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Der Riese schläft

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Auf dem 13. außerordentlichen Bundesparteitag der ÖVP erfolgte die Wachablöse. Dr. Hermann Withalm wurde mit 321 von 355 gültigen Stimmen (90,4 Prozent) zum Bundesobmann, Dr. Karl Schleinzer mit 309 von 349 gültigen Stimmen (88,5 Prozent) zum Generalsekretär gewählt. Die Stimmung war ein wenig müde, obwohl über drei Stunden von zahlreichen Rednern diskutiert wurde. Die einzige kleine Revolte von seiten junger Delegierter erfolgte wegen der „Manipulation“ der Tagesordnung. Sie wollten die programmatischen Erklärungen des designierten Generalsekretärs vor der Wahl hören. Es kam jedoch zu einer Kompromißlösung. Schleinzer gab als erster Diskussionsredner nach Withalms Rechenschaftsbericht einige programmatische Erklärungen ab. Damit waren die Zornigen beschwichtigt, und der Parteitag lief ohne Zwischenfall ab. Niemand hatte etwas anderes erwartet. Jeder abweichende Vorgang wäre ein Wunder gewesen, doch wer sollte noch an Wunder glauben, nachdem Österreichs Wunderteam 1966 schwungvoll startete und 1970 geschlagen und mit hängenden Köpfen vom Felde zog? Kanp also schon jetzt der Aufschwung kommen?

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Auf dem 13. außerordentlichen Bundesparteitag der ÖVP erfolgte die Wachablöse. Dr. Hermann Withalm wurde mit 321 von 355 gültigen Stimmen (90,4 Prozent) zum Bundesobmann, Dr. Karl Schleinzer mit 309 von 349 gültigen Stimmen (88,5 Prozent) zum Generalsekretär gewählt. Die Stimmung war ein wenig müde, obwohl über drei Stunden von zahlreichen Rednern diskutiert wurde. Die einzige kleine Revolte von seiten junger Delegierter erfolgte wegen der „Manipulation“ der Tagesordnung. Sie wollten die programmatischen Erklärungen des designierten Generalsekretärs vor der Wahl hören. Es kam jedoch zu einer Kompromißlösung. Schleinzer gab als erster Diskussionsredner nach Withalms Rechenschaftsbericht einige programmatische Erklärungen ab. Damit waren die Zornigen beschwichtigt, und der Parteitag lief ohne Zwischenfall ab. Niemand hatte etwas anderes erwartet. Jeder abweichende Vorgang wäre ein Wunder gewesen, doch wer sollte noch an Wunder glauben, nachdem Österreichs Wunderteam 1966 schwungvoll startete und 1970 geschlagen und mit hängenden Köpfen vom Felde zog? Kanp also schon jetzt der Aufschwung kommen?

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Hatte der Österreicher auch keine Explosion während des Parteitages erwartet, so doch ein wenig Knistern und Bangen. Aber selbst diese fehlten. Das lag zunächst daran, daß der eine oder andere Redner wohl erwähnte, man hätte das oder jenes versäumt, daß aber keiner wirklich zu sagen wußte, warum die ÖVP die Wahlen verloren hat. Eine Gewissenserforschung fand nicht statt. Herr, Du hast uns grausam behandelt. Haben wir das verdient? Der scheidende Parteiobmann Dr. Klaus klagte: Wir haben in den vier Jahren einen „wachsenden Wohlstand, den sozialen- und den Bürgerfrieden, größere Freiheit und Sicherheit nach außen und innen“ erreicht und eine „Politik für alle“ betrieben. Trotzdem hat der größere Teil der österreichischen Bevölkerung die SPÖ gewählt. Früher sprach man vom Undank des Hauses Habsburg, nun übernahm der österreichische Republikaner diese böse Eigenschaft. Wer oder was waren nun wirklich schuld? Klaus erwähnte in aller Bescheidenheit so ganz nebenbei, wie enorm fleißig er gewesen wäre und berief sich auf Aussprüche von Goethe und Bismarck, daß Genie zu 95 Prozent Fleiß sei. Vielleicht lag es an den fehlenden 5 Prozenten, die zum wirklichen Genie und damit auch für die 5 Prozent zur absoluten Mandatsmehrheit nötig gewesen wären.

Es wäre ungerecht, von einer Partei zu verlangen, gleich nach einer Wahlniederlage neue Weichen zu stellen. Die SPÖ benötigte nach ihrer Niederlage dm März 1966 ein Dreiviertel jähr, um die personellen Führungsprobleme zu lösen und mehr als drei Jahre, um ein Alter-nativpragramm zu erstellen. Auch die ÖVP braucht Zeit. Sie hat es einerseits leichter, anderseits schwerer als die SPÖ. Leichter, weil sich Klaus, eingedenk seiner Sendungsrolle, freiwillig als Opfer darbot und damit zugleich ersparte, wie Figl, Raab und Gorbach kaltgestellt zu werden. Schwerer, weil sie sich nicht völlig auf die Opposition konzentrieren kann. Als Nachfolger schlug Klaus selbst Dr. Withalm vor, und dieser ist der erste Generalsekretär der ÖVP, der zum Bundesobmann aufstieg. Es ist anzunehmen, daß die Vorzimmergenies des neuen Generalsekretärs alles tun werden, daß sich die neue Einrichtung zur Tradition entwickelt.

Withalm betätigte sich länger in der Parteispitze als Klaus, nämlich zehn Jahre als Generalsekretär, während Klaus nur sieben Jahre Bundespar-teiobmann war. Er ist demnach kein neuer Mann, auch ist er ein zu ausgeprägter Charakter und profilierter Politiker, als daß er sich selbst und der Partei ein neues Image geben könnte. Er wird immer ein nüchterner, klar denkender und energischer Politiker bleiben, ohne große Phantasie, aber mit viel Zähigkeit ausgestattet. Das ist seine Stärke und seine Schwäche, beim österreichischen Volkscharakter sogar mehr als Stärke zu bewerten. Withalm wird einen ausgezeichneten Oppositionsführer im Parlament abgeben, hart, aber fair, doch im Grunde ist er ein Parteiführer des Überganges, falls die ÖVP auf längere Zeit die Oppositionsbank drücken und Zeit finden sollte, sich ein neues Profil zu geben, wie es die SPÖ unter Kreiskys Führung bekam.

Der Fall Withalm zeigt aber auch, daß die ÖVP im Jahre 1966, als sie die absolute Mehrheit errang, die Tore nicht weit genug öffnete. Klaus erklärte in seinem Bericht: „Haben wir nicht oft zu wenig die Grenzen bündischer Gliederungen und Interessen überschritten, um bei Akademikern, Künstlern, jungen Menschen und freiberuflich Tätigen glaubwürdig zu sein und wählbar zu erscheinen?“

Ja, heißt hier die Antwort. Und dies gilt nicht zuletzt auf dem Personalsektor. Obwohl die ÖVP 1966 eine Reich9hälfte hinzugewann, igelte sie sich personalpolitisch ein, und vielleicht das klassische Beispiel dafür ist Withalm, der drei Positionen vereinte, von denen wenigstens zwei den vollen Einsatz eines Mannes erforderten: die des Generalsekretärs, des Klubobmannes und des Vizekanzlers. Eine derartige Machtkonzentration ist sonst nur in Diktaturen üblich. Deshalb entstand in der Öffentlichkeit vielfach der Eindruck, daß die ÖVP in der Personalpolitik habgierig sei, und deshalb ist auch die Auswahl an Spitzenpolitikern in der ÖVP gering.

Zum Generalsekretär wurde Dr. Karl Schleinzer gewählt, der sich bisher als Fachminister bewährte. Er wirkt ruhig und ausgeglichen und war schon früher als Spitzenfunktionär im Gespräch, zumindest umkreisten ihn vor Jahren jene Männer, die ein Nase für Wachablösen haben, um ihre Dienste rechtzeitig anzubieten. Damals war es allerdings zu früh. Nun aber trat Klaus freiwillig ab, und so wurde ein Platz für Schleinzer frei. An seiner Tüchtigkeit zweifelt niemand. Er versteht etwas vom modernen Management. Allerdings fehlt der starke persönliche Ausdruck, den beispielsweise Withalm besitzt. Der Mensch Schleinzer scheint noch von einer Plastikmaske bedeckt zu sein. Das kann sich jedoch ändern. Ein wenig erinnert er an den einstigen amerikanischen Verteidigungsminister McNamara, dieses Computer-Genie, der so ziemlich alles, vom Vietnam-Krieg bis zum Raketenabwehrsystem, falsch programmierte.

Um Weltstrategie geht es allerdings bei deröVP enicht. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß die Volkspartei augenblicklich über keinen Spitzenpolitiker verfügt, der die Gemütsseite der Bevölkerung anzusprechen versteht, wie dies Figl, der sicherlich nicht die fachlichen Qualitäten von Klaus, Withalm oder Schleinzer erreichte, Hurdes und Raab trotz dessen brummiger Art und Schweigermiene vermochten, und wie dies heute Kreisky vermag. So wie jedes erfolgreiche Programm etwas Utopisches enthalten muß, so muß jeder wirklich erfolgreiche Politiker ein Air besitzen, das nicht nur den

Verstand, sondern auch das Herz anspricht gerade in unserer Zeit mit ihrer Manipulierung und Steuerung und damit auch Beengung und Vereinsamung des Einzelnen.

Die programmatischen Punkte, die von den Spitzenfunktionären aufgestellt wurden, brachten nichts Neues. Wenn es heißt, man müsse Österreich zu einem modernen Industriestaat und zum gesündesten Land Europas machen, die Begabungsreserven ausschöpfen, sowie Bildung und Forschung vorantreiben, so stellt sich unwillkürlich die Frage, warum dies nicht in den letzten vier Jahren in größerem Ausmaß geschehen ist. Außerdem unterscheiden sich diese Forderungen in nichts von denen der SPÖ, ja die Forderungen des Humanprogramms lehnen sich an die der SPÖ an, obwohl sich darüber noch vor wenigen Monaten selbst Minister der ÖVP ein wenig mokiert hatten. Es war ein Fehler der ÖVP, das Programm der SPÖ so. wenig ernst zu nehmen. Sie stellte diesem auf geistigem Gebiet nichts entgegen, denn der sogenannte Koren-Plan kann schwerlich als begeisterndes oder auch nur populäres Programm angesehen werden. Auch hat die ÖVP trotz aller nicht abzuleugnenden und teilweise sogar imponierenden Erfolgen in der Alleinregierung in keinem Ressort ein grundlegendes und richtungsweisendes Konzept durchgeführt. Auch dies hat zur Niederlage beigetragen. Das von Maleta angeregte Schlagwort von der progressiven Mitte trifft im Grunde mehr auf die SPÖ zu. Der Progreß einer Mitte kommt nämlich immer von einem radikalen Flügel, der die Mitte antreibt, schneller, als sie es wünscht, Reformen durchzuführen. Solch ein radikaler Flügel ist bei der ÖVP nicht zu sehen. Landeshauptmann Maurer erteilte vielmehr Maleta einen Rüffel, als er erklärte:

„Die Spitzen der Bünde sollen sich davor hüten, mit unüberlegten Äußerungen und Diffamierungen an die Öffentlichkeit zu treten.“ Maleta hatte sinngemäß gesagt, daß der ÖAAB als der größte Stimmzubringer der Partei beim Verteilen des Kuchens am schlechtesten abschneide, was zweifellos der Wahrheit entspricht. Allerdings ist Maleta nicht ein Mann, der eine gewonnene Erkenntnis mit aller Energie vertritt Er besitzt die Phantasie, und Withalm besitzt die Kraft.

Grundsätzlich ist dort, wo sich die ÖVP noch stark fühlt, von einem neuen Stil wenig zu merken. So behauptete Maurer, daß der Koren-Plan interessanter sei als das SPÖ-Programm, was nicht zutrifft. Doktor Ratzenböck (Oberösterreich) forderte einen K.-o.-Sieg der ÖVP über die Minderheitsregierung, was ein utopischer Traum bei den tatsächlichen Machtverhältnissen in unserem Lande ist. Und Dr. Prader meinte, man müsse die SPÖ im „eigenen Saft schmoren lassen“, doch wer kann voraussagen, ob es nicht ein guter Braten wird.

Mit solchen Parolen wird die ÖVP nicht weiterkommen. Da sind die Vorschläge des scheidenden Klaus wesentlich zukunftsträchtiger: Geist, Intelligenz, Denker, Forscher und Manager zu mobilisieren sowie mehr Phantasie, Emotion, Herz und Fingerspitzengefühl anzuwenden. Hier sind Withalm und Schleinzer bessere Garanten der ÖVP-Zukunft als jene, die die SPÖ auf den „Schindanger“ haben möchten.' Denn neben die SPÖ käme gleich die ÖVP zu liegen, und unsere Freiheit wäre dahin.

Die Beurteilung, ob die Niederlage der ÖVP am 1. März eine Panne oder eine Katastrophe war, hängt vom jeweiligen Gesichtspunkt ab. Rechnet man den Verlust der Ministerposten, der Macht und aller Vorteile, die mit dieser Macht verbunden waren, dann ist die Niederlage eine Katastrophe. Rechnet man aber, daß eine Partei, die wähnte, ohne sie ginge es nicht zu regieren und deshalb geistigen Speck ansetzte, teilweise überheblich wurde, nicht mehr in das Volk hineinhörte, die wirtschaftlich Schwächeren nicht immer genügend von den Interessen der wirtschaftlich Stärkeren abschirmte, und die Intelligenz, vielfach brachliegen ließ,dann ist die Niederlage vielleicht nur eine Panne, weil die Riesenkräfte, die in der Partei noch schlafen oder vielleicht nur mehr schlummern, geweckt werden. Nur in diesem Fall wird die ÖVP ihre Anziehungskraft auf diese Masse des Volkes zurückgewinnen.

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