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Sozialismus an der Schwelle

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Ein Sozialismus ohne ideologisches Pathos und ohne messianistische Prognosen über das Endziel der menschlichen Gesellschaft präsentierte sich am Landesparteitag der Sozialistischen Partei des Burgenlandes am 11. Mai 1962 in Pinkafeld. Wer die Geschichte der Sozialdemokratischen Partei im Burgenland vor 1933 kennt, weiß, daß diese Partei immer einen radikalen Sozialismus vertreten hat. Historische Gründe mögen dafür den Ausschlag gegeben haben. Zum Arbeiter im westungarischen Raum gehörte mehr oder weniger wesensgemäß angesichts eines sozial zugeknöpften Feudalismus und eines Bürgertums national-liberaler Prägung eine radikale Tendenz. Dieses Erbe brachten die Landarbeiter, die Gutsarbeiter und Wanderarbeiter 1921 in die österreichische Republik mit. Hier fand ihre Sozialrevolutionäre Gesinnung eine ideologische Überformung durch das marxistische Gedankengut.

In der Ersten Republik blieb dann die Sozialdemokratische Partei dem Erbe aus Westungarn verpflichtet und kämpfte vehement gegen den Großgrundbesitz, den Feudalismus und auch gegen den Klerus, vor allem gegen jenen Teil, der die alte Ordnung vertrat und restaurativen Gedankengängen nachhing. Solange es diese Restbestände aus der ungarischen Zeit im Burgenland gab, glaubte die Sozialistische Partei, im Lande eine aktuelle Sendung zu haben, die Rolle eines Gegengewichtes spielen zu müssen. Hier wird deutlich, wie sehr der Sozialismus in seiner historischen Größe ein innerkapitalistisches und feudalistisches Phänomen ist — und wie er steten Wandlungen unterliegt.

In der Tat sind heute die Aufgaben des Sozialismus in der freien Welt anders geworden. Diese neue Situation verlangt zwar nicht, wie manche meinen, eine Liquidation des Sozialismus, aber doch unaufschiebbar einen Wandel; dies nicht bloß in der Taktik, in den Formen der politischen Willensbildung und in der Praxis, sondern auch in bestimmenden Wesenskomponenten seiner Geistigkeit. Wo immer denkende Sozialisten mit der gewandelten gesellschaftlichen, politischen und geistesgeschichtlichen Wirklichkeit konfrontiert werden, dort wird es zumindest zu einem Versuch kommen, unabhängig vom geltenden oder auch nicht geltenden Parteiprogramm, ein neues Selbstverständnis des Sozialismus ' zu erarbeiten. Ein recht verstandener Sozialismus als ethische Interpretation der sozialen Verhältnisse in jeder Gesellschaftsordnung kann weder zur Gänze in ein bestimmtes Parteiprogramm eingefangen noch von marxistischen Dogmatikern korrumpiert werden. Heute kann nicht mehr geleugnet werden, daß es im Lager des westlichen Sozialismus überall Einzelpersönlichkeiten gibt, die nach der marxistischen Phase neue verbindliche ader auch unverbindliche philosophische, geistige und politische Aussagen aber den Sozialismus zu machen versuchen. Manche von ihnen sind noch Einzelgänger, weil die realen Machtverhältnisse in der jeweiligen Partei kein günstiges Klima für die Durchsetzung ihrer Ideen im Parteiapparat rulassen. Aber auch eine andere Tatsache kann nicht übersehen werden: Nicht jede Parteiorganisation ist immun gegen ein neues Denken und ein Weiterdenken der geistigen und politischen Problematik, die sich im Sozialismus heute stellt.

Selbstkritik

Dies wurde beim Parteitag der bur-;enländischen Sozialisten in aller Deutlichkeit offenbar. Er leitete im Bereich der Landespartei eine Entwicklung ein, die man heute in ihrer Tragweite noch nicht abzuschätzen vermag. Der Parteitag stand nämlich im Zeichen der Spannung zwischen der Analyse der Gegenwart und einem „sozialistisch“ entworfenen Zukunftsbild. Gewiß lebt jeder Sozialismus von einer Zukunftsinterpretation, aber es gibt verschiedene Weisen, von der Position eines revidierten Sozialismus her Aussagen &ber die. Zukunft, zu machen. Diese Aussage geschah in Pinkafeld bedacht- und:- realistisch, sozialistische Wirklichkeit ist kein indiskutabler Glaubenssatz mehr, sondern selbst Gegenstand der Selbstkritik geworden. Die intellektuellen Manager des Parteitages hatten in diesem Zusammenhang ein feines Gespür für die Gefahren einer Politik, die aus der Eigengesetzlichkeit der Macht kommt und die auch die sozialistischen Politiker nicht gefeit macht gegen eine Pervertierung des Sozialismus.

Ebensowenig unterschätzt die neue

Mannschaft die Gefahr, die dem Sozialismus aus einer bloßen Politik der Polemik und aus einer Verengung des politischen Blickfeldes durch einen ideologischen Doktrinarismus erwächst. Der Anstoß, sich den Sozialismus geistig neu anzueignen und auf analytischem Weg neue Einsichten in die soziologische Wirklichkeit des Bundeslandes zu erhalten, ging zweifelsohne von einigen Intellektuellen und jungen Parteifunktionären aus, die seit dem Weggang Wesselysin den Parteiapparat eingeschleust wurden. Dieser ganze geistige Prozeß wurde aber von einem Exponenten der alten Garde ermöglicht, von Nationalrat Bog 1, der die Nachfolge Wes-selys antrat und der schon immer ein Exponent der gemäßigten und toleranten Richtung war. Überraschenderweise brachte der Parteitag eine Bestätigung und Billigung der Bögl-Linie. Mit etwas Nervosität sahen die Mannen um Bögl dem Parteitag entgegen, der erstmals seit dem Sturz Wesselys zusammentrat und über das personal-politische Provisorium, das seither das Parteileben bestimmte, zu befinden hatte. Politische Beobachter neigen zu der Ansicht, daß es der weisen Toleranz und der integrierenden Kraft Bögls gelungen ist, die verschiedenen Rügelkämpfe zum Stehen zu bringen, divergierende Spannungen zu überbrücken und einen neuen Gesamtwillen der Partei zu formieren, den es seit Jahren nicht mehr gegeben hat. Damit ist die innerparteiliche Krise zwar noch nicht behoben, aber wesentliche Schritte zur Behebung der Krise sind getan worden. Die Partei besitzt wieder eine klare Führung und der „neue Kurs“ die erforderlichen Vollmachten vom Parteitag, die Stabilisierung und Konsolidierung des Parteilebens unter der Führung von Bögl fortzusetzen. Im neuen Landespartei-vorstand scheint Bundesminister Anton P r o k s c h als erster und Landeshauptmannstellvertreter Hans W a s 11 als zweiter Stellvertreter auf. Auffallend ist, daß eine Reihe von jungen Leuten, wie Bezirksschulinspektor Theodor K e r y, ÖGB-Landessekretär Rudolf Moser, Dr. Fred S i n o-w a t z als Landesparteisekretär, Landtagsabgeordneter Franz Probst als Chefredakteur “des Landesorgans der Partei und Landtagsabgeordneter Karl K r i k 1 e r in das oberste Pärtei-gremium eingezogen sind.

Das Bündnis zwischen Bögl und den jungen Intellektuellen ist durchaus natürlich. Von ihnen erhofft der neue Landesparteiobmann, daß sie die Partei den neuen Gegebenheiten anpassen und den Parteiapparat wieder flottmachen. Seit einem Jahr wird immer wieder die Notwendigkeit betont, eine grundlegende Umbildung des geistigen

-ebens der Partei vorzunehmen. Der leue Parteisekretär, einer der ent-icheidenden Ideologen des neuen <urses, legte in seinem Referat am Parteitag statistisches Zahlenmaterial vor, das die Notwendigkeit dieser Umbildung verdeutlichen sollte. Der An-:eil der Mitglieder unter 40 Jahren ist mf 44 Prozent angestiegen. Die Drei-3ig- bis Vierzigjährigen machen bereits ein Viertel aller Mitglieder aus. Ihr Anteil am Gesamtmitgliederstand ist um 25 Prozent gestiegen. 60 Prozent ier Mitglieder kommen aus dem Arbeiterstand. Angestiegen ist auch der Anteil der Angestellten und Beamten. 45 Prozent der Funktionäre stehen im Alter von unter 40 Jahren. Daraus will die Parteiführung die Folgerung ziehen, daß eine neue Generation mit einem neuen Bewußtsein Trägerin der Bewegung geworden ist. Nur noch 13 Prozent der Mitglieder sind bereits vor 1934 bei der Partei gewesen. Der Parteinachwuchs aus der jungen Generation soll daher mit allen Mitteln gefördert werden. Das neue Team ist auch nicht unkritisch gegenüber den Schwächen des Parteiapparates. Wahrend bürgerliche Kreise die Vorbildlichkeit und die Straffheit des Parteiapparates wie auch die eiserne Disziplin und den Primat der Organisation im sozialistischen Lager rühmen, bringen die jungen Intellektuellen manche Skepsis gegenüber einei solchen Idealisierung des Parteilebens mit. Das Parteileben wollen sie absichern gegen das Macht- und Zweckdenken von einzelnen. Darum haben sie auf ihr Banner die innerparteiliche Diskussion geschrieben. Sie soll die Partei zu einer Partei der Denkende machen, wie sie sagen. Dies vor allem deswegen, weil gerade die Sozialistische Partei im Burgenland erfahret mußte, daß der bequeme soziologische Positivismus, der zum Credo der Partei gehörte, nicht iene Früchte brachte die man erwartet hatte.

Trotz der soziologischen Umschichtung ist die Partei im Lande nichi automatisch an die Macht gekommen Die Feststellung des Landespartei-Sekretärs beim Parteitag, daß sich di< geistige Haltung .der Menschen, nicht so schnell und nicht allern 'desweger ändert, weil v andere Lebens unc Arbeitsbedingungen Platz gegriffer haben, spricht gewissermaßen ein&#171; Resignation und ein Unbehagen aus Der allein seligmathende Glaube ai die Macht soziologischer Tatsacher und an die Organisation besitzt nicht mehr die Kraft eines Leitbildes. Di< Parteifunktionäre werden ermahnt sich nicht im Materiellen zu erschöpfen und die notwendige Opportunität in der Tagespolitik nicht bis zun Opportunismus der Gesinnung treiber zu lassen. Geist, Haltung und Gegenwartsnähe werden als die Grundlagen des- Parteilebens verkündet. Damit die Organisation der von den Reformern vertretenen Geistigkeit Raum schaffen kann, soll diese gegen jede Versicherung und Bürokratisierung geschätzt werden. Demokratie wird nicht mehr wie früher als Weg zuns- Sozialismus definiert, sondern als Weg zu einer vollendeten Demokratie. Aber trotzdem bleiben all diese Versuche einer neuen Interpretation des Sozialismus von der Krise des modernen Denkens überschattet. Vielleicht würde man den geläuterten Neo-sozialismus überfordern, wollte man von ihm das Ringen um den letzten Sinn einer gerechten Sozialordnung und eine metaphysische Anthropologie für die Gesellschaft erwarten. Es ist ein Sozialismus, der nicht mehr allein von der Vergangenheit leben will, weil er fürchtet, an dieser Vergangenheit zugrunde zu gehen. Er steht an der Schwelle zwischen Vergangenheit und

Zukunft und hat es daher schwer, eine geprüfte Gesamtanschauung vorzulegen und diese ohne Diskrepanz in ein politisches Wollen umzusetzen.

Abschließend muß bemerkt werden, daß sich der Parteitag über die geistigen, soziologischen und organisatorischen Probleme der Partei hinaus auch mit Fragen der Landespolitik befaßte. Der Parteivorstand wurde beauftragt, Richtlinien für eine regionale Raum-und Wirtschaftsplanung auszuarbeiten, diese der Bundesregierung zu unterbreiten und damit die Erstellung eines speziellen Förderungsprogrammes für das Burgenland zu begründen. Minister Proksch unterbreitete zu dieser Tagesordnung eine genaue wirtschaftliche Analyse des Burgenlandes. Das Burgenland will in Zukunft keine Almosen mehr vom Bund, sondern den wirtschaftlichen Anschluß an Österreich, erklärte Bogel etwas gereizt. In der Resolution wird an den Bund und an das Land der Appell gerichtet, die wirtschaftliche Entwicklung des Bundeslandes nicht dem Zufall oder der Improvisation zu überlassen. Wie künftighin die Zusammenarbeit der SPÖ mit der ÖVP in der Regierungskoalition sein wird, darüber läßt sich kurz nach dem Parteitag noch keine Aussage machen. Die ÖVP konnte sich in den letzten zwei Jahren sowohl in der Landespolitik als auch in der Parteiarbeit stärker profilieren und ihre Positionen durch den neuen Landeshauptmann und eine teilweise Reorganisation des Parteiapparates festigen. Das neue Team der Sozialisten wird daher nicht von heute auf morgen mit stürmischen Eroberungen rechnen können. Ihr Realismus wird sich also hart bewähren müssen. Aber auch vor der ÖVP steht nun eine SPÖ, die sich von den Erschütterungen der letzten Landtagswahlen erholt hat. Daher wird sie neue Anstrengungen machen müssen, um den Vorsprung nicht wieder einzubüßen.

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