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Finden sich Camillo und Peppone?

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Die jüngst liquidierte italienische Regierungskrise hat die zum Leidwesen der Puristen ohnedies seit Jahren immer mehr durch Neologismen durchsetzte italienische Sprache um ein neues Wort bereichert. In Analogie zum „crem-lihölbgo“, dem „Kreml-Astrologen“, hat Italiens Star Journalist Nr. 1, Indro Montarielli, in einem Porträt des christlich-demokratischen Politikers Ahdreotti im „Corriere della Sera“ den Begriff der „eurologi“, das heißt jener Leute geprägt, die sich mit der Erforschung und Deutung der Strömungen und Machtkämpfe im Hauptquartier der „Democrazia Cristiana“ im „Palazzo delPEUR“, dem noch unter Mussolini für die geplante römische Weltausstellung errichteten Monumentalbau im Südwesten Roms, beschäftigen. Angesichts der Schlüsselstellung, welche die große katholische „Partei der relativen Mehrheit“ seit einem Vierteljahrhundert im politischen Leben Italiens einnimmt, sind die Vorgänge im „Kreml der Democrazia Cristiana“ tatsächlich von maßgeblicher Bedeutung für die politische Entwicklung des Landes, weshalb die Zahl der von Zeitungen und politischen Zeitschriften benötigten „eurologi“ ständig zunimmt und es fast erstaunlich ist, daß jetzt diese Parteiastrologen erst einen allgemein gebräuchlichen Namen erhalten haben.

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Die jüngst liquidierte italienische Regierungskrise hat die zum Leidwesen der Puristen ohnedies seit Jahren immer mehr durch Neologismen durchsetzte italienische Sprache um ein neues Wort bereichert. In Analogie zum „crem-lihölbgo“, dem „Kreml-Astrologen“, hat Italiens Star Journalist Nr. 1, Indro Montarielli, in einem Porträt des christlich-demokratischen Politikers Ahdreotti im „Corriere della Sera“ den Begriff der „eurologi“, das heißt jener Leute geprägt, die sich mit der Erforschung und Deutung der Strömungen und Machtkämpfe im Hauptquartier der „Democrazia Cristiana“ im „Palazzo delPEUR“, dem noch unter Mussolini für die geplante römische Weltausstellung errichteten Monumentalbau im Südwesten Roms, beschäftigen. Angesichts der Schlüsselstellung, welche die große katholische „Partei der relativen Mehrheit“ seit einem Vierteljahrhundert im politischen Leben Italiens einnimmt, sind die Vorgänge im „Kreml der Democrazia Cristiana“ tatsächlich von maßgeblicher Bedeutung für die politische Entwicklung des Landes, weshalb die Zahl der von Zeitungen und politischen Zeitschriften benötigten „eurologi“ ständig zunimmt und es fast erstaunlich ist, daß jetzt diese Parteiastrologen erst einen allgemein gebräuchlichen Namen erhalten haben.

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So ist auch die innenpolitische Dauerkrise Italiens weitgehend bestimmt durch die Dauerkrise, in der die DC seit 1953/54, dem Sturz und Ableben von Alcide De Gasperi, steckt; da sich in diesem ganzen längen Zeitraum keine allseits anerkannte Persönlichkeit als Parteiführer und Regierungschef durchsetzen konnte. De Gasperis unmittelbarer Nachfolger, der überreich mit Vorschußlorbeeren bedachte „Wirtschaftswundermann“, Peüa, erwies sich noch rascher als ein politischer Versager als ein Jahrzehnt später der Adenauer-Nachfolger Erhard in der Bundesrepublik Deutschland; der redliche Picciont, der vielleicht die Qualitäten zum Parteiführer besaß, wurde politisch „erledigt“ durch den Montesi-Skandal, in den sein Sohn — wie sich schließlich herausstellte, völlig unbegründeterweise — hineingezogen wurde, wobei bis heute der bittere Nachgeschmack der ebenso unbeweisbaren wie unwiderlegbaren Vermutung blieb, daß dieses Manöver von hochgestellten Persönlichkeiten unter den „Parteifreunden“ und Rivalen Piccionis inspiriert worden sei. Jedenfalls wurde die „alte Garde“ der engeren Mitarbeiter und Altersgenossen De Gasperis mit einer Gründlichkeit und Erbitterung politisch „ausgemerzt“, die beinahe den Vergleich mit der Ausrottung der alten Garde Lenins durch Stalin nahelegt.

Allerdings mußten die Betroffenen hier nicht Schtauprozeß, Hinrichtung oder Meuchelmord, sondern nur die Kaltstellung als „notalbili“, als äußerlich geehrte, tatsächlich entmachtete Parteihonoratioren hinnehmen, die, soferne sie noch leben, nur bei Ausbruch jeder neuen Regierungskrise eine kurze, fast gespenstische „Auferstehung“ feiern, da sie als einstige Staatsoder Regierungschefs den Reigen der zu Konsultationen zum Staatspräsidenten berufenen Persönlichkeiten eröffnen; wodurch die raschlebige öffentlichkeilt meist erst wieder daran erinnert wird, daß die Gronchi, Pella, Scellba usw., die doch einst in der ersten Reihe standen, überhaupt noch unter den Lebenden weilen.

Die Führungs-, Richtungs- und Generationskampfe nach De Gasperi wurden dabei noch durch verschiedene, meist außerpolitische Faktoren, verschärft. Die am legendären 18. April 1948, dem „zweiten Lepanto“, siegreiche antikommuni-stische Koalition der Democrazia Cristiana und der drei kleineren Parteien der „Democrazia Laica“, der Liberalen, Republikaner und Sozialdemokraten, wurde besonders nach der Niederlage von 1953 im Kampf um ein neues, stabilisierendes Wahlrecht, immer brüchiger, wobei vor allem die entgegengesetzten sozial- und wirtschaftspolitischen Überzeugungen die Vierparteienregierungen der demokratischen Mitte zum „Immobilismus“ auf dem für Italien so wichtigen Gebiete der sozialen Reformen verurteilten. Während sich die Liberalen sowie der rechte Flügel der Democrazia Cristiana und die der älteren Gene-

ration angehörenden einstigen Mitarbeiter De Gasperis Weiterhin zu den beim Wiederaufbau nach dem Kriege so erfolgreichen Prinzipien einer neoliberalen Wirtschaftspolitik bekannten, forderten die Sozialdemokraten und die jüngeren „linken“ Democristiani eine entschiedene Politik der sozialen Reformen — auch um den Preis dirigistischer „Programmation“. Die nach der ungarischen Erhebung von 1956 sich abzeichnende Entfremdung zwischen Nennis Linkssozialistein und den Kommunisten und die mit den Gesprächen zwischen N^nni und Sara-gat eingeleiteten Bemühungen um eine „Wiedervereinigung“ zwischen Linkssozialisten und Sozialdemokraten zu einer großen, aus dem Schlepptau der Kommunisten gelösten Sozialistischen Partei schien für die jüngeren Christlichen Demokraten die Möglichkeit zu der von ihnen so ersehnten „apertura a sini-stra“, der „Öffnung nach links“, zu bieten, für die mit dem Pontiflkat Johannes XXIII. und dem II. Vatikanischen Konzil nun auch aus dem Vatikan „grünes Licht“ gegeben wurde.

Aber ganz abgesehen davon, daß die sozialistische Wiedervereinigung nur von kurzer Dauer war, zeigten sich auch die neuen Führer der „Democrazia Cristiana“ den Anforderungen dieser von ihnen selbst herbeigesehnten Entwicklung nicht gewachsen. Noch war der Kampf um die Nachfolge De Gasperis nicht entschieden, und so setzte zwischen den ehrgeizigen Diadochen ein erbittertes Wettrennen nach links ein, weil jeder der Führer zu diesen neuen, lockenden Ufern sein wollte. Der hochintelligeote Amintore Fanfani — der noch in den dreißiger Jahren als blutjunger Professor an der katholischen Universität in Mai land eine bedeutende Studie gegen die berühmte These Max Webers über die Beziehung von Kapitalismus und protestantischer Bewährungsethik veröffentlicht hatte — begründete mit der von ihm geleiteten Gruppe der „Iniziativa Demo-cnatica“ die erste der für die Partei-einheit so verderblichen „correnti“, die sich in kürzester Zeit vervielfachten und die große katholische Partei zu einem Schlachtfeld einander erbittert befehdender, von persönlichen Rivalitäten und Klientelen bestimmter Gruppierungen machten — zu einer Zeit, da sich die einzige integrierende und allen gemeinsame Kraft, der Katholizismus, im Zeichen des postkonziliaren Polyzentrismus auch nicht mehr als einigender Faktor so wie früher auswirken konnte. (Es mutet wie eine späte Sühne an, wenn Fanjani, derzeit Präsident des Senats, sich, wie man vermutet, wegen seiner Ambitionen auf das Amt des Staatspräsidenten, jetzt um 'die Wiederherstellung der Einigkeit in seiner zerklüfteten Partei bemüht.)

Bei diesem „Wettlauf nach links“, bei dem sich immer neue linke Gruppen in der Democrazia Cristiana bildeten, während es überhaupt keinen rechten Flügel mehr gibt, schienen auch die Sozialisten — die sich inzwischen wieder in die feindlichen Brüder PSI und PSU gespalten haben — bald nicht mehr als die passenden Partner, zumal der weltweite „Dialog“ zwischen Christentum und Marxismus der Annäherung zwischen Linkskatholizismus und Kommunismus eine höhere ideologische Weihe verlieh und man von kommunistischer Seite diese Strömungen in jeder Weise zu ermuntern sucht. Für die übrige italienische Öffentlichkeit aber tauchte damit ein neues Schreckgespenst auf, das Gespenst der „Repubblica Conciliare“, einer Beherrschung Italiens durch ein Bündnis von Don Camillo und Peppone, oder, wie die besorgten Verteidiger der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität befürchten, durch „Kreml und Vatikan“. Solche Befürchtungen erhalten ständig neue Nahrung durch die Feststellung, daß keiner der jüngeren christlich-demokratischen Führer den Sinn für Würde und Autonomie des Staates und der Politik zu besitzen scheint, der dem „Altösterreicher“ De Gasperi zu eigen war und der ihn die Selbstständigkeit des Politischen selbst einem Pius XII. gegenüber unnachgiebig und entschieden verteidigen ließ.

Es ist höchst eigentümlich, wie sehr das Ansehen des einzigen großen Staatsmannes, den Italien in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat, seit seinem Tode gerade außerhalb des Kreises seiner einstigen Parteifreunde, bei den politisch denkenden Italienern zugenommen hat und angesichts der Wirmisse der gegenwärtigen Politik weiterhin ständig zunimmt.

An sich verfallen angesichts der Vielzahl der italienischen Parteien nur allzu verständliche Vorschläge einer Wahlrechtsreform oder anderer Maßnahmen mit dem Ziel der Einführung eines Zwei-Parteien-Systems nach angelsächsischem Vorbild sofort dem Verdacht, durch die Hintertür die „Repubblica Conciliare“ einschmuggeln zu wollen. Dabei spielt natürlich auch das tief eingewurzelte, selbst ein Jahrhundert nach dem Ende des Kirchenstaates noch durchaus lebendige Mißtrauen gegen die „Priesterherrschaft“, das „governo dei preti“, eine Rolle, ein Mißtrauen, das soeben auch in dem von verschiedenen Seiten geäußerten Verdacht zum Ausdruck kam, die jüngste Regierungskrise sei von kirchlichen Kreisen provoziert worden, um die Gesetzwerdung des von der Kammer bereits gebilligten Entwurfs über die Einführung der EheScheidung noch in dieser Legislaturperiode zu verhindern oder zumindest zu verzögern — auch dies eine ebenso unbeweisbare wie unwiderlegbare Vermutung.

Allerdings hat sich in der Einstellung der in der öffentlichen Meinung nach wie vor maßgebenden Kreise der „Democrazia Laica“ und der linksliberalen Intelligenz, die sich als Erben und Hüter der Traditionen des Risorgimento fühlen, insofeme eine Wandlung vollzogen, als man sich mit der Tatsache abgefunden hat, daß nicht nur im letzten Vierteljahrhundert stets ein Politiker der „Democrazia Cristiana“ an der Spitze der Regierung stand, sondern daß sich dies auch in der nächsten Zukunft, angesichts der bestehenden Kräfteverteilung im Parlament und in der Wählerschaft voraussichtlich ebensowenig ändern dürfte wie die Tatsache der Existenz einer starken, trotz gelegentlicher Absplitterungen monolithisch geschlossenen Kommunistischen Partei als zweitstärkster Partei des Landes und größter kommunistischer Partei diesseits des „Eisernen Vorhangs“. Aber gerade weil man sich mit diesen beiden Tatsachen abgefunden hat, bereitet der Gedanke an die Möglichkeit eines Zusammengehens oder auch nur Zusammenspiels dieser beiden stärksten politischen Kräfte des Landes allen denen ein verständliches Unbehagen, die sich zur liberalen Tradition des Risorgimento und des aus ihm hervorgegangenen bürgerlichen Nationalstaats bekennen.

Aus diesen Einsichten ergibt sich aber nun die eigentümliche Tatsache, daß gerade die Kreise, die der „Democrazia Cristiana“ kühl bis ablehnend gegenüberstehen, über die inneren Zwistigkeiten und die dauernde Führungskrise in der größten Partei des Landes besbrgt sind, einmal, weil sich jene inneren Auseinandersetzungen, allein schon durch die Erzeugung von „Regierungskrisen am laufenden Band“, auf das ganze Land auswirken, dann aber, weil man von einer in sich zerrissenen und zerstrittenen Partei jede Überraschung, einschließlich des selbstmörderischen Versuchs eines Zusammengehens mit den Kommunisten, eben im Sinne der „Repubblica Conciliare“ befürchten zu müssen glaubt.

Ist es doch bereits sehr bedenklich, daß die Christlichen Demokraten im Bewußtsein der öffentlichen Meinung des Landes die Rolle als verläßlichste Garanten gegenüber der kommunistischen Bedrohung teilweise an die Sozialdemokraten des PSU abtreten mußten, was in den Ergebnissen der Regionalwahlen am 7. Juni dieses Jahres bereits deutlich zum Ausdruck kam. Auch unter diesem Gesichtspunkt denken heute viele, die De Gasperi zu dessen Lebzeiten gar keine besondere Sympathie entgegenbrachten, mit Sehnsucht an den zu früh verstorbenen Politiker aus Trient, der aus seiner Einsicht in die tatsächlichen Kräfteverhältnisse und seiner Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung heraus auch stets bereit war, den kleineren Verbündeten seiner Partei, eben den Gruppen der „Democrazia Laica“, einen ihre zahlenmäßige Stärke übersteigenden Anteil an der Regierungsverantwortung einzuräumen und der vor allem den anderen Parteien wie der eigenen Anhängerschaft jenes Gefühl der Sicherheit und Zuverlässigkeit gab, das seine intellektuell vielleicht brillanteren Nachfolger bis heute noch nicht hervorzubringen vermochten.

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