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„Wir sind nur wir selbst - wir weisen die absurde Unterteilung der Christdemokraten in .Sozialisten- freunde und ,Kommunistenfreunde’ zurück”, so sprach Benigno Zacca- gnini letzte Woche vor dem „Nationalrat”, dem Parteiparlament der italienischen Democrazia Cristiana.

Doch genau diese Bewußtseinsspaltung, die er so beschwörend leugnete, hat den Parteichef veranlaßt, auf die Rolle des väterlichen Vermittlers, die er vor vier Jahren übernommen hatte, zu verzichten und anzukündigen, er werde beim kommenden Parteikongreß im Dezember sein Amt niederlegen. Nur das Wort „endgültig” strich er im letzten Augenblick aus seinem Text…

Tatsächlich steckt hinter der Führungskrise, in die Italiens größte, seit über dreißig Jahren regierende Partei geraten ist, ihre viel ernstere, lange schon schwelende, doch seit der Ermordung Aldo Moros 1978 offen ausgebrochene Identitätskrise. Hinter ihrem stolzen Selbstverständnis als „Zentrum”, nämlich als Mitte und tragende Achse der italienischen Politik, stand stets ihr Führungsanspruch, wenn auch nie die absolute Mehrheit der Wähler.

Schien vor einem Jahr die Democrazia Cristina unter dem Schock der Moro-Entführung „aus christlicher Verantwortung” auf Solidarität mit allen linken Partnern gestimmt, so bietet sie heute ein ganz anderes Bild: Alte Gegensätze sind aufgebrochen, nicht so sehr die alten „Correnti” als Meinungsströmungen und Personenbindungen, wie sie bei einer breit gefächerten Volkspartei unvermeidlich sind, sondern neue verquere Gruppierungen, zwischen denen die widerspruchsvollsten Bündnisse und Gegenbündnisse entstehen.

In einem Parteiflügel, als dessen Sprecher jetzt der bisherige Außenminister Amaldo Forlani auftrat, haben sich ein Teil der liberalkonservativ gesinnten Christdemokraten mit Linkskatholischen zusammengetan, um ein vorrangiges Bündnis mit den Sozialisten zu propagieren - auch um den Preis eines sozialistischen Ministerpräsidenten.

Die einen versprechen sich davon eine haltbare Barriere gegen Kommunisten wie gegen tiefgreifende Reformen, die anderen einen christlichen Sozialstaat ohne kommunistisehen Segen - und beide verkennen, daß der Sozialistenchef Craxi (selbst ein Wanderer zwischen den Welten) weder für das eine noch für das andere Ziel zu haben ist.

Ein anderer Flügel versammelt alle jene - von den Hinterbliebenen Moros bis zu den konservativen Anhängern Andreottis -, die wissen, daß sich in Italien nur schwierig ohne und gar nicht mehr gegen die Kommunisten regieren, geschweige denn sanieren läßt.

Sie hoffen, durch eine erneute Umarmung oder durch hinhaltendes Taktieren die Kommunisten wieder zum Verlassen der Oppositionsecke zu bewegen, den inneren Revisionsprozeß der KPI zu fördern und so „diese große Kraft zum Wohle des Landes befreien zu helfen” - so der christdemokratische Vizesekretär de Mita, der als Sprecher dieses Flügels am weitesten aus der Deckung heraustrat.

Freilich, den Preis, den die Kommunisten jetzt verlangen – nämlich volle Anerkennung als mitregierende Partei -, will ein de Mita so wenig zahlen wie ein Forlani.

Ebenso wie der „sozialistenfreundliche” Flügel sich fragen muß, ob er sich in den umworbenen Partner nicht täuscht, richtet sich auch an die „kommunistenfreundliche” Strömung die Frage, ob sich die Kommunisten nach ihren aufreibenden, verlustreichen Erfahrungen der letzten drei Jahre noch einmal vor den christdemokratischen Wagen spannen lassen, statt selbst die Hand an die Zügel zu legen.

Sicher ist, daß KPI-Chef Berlin- guer sich vor einer starren, sterilen Oppositionsrolle ebenso fürchtet wie vor einem dadurch geförderten Rechtsruck der Christdemokraten, der - wie er glaubt - bis zum Rechtsputsch nach chilenischem Vorbild führen könnte.

Wirklich drohte diese Gefahr nur, wenn die Orientierungs- und Führungskrise der Christdemokraten sich zur totalen Koalitions- und damit Regierungsunfähigkeit auswüchse, und wenn der Parteikongreß (den die Democrazia Cristiana seit langem vor sich herschiebt) am Tage vor Weihnachten (unter Feiertagsdruck?) keine entscheidende Klärung bringt.

Wird die Gnadenfrist der Regierung Cossiga solange dauern «der werden galoppierende Inflation und Streikwellen eines heißen Herbstes den Sprung über den eigenen Schatten - sei nach links oder in die Opposition - schon früher erzwingen? Und wer könnte nach Moro und Zacca- gnini die mit sich hadernden Freunde auf den nächsten Weg des nächsten Kompromisses führen?

Viele Reden, die wenig besagten, waren dazu im Nationalrat der Partei zu hören. Nur ein einziger Prominenter - Gulio Andreotti - schwieg sich beharrlich und vielsagend aus.

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