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Zwietracht in Frankreichs Linksbündnis

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Die sozialistisch-kommunistische Regierungskoalition ist gerade durch ein Vertrauensvotum der Pariser Nationalversammlung wieder gekittet worden. Aber kaum ein politischer Beobachter in Paris glaubt an die Möglichkeit, einen endgültigen Bruch zu vermeiden. Die Frage ist nur der Zeitpunkt.

Die Parlamentsdebatte, die der Abstimmung vorausging, beleuchtete grell die Absurdität der Lage. Premierminister Mauroy mußte auf höchste Anweisung den Kommunisten die Unabänderlichkeit der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung verkünden, wollte aber trotzdem nicht auf sein tiefes Glaubensbekenntnis zur Linksunion verzichten. Auf eine zwar an einigen Stellen energische, insgesamt aber blasse Regierungserklärung ließ er vor dem Gang der Abgeordneten zur Urne einige teilweise geschmacklose Liebenswürdigkeiten für die Kommunisten folgen.

Mauroy verstieg sich sogar zu der lächerlichen Behauptung, jüngste aggressive Pressekommentare über den unzulässigen Flug einer sowjetischen Zivilmaschine in der Sperrzone des Kriegshafens von Toulon als bösartige Angriffe gegen beide Regierungsparteien zu brandmarken.

Die Kommunisten überraschten zunächst durch eine im Ton äußerst gemäßigte Stellungnahme, ohne deswegen auf ihre Kritik der Regierungspolitik zu verzichten. In einer zweiten Etappe warfen sie jedoch Mauroy vor, ihren Wünschen nicht im geringsten entgegengekommen zu sein, um dann trotzdem wissen zu lassen, daß sie ihm ihr Vertrauen nicht versagen werden.

Das politische Manöver Mitterrands mit der Vertrauensfrage erwies sich demnach als Schlag ins Wasser. Die Kommunisten befinden sich weiterhin gleichzeitig in der Regierung und in der Opposition mit aggressiver Zurückweisung aller konkreten Maßnahmen.

Besonders unerträglich ist hierbei für die Sozialisten ihr demagogisches Verhalten, denn sie nehmen nicht die geringste Rücksicht auf die wirtschaftlichen Realitäten und empfehlen Lösungen, die finanziell ruinös für Frankreich sind oder es verpflichten würden, sich entweder hinter protektionistischen Mauern zurückzuziehen oder sich wirtschaftlich dem Ostblock anzuschließen.

Besonders bedenklich stimmt das mangelnde Verständnis der Kommunisten für die Grundregeln der Demokratie. Sie forderten so dieser Tage vom Premierminister einen autoritären Eingriff in ein schwebendes Verwaltungsgerichtsverfahren und hiermit gegen die Unabhängigkeit der Justiz. Dadurch sollte die Nichtigkeitserklärung von Gemeindewahlen in zwei Städten mit bisheriger kommunistischer Mehrheit verhindert werden.

Entgegen ihren Behauptungen halten sich hiermit die französischen Kommunisten genau an das sowjetische Modell. Dies gilt auch für die Pressefreiheit, denn sie billigten eine unverschämte sowjetische Demarche gegen die Pressekommentare in der erwähnten Flugzeugaffäre, als ob die französischen Zeitungen den gleichen Zwängen unterlägen wie die „Prawda" oder die „Iswesti-ja".

Mitterrand gab sich der Illusion hin, durch die Vertrauensfrage die Kommunisten in ein schiefes Licht zu rücken, indem sie sich durch das von ihnen erwartete Jawort in der öffentlichen Meinung erniedrigten, weil sie sich in Abkehr von ihren Uberzeugungen seinem Willen unterwarfen und seine Überlegenheit öffentlich anerkannten.

Die kommunistische Taktik besitzt jedoch eine innere Logik. Die Partei hält es für ihre Pflicht, zur Wahrung der Interessen der Arbeiter ihren Kampf nicht nur in den Fabriken und auf der Straße zu führen, sondern auch innerhalb des Kabinetts, in der berechtigten Annahme, dessen Kurs in gewissen Grenzen zu beeinflussen. (Kurz vor der Parlamentsdebatte beschloß z. B. die Regierung gegen die wirtschaftliche Vernunft eine Aufstockung der Kaufkraft des gesetzlichen Mindestlohns um 1 Prozent).

Sie vertritt ferner die These, daß ohne ihre Unterstützung die Linke nicht mehr lange an der Macht bleiben kann und ihre aktive Mitarbeit zur Verhinderung der revanchistischen Rückkehr der konservativen Kräfte unentbehrlich ist. Nicht zuletzt bringt die Regierungsbeteiligung den Kommunisten nicht unerhebliche Vorteile, besonders zur Unterwanderung des Staatsapparats.

Es fällt ihnen daher nicht allzu schwer, ihren politischen Seiltanz den Mitgliedern gegenüber zu rechtfertigen. Ferner hält die Parteiführung eine Zuspitzung der wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten für gewiß und hiermit auch den katastrophalen Fehlschlag Mitterrands, der von Anfang an ein maßgebender Faktor ihrer politischen Rechnung gewesen war.

Sie benötigt allerdings dieses schlimme Ende des sozialistischen Experiments eines seinem Wesen nach wenig sozialistischen Präsidenten unbedingt, um ihre Schwächen zu beseitigen. Denn die Partei leidet unter Mitgliederschwund und mangelnder Dynamik ihrer militanten Kräfte. Ihre Gewerkschaft bewies zudem in jüngster Zeit ihre Unfähigkeit, die Arbeiter zu mobilisieren. Die bevorstehende Europawahl droht für sie zu einer bitteren Niederlage zu werden. Ihr bester Rückhalt ist der dogmatisch-traditionelle Glaube an die Zeit, die für sie arbeitet.

In diese Spekulation darf sie den sich augenblicklich bei den Sozialisten ansammelnden

Sprengstoff einbeziehen. Deren linker Flügel macht sich ebenso kritisch bemerkbar wie die Kommunisten. Nach seinen Vorstellungen müßte Wirtschaftsminister Delors schleunigst zurücktreten, die Wirtschaft durch massive staatliche Interventionen ohne Rücksicht auf das Haushaltsdefizit angekurbelt werden, Frankreich aus dem Europäischen Währungssystem ausscheiden und vor protektionistischen Maßnahmen nicht zurückschrecken.

Schwerer ins Gewicht fällt die sich abzeichnende Identitätskrise. Was bleibt vom Sozialismus übrig, wenn die Regierung eine Politik verfolgt, die sich von derjenigen Helmut Kohls oder Margaret Thatchers kaum unterscheidet? Eine sozialistische Partei ohne Ideologie ist ein Körper ohne Seele, besonders weil diese Partei stets den sozialdemokratischen Weg entschieden abgelehnt hatte. Die Realitäten lassen jedoch bis auf weiteres der Ideologie keinen Spielraum mehr.

Inzwischen müssen die Regierungsparteien in sämtlichen Nachwahlen empfindliche Stimmenverluste hinnehmen. Nichts vermag diesen Zerfall aufzuhalten. Nicht weniger pessimistisch sind die Meinungsbefragungen. Der Prozentsatz derjenigen, die Mitterrand und seinem Premierminister kein Vertrauen mehr schenken, nimmt regelmäßig zu.

Diese Ergebnisse müssen sehr ernstgenommen werden, denn sie sind das Spiegelbild einer sich im Land ausbreitenden Verbitterung über einen sozialistischen Dirigismus, den die meisten nicht mehr verstehen und den sehr viele nicht mehr hinnehmen wollen.

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