6837954-1975_26_03.jpg
Digital In Arbeit

Die Aasgeier des Zerfalls

19451960198020002020

Die italienischen Regionahvahlen brachten den Kommunisten einen Wahlsieg, wie sie ihn seit 1945 nirgends in Westeuropa verzeichnen konnten. Und auch kaum, irgendwo auf der Welt vor Hitler. Und kaum je hat die Welt solche Kommunisten erlebt.'Als.stärkste Partei.in immer mehr Regionen fordern sie nicht etwa die tiefgreifende Veränderung aller Gesellschaf ts-struktüren, sondern Schaffung-neuer Arbeitsplätze. Sie fordern nicht etwa Verstaatlichung, sondern eine Wirtschaftspolitik, die durch entsprechende Anreize die' Investitionstätigkeit verstärkt. Man könnte meinen, wie Weiland die Sozialdemokratie seien auch die Kommunisten im Begriff, die besten Verwalter des kapital ist i sehen ] Systems zu werden. Jedenfalls in Italien.

19451960198020002020

Die italienischen Regionahvahlen brachten den Kommunisten einen Wahlsieg, wie sie ihn seit 1945 nirgends in Westeuropa verzeichnen konnten. Und auch kaum, irgendwo auf der Welt vor Hitler. Und kaum je hat die Welt solche Kommunisten erlebt.'Als.stärkste Partei.in immer mehr Regionen fordern sie nicht etwa die tiefgreifende Veränderung aller Gesellschaf ts-struktüren, sondern Schaffung-neuer Arbeitsplätze. Sie fordern nicht etwa Verstaatlichung, sondern eine Wirtschaftspolitik, die durch entsprechende Anreize die' Investitionstätigkeit verstärkt. Man könnte meinen, wie Weiland die Sozialdemokratie seien auch die Kommunisten im Begriff, die besten Verwalter des kapital ist i sehen ] Systems zu werden. Jedenfalls in Italien.

Werbung
Werbung
Werbung

In Portugal sieht die Sache etwas anders aus. Dort schickt sich die kommunistische Partei nicht etwa erst an, sich über den deklarierten Willen einer überwältigenden Wählermehrheit hinwegzusetzen und einem Volk aufzuzwingen, was es nicht will. Dort ist der Griff nach den Massenmedien bereits vollzogen. In, Portugal ist jede Meinung, die den Kommunisten nicht paßt, ausgeschaltet.

Frankreichs Kommunisten erwie-

sen sich als gelehrige Schüler. Marchais hat die von Cunhal entwickelte neue Strategie einer Revolution auf dem Umweg über die Terrorisierung der Massenmedien sofort begriffen und den „konkreten Gegebenheiten“ Frankreichs angepaßt. Auch in Frankreich wird, vorerst auf einem streng begrenzten Experimentierfeld, die Revolution durch Ausschaltung mißliebiger Meinungen eifrig geprobt.

In Portugal kann man es sich leisten und zögert daher auch nicht, den „revolutionären Kampf“ gegen die mächtigste und verläßlichste unbedingt demokratische Gruppierung, nämlich die Sozialdemokratie, aufzunehmen. Denn nur die Sozialdemokraten können Portugals Kommunisten noch gefährlich werden. In Frankreich ist es noch nicht so weit. Hier setzt man also bei einer Zeitung an, die nicht nur Kommunisten nicht gefiel. Aber was heute auf dem Spiel steht, ist trotzdem die Pressefreiheit als Errungenschaft einer bürgerlichen Revolution, deren dem Feudalismus abgerungene Freiheitsrechte, darunter die Volksjustiz und die Pressefreiheit, noch von einem Karl Marx mit keinem Wort in Frage gestellt wurden. (Allerdings hat er sie dem Schutz seiner Anhänger auch nicht besonders empfohlen.)

Nur Italien hat scheinbar das ungeheure Glück, daß hier offenbar am Totenbett eines verrottenden, zerfallenden Regimes eine integre, demokratische, durch und durch brave Kommunistische Partei bereitsteht, den Staat mit Methoden zu

retten, die sich von denen der Demo-cristiani und der Sozialisten beider italienischen Spielarten eigentlich nur durch die besondere Tüchtigkeit und Effizienz der Retter und deren strenge Absage an die Korruption unterscheiden.

Man kann dem italienischen Wähler seine Entscheidung für die Kommunisten nicht verdenken. Was gab es denn schon an Alternativen? Es gab außer den Kommunisten nur die Neofaschisten — und Parteien,

die in zwanzig Jahren immer mehr zu Marionetten feudalistischer und kapitalistischer Kräfte wurden. Am Italien der vergangenen zwei Jahrzehnte kann man studieren, wie ein Land jenen point of no return erreicht, hinter dem, wenn er einmal überschritten ist, die Anpassung eines politischen Systems an sich verändernde Bedingungen immer schwieriger und zuletzt unmöglich wird.

Italien verfügt durchaus über einige Konzerne, die bereit und in der Lage gewesen wären, zu Trägern einer Metamosphose des klassischen Kapitalismus zum modernen Sozialstaat im westeuropäischen Sinne zu werden. Die andere, zutiefst im Feudalismus wurzelnde und vom Feudalismus geprägte, borniertere Spielart des Kapitalismus war stärker.

So, wie die Dinge in Italien heute für die Arbeiterschaft liegen, ist deren Option für die braven, sauberen, integren, demokratischen, effizienten Kommunisten sehr begreiflich. Um es nicht allzu zynisch auszudrücken: Wenn man sich darauf verlassen könnte, daß in Italien statt der Sozialisten, die es halt leider nicht geschafft haben, die Kommunisten die Metamorphose zu den besseren Managern des modernen Kapitalismus vollziehen, wären sie eine sehr erfreuliche Partei.

Leider aber kann man sich darauf verlassen, daß sie diese Metamorphose zu einer, man kann es auch so sagen, eben demokratischen Partei nicht vollziehen können und nicht

vollziehen wollen. Vielleicht glaubt ein Berlinguer was er sagt. Aber es gibt im italienischen Kommunismus heute eine breite Schicht von Leuten, die sehr genau sagen, was sie wollen.

Am Vorabend der italienischen Wahlen zeigte das österreichische Fernsehen einen mehrere Jahre alten satirischen Film aus Italien, in dem die Kommunisten zu ihrer eigenen Überraschung die absolute Mehrheit erringen — und, nicht zuletzt auf Grund Moskauer Intervention, vor der Machtergreifung zurückschrecken, um den sowjetisch-amerikanischen weltpolitischen Status quo nicht zu gefährden. Es ist ein Film, der noch zutiefst von der Erfahrung “geprägt ist, wie sich Frankreichs Kommunistische Partei in der französischen Staatskrise von 1968 verhielt. Seither hat sich sehr Viel verändert. Marchais ist kein Waldeck-Rochet, die Verhälthisse von 1975 sind nicht die von 1968, und sie scheinen sich auch weiterhin immer mehr in eine Richtung zu entwickeln, die die kommu-

nistischen Parteien ermutigt, Chancen zur Machterringung nicht ungenützt zu lassen.

Ob ein Berlinguer nun persönlich entschlossen ist, die Macht auf Grund einer absoluten Wahlmehrheit, die ja heute keineswegs mehr als unmöglich betrachtet werden kann, nach der nächsten Wahl wieder. abzugeben oder nicht, ist unwichtig. Der westeuropäische Kommunismus erfuhr, sollte er (wer es glauben will, soll es glauben) in den letzten zehn oder 15 Jahren in Richtung auf demokratische Leitbilder geprägt worden sein, durch das portugiesische Exempel eine tiefgreifende Umprogrammier.ung und Neufestlegung. Was immer ein Ber-linguerwill — er muß wissen, daß es darauf nicht ankommt.

Im erwähnten Film wird ein kleiner kommunistischer Redakteur, der mit einer absoluten Mehrheit für die Kommunisten schon die Revolution angebrochen sieht, nicht etwa zurückgepfiffen, sondern unter diskrete Bewachung gestellt. Berlinguer hat die lebenden Vorbilder dieser Filmfigur zurückgepfiffen. Sie verkündeten nach den Regionalwahlen, es sei nun keine Zeit der Kompromisse mehr. Sie hielten schnell wieder den Mund.

Frankreichs Kommunisten sind um das radikaler, was sie näher zu Portugal sind, und weiter von einer Situation, in der sie sich durch Radikalität um mögliche Wählergunst bringen könnten. Denn Frankreich ist nicht in einer Situation, in der Hoffnungslosigkeit die Menschen in die Arme der Kommunisten treibt.

Der Versuch, über den Griff nach der Pressefreiheit dem Ziel etwas näherzukommen, ist logisch.

In Italien aber steht für die Kommunisten alles auf dem Spiel. Die nächsten Parlamentswahlen können sie zur stärksten Partei im Parlament machen. Aber jedes Lüften des Schafspelzes kann sie um ihre Chancen bringen. Frankreichs Kommunisten haben sich nach 1968 als Ordnungsmacht empfohlen — da aber in Frankreich mittlerweile wieder Ordnung herrschte, sah der Wähler keinen Grund, es zu honorieren. In Italien sind Millionen Wähler verzweifelt. Hier haben die Kommunisten als Ordnungsmacht eine Chance. Die Rollen im internationalen Konzert der kommunistischen Parteien sind logisch und richtig verteilt.

Was in Italien jetzt möglich erscheint, ist in der Sowjetunion und in Portugal geschehen: Kommunistische Machtergreifung im Gefolge eines Zusammenbruches staatlicher Machtstrukturen. Die Sowjetunion war 1917 wie Portugal 1974 ein verrottetes, zerfallendes, vermorschtes Gebilde. In beiden Fällen haben aber nicht Kommunisten diesem Gebilde den Todesstoß versetzt. In Leningrad wie in Lissabon hätte eine ungehinderte demokratische Entwicklung demokratische Mehrparteienstaaten hervorgebracht, jn denen zumindest auf längere Sicht sehr wahrscheinlich die Sozialdemo-

kratien am längeren Hebel gesessen wären.

Die Kommunisten haben in beiden Fällen eine demokratische Entwicklung verhindert. Sie haben in beiden Fällen nach vollzogener Revolution ein politisches Vakuum, in dem sich neue politische Strukturen zu bilden begannen, mit Diktatur gefüllt. Sie haben in Rußland eine auf den Trümmern einer Diktatur entstehende Demokratie vernichtet und eine neue Diktatur errichtet. Ein Lenin, ein Trotzki haben sich noch den Kopf darüber zerbrochen, wie der Sozialismus, den sie meinten, mit dem Willen der Massen auf einen Nenner gebracht werden könnte. Ein Cunhal zerbricht sich darüber kaum den Kopf.

Der Kommunismus als Erbe von Diktaturen, die andere zu Fall gebracht haben, Palastrevolutionäre, die die echten Revolutionäre ausschalten. Man könnte auch sagen: Aasgeier des Zerfalls. Das portugiesische Exempel gibt den demokratischen Sozialisten aller Spielarten, die noch bestehende Diktaturen in Demokratien verwändein wollen, zu denken. Eine der wichtigsten Zukunftsfragen für Europa ist es heute, wie etwa im Falle eines Zusammenbruches des jetzigen spanischen Regimes, der Übergang zu einer spanischen Demokratie vollzogen und der Mehrheitswille realisiert werden könnte — unter Ausschaltung der Aasgeier der Revolution, die schon auf den Telegraphenstangen warten.

Es bedarf dabei keiner Erwähnung, daß sie die Situationen, die sie

in Portugal genützt haben und die ihnen in Italien zugutekommen, nicht herbeigeführt haben. Immer signalisiert ihr Auftreten ein Versagen anderer gesellschaftlicher Kräfte. Was die italienische Situation so gefährlich macht, ist ihre Ausweglosigkeit. Italien hat den point of no return schon so weit überschritten, daß niemand mehr ein Rezept zu geben vermag, wie der weitere Zerfall aufgehalten werden könnte.

Und kein demokratischer Staat kann darauf bauen; daß er von Krisen verschont bleibt. Von Krisen, deren größte Gefährlichkeit längst darin liegt, daß sie den Gegnern der Demokratie Chancen geben. Gegnern von rechts wie von links, wobei aber die. Möchtegerndiktatoren vom faschistoiden Formenkreis augenblicklich weniger gefährlich zu sein scheinen.

Ein großer Teil der europäischen Jugend reagiert heute dem Kommunismus gegenüber so ahnungslos und borniert wie einst ihre Väter und Großväter auf den heraufziehenden Nationalsozialismus reagiert haben. Die Feschheit des Kommunismus, die Feschheit, lie großen, repräsentativen gesellschaftlichen Kräfte im modernen pluralistischen Staat, die konservativen Parteien und den demokratischen Sozialismus, langweilig, altvaterisch und abgestanden zu finden, resultiert aus

demselben Mitläufertum wie einst die ionescosche Nashomwerdung, die Metamorphose vom Menschen zum Nationalsozialisten.

Einst wie heute ist nicht zuletzt die Lust am Untergang, ist ein kollektiver freudscher Todestrieb (ob Trieb im Sinne naturwissenschaftlicher Triebdefinition oder nicht) am Werk, entzündet sich freilich an sehr realer Unterdrückung und Ausbeutung. Wie einst das Herausfliehen des Nationalsozialismus, werden heute die Chancen des europäischen Kommuniusmus durch eine Wirtschaftskrise gefördert, die von hier ihre gefährlichste Dimension erhält. Denn der tiefe Schock der Weltwirtschaftskrise beruht ja nicht zuletzt ft auf ihren politischen Folgen.

Sollte Portugal nun tatsächlich ein kommunistischer Staat werden oder mit Hilfe der Kommunisten ein ghaddafistischer, was wahrscheinlich, sollten Italiens Kommunisten demnächst auch als stärkste Fraktion ins Gesamtparlament einziehen, was zumindest nicht unwahrscheinlich erscheint — eine Wende zur Vernunft im restlichen Europa ist nicht wahrscheinlich. Eher schon das Gegenteil, ein Aufspringereffekt, opportunistisches ideologisches Mitläufertum.

Genau dieses Mitläufertum ist es, das den wirtschaftlich gesunden, keineswegs verrotteten, keineswegs vom Einsturz bedrohten Rest von Europa in Gefahr bringt, immer mehr in eine von der Sowjetunion abhängige Satellitenrolle zu schlittern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung