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Lohn der Angst

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In der Politik wie im Krieg gilt ein unumstößlicher Grund- j satz der Taktik: Demnach verdankt ein Sieger seinen Erfolg oft , weniger seiner eigenen Kampfstärke und Überlegenheit, als viel- 1 mehr jenen Vorteilen, die ihm die Ängstlichkeit und die Unge- i schicklichkeit seines Gegners in die Hände spielen. Gewiß, die ' SPÖ hat für die Entscheidung vom 5. Oktober 1975 eine erhebli- 1 che Kampfstärke, an manchen Punkten auch eine Überlegenheit : ins Treffen führen können. Daß sie auch diesmal als die stärkste Partei aus dem Wahlkampf hervorging, das ist bei weitem nicht ein Ertrag ihrer derzeitigen inneren Verfassung, ihrer Kampfkraft sowie der Verkörperung all dessen in der Person Bruno Kreiskys. Offen gesagt: die SPÖ siegt an vielen Kampfabschnitten deswegen, weil unter ihren Gegnern vielfach Angst vor einem Sieg bestand. Ich meine die reale Angst vor den Gefahren, die vom Revanchismus einer eventuell geschlagenen SPÖ drohen könnten. Solche Ängst bestand bei Großindustriellen ebenso wie bei kleinen Geschäftleuten. Die ÖVP wagte nicht, diese Angst vor und während des Wahlkampfes zu artikulieren, und sie, wofür genug Gründe bestanden, zu zerstreuen.

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In der Politik wie im Krieg gilt ein unumstößlicher Grund- j satz der Taktik: Demnach verdankt ein Sieger seinen Erfolg oft , weniger seiner eigenen Kampfstärke und Überlegenheit, als viel- 1 mehr jenen Vorteilen, die ihm die Ängstlichkeit und die Unge- i schicklichkeit seines Gegners in die Hände spielen. Gewiß, die ' SPÖ hat für die Entscheidung vom 5. Oktober 1975 eine erhebli- 1 che Kampfstärke, an manchen Punkten auch eine Überlegenheit : ins Treffen führen können. Daß sie auch diesmal als die stärkste Partei aus dem Wahlkampf hervorging, das ist bei weitem nicht ein Ertrag ihrer derzeitigen inneren Verfassung, ihrer Kampfkraft sowie der Verkörperung all dessen in der Person Bruno Kreiskys. Offen gesagt: die SPÖ siegt an vielen Kampfabschnitten deswegen, weil unter ihren Gegnern vielfach Angst vor einem Sieg bestand. Ich meine die reale Angst vor den Gefahren, die vom Revanchismus einer eventuell geschlagenen SPÖ drohen könnten. Solche Ängst bestand bei Großindustriellen ebenso wie bei kleinen Geschäftleuten. Die ÖVP wagte nicht, diese Angst vor und während des Wahlkampfes zu artikulieren, und sie, wofür genug Gründe bestanden, zu zerstreuen.

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Politische Angst, getarnt als rein wirtschaftliches Denken oder realpolitische Klugheit ist ein Element der politischen Willensbildung, das in gewissen Krisenzeiten regelmäßig in liberalen Industrie- und Wirtschaftskreisen zutage tritt. Diese Angst verleitet immer wieder zu den mörderischen Experimenten des Appeose-ments, manchmal zu seltsamen Allianzen mit den Kräften des Umsturzes.

Lange vor 1918 haben liberale Industrie- und Wirtschaftskreise Österreich-Ungarns im Sinne einer sogenannten Realpolitik oder eines angeblichen Pazifismus ihre traditionellen Verbindungen zu politischen, zuletzt auch zu militärischen Gegnern der Monarchie spielen lassen, um bei der Katastrophe Altöster-reiohs nicht auch noch eigene Besitztümer vollends zu verlieren. Ende der zwanziger Jahre, als die Spätkrise der Christlichsozialen Partei offenkundig wurde, haben die nämlichen Kreise ihr finanzielles Potential immer mehr jenen politisch orientierten Wehrverbänden zukommen lassen, von denen sie sich fortan eher eine Abstützung des bestehenden Wirtschafts- und Gesellschafts-systemes erwarteten. 1936 hinwiederum wurde diese Förderung zum Beispiel der Heimwehr abrupt entzogen, als feststand, daß der über das schutzlos gewordene Österreich hereinbrechende Nationalsozialismus längst seinen Pakt mit dem geschlossen hatte, was in seiner Auslandspropaganda das „Monopolkapital“ hieß. Wach. 1945 wähnten sich die in Rede stehenden Kreise im Schutz der anfänglich stark und entschieden auftretenden christdemokratischen Parteien sicher. In dem Maß, in dem nach dem Tode Adenauers und Raabs nicht nur die atraktiven Verkörperungen der Programme dieser Parteien, sondern auch deren mehrheitsbildender Appell an die Massen dahinschwanden, vollzog der Neoliberalismus in den sechziger Jahren seine historische Ziehung nach links. Indem er metaphysischen Grundsätzen, wie sie Wilhelm Röpke zuletzt vertreten hat, den Rücken kehrte, geriet er in seiner neuen Allianz mit der politischen Linken bis in die unmittelbare Nachbarschaft von sozial-revolutionären und anarchistischen Kreisen der Neuen Linken. Der gemeinsame Kampf gegen die „Schwarzen“ wurde dabei das einigende Band.

Für liberale Industrie- und Wirtschaftskreise genügte es fortan, im Verband einer Linksregierung einige Minister aus dem Kader einer jener Parteien zu haben, die gestern noch national-freisinnig waren, heute aber sich als „liberal“ hinstellen. Dieser sozialistisch-liberalistischen Allianz verdankt in der BRD das Regime Willy Brandts ebenso sein Entstehen wie die seinerzeitige SPÖ-Minori-tätsregierung in Österreich (1970/71) ohne den von der FPÖ gegebenen Flankenschutz nicht an der Macht hätte bleiben können.

Die christlichdemokratischen Parteien sind sich wahrscheinlich noch gar nicht dessen bewußt geworden, daß ihre derzeitige Lähmung weniger auf Grund der Übermacht der Linken herrscht, als vielmehr auf Grund von liberalen Infarkten.

Im Umkreis der „Paritätischen Kommission für Preis- und Lohnfragen“ findet außer der von der FPÖ geleisteten eine zweite Abstützung des Regimes der SPÖ statt. Derzeit ist diese Kommission mit sieben sozialistischen Regierungs- und Interessenvertretern besetzt (Kanzler, Innenminister, Handelsminister, Sozialminister, ÖGB, sowie Arbeiterkammer), denen zwei Funktionäre aus Verbänden, in denen die ÖVP eine Mehrheit stellt (Handelskammer, Konferenz der Landwirtschaftskammern) gegenüberstehen. Es ist ein Selbstbetrug), diese Kommission und ihre heutige Bedeutung als ein Fortwirken der in der Ära Raab bestandenen Partnerschaft anzusehen. Die heutige Zusammensetzung der fraglichen Kommission dient der sozialistischen Propaganda vielmehr als eine ausgezeichnete Vorlage zur Illustration des „Klassenkampfes“ in Österreich. Während die SPÖ-Amts-inhaber und Funktionäre die Interessen der Arbeitnehmer und Konsumenten vertreten, fällt den ÖVP-Funktionären die Verteidigung der „Vorrechte der Arbeitgeber und Produzenten“ zu. Dazu kommt noch eine für die SPÖ äußerst vorteilhafte Nebenwirkung. Haben nämlich einmal in der fraglichen Kommission die aus Kreisen der ÖVP kommenden Interessenvertreter einer gewissen Einigung zugestimmt, dann sind diese, wenn sie nachher auf den Bänken der ÖVP-Oppsition im Nationalrat sitzen, in diesem Belang mundtot gemacht. Wie aber sollte die ÖVP in den entscheidenden Fragen, und das sind derzeit jene der Wirtschafts- und Sozialpolitik, eine durchschlagende parlamentarische Oppositionspolitik, also Kontrolle, Kritik und Alternativanträge, betreiben, wenn sie sich durch ihre Sprecher in der Paritätischen Kommission schon längst gebunden hat? So wird die „Partnerschaft“ in der Paritätischen Kommission ein Krepierhalfter der ÖVP, wie es schon einmal die Koalition gewesen ist, als in ihr die Initiative an die SPÖ übergegangen war.

Psychologisch wohlbedacht hat Bruno Kreisky die von der ÖVP vorgeschlagene nationale „Zusammenarbeit nach der Wahl“ vorweg abgelehnt. Mit dieser Ablehnung tauchte vor liberalen Industrie- und Wirtschaftskreisen das Schreckgespenst einer eventuell in Opposition und Revanchismus abgedrängten SPÖ auf. Wieder einmal, wie schon in den zwanziger Jahren, schien man damit rechnen zu müssen, daß eine oppositionelle Linke im Kampf gegen die Regierung nicht nur ihre parlamentarische, sondern vor allem ihre außerparlamentarische Opposition ins Treffen führen werde. Als eine derartige APO gegen die „Kapitalisten in der Regierung“ würde sich eo ipso der sozialistisch gesteuerte ÖGB anbieten. Über den ÖGB wird noch ein Wort zu sagen sein.

Wer Ohren hatte und hörte, weiß, daß die Angstneurose gewisser Industrieller und Wirtsohaftstreiben-der am Vorabend des 5. Oktober zu oft den entschiedenen Mut zum Siegen im Umkreis der ÖVP verdrängt hat. Aus dieser Angst nimmt man lieber jenen Schrumpfungsprozeß der freien Wirtschaft und der freien

Berufe hin, den Zusammenbruch des Mittelstandes, sowie das Wachstum des in sozialistischen Händen befindlichen Staatskapitalismus, als womöglich in der Stunde des letzten und endgültigen Sieges des Marxismus als dessen Gegner bloßgestellt zu sein.

Christdemokraten verfügen nirgends über eine APO von der Art, wie sie die Linke stets zur Hand hat. Die Kirchen haben den Christdemokraten die Lizenz für den Gebrauch des Eigenschaftswortes „christlich“ längst nicht mehr verlängert. Sie sehen dem ungleichen Kampf der Christdemokraten mit deren Gegnern auf der Linken zu, als ginge es dabei um Belange, die mit Gott, dem Glauben und der Kirche überhaupt nichts zu tun haben. Die Technokraten unter den Christdemokraten geben zu einer derartigen Betrachtungsweise ihrerseits Anlaß genug.

Um keine „untunlichen Emotionen“ zu wecken, blieben in den Auseinandersetzungen des letzten Wahlkampfes einfach jene Streitpunkte unter Verschluß, bei denen es nicht um das nackte Geld ging, sondern um den religiösen Glauben und dessen Bedeutung bei politischen Entscheidungen im modernen Parteienstaat. Und so blieb aus gegenseitiger Rücksichtnahme die in 'Österreich bereits lizenzierte Tötung des Kindes im Mutterleib außer Diskussion; die SPÖ hat es peinlich vermieden, die Fernziele der von ihr gedachten „Reform“ des Ehe- und Familienrechtes aufzudecken; das sozialistische Experiment: Revolutionierung des Schulwesens zwecks Re-volutionierung der Gesellschaftsordnung fand — außer in Vorarlberg — kaum Erwähnung; der Wahlkampf verlief, als gäbe es in Österreich nicht das Problem der Pornokultur; ganz bewußt kontrastieren Sozialisten die Unantastbarkeit der „persönlichen Freiheitssphäre“ mit dem bürgerlichen „Sexualmonopol in der Ehe“, ohne, daß man sich in der sogenannten öffentlichen Meinung um die daraus kommenden Folgen, um die eklatanten Erziehungsnotstände in der Familie groß kümmern würde.

So bekam der Stil, in dem der Wahlkampf geführt wurde, immer mehr den Charakter, als ginge es dabei lediglich um gewisse Verschiedenheiten in bloß materialistischen Auffassungen, für die im übrigen sowohl im Lager der Christdemokraten als auch in jenem der Sozialisten größtes Verständnis besteht. Als würden die bestehenden Verschiedenheiten im Bild des Menschen sowie in den Vorstellungen von der Ordnung des ganzen gesellschaftlichen Lebens, die unverrückbar zwischen beiden Lagern bestehen, überhaupt nicht erwähnenswert sein.

Die sozialistische Antwort auf das kirchliche Anerbieten von 1974, nämlich die Versöhnung, und auf das von Josef Taus neu Interpretierte, nämlich die Zusammenarbeit, wurde Ende September 1975 auf dem heurigen Bundeskongreß des ÖGB, sozusagen vor den Augen und Ohren des Kardinal-Erzbischofs von Wien, erteilt. Bis dahin war vielen Christdemokraten und christlichen Gewerkschaftern gar nicht klar geworden, wie schleißig das System der Zusammenarbeit in einer Partnerschaft, das einmal unter Julius Raab und Johann Böhm entstanden ist, seither längst geworden ist. Schon der erste Nachfolger Böhms, Franz Olah (bis 1963), besorgte im Verein mit Bruno Kreisky und Felix Slavik jenen Brückenschlag zur FPÖ, dessen Kosten Olah aus Gewerkschaftsgeldern bestritt; und aus derselben Quelle holte Olah auch die Mittel zur Aufrüstung der „Kronen-Zeitung“, die seither mit großer Virtuosität das Image einer bestenfalls „zweitbesten“ ÖVP den Christdemokraten in Österreich anhängt. Anton Benya (seit 1963) hatte im sozialistisch gewordenen Österreich keine Scheu, kurz vor der Wahl vom 5. Oktober alle Rücksichtnahme auf die christlichen Gewerkschafter im ÖGB fallenzulassen.

Benya machte sich dabei zum Sprecher sozialistischer Großfunktionäre im ÖGB, die vom sozialistischen Establishment mit Ämtern, Funktionen und Pfründen überhäuft werden, wie sowjetische Marschälle mit Kriegsauszeichnungen. Diese sozialistischen Großfunktionäre, bedingungslose Parteigänger der SPÖ, haben es auf dem Gewerkschaftskongreß von 1975 unternommen, einem „Schwarzen“ dessen Nähe zur

ÖVP anzukreiden; ihm mittels eines roten Zollstocks eine zu große Nähe zur ÖVP zuzumessen; und ihm darnach die Eigenschaft eines „gestandenen“ Gewerkschaftsfunktionärs abzusprechen.

Gewiß, im sozialistisch gewordenen Österreich besteht keine Notwendigkeit mehr, christlichen Gewerkschaftern jene Rücksichtnahme zu erweisen, die man 1945 sehr gerne zur Schau stellte, um dafür die sozialistisch gesteuerte Einheitsgewerkschaftsbewegung im ÖGB zu erlangen. Die damalige Mitgift der christlichen Gewerkschafter war sehr groß. Denn vor 1933 standen auf dem Boden der sozialdemokratischen Richtungsgewerkschaften nur

58 Prozent aller gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer. Also ungleich weniger, als heute die sozialistische Fraktion im ÖGB ausmacht. Seit 1925, seit der Wirksamkeit der Seipel-Sanierung, sank beständig die Zahl der Mitglieder sozialistischer Gewerkschaften, während die nicht-marxistisohen insgesamt schließlich 42 (!) Prozent aller gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer organisieren konnten.

1975, am 30. Jahrestag der Gründung des ÖGB, wurde dessen Fraktion christlicher Gewerkschafter die Solidarität mit der gewerkschaftlichen Einheit schlecht belohnt. Sie bleibt fortan im Präsidium des ÖGB unvertreten, weil dem Präsidenten Benya der von der FCG vorgeschlagene Kandidat für den 3. (sie) Vizepräsidenten nicht genehm war. Doch nicht darin bestand die Niederlage der FCG. In deren eigenen Reihen machte eine starke Gruppe mit der Ansicht der sozialistischen Großfunktionäre gemeinsame Sache, fiel vor den Augen des Gegners dem offiziellen Kandidaten der FCG in den Rücken. Und das war der Sieg der Linken.

Die überragende Bedeutung der bündischen Struktur der ÖVP, das Unvermögen der Gesamtpartei,am Vorabend einer entscheidenden Nationalratswahl in sich alle Kräfte der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf die Erreichung des Wahlsieges, also den Abbau der sozialistischen Monopolherrschaft in der Republik, zu zentrieren, würde am 5. Oktober wieder einmal so sichtbar, daß ein Blinder dieses Manko mit dem Stock greifen kann. Man möge in einer Stunde wie dieser aber auch nicht den Erfolg der SPÖ überschätzen. Die rhetorisch gemeinte Frage der SPÖ-Propaganda: Kreisky — wer sonst? — deckt nämlich die ganze Fatalität auf, in der sich heute die SPÖ ebenso befindet wie die ÖVP am Ende der Ära Raab. Kreisky, der „Mann ohne Eigenschaften“, hinterläßt eine gut gemanagte Partei ohne Eigenschaften und einen Haufen von Kronprinzen ohne Eigenschaften.

Kreisky leitet sein österreichbe-wußtsein gerne aus dem ab, was der österreichische Dichter Josef Musil in dem Werk „Der Mann ohne Eigenschaften“ aufzeigt: geistige Unabhängigkeit, Freiheit aus der Distan-ziertheit zu Dingen, denen er sich nicht hingibt, zu denen er vielmehr gewisse Abstände zelebriert. Da ist der von Kreisky tiefernst gemeinte Abstand zu seiner jüdischen Herkunft; der Abstand zur bürgerlichen Enge im Elternhaus; der Abstand zu jenem anfänglichen Linksliberalismus, der in seinem Fall spätestens bei seiner Verteidigung im Sozialistenprozeß von 1936 in das Bekenntnis zum revolutionären Sozialismus umschlug. Und da ist der Abstand zur Tradition einer Arbeiterpartei, den die erste sozialistische Alleinregierung mit ihren Doktoren, Generälen und Diplomaten unübersehbar markiert. Und all das soll Freiheit, Frische und sachliche Kühle präsentieren.

Dem entgegen ist Josef Taus in einer Stunde wie dieser als Mann mit Eigenschaften aufgerufen. Freilich nicht in jenem abträglichen Sinn, mit dem Josef Musil in seinem Werk „Der Mann ohne Eigenschaften“ diesen dem Popanz eines präfixierten „Mannes“ mit Eigenschaften gegenüberstellt. Josef Taus lebt nicht aus Abständen, wie es vor Bruno Kreisky schon John F. Kennedy versuchte. Taus leugnet nicht seine christliche Herkunft und Anschauung, er schiebt sie aber auch nicht wie ein Schneepflug vor sich her; er würde sich schämen, einen Abstand zu seinem proletarischen Elternhaus zu legen, ohne daß er deswegen abgetragene Kleider und Sitten anlegte, wenn er in Arbeiterkreisen verkehrt; Taus muß nicht seine Bildung für jenen modernen Intellektualismus zurechtbiegen, mit dem heute der Verstand vieler Intellektueller zum Schaden des Ganzen nicht fertig wird; und Taus sucht neue Horizonte nicht deswegen, weil ihm innerhalb der Horizonte einer „zerfallenden bürgerlichen Welt“ etwas unheimlich ist.

Was Kreisky, selbst im besten Sinne verstanden, als Mann ohne Eigenschaften an sich hat, das ist für Taus so gewesen wie die Welt, aus der Kreisky kam.

In der ÖVP soll und wird die Ära Taus nicht eine Serie von Programmund Reformdebatten werden. Taus ist auch nicht bloße Verkörperung dessen, was die ÖVP bisher meistens ungenügend oder schwer faßbar programmiert hat. Er ist die Resultante aus den prägnantesten Eigenschaften einer Partei christlicher Demokraten, mit der sich zu identifizieren den vielen Mitgliedern, Wählern und Anhängern dieser Partei in Zukunft leicht werden wird. Weil er weder ein großer Einsamer, noch ein von Missionsideen Besessener, noch ein Negativum des sozialistischen Establishment, vielmehr ein Positi-vum ist, besser: ein positiver Mensch.

Das Schicksal, das die ÖVP am 5. Oktober traf, ist nicht eine Niederlage, wie sie die preußische Armee bei Jena und Auerstädt er litt, es gleicht vielmehr dem Ausgang der Schlacht bei Wagram. Diese traf die kaiserliche Armee in einer Umorganisierung, die ihr immerhin schon den Sieg von Aspern eingebracht hatte. Nach Wagram hatte die österreichische Armee vier Jahre Zeit, um ihre Neuorganisierung vollkommen durchzuführen. Am Ende dieser Epoche stand dann der große Sieg von Leipzig.

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