6613063-1955_13_09.jpg
Digital In Arbeit

Randhemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

WIRD ]ALTA FORTGESETZT? Es sieht darnach aus. Staatssekretär N u t.t i n g vom Londoner Außenamt informiert das englische Unterhaus und die Welt, daß keine Konferenz der Großen Vier notwendig sei, da ohnehin im Staatsvertragsentwurf für Oesterreich ein Anschlußverbot vorgesehen ist. Das stimmt. — Nicht vorgesehen aber ist eine Garantie, d a ß d i e Großen Vier dieses Verbot respektieren. Ohne diese Bürgschaft in jener Art ist der Staatsvertrag wertlos. Man könnte auch beifügen: Ein Produkt in Webereinstimmung mit Jalta .., *

VON ROTHSCHILD ZU ROT-SCHILD? Als im Sommer des vergangenen Jahres die Berechnungsgrundlagen für die Ermittlung der Sozialversicherung und dadurch die Beiträge für einen großen Teil der Arbeitnehmer erhöht wurden, waren automatisch auch die Beiträge für die Arbeiterkammer mitgesteigert worden. Und dies, obwohl die Kosten der Erhaltung der Kammereinrichtungen keine Steigerung erfahren hatten. Betrug der maximale Betrag, von dem der Kammerbeitrag früher erhoben werden konnte, 1s00 S, so nach der Erhöhung 2400 S. — Sosehr man die Notwendigkeit des Bestehens einer Arbeiterhammer und der Einhebung von Beiträgen anerkennt, ist es doch nicht recht verständlich, daß von Arbeitnehmervertretern „Arbeitergroschen“ oder eigentlich schon „Arbeiterschillinge“ in einem bedenklichen Umfang gehortet werden. Offensichtlich geschieht dies, um den geplanten Neubau eines Gebäudes der Wiener Kammer recht komfortabel ausstatten zu können. Dieser Neubau wird interessanterweise auf den Gründen des Rothschild-Palais errichtet, das zu diesem Zweck abgerissen werden muß. Die neuen Rot-Schilds scheinen nun in ihrer Tätigkeit von den in der gleichen Kammer sitzenden Schwarz-Schilds in ihrem Bemühen, einen neuen Demonstrationsluxus zu pflegen, nicht sehr wirksam gestört zu werden. Uns scheint aber, daß es allmählich zu den vordringlichen Aufgaben einer christlichen Gewerkschaftsführung gehören müßte, die Arbeiter vor Arbeiterführern, die dem Lebensstil der Großmanager verfallen sind, zu schützen. Feststeht, daß es bis jetzt der Führung der christlichen Gewerkschafter nicht möglich war, die Mehrheit zu bewegen, die völlig unbegründete Erhöhung der Arbeiterkammerbeiträge, die bereits so etwas wie den Charakter einer neuen Steuer haben, zurückzunehmen. Was für den Arbeiterkammerbeitrag gilt, gilt in einem gewissen Umfang auch für manche Fälle bei der Berechnung der Beiträge in der Sozialversicherung. Ein Beispiel; Jeder Monatsverdienst, der den Betrag von 184.60 S überschreitet, ist jetzt beitragspflichtig. Auf der anderen Seite muß jedoch bei der Berechnung des Beitrages von einer Mindestlohnsumme von 480 S ausgegangen werden, gleichgültig, ob der Verdienst nun 200 S oder 400 S beträgt. Der Arbeitnehmer darf höchstens mit 20 Prozent des Lohneinkommens mit Beiträgen an die Sozialversicherungsinstitute belastet werden. Es ergibt sich auf diese Weise, daß ein Arbeitnehmer, der (selbstverständlich nebenher) 200 S verdient, 40 S an Beiträgen zahlen muß-, der Arbeitgeber aber muß darüber hinaus noch 56 S zMen. Zusammen mit den lohnabhängigen Abgaben muß der Arbeitgeber insgesamt bei einem Lohn von 200 S nicht weniger als zirka 120 S, das sind etwa 60 Prozent, an Sozialbeiträgen leisten. Die Folge dieser Bestimmungen ist der Versuch der Arbeitgeber, das Dienstverhältnis so zu regeln, daß der Dienstnehmer überhaupt nicht versichert werden muß. Womit niemandem gedient ist. *

SILBERMÜNZEN KOMMEN! Vor einigen Tagen hat die Bundesregierung mitgeteilt, daß der wirtschaftliche Aufschwung und die Stabilisierung des Geldwertes nach langer Pause wieder die Ausgabe von Silbermünzen zu 10, 20 und 50 Schilling ermöglichen. Leider heißt es in der Verlautbarung aber auch „anläßlich besonderer Ereignisse oder Gedenktage“. Damit wäre ja das Ende der kleinen Banknoten wieder in die weite Ferne gerückt! Der Nennwert der Banknoten sollte doch ihrer Kaufkraft Rechnung tragen, weshalb zunächst die Zehnschillingnoten durch in entsprechender Menge auszugebende kleine handliche Zehnschillingsilbermünzen zu ersetzen wären. Wenn diese — woran ja infolge der Leistungsfähigkeit unseres altbewährten Münzamtes nicht zu zweifeln ist — „schön“ ausfallen, dürfte sich dadurch auch ein netter Münzgewinn ergeben, da viele dieser Zelmschillingmünzen „zum Andenken“ ins Ausland entführt werden dürften. Ob es zweckmäßig ist, nach dem angeregten Austausch der Zehnschillingnoten durch Münzen eine ähnliche Aktion auch auf den Nennwert zu 20 Schilling auszudehnen, wird die Zukunft ergeben. Vorläufig könnte die Ausgabe der Zwauzigschillingsilbermünzen auf Gedenktage (wie z. B. anläßlich der Eröffnung der Staatsoper oder zum 200. Geburtstag Mozarts) beschränkt werden. Der mit der Gedenkmünze zu zwei Schilling vor 1938 erzielte Münzgewinn eröffnet erfreuliche Aussichten. Ist doch z. B. derzeit ein „Zweischilling-Vogelweider“ oder der „Mariazeller“ unter 20 bis 30 Schilling nicht erhältlich! „Machen wir's den Marken nach!“ Bei dieser Gelegenheit möge die den Verkehr hemmende leichte Verwechslungsmöglichkeit mancher unserer Münzen nicht unerwähnt bleiben. England kennt zwölf eckige, Frankreich kannte vor dem Krieg durchlochte Münzen, Italiens 20-Lire-Stücke waren so flach, daß sie mit anderen Münzen nicht verwechselt wurden. Reizen diese Beispiele nicht zur Nachahmung?

DER BONNER BUNDESRAT, die Länderkammer Westdeutschlands, hat die Pariser Verträge gebilligt. Nun steht in Deutschland nur noch die Unterschrift des Bundespräsidenten aus, als Schlußstrich unter die Ratifizierung dieses schicksalsschweren Paktwerkes deutscherseits. Henß will sich jedoch einige Tage Zeit lassen: bis zur Abstimmung in Paris, die eben jetzt in Gang kommt, nachdem die Ratifizieruugsdebatte Vorrang bekommen hat. Noch hat Ministerpräsident Faure ernste Hürden vor sich: die Opposition versucht alles, um diese Debatte hinauszuschieben, die „Erhebung des kleinen Mannes“, unter Führung Poujades, versucht, innenpolitische Probleme in den: Vordergrund zu spielen, und Moskau hat nicht vergessen, eine neue Warnung an Frankreich mit der Drohung der Kündigung des Freundschaftsvertrages zu richten. Gleichzeitig ist in Westeuropa jedoch eine publizistische und öffentliche Aktivität für Europa zu verzeichnen, wie lange nicht seit dem Beginn der Straßburger Tagungen und der Verhandlungen um die Montanunion. Nachdem, soeben in Mainz ein stark besuchter internationaler Kongreß „Europa als Erbe und Aufgabe“ zu Ende ging, hat der Faneuropakongreß in Wiesbaden begonnen, auf dem sehr konkrete Vorschläge, auch bezüglich einer europäischen Sicherung Oesterreichs, der Weltöffentlichkeit und den Staatsmännern vorgelegt werden. — In Bonn wird zugleich verlautet: der Besuch des französischen Außenministers Pinay, der nach der Pariser Ratifizierung des Vertragswerkes erfolgen soll, werde „mit Freuden begrüßt“ werden. Die Annäherung zwischen Bonn und Paris in der Saarfrage, die in den letzten Wochen wieder mehrfach Gegenstand zahlreicher Reibungen und Verunklärungen war, ist offensichtlich geworden. — Steht das konsolidierte, konföderierte Westeuropa, als Wegstück zu einem erneuerten Europa, vor der Türe? — Die Männer, die ' oft, wie Graf Coudenhove-Kalergi, seit Jahrzehnten, für Europa gekämpft und gearbeitet haben, wissen dies so wenig wie die Staatsmänner, die heute um die notwendigen Vertragsabschlüsse ringen; wenn letzteren die Geduld und Zähigkeit, der unerschütterliche Glaube der ersteren nicht fehlt, dann dürfte in absehbarer Zeit -Westeuropa eine politische Konsolidierung erhalten, die gerade für Oesterreich lebenswichtig ist: als ein Unterpfand für die kommenden

Verhandlungen mit dem Osten.

ALS EIN GESPENSTISCHER SCHATTEN erscheint uns heute, da Zeitungsnotizen knapp seinen Tod melden, noch einmal die nach vorn gebeugte Gestalt des ungarischen Unabhängigkeitspolitikers der Ste* phan-Tisza-Zeit, des nachmaligen Präsidenten der zweiten Ungarischen Republik in deren wenigen Wintermonaten des Jahres 1929: Graf Mihaly Karolyi. Er starb im Alter von 80 fahren in seinem Heim an der französischen Riviera, wohin er sich nach einem kurzen Gastspiel an der ungarischen Gesandtschaft in Paris 1949 endgültig zurückzog. Er war, soweit man sich auf seine Memoiren, auf die vergilbten Zeitungsblätter, die den Text seiner Reden beinhalten, verläßt, ein Verfechter fast durchweg vertretbarer, ja höchst achtbarer Ideen: allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht, gleiche Rechte für die Nationalitäten, Absage an jede Kriegspolitik, Friede* und Demokratie. In Wirklichkeit fehlte es bei ihm an politischen und ethischen Fähigkeiten, die den verantwortungsbewußten Politiker, den Staatsmann von der Kategorie der Demagogen trennen. Einer der reichsten Aristokraten im Ungarn der Jahr-

hundertwende — und das wollte etwas heißen —, begann er seine politische. Laufbahn als Schüler des starken Mannes jener Zeit vor dem ersten Weltkrieg: Graf Stephan Tisza. Doch der mit geistigen Gaben reichlich versehene, aber auch überaus ehrgeizige, . eitle junge Graf wollte nicht lange im Fahrwasser der Andrassys, der Apponyis, am allerwenigsten dem der Tiszas segeln und wechselte den Platz: bald sah man ihn als unabhängigen 4Ser-Parlamentsabgeordne- , ten in den Reihen des stimmgewaltigen Unabhängigkeitslagers. Er erwies sich auch dort als einer der Radikalsten: in den Sturmtagen der parlamentarischen Obstruktion, als es um die Verhinderung der Wehrgesetze, um die ungarische Kommandosprache ging. Bald warf sich Karolyi auch auf die Probleme der Außenpolitik. Bereits 1913 agitiert er gegen den Dreibund für Freundschaft mit Frankreich und Rußland. Nach dem Tode Ferenc Kossuths wird er Führer der Unabhängigkeitspartei.. Während des Krieges beginnt er aber die Ideen der. französischen Radikalen der Jahrhundertwende für wichfiger zu halten als das ursprüngliche Kurutzen-Programm. Und da nehpien ihn starke, immer stärkere Wellen auf ihren Rücken, heben ihn empor. Er wird nach außen ihr Wortführer, er wird einer der Hauptakteure beim Zerfall der Monarchie, er schließt den Waffenstillstand im Namen Ungarns ab — bis ihn der Ausruf der Rätediktatur im März 3 919 zum Rückzug zwingt. Erst 1946 kehrt Karolyi aus der Emigration zurück. Er assistiert nunmehr bloß, als Gesandter Ungarns in Paris, bei einem ähnlichen historischen Umwandlungsprozeß wie 1918/19. Beide Male glaubte der Mann aus altem Adel dem Ruf seiner. Zeit folgen zu müssen und diente mit letzter Leidenschaft Ideen, die er nur halb begriff, und war in Wahrheit bloß ein Werkzeug in fremden Händen, das man nach getaner Arbeit beiseite legte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung