozialisten, wurde von Ministerpräsident De Gasperi empfangen. Wie es heißt, um über seine Gespräche mit Stalin und seine Moskauer Eindrücke zu berichten. Uber diese waren aber schon Wochen zuvor alles Wissenswerte, das heißt Wissensmögliche und zu wiss&ii Ertaubte in aller Welt verbreitet worden. Monate zuvor aber wurde in Italien — und auch in unserem Blatt — auf neue Perspektiven in der italienischen Innenpolitik verwiesen, die sich, wie alles Wachsende, langsam am Horizont abzuzeichnen begannen. Perspektiven von mindestens europäischer Bedeutung — während gleich nach dem letzten Kriege durch den Weltsozialismus deutlich genug ein allgemeiner „Zug nach links“ ging, ist in den letzten, allerletzten Jahren hier zwar gewiß nicht ein Drang nach rechts zu vermerken gewesen, dem berühmten Rechtsdrall deutscher Geschosse entsprechend, wohl aber ein gewisse Tendenz zur Mitte, ja, ein Streben, selbst Mitte zu bilden: als Regierungspartei, in Koalition mit „bürgerlichen“ Parteien. Am weitesten entfernt von diesen Bestrebungen zeigt sich bis vor kurzem die Mehrheit der italienischen Sozialisten, fest verbunden in einer Wahl- und Kampffront den Kommunisten Togliattis. Der Moskaubesuch ihres Führers Nenni schien dies zu bestätigen. Immerhin wurden Stimmen beachtet, die auf einen Hintersinn der Gespräche Stalins mit Nenni hinwiesen: Moskau suche hier ein Sprachrohr in die nichtamerikanische bürgerliche Welt Westeuropas hinein — Nun also der Besuch Nennis bei De Gasperi. Nun aber auch die Meldung, daß fünfzig Nenni- sozialistische Abgeordnete eine Lösung des Bündnisses mit Togliatti fordern. Inzwischen hat der Parteitag der Rechtssozialisten sich eindeutig zu einer Koalition mit den Democristiani bekannt. Voreilig genug wäre es, aus all dem Schlüsse auf eine Regierung De Gasperi-Sarragat-Nenni zu ziehen; nachhinkend den Ereignissen aber müßte ein Übersehen von dem bedeuten, was sich hier doch vollzogen hat: Europa, Westeuropa ist, aus diesem und jenem und vielen anderen Gründen, wieder Gesprächspartner geworden, der umworben wird. Noch kein Verhandlung -, noch kein Arbeitspartner; niemand von den Verantwortlichen in Westeuropa macht sich hierüber, Gott sei Dank, Illusionen. Keiner von ihnen aber übersieht auch, daß Europa an Gewicht gewonnen hat. Dieses innenpolitisch in die Waagschale zu legen, dürfte es keinen geschickteren Staatsmann geben als De Gasperi. Italien hat sich nach 1945 schnell einen Namen gemacht als Land kühner Experimente: im Film, in der Kunst, im Bauen, in der Industrie und Wirtschaft. Wer Italiens koloniale Leistung kennt, wundert sich nicht über diese Fähigkeit, Wege auch noch im anscheinend Unwegsamen zu finden. Viel-

leicht steht uns ein politisches Experiment bevor: ein Versuch mit dem Sozialismus Nennis würde ein solches Wagnis bedeuten, das höchste Beachtung im „rechten“ westlichen Europa finden und verdienen würde.

WÄHREND EIN PARLAMENTARISCHER AUSSCHUSS IN STUTTGART die Verfassung des neuen südwestdeutschen Bundeslandes Baden-Württemberg berät, sthickt sich in diesen Tagen der frühere badische Staatspräsident W o hieb an, als erster Gesandter der Deutschen Bundesrepublik nach Portugal zu gehen. Daß der Mann, der eben erst vierundsechzig Jahre geworden ist, mit seinem eigenwilligen politi-, sehen Temperament den Verlust der selbständigen badischen Staatlichkeit mit dem Übergang in den Ruhestand beantworten werde, war von Anfang an unwahrscheinlich gewesen. Die Qualifikation zum Diplomaten hätte sich Wohieb, einer der Mitbegründer der badischen CDU, zum mindesten in den mehr als fünf Jahren verantwortlichen Wirkens an der Spitze der südbadischen Regierung verdienen können, wenn er sie nicht bereits in sein Amt mit- gebracht hätte. Heute haben schon viele wieder vergessen, wieviel Entsagung und Zähigkeit, aber auch wieviel Klugheit und Sinn für Proportionen dazu gehört hat, in den Jahren unmittelbar nach dem Kriege unter der Besatzung Regierungschef eines deutschen Landes zu sein; Lorbeeren konnte da niemand ernten, er mußte vielmehr mühselig um das Vertrauen der Besatzungsmächte werben und sich so vom Befehlsempfänger der „Militärregierung“ zur politischen Handlungsfreiheit Schritt für Schritt „hinaufdienen“. Wohieb wollte als überzeugter Badener die Wiederherstellung des alten Badens vom Main bis zum Bodensee und kämpfte mit seiner ganzen Leidenschaft für dieses Ziel. Er hat die häßlichen persönlichen Angriffe nicht verdient, die ihm dafür oft zuteil wurden, für die sich übrigens auch manche seiner politischen Gegner mit Recht schämten. Auf der anderen Seite liebte er in seinem Kampfe bisweilen verschlungene Wege, so daß auch gute Freunde seine Strategie nicht immer verstehen konnten. Am Ende hat er den Kampf um Altbaden verloren, vielleicht auch deshalb, weil er in seiner Neigung zur südbadischen Landesväterlichkeit dabei zu wenig an die Kräfte dachte, die es in Nordbaden für sein Ziel zu gewinnen galt. Ohne Zweifel war Wohieb die stärkste politische Figur in seinem Lande, aber es war wohl kein Vorteil für ihn, daß er nirgends, auch nicht in der eigenen Partei, einen ihm einigermaßen gewachsenen Gegenspieler fand. Daß er eine politische Potenz durch und durch ist, auch mit dem in der Politik unentbehrlichen Machtwillen, war jederzeit zu spüren, seitdem er, erst nach dem Kriege, auf der politischen Bühne nach vorne getreten war. Und diese politische Begabung, gepaart mit der Gelassenheit des Urteils und — nicht zuletzt — mit einer gediegenen klassischen Bildung, werden dem Manne jetzt auch in seinem neuen Amte zustatten kommen. Freilich wird sein Weggang aus der Bundesrepublik für die altbadisch gesinnte Gruppe einen schweren Verlust bedeuten, weil er wohl der einzige gewesen wäre, der diese Bewegung gegen die verfassungsmäßige Zusammenfügung Badens und Württembergs hätte befeuern können. Während nun der frühere badische Staatspräsident auf seinem neuen Posten in Lissabon seine politischen Fähigkeiten an verantwortungsvoller Stelle erneut bewähren kann, rückt die Politik in seinem Heimatlande unvermeidlich mehr und mehr in den Schatten, den die kommenden Bundestagswahlen des nächsten Jahres vorauswerfen. Bei diesem Kampfe geht es um so grundsätzliche Entscheidungen auf dir Bundesebene, daß, auch für die süd- westdeutsche CDU, die Auseinandersetzung über Baden und Württemberg dahinter ganz zurücktreten wird.

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