6617719-1955_42_11.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen zur woche

Werbung
Werbung
Werbung

DIE MOTORISIERUNG SCHREITET IN ÖSTERREICH rasant •vorwärts: das ist nicht bloß aus den sprunghaft gestiegenen Unfällen abzulesen, welche den Handelsminister veranlaßten, an den Unterrichtsminister heranzutreten, um Verkehrsunterricht als „Pflichtfach“ einzuführen. Den Handelsminister bewegt allmählich auch die Sorge, wie der Zustrom von Kraftfahrzeugen in ein gesundes Verhältnis zur Handelsbilanz gebracht werden könnte. Im Jahre 2947 betrug die Einfuhr an Kraftfahrzeugen nach damaligem Werte 12,7 Millionen Schilling. 1950 stieg der Wert auf ISO,5 Millionen, 2953 auf 457,6 Millionen und kletterte 1954 über die Mjlliardengrenze. Im ersten Halbjahr 1955 allein betrug der Wert der Kraftfalirzeugsteuer schon über eine Milliarde (nach den Aufstellungen des Oesterreichischen Statistischen Zentralamtcs), und man muß erwarten, daß 1955 nahe an die 1,7 Milliarden, gering geschätzt, führt. An dieser Entwicklung hatten die Liberalisierung und die Zollsenkung wesentlichen Anteil. Neben den früher schon liberalisierten Krafträdern über 350 cem {die man gegenwärtig in Oesterreich nicht erzeugt) und den Lastwagen mit einer Nutzlast bis zwei Tonnen wurden bekanntlich ab 1. Jänner 1954 die Personenkraftwagen und Personenautobusse in die Liberalisierung aufgenommen. Dazu kommt noch, daß durch die mit 1. Oktober 1954 verfügte Umstellung vom Cewichtzoll auf einen zwanzigprozentigen Wertzoll eine weitere Nachfrage hervorgerufen wurde. Denn nun ermöglichte man es, gebrauchte Wagen, die bis zum 1. Oktober 1954 der gleichen Zollbelastung unterlagen wie fabriksneue Wagen, bedeutend billiger einzuführen. Die Verkaufspreise der Kraftwagen wurden innerhalb eines Jahres zweimal bedeutend herabgesetzt. Die Aufwendungen für die Straßenerhaltung steigen aber-, kein Wunder, denn 1947 wurden 733 Kraftfahrzeuge, int ersten Halbjahr 2955 allein' 42.433 Kraftfahrzeuge eingeführt! Für das Jahr 1955 muß mit einer zehnfachen Einfuhr gegenüber 1947 gerechnet werden. Die Folgen liegen auf der — Straße: Einfuhren für wichtige Maschinen zw Exportausweitung und zur Fortführung des Investitionsprogramms müssen gedrosselt werden, um ein Ansteigen des Handelsbilanzpassivums zu vermeiden. Es scheint, man hat sich hier' mit der Liberalisierung übernommen — ganz abgesehen von der psychologischen Wirkung auf gewisse Käuferkreise, die untei strengeren Einfuhrbestimmungen und durch sie gesteuerte Preise gar nicht in die Versuchung kommen, sich einen Wagen. anzuschaffen —, eine Transaktion, die überdies erfahrungsgemäß den Kreditmark: belastet. Ehe man das Pflichtfach „Verkehrsunterricht“ einführt, wäre eine Lektion. „Kraftfahrzeug-Eiufuhrs-Uuterrteht“ den zuständigen Stellen anzuraten.

DER STREIK DER ANGESTELLTEN EINER GEWERKSCHAFT GEGEN EBEN DIESE GEWERKSCHAFT bzw. gegen die Gewerkschaftsführung is eine der Grotesken, die sich oft im Rahmen der so zialen Auseinandersetzungen ereignen. Und ein solcher Streik hat bereits stattgefunden. Selbstverständ lieh in den USA. Dort sahen sich die Angestelltct einer Gewerkschaft gezwungen, gegen ihre Brotgebe auf die Straße zu ziehen. Es ist eben ein weitver breiteter Irrtum, anzunehmen, daß die Gewerk schaftsaugestellten übermäßig hohe Gehälter be ziehen. Das mag für einige Angestellte an der Spitz der Hierarchie stimmen, trifft jedoch für die Massi der beamteten Gewerkschaftsfunktionäre nicht zu Insbesondere die Akademiker haben meist eine Be soldung, die erheblich unter jener in der sogenannte! Privatwirtschaft liegt. Nun ist es auch in Oesterreich soweit, daß die Angestellten des OeGB mit ihrer Be soldung nicht zufrieden sind und Lohnforderunget stellen. Dabei scheint die andere Seite, nicht geneig zu sein, diesen Lohnforderungen Rechnung zu tragen obwoM doch die Beiträge reichlich fließen, insbeson dere fetzt, da auch die Angehörigen der ehemal russischen Betriebe gewerkschaftlich und beitrags mäßig voll erfaßt werden können. Wenn nun de Streik, als das wesentliche Element der lohnpoliti sehen Aktionen, die den Arbeitnehmern rechtens zu stehen, allgemein anerkannt wird, bliebe auch de Angestellten des OeGB bei Ablehnung ihrer An Sprüche kaum etwas anderes übrig, als zu streiket: Wir glauben, daß es nicht dazu kommen wird. Abc etwas anderes zeigt sich: Der Tatbestand, daß jent die geradezu amtlich berufen sind, an der Lösun der sozialen Frage mitzuarbeiten, mit dieser Lösun anderswo, aber nicht in ihrer nächsten Umgebung be ginnen wollen. Weil es da um a\ie eigenen Schilling geht.

ZWANZIG JAHRE STAND ALEXANDER PAPA GOS IM RAMPENLICHTE der an Beleuchtungs effekten wirklich nicht armen griechischen politische Bühne, und nur widerstrebend hatte der Schwerkrank in der vergangenen Woche auf Drängen des Koni einen Stellvertreter nominiert — wenige Stunden später, als könne ein Soldat die Etappe nicht ertragen, schloß Papagos die Augen für immer. 1935 hatte er, nach der Rückkehr Georgs IL, das Gewirr der Pangalos, Kondylis und Venizelos entwirren müssen und wurde, damals 52 Jahre alt, Generalstabschef. Der zweite Weltkrieg brachte ihm, gelegentlich der italienischen Extratour, 1940 im Epirus bedeutende Erfolge, und auch sein Abwehrkampf gegen die deutsche 12. Armee im Strumatal verdiente alle Achtung. Nach dem Kriege (der Generalstabschef kam ins Konzentrationslager) löste Papagos die inneren Schwierigkeiten auf die ihm geläufige Art: der Kommunismus, der schon daran dachte, Balkan und Italien aufzurollen und über Kleinasien nach Aegypten überzuspringen, erlitt bei dem sich entspinnenden Bürgerkrieg eine entscheidende Niederlage. Dafür wurde Papagos der erste griechische Feldmarschall. 1950 trat er als Soldat wegen Meinungsverschiedenheiten mit König Paul I. zurückt kam mit seiner an de Gaulle orientierten „Nationalen Sammlung“ aktiv als Politiker zurück und errang bei den Wahlen 1952 die absolute Mehrheit. Im selben Jahre kam der Anschluß an den Atlantikpakt, im folgenden jener an Jugoslawien und die Türkei (Balkanpakt). Hinter diesen politischen Aktionen war aber immer der Soldat zu spüren. Es gelang die innere und äußere Lage zu stabilisieren, nicht aber die sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen. 68 Prozent der griechischen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig, ein Drittel davon als Kleinbauern und Landarbeiter. Die sozialen Spannungen und die dadurch immer latente Anfälligkeit für Radikalismen hindern aber das- ausländische Kapital, sich ernstlich zu engagieren. Da die meisten griechischen Staatsmänner — Metaxas nicht ausgeschlossen — entweder durch Staatsstreich oder diktatorische Vollmachten an die Macht kamen, war es und wird es jetzt nach dem Tode von Papagos schwierig, den demokratischen Westen von der Stabilität zu überzeugen — um so mehr, da man dem Westen das Schauspiel des Königsbesuches in Belgrad gab. Nach Papagos wird die „Nationale Sammlung“ die feste Hand entbehren, eine Periode der Labilität ' beginnt — ohne daß die Hauptprobleme des Landes

■ gelöst wären. Man kann wähl Kriege gewinnen: aber ' man darf den Frieden nicht erhandeln mit Unter-

■ Schriften unter M'litärpnhte. Besser große Baucrn-

■ höfe als „große Bahnhöfe“.

'. WÄHREND IN MAROKKO DIE KÄMPFE zwi-. sehen den rebellierenden Berber-Stämmen und fran-, zösischen Panzereinheiten (über 300.000 Mann, die Hälfte aller französischen Truppen) fortdauern, gelang es in Paris am Wochenende trotz düsterster Voraussagen der Regierung Faure, ein Ver-' trauensvotum zu erlangen. Dies kam dadurch

■ zustande, daß die 104 sozialistischen Abgeordneten ( in letzter Stunde doch noch zu einem Kompromiß ' in der Marokkofrage zu bewegen waren. Scharfe ' Kritiker werfen dem Ministerpräsidenten indessen ' vor, daß seine Bemühungen nach wie vor nicht so ' sehr dem Wohle Frankreichs galten, sondern der ' eigenen Rettung, der Verlängerung der Lebensdauer ' einer Koalitionsregierung, deren Gaullistische Mi-' nister schon seit Monaten ihren Chef offensichtlich ' sabotierten, deren Außenminister nur momentan und i bis auf Widerruf den Regierungskurs zu vertreten '■ bereit ist. Man spricht heute davon — injbesoMrfere

• in den Kreisen um die neue Tageszeitung „L'Express“ ' (die bisher eine Wochenschrift war) —: Es sei i eine Offiziersjunta am Werke, die die Gefolg-1 schaff den Politikern längst aufgekündigt hätte ' und einen Staatsstreich bewußt anstrebe. Wahr, ist, 1 daß der Kabinettschef des bisherigen Verteidigungs-1 ministers General König, der General Lecomte, die

• Beschlüsse von Aix-les-Bains, die eine Befriedigungs-' politik in Marokko durch die Einsetzung eines Re-s gentschaftsrates an Stelle des von den Nationalisten ' bekämpften Sultans Ben Arafa einleiten sollten, be-1 wüßt hintertrieben hat, weiter, daß hinter dieser ' grauen Eminenz Gestalten von der Tragweite des

Marschalls Frankreichs, General Juin, und des gegen-4 wärtigen Generalresidenten von Marokko, General

Böyer de Latour, stehen. Sie alle halten die Politik, !' die Faure, wenn auch sehr zögernd, vertritt oder' zu-r mindest angekündigt hat, für verfehlt, weil diese das '' französische Zivilisationswerk, aber noch mehr die % wirtschaftlichen Positionen der kleinen und der großen Besitzenden in Nordafrika gefährden soll.

Allerdings haben diese auch General de Gaulle nahe-e stehenden Kräfte bis jetzt noch keinen Gegenplan veröffentlicht. Sie mögen dafür ihre guten Gründe haben. Man sieht also, in Marokko geht es nicht ' bloß darum, mit dem Aufstand der erwachten ' Nordafrikaner „fertig zu werden“. Es genügt auch

• nicht, die Verbindungslinien, die bis nach Kairo, ja e indirekt vielleicht noch viel weiter ostwärts, und s dann, zum größten Aergernis europäischer Kreuzzug-

■ Ideologen, auch westwärts bis nach Madrid reichen, auf der Landkarte nachzuzeichnen. Nein, man beachte auch sehr genau die Gegenkräfte, die sich regen, die Verteidiger eines nunmehr zur Illusion gewordenen Status quo. Den Hintergrund zu dieser Situation von heute geben die Straßenkämpfe ab, etwa in Rouen, zwischen meuternden französischen Reservisten und der Polizei. Unzählige Zeichen beweisen es: die Jugend Frankreichs will nicht für Kolonialsysteme sterben. Die Regierung Faure wird also der Wahl zwischen Illusion und Wirklichkeit kaum mehr lange ausweichen können.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung