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Rumor: Lüdkenbüßer

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Als der Präsident der Sozialistischen Internationale, Dr. Bruno Pittermann, und sein Generalsekretär, Hans Janitschek, vor wenigen Wochen in Rom weilten, da konnten sie gleich mit zwei sozialistischen Bruderparteien in Kontakt treten. Denn die Sozialistische Partei, durch den großen alten Mann der italienischen Politik, Nenni, vor den Wahlen nochmals geeint und dann Koalitionspartner der Democristiani geworden, zerbrach im Juni.

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Als der Präsident der Sozialistischen Internationale, Dr. Bruno Pittermann, und sein Generalsekretär, Hans Janitschek, vor wenigen Wochen in Rom weilten, da konnten sie gleich mit zwei sozialistischen Bruderparteien in Kontakt treten. Denn die Sozialistische Partei, durch den großen alten Mann der italienischen Politik, Nenni, vor den Wahlen nochmals geeint und dann Koalitionspartner der Democristiani geworden, zerbrach im Juni.

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Mit diesem Bruch in -eine PSI- und eine PSU-Partei brach aber auch das „Mitte-Links“-Kabinett des Demo-cristiani-Politikers Rumor auseinander. Italien wurde damit knapp vor den Ferien in eine Regierungskrise gestürzt, die trotz der Regierungsbildung nach 31 Tagen „Interregnum“ eine Krise ohne Ende und ohne langlebigen Ausweg zu sein scheint. Denn diese Krisensituation hat ihre Wurzeln tiefer als nur in der neuerlichen Spaltung der Sozialisten. Durch sie wurde auch die Zerrissenheit der Democristiani wieder offenkundig. Eine Zerrissenheit, die beim letzten Parteitag im Frühjahr nur mühevoll von Ministerpräsident und Parteiobmann Rumor gekittet werden konnte.

Ebenso wie bei den Sozialisten geht es weitgehend auch in der DCI um die Frage; ob man die Hereinnahme der zweitstärksten Partei Italiens, der Kommunisten, erwägen soll oder nicht. Erwägen, darum allein geht es. Denn an eine Einbeziehung war trotz der langdauernden Krise noch nicht gedacht. Um dieses Erwägen aber geht es sowohl bei der Spaltung der Sozialisten wie der innerparteilichen Diskussion in der DCI.

Es zeigt sich aber jetzt auch, daß die Vielfalt der Parteien — es gibt in Italien nämlich nach der Spaltung der Sozialisten insgesamt neun im römischen Parlament — und die damit verbundene Tatsache, daß keine Koalition möglich Ist, an der nicht mindestens drei bis vier Parteien beteiligt sind, wie ein gewaltiger Felsbrocken auf dem Rücken der italienischen Demokratie lastet.

Dazu kommt noch, daß auch die Parteien in Italien selbst keineswegs so einheitlich nach außen sind wie zum Beispiel in Österreich (trotz 3 Bünde in der ÖVP und mehrerer Gruppen in der SPCO. Der „maggioranza“, der bestimmten Mehrheit in jeder Partei, steht eine oft sehr starke „mino-ranza“ gegenüber. Oft aber sind es auch mehrere solche starke Minderheiten wie in der DCI. wo derzeit neben der Schar um Ministerpräsident Rumor und Parteisekretär Piccoli e!ne Gruppe mit Exaußen-xninister Sena!spräsident Fanfani und den Peflttikern Scalfaro und Tavioni vorhanden ist, die zeitweise zwar Rumor unterstützt, auf die dieser sich keineswegs auf Dauer verlassen kann.

In echter ,,rninoranza“, also in innerparteilicher Opposition zu Rumor, steht nach wie vor die Gruppe Moro und Colombo obwohl oder gerade weil Rumors Politik doch beim letzten Parteittag im Frühjahr ein weitgehendes „placet“ erhalten hat Daneben besteht aber noch ein Flügel um den zweimaligen Ministerpräsidenten Leone, der in Rumors Schwierigkeiten seine Chance sieht.

Während also die eine Krise des letzten .,Miitte-Links“-Kabinet;tis. nämlich die des sozialistischen Koalitionspartners, durch die Spaltung eigentlich gelöst ist, scheinen nun innerparteiliche Zwiespältigkeiten euch die DCI zu erschüttern.

An eine Spaltiung der Democristiani wagt man in Italien nicht zu denken, wäre doch dann die KPI die stärkste Partei im Lande. —

So gesehen werden jetzt und auch bei weiteren Krisen eigentlich immer drei Möglichkeiten zur Wahl stehen:

• Eine Koalition der DC nur mit

einem Teil der Sozialisten der PSI, was eine nur sehr knappe MehrheÄ bedeuten würde und damit eine gründliche Änderung der Politik;

• wieder ein DC-Minderheitskabi-nett wie vor den Wahlen, wobei diesmal die DCI mit einer scharfen Opposition der SPI rechnen müßte;

• oder und dazu wird es zweifellos kommen — ob heute oder morgen — nämlich zu Neuwahlen.

Gerade um diese drei Aspekte für ein künftiges Raken aber ringen die drei Gruppen innerhalb der DCI, werden dies, trotz des vorläufigen Erfolges der Verhandlungen und trotz Tagespolitik, auch weiter tun. Denn in den sogenannten politischen Ansichten der einzelnen DCI-Führer und deren Programmen sind weitgehend politische Ambitionen enthalten.

• So wäll und muß Rumor für die

Koalition eintreten, weil er über relativ geringe Hausmacht innerhalb der DCI verfügt und sich auf den innerparteilichen Stillhaltepakt mit der Fanfani-Gruppe nur dann stützen kann, wenn durch eine Koalition eben die Notwendigkeit des Anscheins eines innerparteilichen Friedens gegeben ist.

• Leone zum Beispiel hat sich als interimistischer Ministerpräsident mit Erfolg in Minderheitsregierun-gen in Italien einen Namen gemacht und hofft, wenn auch im stillen, wieder einmal auf eine derartige Lösung.

• Moro aber, dessen Stern nach den letzten Wahlen sank, glaubt, nach Neuwahlen als „der neue Mann“ in der Regierung gelten zu können und tendiert naturgemäß zu dieser Lösung.

So meinte die Süddeutsche Zeitung noch vor kurzem: „Die Krise ist an den Ausgangspunkt zurückgekehrt. Hätte es nicht schon einige derartige völlig unlösbare Krisen' in Italien gegeben, dann könnte man an Chaos denken.“

Tatsächlich scheint ein Chaos gerade in jener Zeit die italienische Regierung zu erfassen, wo es in anderen Bereichen so gut wie schon lamge nicht vorangeht.

• So hat Italien von allen EWG-Ländern mit Ausnahme Deutschlands die stärkste wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung zu verzeichnen und damit wesentlich aufgeholt.

• Die Inflationsrate konnte trotzdem gering gehalten werden und

blieb weit unter dem europäischen Durchschnitt.

• Der Fremdenverkehr in Italien — trotz zunehmender Konkurrenz Jugoslawiens, Griechenlands, Spaniens und der Oststaaten — entwik-

kelt sich heuer stark aufwärts, was man in Italien auf die starken Preisanstiege Jugoslawiens, die politische Konstellation in Griechenland, das schlechte Service in Spanien und die Auswirkung der CSSR-Krise auf die Oststaaten zurückführt.

• Schließlich sind auch im Südtirolproblem Fortschiritte erzielt worden, und vor allem gab es, was sich Rumor und seine Regierung zugute schreibt, seit über einem Jahr keine Anschläge an Etsch und Eisack zu verzeichnen.

Trotz dieser guten Bilanz der letzten Jahre fürchtet man in Italien aber, daß es nunmehr dazu kommen muß, daß die Kommunisten, die sich schon seit Jahren als „von Moskau unabhängig“ gerieren, in die Regierung genommen werden.

Longo, der seinen Herzinfarkt im Vorjahr gut überstanden hat, arbeitet jedenfalls zielstrebig darauf bin. Und in der DCI, die in ihrer Gesamtheit meilenweit linker steht als zum Beispiel die ÖVP in Österreich, ist man

gar nicht so abgeneigt, dazu „ja“ zu sagen. Besonders der durch die Jugend stärker gewordene linke Flügel der Democristiani faßt diese Möglichkeit ins Auge.

War bisher in Italien der KPI ebenso wie den Neofaschisten der Ruf des Chaos und der Korruption nachgehangen, so versucht man dieses Odium abzutun und faßt die Möglichkeit einer DCI-KPI-Koalition durchaus ins Auge.

„Soll man ihnen ruhig ein bis zwei Ministerien geben“, meinte ein Industrieller in Rom zur „Furche“ und übersah dabei, daß es bei der jetzigen Stärke der Kommunisten bei ein bis zwei nicht bleiben könnte und würde. Der Preis der KPI, die dann von einer auch in Italien vorhandenen APO den Vorwurf gemacht bekäme, nun auch mitzumachen, wäre zweifellos höher.

Zuerst befürchtet man aber auch außerhalb Italiens, daß eine solche Lösung der EWG neue Schwierigkeiten bringen — und daß damit die

Kommunisten endgültig salonfähig würden.

So bleibt der Zwiespalt: Nimmt man die KPI nicht in die Regierung, so fürchtet man nicht ganz zu Unrecht, daß Kommunisten bei Neuwahlen noch Stimmen und damit Stärke gewinnen könnten. Dann erst recht aber würden Longo und Genossen den Regierungseintritt zur unabdingbaren Forderung machen, die zweifellos mit Generalstreiks und Unruhen durchgesetzt würde.

Dort befindet sich heute die DCI, dort die jahrelang an der Macht befindliche „Mitte-Links-Koalition“. Dort bleibt sie, trotz der Neubildung des Rumor-Kabinetts.

Die Sackgasse aber mußte kommen, weil man in Italien jahrelang versäumt hat, Einigkeit innerhalb der gemäßigten Parteien und unter diesen zu erreichen. So triumphieren im sonnigen Süden, wo sich derzeit Hunderttausende und Millionen erholen, Krisen gerade zu einer Zeit, da dieses Land wirtschaftlich nach vorne kam.

Auch wenn „Ferragosto“, die ersten vierzehn Tage im August, die allen Italienern als Urlaub heilig sind, die Schlagzeilen über die Krise vorübergehend verschwinden ließen. Die große Krise für Italien bleibt. Eine Krise am Rande der Tatsache, daß der Kommunismus in einem NATO-Land die Zügel in die Hand zu nehmen droht.

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