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Randbemerkungen zur woche

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DER SPOe-PARTEITAG 1955 hat im Zwielicht des Ueberganges von der Besatzungsära in die staatliche Freiheit' stattgefunden. Zwei Dinge sind es nun, die den Geist des Parteitages und die Quintessenz der aufgestellten Forderungen kennzeichnen: das Bekenntnis zur österreichischen Unabhängigkeit (mit der Forderung .nach staatsbürgerlicher Erziehung“) und der Wille, endlich einmal an die Alleinmacht zu kommen. Die OeVP empfindet man als eine Schwiegermutter, die man zum Aulbau des Existenz wohl benötigt hat, aber nun, da das Haus steht, gerne los sein möchte. Wenn aber Alleinmacht, so heifjt das Gewinnung jener Schichten, die als potentielle Wähler der SPOe da und dort nahegestanden sind, ohne sie gewählt zu haben. Dazu gehören Teile der österreichischen Katholiken, die man nicht vergrämen wollte. Daher die Ankündigung von einem bevorstehenden Arrangement in den strittigen Kulfurfragen und B das Bemühen, jeden impulsiven Antiklerikalismus abzudämpfen. Freilich ist man weiterhin für die Errichtung von „Kulturhäusern“ auf dem Dorf, nähert sich aber in der Frage Familie an die Forderungen der Kirche (Proft), wenngleich man noch immer heillose Angst vor den bestehenden katholischen Schulen hat, denen man Aufsplitterung des Schulwesens vorwirft (Schwab). Das Bemühen um die (leider auch Milch produzierenden) Bauern (sie heifjen .Arbeifsbauern“; die anderen sind Großbauern und Agrarier) ist ein intensives. Trotz allem, was man hört, macht der Kampf um den Bauern keine groben Fortschritte. Nur ein Prozent der Bauern (d. s. 7000) ist bei den Sozialisten. Und nicht „Zehntausende“, wie der Vizekanzler erklärte. Auf die KP-Wähler darf man aber auch nicht ganz vergessen. Daher ein dosierter Radikalismus (die Forderung nach Verstaatlichung der USIA-Betriebe, so weit sie es nicht ohnedies sind. Die bisherigen Wahlergebnisse in den USIA-Befrieben lassen jedoch nicht darauf Schliefjen, dafj die dortigen Arbeitnehmer nur aus taktischen Gründen die KP gewählt hatten). Auch die Unternehmer vergißt man nicht. Gehören doch heute fast 50.000 von Selbständigen zur SPOe oder wählen sie, während in einem gegenläufigen Prozeß Arbeitnehmer zur OeVP gehen. — Das ist nun das Dilemma, in dem sich die SPOe (und jede Vielschichfenpartei) befindet). Daß sie nicht mehr eindeutige Forderungen einer Gruppe vertreten kann. Was sie dem einen gibt, muß sie

dem anderen nehmen. Der „andere“ gehört aber oft auch bereits zur SPOe. So wird eine Lohnforderung auch zu einer innersozialislischen Angelegenheit... Es kommt dann dazu, daß „die Verwaltungsinteressen stärker sind als die Klasseninteressen“ (Hillegeist). Was dem einen versprochen wird, hören die anderen nicht gerne. Daher die Vorsicht in den Zusagen und die allgemeinen, oft nichtssagenden Formulierungen. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die torfschreitende und durch nichts aufzuhaltende Verbürgerlichung der SPOe-Elite, über die Zahlen vorliegen, bei den Anhängern schweres Mißtrauen hervorgerufen hat. Dieses Mißtrauen allein genügt aber noch nicht, um die Massen der Arbeiter zu veranlassen, eine andere Partei zu wählen, die, was den Grad der Verbürgerlichung anlangt, derzeit noch mehr Distanz von der Arbeiterschaft hat.

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„SCHLIPSSOLDATEN“ IM ANMARSCH! In

aller Stille — und das ist gut so — werden die Vorarbeiten für die Aufstellung des österreichischen Bundesheeres vorwärfsgefrieben. Seltsam ist nur, datj dabei auf eine anscheinend so einfache Frage wie die Uniformierung noch keine Antwort gefunden wurde. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen man — so geschehen in der Ersten Republik — aus lauter Angst vorder eigenen Tradition die Tradition eines Nachbarstaates im Schnitt der Monturen und in der Form der Disfinktionen ubernahm, aber noch immer scheinen da und dort gewisse Aengste zu bestehen, daß die österreichischen Soldaten zu österreichisch ausschauen! Angst vor der eigenen Art, Angst vor sich selbst. .. Auch das gibt es nur in Oesterreich. Dazu kommen noch jene Leute, die alles, was der „Soldatenmode“ anderer Länder abgeschaut ist, auch für gut und praktisch finden. Nun, das sogenannte „Eisenhower-Jacketf“ (die kurze Bluse der Angelsachsen) hat sich schon längst als die Ursache ' vieler Nierenerkrankungen in diesen Armeen herausgestellt. Ein zweites Lieblingsprojekt dieser Reformer um jeden Preis sind das Hemd und die Krawatte an Stelle des

geschlossenen Umlegekragen, wie ihn auch die kleidsamen Uniformen unserer Polizei und Gendarmerie haben. Selbstverständlich gehören Hemden im Sommer staft dicken Lodenblusen zur Ausrüstung einer modernen Armee — allein als praktischer und auch bei der Truppe be-liebler hat sich für das Landheer der hochgeschlossene Umlegekragen erwiesen. Ganz zu schweigen vom äufjeren Bild dieser Truppe. Eine kleine Probe aufs Exempel konnte man bei der letzten Parade der Exekutive anläßlich der Fahnenübergabe an die Zollwache sehen. Wie ganz anders präsentierte sich hier die Ehrenkompanie der Gendarmerieschule Rennweg gegenüber den „Schlipssoldaten“ — der Zollwache. .Das Gwandl macht 's Mandl“, sagt ein altes Sprichwort. Nicht zuletzf gilt dies für die Soldaten einer Armee. Und dies ist auch der Grund dafür, warum wir auf das gerne als nebensächlich abgetane Kapitel „Bundesheer-uniform“ immer wieder zu sprechen kommen. '*

„TIEFBESTllRZT“ kondolierte der deutsche Bundespräsident Heufj der Gattin des eben verstorbenen Bundesministers Dr. R o b er f T i I I m a n n. Mit dem plötzlichen Ableben dieses deutschen Politikers erleidet die deutsche Demokratie einen schweren Verlust. Tillmanns, der geborene Rheinländer und Wahlberliner, mit Jakob Kaiser stellvertretender Vorsitzender der CDU (die er in Berlin 1945 mitbegründef hatte), Vorsitzender des evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, war einer der lautersten Charaktere der jungen deutschen Demokratie in diesen letzten zehn Jahren. Er hat sich zu Tode gearbeitet und gesorgt wie sein Vorgänger, Hermann Ehlers, der vor etwas mehr als einem Jahr starb. Tillmanns war ein redlicher Makler, ein Mittler in seiner Partei und in den deutschen politischen Gruppen, die um den Neuaufbau ab 1945 rangen. Dieser Mann, dessen politische Laufbahn mitten im Aufstieg unterbrochen wurde, er stand kurz vor seiner Ernennung zum Ressortminister für Berlin und hätte im Falle einer längeren Behinderung des Kanzlers als einer der wichtigsten Träger konstruktiver Politik in Bonn grofje Aufgaben vor sich gehabt, erschien weiten Kreisen in Westdeutschland und darüber hinaus als ein Gewährsmann für die gesamtdeutsche Politik der Bonner Regierung. Tillmanns galt als der führende theoretische Kopf seiner Partei und arbeitete mit brennender Sorge an vier Aufgaben: an der Vorbereitung zur Wiedervereinigung der beiden Deutschland, an der Sozialreform, an der Befriedung zwischen Evangelischen und Katholiken, und nicht zuletzt an der Betreuung der Jugend (in der Weimarer Zeit war er Geschäftsführer des deutschen Studentenwerks gewesen). — Mit seinen vielen deutschen Freunden neigen s;ch die Männer und Frauen Oesterreichs, die sich zu einer Politik aus christlichem Gewissen bekennen, mit Schmerz vor seinem frühen Grab.

KUBITSCHEK BLEIBT BRASILIEN. Zumindest bis zum nächsten Pronunciamiento, zum nächsten Putsch. Der bisherige amtierende Präsident, Carlos Luz, der vor kurzem die Geschäfte des erkrankten Staatspräsidenten Joao Cafe übernahm und vor dem „Präventiv-Coup“ der Armee an Bord eines schweren Kreuzers flüchtete, will freiwillig nach Rio zurückkehren. Die Meinungen darüber, ob der von seinem Amte zurückgetretene Kriegsminister, General Henrique Texeira Loft, ein alter Gegner von Luz, durch seinen Vorbeugungspufsch die Amtswürde des am 3. Oktober verfassungsgemäfj gewählten Jusce-lino Kubitschek am 31. Jänner 1956 sichern oder verhindern wollte, gehen auseinander; immerhin sind bis dahin noch mehr als zwei Monate Zeit, und wenn der Sohn eines böhmischen Schneiders in den Cafelepalasf einzieht, können die Generale noch ein paarmal ihre Meinung ändern. Indes: dieses Riesenreich, das fast die Hälffe des südamerikanischen Kontinents einnimmt und nur 41 Millionen Bewohner zählt, leidet — wie die anderen grofjen Länder Südamerikas, Argentinien vorweg — an den sozialen Spannungen, die eine erst seif dem Beginn des ersten Weltkrieges eingetretene Industrialisierung in dem reinen Agrarlande (Kaffee: erste, Viehhaltung: zweite, Zucker: dritte, Baumwolle: vierte Stelle der Weifproduktion) hervorrief. In einem Lande, das erst 1888 die Sklaverei abschaffte (10 Prozent der Bevölkerung sind Neger, Abkömmlinge der für die Goldgruben und Pflanzungen aus Afrika herbeigeschafften Sklaven); in einem Lande, das — schon zufolge seiner Ausdehnung — die gröfjfen Schwierigkeifen in der Durchführung des obligatorischen Schulunterrichts hat; in einem Reiche, das Diktatoren — man denke an Rosas (Krieg mit Argentinien 1852) und Lopez (Krieg mit Paraguay 1865 bis 1870) und Vargas, der sich erschoh, kommen und gehen sah: in einem solchen Lande, das zudem weifgehend die ausländische Finanzhilfe zum Ausbau der Verkehrswege, der Wasserkräfte, der meist ungehobenen Bodenschätze braucht, wäre eine elastische, mafjvolle Sozialpolitik die Voraussetzung gesunder Weiterentwicklung. Von Kubitschek, den unsere äufjerste Linke glatt als Kommunisten bezeichnet (die KP ist in Brasilien 1947 verboten worden), wurde einstweilen blofj bekannt, daf5 er ein modern und undoktrinär denkender Mann ist; dieses Denken fällt ihm freilich leicht: er ist vielfacher Millionär.

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