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Ein Marionettentheater - von einem Drahtzieher gelenkt…

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Drei Ereignisse haben - unabhängig voneinander - die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung Italiens, auf sich gezogen und machen noch immer Schlagzeilen in der Tagespresse: In Turin schossen linksextreme Terroristen auf die Beine eines Journalisten der kommunistischen Zeitung „L’Uni- tä”. Ungefähr zur gleichen Zeit bot KPI-Chef Berlinguer in der großen Massenkundgebung zum Abschluß des „Festival de L’Unitä” in Modena den bürgerlichen Parteien seinen „Historischen Kompromiß” an. In Rom begab sich Ministerpräsident Julio Andreotti zu Staatspräsident Leone, um ihm den Rücktritt des Verteidigungsministers Vitol Lattanzio und dessen Versetzung auf den Thron zweier anderer Ministerien vorzuschlagen.

Scheinbaf haben die drei Vorfälle - das Pistolenattentat von Turin, der Handschlag Berlinguers an die Adresse der übrigen demokratischen Parteien und die Kabinettsumbildung in der Capitale - nichts miteinander zu tun. Wer jedoch hinter die Kulissen blickt, entdeckt einen gemeinsamen Hintergrund, vor dem sich alle drei Ereignisse abgespielt haben: Als wäre Italien ein Marionettentheater, das von einem einzigen Drahtzieher gelenkt wird.

„Verkaufter des Systems” bezeich- neten die Attentäter den Korrespondenten der „L’Unitä”, nachdem sie sich versichert hatten, daß der Journalist der Vertreter des KPI-Organ in Turin ist. Für die Linksextremisten sind Berlinguers Kommunisten nicht nur „Verräter des marxistischen Anliegens”, sondern auch „die gekauften der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft”.

Berlinguers Bekenntnis zu einem friedlich-gewaltlosen Übergang von der kapitalistischen in eine neue sozialistische Gesellschaft mit menschlichem Antlitz, bezeichnen die Kommunisten vom alten Schrot aber nicht nur als Verrat an der Weltrevolution, für sie ist es schlechthin eine Illusion. Ihre Reaktionen auf Berlinguers „reaktionäre, evolutionäre Vorgangsweise anstelle eines entschlossenen kurzen Prozesses ä la Oktober-Revolution”, gleichen aber mehr Kurzschlußhandlungen einiger Verzweifelter. Dagegen stehen die gut vorbereiteten Aktionen einer möglicherweise international organisierten Terroristengruppe.

Jedenfalls ist genau das, was Berlinguer vorschwebt und bis auf weiteres zur Parteidoktrin erhoben hat (der Schulterschluß der KPI mit den übrigen Regierungsparteien von den Sozialisten bis zu den Liberalen), den Linksextremen ein Dorn im Auge. Sie tun möglichst alles, um diesen „Historischen Kompromiß” vor seiner Vollendung zu unterbinden - und schrek- ken dabei vor keinem Mittel zur Verängstigung der öffentlichen Meinung -. selbst zur der von der KPI bestimmten - zurück.

„Italien kann nicht ohne die KPI, aber auch nicht ohne die DC regiert werden”, erklärte Berlinguer in Modena einem Publikum, das noch vor vier Jahren nur hören wollte und nur gehört hat: „Italien kann nicht ohne und vor allem nicht gegen die KPI regiert werden”. Die Zeiten haben sich geändert: Die Kommunistische Partei Italiens ist über die 7. Parlamentswahlen der Nachkriegszeit zu einer Regierungspartei geworden, die zwar noch nicht offiziell, aber gleichsam indirekt und hinterrücks über die effektive Machtverteilung in den parlamentarischen Kommissionen, Banken und Kreditinstituten, Massenmedien, Lokalverwaltungen, im Heerwesen und bei der Polizei, in den halbstaatlichen Betrieben sowie im Wohnungswesen, ans Ruder gelangt ist.

Der Rücktritt Vitol Lattanzios als Verteidigungsminister war gleichsam eine Probe aufs Exempel: Ministerpräsident Julio Andreotti verteidigte in der parlamentarischen Debatte zum Fall Kappler die Karabinieri - auch jene, die es vielleicht gar nicht verdient hätten -, fand aber kaum ein gutes Wort für seinen christdemokratischen Verteidigungsminister. Bevor die Kommunisten die Massen auf den Plätzen gegen Lattanzio mobilisierten, schlug Andreotti dem christdemokratischen Staatspräsidenten die Versetzung des Ministers auf einen anderen Posten vor.

Die Demissionsforderung des KPI- Sprechers Natta hatte den Stein ins Rollen gebracht, doch Andreotti handelte einmal mehr so geschickt und schnell, daß wenigstens der Ahnungslose meinen konnte, die Christdemokraten hätten selbständig, nicht nur unter dem Druck der KPI, gehandelt.

Mit seiner Kabinettumbildung ist Andreotti einer Regierungskrise zuvorgekommen. Er hat eine Schlacht, doch noch nicht den Krieg gewonnen. In Italien wird nach wie vor um den Fortbestand der parlamentarischen Demokratie gerungen. Wer da wessen nützlicher Idiot ist, läßt sich noch nicht absehen.

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