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Randhemerkungen zur woche

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ABSCHIED VON ALC1DE DE GASPER1? Noch ist es ungewiß, ob dem vom italienischen Abgeordnetenhaus die Zustimmung versagten achten Kabinett des italienischen Regierungs-cheis nicht letzten Endes doch noch eine neunte Regierung De Gasperis iolgen wird, die sieh zum Unterschied von dem gescheiterten ausschließlich aus Democristiani gebildeten „Ferienkabinett“ wieder aui eine Koalition der Miitelparteien stützen und auch mit der Neutralität verantwortungsbewußter Monarchisten rechnen kann. Es wäre aber auch durchaus denkbar, daß De Gasperi, sollte er nach achtjähriger erfolgreicher Regierungszeit das Steuer an einen Parteiireund abgeben, dem Beispiel des unbestrittenen Führers der italienischen Liberalen vor 1914, Giolitti, Folge leisten wird. Mehr als einmal zog sich dieser „great oid man“ der italienischen Politik jener Zeit von den Mühen und Enttäuschungen seines hohen Amtes in seine piemontesische Heimat zurück, um selbst im hohen Greisenalter nach Rom zurückzukehren, wenn die Wellen politischer Leidenschaft das Stgatsschiif in allzugefährliche Zonen abzutreiben begannen. Das war nicht selten in jenen Tagen und — das wird nach dem Ergebnis der Juniwahlen auch in naher Zukunft wieder mehr als einmal der Fall sein. Nein, es darf keinen Abschied auf immer geben von AI ci de De Gasperi, dem italienischen Staatsmann, dem Europäer, dem christlichen Demokraten! Dem italienischen Staatsmann: Flollnungslos schien die Situation als De Gasperi noch kurzlebigen Nachkriegsregierungen die Ministerpräsidentschait übernahm. Italien, vom Süden bis zum Norden durch den Feuerbrand des Krieges verheert, sein Volk gespalten, geheime Wafienlager an allen Orten, Gewalttaten an jedem Tag. Niemand wußte, ob der kaum beendete Bürgerkrieg nicht morgen erneut ausbrechen werde. Und aus diesem unglücklichen, ausgepowerten, vom Kommunismus bedrohten Land baute der christlichdemokratische Regierungschef die „Republik Italien“, einen modernen Staat, der auf allen Gebieten des Lebens Leistungen vollbrachte, die die der italienischen Vergangenheit weit übertrafen. Das Hauptportal des römischen Bahnhofs „Roma Termini“ ist ein unübersehbarer Zeuge dieses neuen offenen Lebensgefühls ebenso wie die auf allen europäischen Straßen flitzenden „Vespas“ und „Lambrettas“. Städte wie Mailand erleben eine neue Blüte, und die Züge verkehren auf die Minute — auch ohne Faschismus... „Ich bin kein zweiter Facta“ sagte De Gasperi einmal und spielte auf die schwächliche Rolle des letzten demokratischen Ministerpräsidenten vor , dem „Marsch auf Rom“ an. Er hat Wort gehalten. Dem Europäer: das Dreimännerbündnis Schu-man, De Gasperi, Adenauer für eine europäische Einigung ist heute bereits eine Redensart ■— und eine immer blasser werdende Hoffnung. Daß.es dem Mann, der einmal als Abgeordneter seine Trientiner Katholiken im Vielvölker-parlament zu Wien vertrat, ernst ist mit einer Ueberwindung des engen durch Jahrzehnte gerade auch in Italien hochgezüchteten Nationalismus, zeigten nicht zuletzt die Wahlplakate seiner Partei vor der letzten großen Runde. Als einzige Partei in Europa hatten es die Democristiani gewagt, sich als Partei vorzustellen, die die Europafahne über der Trikolore hißt. Vielleicht auch eine Erklärung iür die brüderliche Opposition von Links und Rechts gegen den Mann, der diese Politik nicht nur mit seinem Namen deckte, sondern kräftig vorwärts-tfisb, Dem christliehen Demokralen; „Christliehe Demokratie“? Wie oft hören wir diese beiden Worte im politischen Alltag. Allein oder gemeinsam. Leere Phrasen in dem Mund vieler, Notunterstand iür schlechte Zeiten auch nicht wenigen. De Gasperi aber ist es wie gelten einem Politiker ernst mit ihnen. Mit dem Christentum, der Demokratie =• und der Freiheit. Die Parole „Liberias“ im Kreuzschild seiner Partei war dem italienischen Ministerpräsidenten nie ein Lippenbekenntnis, sondern sie bestimmte seine Politik, die sich nicht nur kraftvoll gegen alle Gefahren von Links wandte, sondern auch beharrlich jeder „Versuchung nach Rechts“ widerstand. Ein solches Konzept kann durch Opportunität, Kurzsichtigkeit und Ahnungslosigkeit mitunter bedroht werden. Der Mann aber, mit dessen Name es verbunden ist, muß — sei es auch in Reserve — bleiben. Als eine Hoffnung für jene, denen Politik nicht allein eine Frage der Taktik, des munteren Handelns und listigen Feilschens ist, sondern Grundsätzen zu iolgen hat, zu denen man sich, bestimmt durch sein Gewissen und die Lehren der Geschichte, durchgerungen hat.

DIE GEWERKSCHAFTLICHE EINHEIT in der Deutschen Bundesrepublik ist auf das schwerste bedroht. 1945 hatten, wie auch in Oesterreich, die deutschen Gewerkschafter sich geschworen, aus der Vergangenheit ihre Lehren zu ziehen. Die vor allem im Rheinland und an der 'Ruhr nicht unbeträchtlichen christlichen Gewerkschafter reichten ihren Kollegen von den „freien“ — lies: sozialistischen — Gewerkschaiten die Hand, und der Deutsche Gewerkschaitsbund war geboren. Grundbedingung: bei voller Wahrung der Arbeitnehmerinteressen dürie es keinerlei

parteipolitisches Engagement des Gewerk-schaitsbundes geben. Antangs ging alles gut. Solange der in Gewerkschailsarbeit ergraute Johannes Böckler denn Vorsitz führte, sogar bestens. Als Christian Fette sein Erbe antrat, machten sich zentrifugale Kräfte da und dort schon bemerkbar. Sie wurden stärker, als mit Walter Freitag ein streitbarer Vertreter der SPD den Vorsitz übernahm. Es braucht nicht verschwiegen werden, daß bestimmte Kreise, selbst auch innerhalb der CDU, diese Entwicklung nicht ungern sahen und den Deutschen Gewerkschaftsbund lieber heute als morgen als eindeutig „feindliche Macht“ klassifizieren wollten. Aber die christlichen Gewerkschafter, allen voran der Ministerpräsident von Nord-rhein-Westialen, Karl Arnold, bekannten sich nach wie vor zum Gedanken der gewerkschalt-lichen Einheit und verteidigten ihn in einem stillen aber erbitterten Zweifrontenkampf sowohl gegen die sozial-konservativen Tendenzen in der eigenen Partei als auch gegen den Qmnipotenzanspruch ihrer sozialistischen Kollegen. Nun ist diesen treuen Söhnen der gewerkschaftlichen Einheit die Leitung des DGB selbst in den Rücken gelallen. In einem Wahlaufruf werden Töne angeschlagen, die, ohne direkt anzugreifen, einer heftigen Polemik gegen die CDU-Mehrheit im Bundesrat gleichkommen: „Wer Frieden und Fortschritt, Freiheit und Einheit will“, schloß der Wahlaufruf, „wer nicht will, daß wieder Gewaltherrschaft und Krieg, Terror und Bombennächte über uns kommen, der muß durch Abgabe seiner Stimme zur VJahl eines besseren Bundestages die Kräfte ausschließen helfen, die das deutsche Volk zum zweitenmal ins Unglück stürzen wollen.“ Die Reaktion des deutschen Bundeskanzlers war dementsprechend heftig. Eine tiefe Kluft tat sich auf... Was bisher dem Unternehmer-Hügel in der CDU nicht gelungen ist, die sozialistische Führung de3 DGB hat es geschafft: die gewerkschaftliche Einheit ist in der Deutschen Bundesrepublik vielleicht nur mehr eine Frage von Tagen. Anderen Ländern, anderen Vorständen des Gewerkschattsbundes als dringende Warnung!

DIE FRAGE, OB DIE KURSÄNDERUNG IN UNGARN „ernst zu nehmen“ sei oder nicht, ist im abgelaufenen Monat viel kommentiert worden. Es hat sich dabei die Meinung herauskristallisiert, daß sowohl der Regierungs- wie der Programmwechsel nur als eine, wenn auch auf lange Sicht, geplante Detailbewegung im großen Rahmen der Moskauer nachstalinisti-schen Politik zu deuten ist, aber als guter Wert' messer eben derselben Politik größte Beachtung verdient, während bestimmte Zeichen darauf hindeuten, daß Moskau selbst Ungarn zum Objekt eines Experimentes auserkoren hat und jetzt alle die Reaktionen außen und innen sorg? fältig registriert. Das Experiment besteht vor allem im radikalen, ja bis heute beispiellosen Personenwechsel in Partei und Regierung: die Stalinisten traten zurück, die bisher zweite oder aar dritte Garnitur -r- um von den NichtKommunisten gar zu schweigen — trat hervor. Junge, vielfach bodenständige Kräfte gegenüber den „alten Internationalen“. Nach den Schwankungen der ersten Woche — in denen Räkosi noch einmal selbst zupacken mußte, um das Gleichgewicht wiederherzustellen — entwickelte sich eine vorsichtige, ruhige Fahrt. Keine Exzesse, keine Erklärungen. Die im Regierungsprogramm angekündigten Erleichterungen für die Bauernschalt und auch die Amnestie wurden Wirklichkeit. Neue Verordnungen erscheinen Tag für Tag. Die bisher autonome politische Polizei wurde dem Innenminister Gero unterstellt, nachdem der berüchtigte Polizeichef „Peter Gabor“ vor Monaten spurlos verschwunden ist. Das „vorsichtige“ Moment bei dieser Fahrt: in den Zeitungen viel mehr TASS-Meldungen und „Prawda“-Artikel als bisher, die die globale Friedenslinie der Stalin-Nachfolger getreu widerspiegeln. Und: Kollektive Führung über allesl Die von Parteileitung zu Parteileitung gehenden Begrüßungstelegramme anläßlich des 50-Jahr-Jubiläums der KP Rußlands, wo nur Lenin, aber Stalin gar nicht erwähnt wurde, zeigen das ebenso eindrucksvoll wie noch viele andere Zeichen. So entsteht das paradoxe Bild: mit dem „weichen Kurs“ (freilich nur in Anführungszeichen), der die Menschen im ganzen Land aufatmen ließ, wurden die Bindungen an Moskau straffer. Aber der Gegensatz ist nur ein scheinbarer. Der Kreml ist es, der die großen Manöver auf stürmischer See durchführt, der Konvoi der kleinen Schiffe — darunter auch Ungarn — hat nur solide, langsam, aber verläßlich zu folgen. Darum kamen die Bauern und der „Brückenbauer“ Gero und gingen Räkosi, der KP-General Farkas und der „Ideologe“ Revai. Abzuwarten ist noch, welche Rolle der neuen „Staatsanwaltschaitsorganisation“ hiebei zufällt, eine Rolle, deren Bezeichnung „erhöhte Sicherung der Gesetzlichkeit, Schutz des Staatsbürgers vor Uebergriffen der Behörde“ alles oder nichts werden kann, je nach dem, wer diese geheimnisvollen Anwälte sein werden und ob sie von höchster Stelle tatsächlich die nötige Autorität zu ihrer Tätigkeit mitbekommen.

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