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Rast vor dem Gipfelanstieg?

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Nicht ein kühnes, sondern eher ein „unterkühltes“ Pathos, das manchmal Ungeduld und Verbitterung zur Schau trug, zeigte Vizekanzler Dr. Pittermann bei seinem jüngsten Auftreten im Rahmen des Landesparteitages der burgenländischen Sozialisten. Pittermann präsentierte sich, wie ein Beobachter des Parteitages meinte, als ein alter sozialistischer Idealist, der in den letzten Jahren seines politischen Wirkens auf die Pragmatik einschwenkte und nun ungeduldig geworden ist, weil weder der Idealismus noch die Pragmatik ihn bisher zum Schöpfer eines sozialistischen Österreichs werden ließen. Damit wollte er die Tragik des ersten Mannes der Sozialistischen Partei Österreichs kennzeichnen. In der Tat brachte der Parteivorsitzende ein Element der Unruhe und der Ungeduld in die Atmosphäre des Landerparteitages. Die burgenländischen Sozialisten wallten politischen „Erntedank“ feiern und die Parole ausgeben: „An die Arbeit für ein schöneres Burgenland.“ Pittermann dagegen wartete mit Problemen auf, die ihn und den österreichischen Sozialismus in der gegenwärtigen

Situation beschäftigen und größte Sorge bereiten.

Er predigte eine eiserne Parteidisziplin und warnte eindringlich die Delegierten, sich dem Gesetz der Solidarität der Partei zu entziehen. Jeder wußte, was der Parteivorsitzende damit sagen wollte und wen er mit seinen Andeutungen meinte. Manche Bauarbeiter unter den Delegierten blickten, als Pittermann die Solidaritätsfrage in der Partei darlegte, versunken vor sich hin, schmerzvoll angerührt von der Causa Olah. Die burgenländischen Bau- und Holzarbeiter waren immer treue Schildgenossen Olahs. Aber nun haben sie sich der Partei- raison gefügt. Die Einheit und Geschlossenheit der Partei bedeutet ihnen ein höheres Gut als das persönliche Schicksal selbst eines von ihnen hochgeschätzten Genossen.

Pittermanns Perspektive

Pittermann warf auch in seinem Referat die Frage aus: „Wann wer ' den wir denn in Österreich endlich so weit sein, den Sozialismus zu haben?“ Diese Frage offenbarte deutlich die Unruhe, die Pittermann und mit ihm die sozialistische Bewegung in Österreich erfaßt hat. Er sprach die Überzeugung aus, daß die SPÖ schon weit vorangekommen sei auf dem Weg zu einem sozialistischen Österreich. Es fehle nur der Gipfelanstieg. Den burgenländischen Parteitag interpretierte er als Rast vor dem Gipfelanstieg. Diese Erklärung Pittermanns kommentierte man in Partei- und Beobachterkreisen als einen deutlichen Hinweis darauf, daß ein sozialistischer Sieg in einem Bundesland, und wenn er noch so imponierend wäre, nicht dahin führen dürfe, das eigentliche Ziel, den gesamtösterreichischen Gipfelanstieg, aus den Augen zu verlieren. Pittermann hatte damit gewiß nicht ins Leere gesprochen. Die burgenländischen Sozialisten sind realistisch genug, um zu erkennen, daß das Problem Nummer 1 des österreichischen Sozialismus derzeit einzig und allein jenes ist, wie man möglichst bald, und rasch die faktische Mehrheit im Parlament und in der Regierung erreicht. Auch für sie, nicht nur für Pittermann, wäre es unerträglich, wenn die SPÖ bei der nächsten Nationalratswahl wieder nicht die Mehrheit erreichen würde. Man möchte alsbald als Mehrheitspartei demonstrieren, daß „eine sozialistische Führung für das gesamte österreichische Volk Fortschritt in Freiheit und Gleichberechtigung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens“ mit sich bringe.

Man pflichtete der These Pittermanns bei. Alles muß getan werden, damit die Sozialisten, wie seit dem 22. März im Burgenland, auch in ganz Österreich endlich den Beweis erbringen können, daß sie keine Totengräber der Freiheit sind. Man unterstützt also in dieser Frage ganz die Haltung Pittermanns und identifiziert sich mit seinem Vorhaben und seiner psychologischen Verfassung. Insofern ist Pittermann auch für den kleinen SPÖ-Funktionär im Bürgenland eine Personifizierung der SPÖ. Man anerkennt seine politische Pragmatik, weil er auf diesem Wege

im Wiener Parteiprogramm der SPÖ ein neues Profil gab und somit bei den Neusozialisten als der Repräsentant des Austrosozialismus von heute gilt. Man hat nur die Sorge — und sie ist nicht unberechtigt —, daß der SPÖ infolge des derzeitigen Führungsstiles, der parteipolitischen Taktik und der nicht zu bezähmenden Ungeduld des Parteiobmanns eines Tages, am „Tag X“ etwa, der entscheidende Durchbruch zur Mehrheit versagt bliebe.

Keine Kopie der Löwelstraße

Darum hat man irgendwie Hemmungen, den Führungsstil der Löwelstraße zu kopieren. Außerdem ergeben sich manchmal Schwierigkeiten, die landespolitische Linie der burgenländischen Sozialisten mit der bundespolitischen Regie der SPÖ in Einklang zu bringen. Die unnachgiebige Haltung von Minister Probst in der Frage der Fernverkehrssteuer brachte die burgenländische SPÖ in eine peinliche Situation. Selbst der Landesparteitag konnte an diesem Problem nicht Vorbeigehen. In einer Resolution wurde für das Bürgenland eine Erleichterung in der Fern-

Verkehrssteuer verlangt. Gewollt oder ungewollt war dies ein Protest gegen die sozialistische Verkehrspoli- tik. Aber die föderalistische Linie, zu der sich die burgenländischen Sozialisten nun einmal entschlossen

haben, gebietet, das Unrecht beim Namen zu nennen, ganz gleich, wer es verficht. Man wird neugierig sein, wie sich Probst zur Forderung der burgenländischen SPÖ nach einem burgenländischen Rundfunkstudio verhält.

Sinowacz oder Kery?

Im übrigen war aus den Reden der „Stans“ der burgenländischen Sozialisten ein Ringen um einen eigenen Führungsstil herauszuspüren. Man ist sich nicht einig darüber, wie man künftig der Volkspartei begegnen soll. Die einen wollen mit ihr in der Sprache der Partnerschaft, die andern in der Sprache der Macht reden. Übereinstimmung herrscht, daß das Entwiddungskan- zept konsequent in Angriff genommen werden soll. Zwei Klippen gilt es dabei zu überwinden. Es kommt nun darauf an, die Ideen, die im Entwicklungskonzept niedergelegt sind, in die praktische Politik umzusetzen. Wer hat die schöpferischen Impulse dazu? Ist es Sinowacz oder Kery? Wo sind die Abgeordneten, die klare und praktikable Vorstellungen über die Durchführung des Agrarkonzeptes, des Wohnbaukonzeptes und des Schulkonzeptes haben? Die weitere Frage ist die, soll man die Dinge grundsätzlich anders machen als die ÖVP oder sie nur besser machen als die ÖVP. Worin besteht nun das Bessermachen? Aber in dieseajn Fall muß man auch die ÖVP anhören und sich mit ihr in schwierige Verhandlungen einlassen. Die Jugend, die überall entscheidende Positionen des Parteiapparates besetzt hat, ist ungeduldig, hat sich aber erst in den verantwortlichen Umgang mit der Macht einüben müssen. Der Reifebeweis der sozialistischen Politiker muß in den nächsten Jahren erbracht werden.

Alleingang bleibt Alleingang

Die Probleme drängen nach einer raschen Lösung. Man möchte schnell vorankommen und soll nun in umständliche Verhandlungen mit der ÖVP treten. Landtagspräsident Sinowacz hat bereits den Landtag für diese Tage einberufen. Eine Reihe von Gesetzesvorlagen steht auf der Tagesordnung. Die SPÖ muß nun die Behauptungen der ÖVP wider

legen, daß die Landespolitik seit Monaten gelähmt sei. Die Budgetverhandlungen müssen ebenfalls demnächst aufgenommen werden. Die Koalition im Landhaus steht also in den nächsten Wochen und Monaten vor einer entscheidenden Nervenprobe. Die Aufgaben müssen diskutiert werden. Landesrat Kery machte beim Parteitag die Andeutung, daß man entschlossen sei, falls die Verhandlungen mit der ÖVP über das Wirtschaftsförderungs- und Fremdenverkehrsgesetz scheitern sollten, eigene Initiativanträge zu erwägen. Gibt es, sachlich gesehen, wirklich keinen anderen Ausweg? Das sind schwerwiegende Entscheidungen, die für die Koalition und das politische Klima der nächsten Jahre bedauerliche Folgen mit sich bringen könnten und daher auf beiden Seiten gründlich überlegt werden müssen. Man war froh, daß einer über diese Dinge vor den Delegierten sprach, damit sich diese keine Illusionen über die tatsächliche Situation machen. Es ist allerdings nicht lange her, da hat man der ÖVP vorgeworfen, sie strebe nach Alleinherrschaft und gebärde sich selbstherrlich, obwohl sie nur über ein Mehrheitsmandat verfüge. B ö g 1 sagte beim Parteitag in diesem Zusammenhang, daß die Mehrheit der Bevölkerung gegen einen „Alleingang“ der ÖVP war, darum habe sie der SPÖ zum Wahlsieg verholten. Ob sich daraus ergibt, daß nun die Bevölkerung einen „Alleingang“ der SPÖ billigt und befürwortet? Alleingang bleibt Alleingang, ganz gleich, unter welchem Vorzeichen.

Bögl ist beim Landesparteitag in seinem Amt als Landesvorsitzender der Partei bestätigt worden. Er hat damit den Rücken frei bekommen für seine politischen Aufgaben im Landhaus. Es kommt jetzt für ihn die Stunde, wo er unter Beweis stellen muß, ob er in der Lage ist, das Regierungsteam flottzumachen. Es geht dabei um die Glaubwürdigkeit der SPÖ, ein „schöneres Burgenland“ zu schaffen. Mit oder ohne ÖVP, ist dabei das Kernproblem und zugleich eine Entscheidung von größter Tragweite. Was gestern noch Anlaß zum Triumph war, entpuppt sich heute manchmal als Zwangslage. Bögl hat sich bisher als „Patriarch der Toleranz“ bewährt und dadurch einen Nimbus erhalten. Er wird es in den nächsten Monaten sehr schwer haben, zwischen den Klippen in der eigenen Partei und .in der Koalition glücklich hindurchzusteuern. Als Praktiker der Politik, der immer von der Notwendigkeit des Kompromisses überzeugt war, wind er sich nun in der Kunst des Ausgleiches zu bewähren haben. Dabei stellt sich die Frage, ob die Jugend gewillt ist, ihm auf diesem Wege zu folgen. Sie wünscht eher eine Politik starker Konturen und provozierender Taktik gegenüber der ÖVP. Das alles ist verständlich und sollte nicht gleich als ein Versuch der ideologischen Dämonisierung der landespolitischen Situation hingestellt werden. Aber eine realistische Betrachtung der Dinge wird im gegebenen Augenblick für ein temperiertes Vorgehen plädieren. Ein Mandatsvorsprung dürfte kaum als ein Auftrag zu einer Politik starker Konturen ausgelegt werden können, wohl aber zu schöpferischen Impulsen. Auch eine scheinbar immobile Koalition gibt Chancen für schöpferische Initiativen, die die . Vorstellung des anderen Partners einbeziehen, ihn bei verschiedenen Entscheidungen und Planungen mitberücksichtigen und ihn auf diese Weise provozieren, ebenso schöpferisch zu sein. Andernfalls würde sich der Partner selbst politisch ausmanövrieren.

Leistung, Aussprache, Partnerschaft

Der bundespolitische Wind der SPÖ, der sich in den letzten Wochen manchmal zu einem Sturm verdichtete und eine Politik des provokatorischen Tons und des Justament- standpunktes im Gefolge hatte, kommt nicht in der eigenen Partei und noch weniger im förderalisti- schen Raum gut an, wie der Fall Vorarlberg zeigt. Man wird guttun, dies auch im Burgenland zu beachten. Der politische Trend weist nicht auf einseitige Machtpolitik, sondern auf eine Politik der Leistung, der Aussprache und der geduldigen Partnerschaft, die alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausschöpft, bevor man einen Alleingang riskiert.

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