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Frontberichter im Wahlkampf

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Wahlversammlung der österreichischen Volkspartei in einem Wiener Bezirk. Der Bezirk gilt als Arbeiterbezirk, doch zugleich auch als „alter christlich-sozialer Boden”. Termin der Wahlversammlung: ein Montagabend. Als Redner treten auf ein lokaler Mandatar und der Bundesparteiobmann.

Tage vorher schon hat jeder ÖVP- „Aktivist” im Bezirk einen persönlichen Brief „seines” Abgeordneten erhalten, in dem er dringend um Unterstützung für den Besuch der Versammlung mit Dr. Klaus gebeten wurde. Montag abends: Der Brief dürfte Erfolg gehabt haben, der Saal ist ziemlich voll. Die Besucher: ältere Leute, Rentner, Pensionisten, fast einheitlich grüne „Hubertusmäntel”, dieses geschätzte Kleidungsstück, tragend. Angehörige der mittleren Generation, auffallend viel Jugend, Jungwähler, deren Interesse — aus halblaut geführten Gesprächen vor Beginn der Versammlung zu entnehmen — an der Politik weitaus größer ist als gern vermutet wird.

Aufgeregt umherschießend, Ziel vieler Fragen und Zurufe: der Sekretär der Bezirksorganisation. Endlich scheint alles in Ordnung zu sein, auch das Mikrophon, das „Manderln” zu machen schien, funktioniert. Dann betritt der Lokalmandatar das Rednerpodium, von eher schwachem Applaus, weil weithin unbekannt, begrüßt, und spricht einiges, was vom Auditorium nur mit halbem Ohr aufgenommen wird. Man wartet auf den Mann, den man vom Fernsehschirm und aus der Zeitung her kennt. Plötzlich Unruhe draußen, ein Ordner stürzt herein: Rasch beendet der Redner seinen Satz, klettert vom Podium. Der Bundeskanzler kommt! „Hoch”- und „Bravo”-Rufe werden laut. Und dann spricht Dr. Klaus. Zuerst allgemein: über die „Volksfront”, über das, was nach dem 6. Mörz kommt, bald aber darüber.

was immer wieder zur Sprache kommt, in Wählerversammlungen traditionellen Stils wie in Jugendparlamenten zwischen Twist und Quiz: Über die steigenden Preise, über die Wohnungsfrage, über die Lohnsteuer, über die Renten. Alles hört gespannt zu, auch die „von der anderen Seite”, auf die zu Beginn verstohlen mit den Fingern gewiesen wurde. Das Referat schließt mit der Feststellung, Wahlziel der ÖVP sei kein rotes, sondern ein „rotweißrotes Österreich”. Applaus und nochmals „Bravo”-Rufe. Dr. Klaus ist schon wieder unterwegs…

Eine lau servierte Mischung

Die SPÖ hat zu einer Wählerversammlung an einem Sonntag in ein größeres Kino eines der „bürgerlichen” Wiener Bezirke geladen. Die Leute, die an diesem Sonntag um 9.30 Uhr der Einladung Folge leisten, könnten ebenso für Besucher einer ÖVP-Veranstaltung gehalten werden — würden die Besucher einander nicht zum Großteil mit „Ich begrüße Sie” ansprechen. Man ist ruhig, selbstsicher, fühlt sich unter sich. Die älteren Jahrgänge überwiegen; die Damen tragen in der Mehrheit Pelzmäntel. Der Saal ist rasch gefüllt, und nach einigen einleitenden Worten beginnt der erste Hauptredner, Minister außer Dienst Präsident Karl Waldbrunner, mit seinen Ausführungen. Er spricht ruhig, routiniert, verhalten; ab und zu wird er von mäßigem Beifall unterbrochen. Er wendet sich gegen alle Volksfrontverdächtigungen und andere Vorwürfe und geht schließlich auf das Habsburg-Problem über. Hier sei ein Punkt, meint er, wo der Ruhe und Sicherheit Österreichs eine Gefahr erwachse. Überhaupt würden in der ÖVP die eine Zusammenarbeit bejahenden Kräfte (Minister außer Dienst Vizebürgermeister Drimmel wird hier lobend mit einer besonders guten Zensur bedacht) immer mehr zurückgedrängt. Was Österreich brauche, sei Ruhe, Frieden und Aufbau. Das seien die Ziele der SPÖ. Mit dieser für einen Sozialisten sehr interessanten Rangordnung, in der die „Ruhe” als oberste Bürgerpflicht fungiert, trifft Waldbrunner anscheinend genau den Geschmack des Publikums, das seine Rede mit zustimmmendem, behäbig-biederem Applaus bedankt.

Der zweite Hauptredner ist der Spitzenkandidat des Wahlkreises, der Abgeordnete Kostroun. Seine Ausführungen unterscheiden sich in ihrem Kern in keinem Punkt von denen des Vorredners: Abwehr aller Volksfrontunterstellungen — Habsburg — Zusammenarbeit und nochmals Zusammenarbeit, worunter die gegenwärtige Form der Koalition gemeint ist. Als Warnung vor den „Radikalen” in der ÖVP versucht Kostroun seine Zuhörer zu schockieren: „Es kann was Neues kommen!” Aber auch von dieser Warnung, die aus der Mentalität des Fürsten Metternich kommen könnte, läßt sich die Zuhörerschaft nicht aus der Ruhe bringen, auch nicht von der Aussicht auf die Auswirkungen einer gefährlichen ÖVP-Wirtschaftspolitik, die den „kleinen Greißler” ruinieren können. Kostroun wird mit Pflichtapplaus für seine Darlegungen belohnt.

Das Rahmenprogramm wird von einem Kabarett bestritten, das Unterhaltung auf mittlerem Niveau bietet. Es fallen einige geschmacklose Nummern auf, vor allem ein völlig unnötiger Sketch über den Kirchenbeitrag. Sonst bietet auch das Kabarett nichts irgendwie aus dem grauen Mittelmaß der ganzen Veranstaltung Hervorstechendes. Das Ganze — die Politik und die Unterhaltung — wird lau serviert und von einer lauen Zuhörerschaft konsumiert.

Einmal auf der Bühne

Nicht irgendwo in den letzten Reihen, dort, wo die „anderen”, die Zwischenrufer, die Spaßmacher und die Beobachter meistens sitzen, sondern auf der Bühne des Wimberger- Saales, erlebte ich eine Wahlkundgebung der Freiheitlichen. „Im Kreuzfeuer der Wähler” heißt jene Art von Wanderzirkus, mit der die FPÖ sehr geschickt ihr knappes Wahlbudget dehnt und streckt: Spitzenpolitiker der Partei diskutieren in allen Landeshauptstädten mit Journalisten, das Publikum hört zu, macht gelegentlich einen tiefen Zug aus dem Bierkrug und hat dann ebenfalls Gelegenheit, den Politikern seine Meinung zu sagen. Als ich eintrat, schmetterte gerade der zackige Marsch „Preußens Gloria” durch den Saal, der bereits übervoll war. Das Publikum: ältere Leute, auch viel Jugend. Die Fragen der Presseleute: Volksbegehren, Volksfront, kleine Koalition, Grundsatzfragen des freiheitlichen Programms. Das Publikum geht mit: Beifalls- und Pfuirufe klingen auf. die freilich vom überaus sachlichen — nach Meinung der Politiker allzu sachlichen — Diskussionsleiter rasch unterdüakt werden. Die Uhr geht schon auf Mitternacht, als die Versammlung zu Ende geht.

Auffallend: die überaus kritische Fragenstellung aus dem Publikum und die Angriffsrichtung der Politikerantworten fast ausschließlich in Richtung der ÖVP.

Bemerkenswert: der neue — und sicherlich auch sparsame — Stil, der in dieser Form der Wahlversammlung gefunden wurde.

Franz Olah ist wild!

Vor dem Konzerthaus werden das Programm der Demokratischen Fortschrittlichen Partei, Photos von Franz Olah und Schallplatten mit einer Olah-Rede verteilt. Als die Veranstaltung beginnt, ist der Große Konzerthaussaal bis auf den letzten Platz gefüllt. Man hat den Eindruck, daß die Anwesenden ein durchaus repräsentativer Querschnitt durch die Wiener Bevölkerung sind, allerdings sind die jüngeren Jahrgänge besonders stark vertreten. Franz Olah betritt das mit den Staatsfarben geschmückte Rednerpult und beginnt seine große zweistündige Rechtfertigungs- und Abrechnungsrede. Man weiß bald, wer im Mittelpunkt der Ausführungen steht: Justizminister Broda, in zweiter Linie Polizeipräsident Holaubek. Vizekanzler Pittermann, ÖGB-Prä- sident Benya und der Abgeordnete Czernetz. Immer, wenn Olah diese Männer in schärfsten Worten angreift, kommt es zu Beifallskundgebungen (für Olah) oder Pfui- Rufen, die den Angegriffenen gelten.

Ein großer Teil der Anwesenden verhält ich jedoch völlig passiv — diese Leute sind gekommen, um zu beobachten, vielleicht auch, um sich von dem Mann am Rednerpult, dem noch immer etwas vom Mythos des Volkstribunen anhaftet, überzeugen zu lassen.

Olah wird immer schärfer in seinen Ausfällen gegen „Broda, Czer- netz und Trabanten”. „Der Justiz- minister ist ein Verbrecher”, ruft er unter großem Beifall und verspricht, sollte er in den Nationalrat einziehen, die Enthebung Brodas zu beantragen. Olah schont jetzt niemanden. Präsident Holaubek sei der „unfähigste Behördenleiter Österreichs”, er sei „eine Schande auf diesem Platz” — wieder großer Applaus. Ausgiebig wird jetzt Schmutzwäsche gewaschen. Olah spricht, daran erinnernd, daß ohne sein Wissen über ihn ein medizinisches Gutachten ausgearbeitet worden sei, von einem Ärztekom-

plott, und als er von einem daran beteiligten Arzt sagt, „ich bin kein Antisemit, deshalb sage ich nicht, er ist Jude”, braust Beifall auf — und man wird peinlich an bestimmte Äußerungen erinnert, die bei einer bestimmten Kundgebung in der Löwelstraße im Herbst 1964 gefallen sind. Man erkennt, welche persönliche Tragödie den Mann am Vortragspult getroffen hat. Doch bei den meisten der Beifallsspender glaubt man eher das festzustellen, was man „kleinbürgerliche Radikalisierung” nennen könnte.

Muhri und Mao

Die Kommunistische Partei Österreichs kann diesmal ihre gesamten Reserven in den Wahlkreis IV werfen, um zumindest dort, wo der Versuch nicht völlig aussichtslos erscheint, um ein Grundmandat zu kämpfen. Wortreich wird die „Ungerechtigkeit” des österreichischen Wahlrechts angeklagt, das die kleinen Parteien so sehr benachteilige. Ob der sehr intensiv von Tür zu Tür geführte Wahlkampf und der unbestreitbare Charme Franz Muhris allerdings ausreichen, um die schon 1962 fehlenden 7000 Stimmen zu gewinnen, scheinen die moskautreuen Kommunisten selbst nicht recht glauben zu wollen.

Im Wahlkreis V scheinen als Liste 5 die „Marxisten-Leninisten Österreichs” auf, die besser unter der Bezeichnung „Chinesen” bekannt sind. Der Berufung auf Marx und Lenin glauben sie es schuldig zu sein, den „pseudodemokratischen Formalismus” von Wahl und Wahlkampf zu mißachten. In stolzer Souveränität verzichten die Jünger Maos auf jede Wahlwerbung. Ihre Kandidatur soll nur dokumentieren, daß auch die winzige KPÖ von den Krisen des Weltkommunismus nicht verschont geblieben ist — auch ein Daseinszweck.

Die ganz besonders Schlauen

Seit einem Jahr gibt es die „Liberale Partei Österreichs”, die in ihrem Programm unter anderen auch so interessante Forderungen wie die „Einführung des Volksentscheides in Steuerfragen” aufgestellt hat. Am 6. März sollte diese Partei, deren Obmann als Spezialist für Parteigründungen angesehen werden kann — ist doch die LPÖ bereits die dritte Partei, die er gründen mithalf —, in 16 der 25 österreichischen Wahlkreise kandidieren. Daraus wurde jedoch nichts, da die ÖVP bekanntgab (das juristisch Bedenkliche an diesem Vorgehen der ÖVP soll hier ausgeklammert bleiben), daß ein Teil der die Kandidatur unterstützenden, notwendigen Unterschriften von prominenten Sozialisten stammt; diese zogen daraufhin eilig ihre Unterschriften wieder zurück. Die LPÖ konnte jedoch deshalb in einigen Wahlkreisen nicht die nötige Zahl von 200 Unterschriften aufweisen, wodurch sich ihre Kandidatur stark reduzierte.

Noch schlauer will es die Europäische Förderalistische Partei machen: Sie kandidiert diesmal überhaupt nicht, sondern hat die Parole ausgegeben, „weiß” zu wählen; damit sie am 6. März jede ungültige Stimme für sich reklamieren kann. Alle klassischen Zitate auf den amtlichen Stimmzetteln können so als Stimmen für die EFP gewertet werden. Einem Wahlerfolg der EFP steht also wirklich nichts mehr im Weg.

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