6807183-1972_14_07.jpg
Digital In Arbeit

Geheime Läden

Werbung
Werbung
Werbung

Millionen Italiener beschäftigen sich mit der Frage, ob Berlinguers aufsehenerregendes Angebot einer Zusammenarbeit der Kommunistischen Partei Italiens (KP!) mit der Democrazia Cristiana auf Regierungsebene ernstzunehmen sei. Während rechtsstehende Christlichdemokraten und die im nationalen Rechtsblock zusammengefaßten Neofaschi-sten und Monarchisten sie lediglich als Lockruf des Wolfs im Schafspelz abtun, sind weniger profilierte Politiker und das Heer der Unentschlossenen — sie haben seit 24 Jahren bei jedem Urnengang den Ausschlag gegeben! — offenbar durchaus bereit, das von Berlinguer präsentierte neue Gesicht der KPI einer Prüfung zu unterziehen.

Bereits zu Beginn des 13. KPI-Kongresses distanzierte sich Enrico Berlinguer von den letzten blutigen Zusammenstößen außerparlamentarischer linksextremer Gruppen mit der Polizei, die neben 180 Verletzten schließlich auch noch ein Todesopfer gefordert haben. Kein Sprecher wich in der Folge von dieser These des neuen Generalsekretärs ab, wodurch zum Ausdruck kam, wie sehr Berlinguer nun unumstrittener Führer der mit ihren 1,5 Millionen eingeschriebenen Parteimitgliedern und 8,5 Millionen Wählern größten kommunischen Partei des Westens ist. Berlinguer erbat die Stimmen der Wähler vom 7. Mai für die KPI und die Linksparteien, „um so stark zu sein, daß wir die Democrazia Cristiana nötigen können, die Regierung neben Linkssozialisten auch mit uns zu bilden“. Geht es nach Amendolos altem Plan, es an der Spitze eines Linksblockes mit Linkssozialisten, Republikanern und Linkskatholiken zu versuchen, so ist davon bei diesem Kongreß nach außen hin kaum die Rede.

Wer am Mailänder Palazzo dei congressi auch noch auf die Untertöne achtet und mit mehr oder minder prominenten Genossen unter vier Augen spricht, hat Mühe, dieser Verwandlung der KPI über Nacht und ihrem Bekenntnis zu Demokratie, Parlamentarismus, Wahrung der Ordnung und Staatsautorität nach liberaler Tadition zu trauen. Die Genossen loben „la carica revoluzio-naria“ (die revolutionäre Ladung, gemeint das Erfülltsein von umstürzlerischen Zielsetzungen), welche die abgefallene Manifestogruppe, überhaupt alle Linkskommunisten beseelt und widersprechen ihnen nur in taktisch-methodischer Hinsicht.

Abhängigkeit von Moskau

Wer mit Manifestokommunisten Kontakte unterhält und ihre Zeitung ganz offen vor allen Delegierten liest, gilt keineswegs als Verräter. Berlinguer selbst verbringt seine Ferien auf Sardinien mit einem der prominenten Abtrünnigen, Luigi Pintor. Gemeinsame sardische Abstammung und alte Freundschaft fallen offensichtlich mehr ins Gewicht als die 1969 erfolgte Abspaltung. Manchmal erhält man den Eindruck, die damalige Trennung sei der KPI gelegen gekommen. Die Anwesenheit der Cinesi (Chinesen, gemeint sind Mao-Anhänger) in der Kommunistenpartei hat ihr Verhältnis zum sowjetischen Führerstaat stets auf eine harte Probe gestellt. Von der UdSSR ist die KPI wenigstens in wirtschaftlicher Hinsicht abhängig. Als Luigi Longo die russische Intervention vom 29. August 1968 verurteilte, versiegten plötzlich die geheimen Kanäle zwischen dem Kreml und der Via delle Botteghe oscure (Straße der geheimen Läden, KP-Zentrale); 400 Angestellte mußten auf einen Schlag entlassen werden. Mittlerweile fließt wieder reichlich Geld von Moskau nach Rom und nicht einmal nur böse Zungen behaupten, daß vom Segen des Ostens sogar noch etwas für die Manifestogruppe abfalle.

Gewinnen allerdings die Neo-faschisten am 7. Mai viele Stimmen und versucht die Democrazia Cristiana nach den Parlamentswahlen, mit den Liberalen die Regierung zu bilden, so könnten die italienischen Kommunisten wie die rabiaten Linksextremen sich gemeinsam herausgefordert sehen, im Namen von „Demokratie und Freiheit“ auf die Barrikade zu steigen, um nach Berlinguers Worten „einem Angriff der reaktionären Kräfte auf die demokratischen Einrichtungen Einhalt zu gebieten“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung