6628076-1956_21_07.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

ZAPFENSTREICH FÜR DIE PLAKATKRIEGER Irgendwie deplaciert wirken am Morgen nach der Wahlschlacht jedesmal die bunten Plakate, die noch für Tage und manchmal sogar Wochen von Plakatsäulen und Hauswänden auf die achtlos vorbeihasfenden Passanten herabblicken. Da wir an dieser Stelle die einzelnen Wellen des Krieges auf der Litfaßsäule beobachte) haben, soll auch post festum ein Wort zu dem Endspurt der Plakafkrieger nicht versäumt werden. Nach der verhältnismäßig zahmen ersten HalbzeM des Duells mit Pinsel und Kleistertopf fühlten sich anscheinend die verantwortlichen Propagandachefs der beiden großen Parteien bemüßigt, gröbere Geschütze auffahren zu lassen. Der schwarze Adler-Raabe wurde' von der SPOe auf die Plakatwand geschickt, wo er schrecken und warnen zugleich sollte, „damit es nie wieder finster wird in Oesterreich“. Eine nicht gerade neue und noch weniger orginelle Idee .. . Von seilen der Volkspartei revanchierte man sich mit der roten Faust jm Nacken, die an den Zwischenfall bei den Fiat-Werken erinnern sollte, und — noch drastischer — mit der drohenden roten Würgeschlinge. Nun, Geschmack ist bekanntlich Glückssache und wir stehen auch nicht an, solchen Exzessen der Parteipropaganda keine Sympathien zu schenken. Einmal beim Exzedieren angelangt, ging die SPOe ihrerseits noch einen Schritt weiter: sie stellte sich in Schwarzweifjrof gehaltenen Klebestreifen als Rächer für Wallisch, Weissei, Münichreiter und

— sozialistische Opfer des Nationalsozialismus, bitte herhören I — Planetta und Holzweber vor. War ein Appell an eine Alf-Wöl-lersdorfer Allianz wirklich im Jahre 1956 das A und O sozialistischer Werbekraft? Wir möchten die innerparteiliche sozialistische Kritik das letzte Wort über eine solch massive politische Entgleisung sprechen lassen. Nun, es gab aber auch Originelleres auf der Plakatwand zu sehen: So das sozialistische Plakat, das ein großes Nein zu einer bildlich illustrierten Fahrt in die Volksdemokratie sprach und — mehr in der Komposition und in den Farben als in der Idee — der Arbeiter, der seine Hand schützend vor die Oeltürme streckt. Gut beraten war die Volkspartei, wo sie den Humor zu Wort kommen ließ: Wir meinen das Plakat „Da wird sich der Chef aber freun!“ und die rote Dreipfeilegabel, die alle weggeworfenen, nicht abgegebenen Stimmen aufspießt. Unter den kommunistischen Plakaten — die FPOe ließ es bei ihrem Spalterbild bewenden — fiel das Straßenbahnerplakat auf. Nun tun Sonne und Regen ihr Werk. Das Papier vergilbt. Der Kleisterpinsel wischt darüber. Zapfenstreich für die Plakatkrieger...

SCHÖNE GRUSSE AUS TRIEST brachten die Oesterreichischen Bundesbahnen, als sie die Frachttarife für Importe von Benzin vom Adria-tischen Meer über Tarvis nach Wien herabsetzten. Zur gleichen Zeit hörte man, daß die Tanklager der Oesterreichischen Mineralölver-walfung randvoll sind, daß man Absatzschwierigkeiten ungeachtet der vorgenommenen Preiskorrekturen habe, und zuletzt kamen die Nachrichten von dem Produktionsrückgang der heimischen 'Erdölförderung, was angeblich auf „technische Gründe“ zurückzuführen sei. Nun hat man zur Zeit, da die Erdölförderung nicht der,österreichischen Kontrolle unterstand, sich immerhin damit abfinden müssen, daß ansehnliche Mengen Benzin zum Schaden der Handelsbilanz eingeführt wurden. Im Jahre 1953 transportierten wir

— damals noch ohne jede Tarifbegünstigung — Erdöl im Werte von mehr als 86 Millionen Schilling herein. Im Jahre 1955 betrug der Wert bereits 365,4 Millionen! Man häite gedacht, daß angesichts der überdies durch die Liberalisierung begünstigten Importwelle, die 1955 zu einem Handelspassivum von 584 Millionen Schilling führte, jede Maßnahme, die zu einer Verstärkung dieser Tendenz leiten muß, genau erwogen würde. Das war eine Täuschung, keine billige dazul Das Erdölland Oesterreich, das von seinem wichtigen Rohprodukt eine Fundierung der Sfaatsfinanzen erwartet, hat durch ein verstaatlichtes Unfernehmen — eben die Bundesbahnen

— erleben müssen, wie im Jahre 1954 allein an Benzin 30.600 Tonnen im Werfe von 37,4 Millionen Schilling, 1955 schon die dreifache Menge im Werte von 111,4 Millionen aus dem Ausland eingeschleust wurde. Es ergibt sich somit die wahrhaft groteske Jatsache, daß im eigenen Hoheitsbereich eine Stelle gegen die andere wirtschaftet, was man schwerlich mif dem Slogan „Planwirfschaff“ bezeichnen kann.

ARNOLD RUCKT VOR. Der diesjährige Bundesparteitag der CDU auf dem Killesberg in Stuttgart brachte erwartete und unerwartete Resultate. Erwartet wurde die einstimmige Wiederwahl des Bonner Kanzlers als Parfeivorsifzender, unerwartet, nicht nur von ihm selbst, war die heftige Opposition der Landesverbände von Nordrhein-Westfalen, die gegen den Willen Dr. Adenauers Karl Arnold und Eugen Gersten-maier zusammen mit den engeren Gefolgsleuten des Kanzlers Kai Uwe von Hassel und Jakob Kaiser als stellvertretende Parteivorsitzende wählten. Bisher besaß die CDU nur zwei Parfei-vorsitzende, jetzt sind es vier: ein Gremium, das einmal zu einer Macht werden kann, wenn unvorhergesehene Umstände eintreten und wenn das Uebergewicht des Kanzlers ausfällt. Bis dahin bleibt es bei einer Demonstration vor der eigenen Partei und der deutschen Oeffentlich-keit: die CDU soll in den Wahlkampf des kommenden Jahres nicht einfach als „Führer'-Partei, als Ein-Mann-Partei, sondern als ein Bund von verantwortungsbewußten und verantwortungs- frohen Männern gehen. Der Parteikongreß beschloß auch offiziell, die CDU aus einer Wählerpartei zu einer Mifgliederpartei umzugestalten. Straffe Organisafion und Zenfralisation, ein mächtiger Parteiapparaf sollen also geschaffen werden. Hohes geistiges Format und in bestem Sinn des Wortes sfaatspblifisch konstruktiv und repräsentativ war die Rede des Bundestagspräsidenten Eugen G e r s t.e n m a i e r. Dieser evangelische Christ aus der Widerstandsbewegung ist ohne Zweifel jetzt der stärkste politische Denker der Partei und einer ihrer profilierfesfen Charaktere. Loyal dem Kanzler als Staatsführer gegenüber, geht er zumal innenpolitisch doch seine eigenen Wege. Neben ihm stehf Karl Arnold, den seine „jungen Leute“ von Nord-rhein-Wesffalen — nicht nur die FDP hat dort solche — sehr geschickt in Front brachten, und als „Kronprinzen“ der Partei durchsetzten. Was das bedeuten kann, kann erst die Zukunft lehren. Die mögliche innenpolitische Entwicklung Westdeutschlands zum Zwei-Parfeien-Sfaat und zu einer großen Koalition übermorgen (wenn sich CDU und deutsche Sozialdemokratie in den Koalitionen mif den kleineren Parteien genügend wundgerieben haben) wird jedenfalls mit davon abhängen, ob Karl Arnold seine Stellung in der Partei weiterhin festigen und den Ueber-raschungserfolg von Stuttgart im Aufbau des Parfeiapparats festigen kann. Von diesem Parteiapparat wird überhaupt viel abhängen: werden in ihm die kleinen Hungrigen und die Mitläufer, die glatten, dienstbeflissenen, geschäftigen Konformisten die wichtigen Stellen besetzen, oder wird es der CDU gelingen, unabhängige Köpfe, politische Charaktere als Mitarbeiter zu gewinnen? Und für Deutschland einen politischen Nachwuchs heranzubilden, dessen Westdeutschland dringend bedarf, um den großen Zukunffsaufgaben gewachsen zu sein? Mit dieser stummen Frage entließ Stuttgart die versammellen Delegierten und Gäste — es ist das eine Frage, die heute laut und brennend an alle christlich-demokratischen Parteien Europas gestellt ist, die sich und ihre Länder nur dann vor einem Ueberrollen durch eine von außen kommende Dynamik retten können, wenn sie in der eigenen Mitte eine echte und positive Dynamik entbinden: eine gesunde innerparteiliche Demokratie.

BESEITIGUNG DES „EISERNEN VORHANGES“!

Der ungarische Minislerrat hat in der vergangenen Woche den Innenminister angewiesen, die „technische Sperre“ an der Westgrenze des Landes aufzuheben. „Technische Sperre“: das bedeufet wahrscheinlich und zunächst Minenfelder, Stacheldrahf, Wachttürme. Es wäre jetzt müßig, darüber Mutmaßungen anzustellen, ob diese Verordnung einen Uebergang zur Politik der offenen Grenzen bedeufet oder nicht. Sie ist selbst dann, wenn Hindernisse anderer Art bestehen bleiben, ein großer Fortschritt und wird von allen jenen begrüßt, die eine Verständigung über die Grenzen ernstlich wünschen. Allein man fragt sich, ob das Fallen eines bösen Symbols den Hoffnungen, die es weckf — und auch wecken soll — gerecht wird. Die Beseitigung des Eisernen Vorhanges ist als eine Gesfe vor allem an die Adresse Oesterreichs gedacht. Ein Zeitungsartikel im Budapester kommunistischen Zentralorgan „Szabad Nep“ forderte kürzlich die Intensivierung der kulturellen Beziehungen zwischen Ungarn und Oesterreich und des gegenseitigen Fremdenverkehrs. Die ungarische Regierung wünsche — so stand es in diesem Artikel — die Regelung aller strittigen wirtschaftlichen, finanziellen Fragen, die zwischen den beiden Ländern noch bestünden. Es fragt sich nun, ob es damit allein schon getan sei. Denn auch die kulturellen Beziehungen und der Fremdenverkehr würden einer gründlichen Neuregelung bedürfen. Den zehntausend Oesferreichein, die im vergangenen Jahr anläßlich verschiedener Sportveranstaltungen als Auto- und Aufobustourisfen nach Budapest fuhren, stehf der vollkommene Stillstand der Besuche in der entgegengesetzten Richtung gegenüber, wenn man von den wenigen Sportlern und offiziellen Delegierten, die in Wien zu tun hatten, absieh!. Die Gründe für diesen Stillstand sind bekannt. Ebenso bekannt sind hierorts die Versuche ungerischer Kreise aus den letzten Jahren, Oesterreich, den Oesterreicher, zu interpretieren als schwarzgelben Kerkermeister, den der Kossufhisf freilich besiegt und mit Leichtigkeit zu Boden wirft; aber auch jetzt noch, da der Kossuth-Soldat der „friedlichen Koexistenz“ weichen mußle, als harmlosen, feuchtfröhlichen Heurigenbesucher, der höchstens noch als Publikum im Fußballsfadion ernst zu nehmen sei. In Ungarn wird man heute verstehen, daß wir diese Oesfeireichbilder für schematisch und daher für falsch halfen, denn auch wir sind gegen den „Schematismus“! Menschliche Beziehungen! Ja, aber mit wem? Mit Kulturbürokraten, die bald vielleicht wieder alles zu widerrufen genöfiqt wären, was sie uns heute erzählen, weil die Parteilinie es so erfordert? Wir müssen, wenn wir miteinander sprechen wollen, ohne Eiserne Vorhänge, und das heiß! auch: ohne Klischees, ohne Schematismus auskommen. Nur dann hat das Gespräch einen Sinn.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung