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Zum Konkursverwalter will keiner werden

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Mit der Ruhe und dem risikobewußten Eifer eines Wunderarztes versucht Giulio Andreotti seit Mitte letzter Woche die scheinbar tödlich verletzte Partnerschaft von Christdemokraten und Kommunisten Italiens wiederzubeleben. Hat er dabei Chancen?

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Mit der Ruhe und dem risikobewußten Eifer eines Wunderarztes versucht Giulio Andreotti seit Mitte letzter Woche die scheinbar tödlich verletzte Partnerschaft von Christdemokraten und Kommunisten Italiens wiederzubeleben. Hat er dabei Chancen?

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„Man will uns nicht in der Regierung, aber man will uns daran hindern, in der Opposition zu sein“ - mit diesem grimmigen Ausspruch hat KP-Chef Enrico Berlinguer am 4. Februar nicht nur die verzwickte Lage der Democrazia Christiana (DC) gekennzeichnet, sondern ebenso das Dilemma, in das er selbst dadurch geraten ist. Denn es war Italiens Kommunisten gewiß nicht leichtgefallen, zum erstenmal eine Regierungskrise auszulösen und damit all das zu gefährden, ja in Frage zu stellen, was sie seit ihrem Wahlerfolg vom Juli 1976 Schritt für Schritt gewonnen hatten.

Noch Ende Dezember schien es, daß der Geduldsfaden der Kommunisten einige weitere Monate halten würde. Erst als die Sozialisten und Sozialdemokraten laute Ungeduld demonstrierten und eine „Überprüfung“ der Notstandskoalition forderten, die Ministerpräsident Andreotti seit dem 16. März 1978 das Regieren ermöglichte, kam es in Berlinguers Parteidirektion zum (heftig umstrittenen) Entschluß einer Kurskorrektur:

Die Furcht, vom christdemokratischen Partner „abgenutzt“ und nun auch noch von den Sozialisten links überholt zu werden, überwog alle anderen Bedenken - zumal es geraten erschien, sich dem kommenden Parteikongreß im März nicht im bisherigen Schwebezustand vorzustellen.

Die Bilanz des Regierungschefs (der auch jetzt nicht müde wird, Berlinguer dankbar auf die Schulter zu klopfen) kann sich gleichwohl sehen lassen - wenigstens bei den Wirtschaftsexperten: Die Inflationsrate ist von 23 Prozent auf „nur“ 12 Prozent gesenkt, die passive Zahlungsbilanz von 2,8 Milliarden Dollar (1976) in eine aktive von acht Milliarden

Dollar (1978) verwandelt worden, die Auslandsverschuldung konnte von 17 auf 14 Milliarden Dollar gesenkt, die Zahl der Streikstunden fast halbiert werden. Freilich, so wenig die Aushebung zahlreicher Terroristennester die Welle der Gewalt spürbar abebben ließ, so wenig sind die Strukturreformen, die das Land nötig hat, sichtlich vorangekommen.

Vielleicht hätten die Kommunisten dies noch einige Zeit in Kauf genommen, wenn man sie selbst an den Pfründen von Bürokratie und Vetternwirtschaft (etwa bei den Führungsposten der Staatswirtschaft) beteiligt oder wenigstens den Schein der Uberparteilichkeit gewahrt hätte. Doch der christdemokratische Parteichef Zaccagnini war sogar so unvorsichtig und arglos gewesen, daß er bei seiner USA-Reise öffentlich den „Stolz“ seiner Partei bekundet hatte, die Kommunisten auf den rechten demokratischen Weg geführt zu haben, auf dem sie allerdings immer noch „nicht ganz“ regierungsfähig geworden seien ...

Eilig beteuerte der DC-Vizepartei-sekretär Galloni am 3. Februar, es seien gar „nicht ideologische, sondern politische“ Gründe, die eine direkte Regierungsbeteiligung der Kommunisten ausschlössen - ohne daß er diesen Unterschied klarmachen konnte. Aber auch Berlinguers Forderung nach Ministersesseln ist weniger ultimativ, als sie klingt: Die Aufnahme der Kommunisten in eine Regierung der nationalen Einheit „wäre“ eine Grundbedingung, so formuliert er im Konjunktiv.

Heftig widersprach Berlinguer der Befürchtung, daß die DC auseinanderfallen würde, falls sie der KPI einen neuen Schritt entgegenkäme: Er habe da eine höhere Meinung von der

„tiefen Verwurzelung der Democrazia Christiana in einem großen Teil des italienischen Volkes“. Der KPI-Chef will nämlich keineswegs seine Strategie des „Historischen Kompromisses“ aufgeben. Durch die Umstände gezwungen, sie aufs Spiel zu setzen, hofft er, neues Terrain für sie zu gewinnen.

Er weiß, daß die DC alles Interesse haben muß, die Koalition mit den Kommunisten zu flicken - nicht weil sie die Alternative von Neuwahlen zu fürchten hätte, sondern weil Staatspräsident Pertini zum erstenmal in Italiens Nachkriegsgeschichte einen Sozialisten (oder Republikaner) mit der Regierungsbildung beauftragen könnte, falls Andreottis Versuch auch scheitern würde.

Noch vor Wochen gab es im christdemokratischen Lager die Illusion, man könnte vielleicht die Sozialistische Partei Bettino Craxis für eine neue „linke Mitte“ (unter anderem Namen) gewinnen. Jetzt aber hat sich erwiesen, wie trügerisch der „autonome“ Spielraum war, den sich Craxi nach rechts und links lauthals zu verschaffen suchte:

„Für eine Alternative zur Regierungsmehrheit der nationalen Einheit sind wir nicht verfügbar“, bekannte er am 4. Februar.

Wird aber Andreottis Partei den Preis zahlen - und welchen? Vielleicht wird sie bereit sein, die Ministerliste direkt mit den Kommunisten auszuhandeln oder gar Vertrauensleute der KP als „Techniker“ im Kabinett zu akzeptieren. Auch die zeitliche Begrenzung eines Koalitionsabkommens wäre denkbar. Würde dies den Kommunisten erlauben, ihr Gesicht zu wahren? „Wir sind bereit, Preise zu zahlen“, versichert Berlinguer.

Noch immer liegt ihm mehr an einem Kompromiß, der ihn als Nöthelfer legitimiert, als an einer Konfrontation, die in die Katastrophe münden könnte. Denn dies würde ihn bestenfalls als Konkursverwalter hinterlassen.

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