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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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LASST DIE GEFANGENEN FREI! Einer der bisherigen Höhepunkte der laufenden Session der Vereinten Nationen in New York war nach allgemeiner Meinung die große Rede des österreichischen Aufjenminislers, der als erster Redner in der politischen Debatte die Regierung der ungarischen Volksrepublik aufforderte, alle Menschen aus den Gefängnissen freizulassen, die seit der Niederschlagung der Oktoberrevolution vor beinahe zwei Jahren dorthin gebracht wurden. Außenminister Figl folgte einer guten österreichischen Tradition, als er wieder einmal Worte der Menschlichkeit und des Friedens an die Mächte der Welt richtete und in der gegenwärtigen besonders gefahrvollen Phase der Weltpolitik nicht vergafj, darauf hinzuweisen, dafj die letzten Wochen und Monate auch Positives mit sich brachten: die Einigung der Afom-experten in Genf über die Kontrolle der Kernwaffenversuche und die ersten Anzeichen einer befriedigenden Endlösung der Nahostfrage. Mit seinen Worten an das Nachbarland Ungarn brachte er der Welt in Erinnerung, dafj Oesterreich sich in den vergangenen zwei Jahren der menschlichen Pflicht nicht entzog, dem Nächsten, der in Not geraten ist, zu helfen. Die Haltung Oesterreichs und der Oesterreicher den ungarischen Flüchtlingen des Jahres 1956 gegenüber gibt diesem Land die moralische Berechtigung, sich auch um das Los der Eingekerkerten, der wegen ihrer Gesinnung Verfolgten zu kümmern. Aber Minister Figl richtete seinen Appell nicht nur an die Regierung in Budapest, sondern an alle Staaten, wo Menschen wegen ihrer politischen oder religiösen Ueberzeugung, wegen ihrer Abstammung oder Sprache verfolgt oder irgendwie benachteiligt werden. Es wäre falsch, in dieser Rede blofj die etwas abgewandelte Form jener unverbindlichen, rhetorischen „Friedensappelle“ zu sehen, die man; auch aus dem Munde keineswegs im-tner 'MecWertigerSfaorftänner der grofjen und 'kleinen“Mäehte zu hören bei den Vereinten Nationen seit Jahr und Tag gewohnt ist. Die Stimme des freien und neutralen Oesterreichs zeigte den Weg auf, den alle ohne Prestigeverlust gehen können: den Weg der praktischen, kleinen und grofjen Friedenstaten, die sich auch als die beste Politik erweisen würden.

DIE PIONIERSCHAU 1958, die auf der alten Klosterneuburger Pionierinsel eröffnet wurde, hat erneut den guten, in Katastrophenfällen vielfach erprobten Ruf dieser Truppe bewiesen. Die gezeigten Uebungen, die einen Einblick in die Ausbildung, das Können und die Ausrüstung gaben, machten auf die Besucher aus Staat und Wirfschaft, darunter der Bundespräsident, der Finanz- und der Handelsminister, einen nachhaltigen Eindruck. Der Rede des Pioniertruppeninspektors, der bereits im Heer der Ersten Republik diesem Truppenteil angehört hatte, mufjte durch die Anwesenheit eines solchen Forums besondere Bedeutung zukommen. Er sagte in klaren Worten, dafj die Dienstzeit von neun Monaten (übrigens die kürzeste in Europas Heeren) für eine Spezialfruppe zu kurz und die vorgesehenen Budgetmitteln nicht ausreichend seien. Staatssekretär Stephani, obwohl selbst gedienter Militär, kreidete, so berichtete die „Arbeifer-Zeitung“, dem Pioniertruppeninspektor an, „er habe die Gelegenheit dazu mißbraucht, um vor der Oeffentlichkeit die Mahnahme der gesetzgebenden Körperschaften zu kritisieren“. Wir meinen allerdings, daß nicht die von Verantwortung getragene, fristgerechte Mahnung eines Fachmannes unverantwortlich isf, sondern die befremdende des Staatssekretärs, dessen Verfeidigungssinn hier, gelinde gesagt, mit Verzögerungszünder arbeitet.

NUR HERBSTZEITLOSEN) Die internationale Presse hat einen Amtsakt des österreichischen Innenministeriums mit einmütiger Billigung zur Kenntnis genommen. Da wurde es einem jungen Wiener Angesteliten untersagt, eine Partei namens „N. S. D. A. P.“ zu gründen. Im Herbst 1958. Gesprochen soll dieser Parfeiname laufen: „National-sozialistische demokratische Arbeiterpartei.“ Die kurze Pressenotiz wurde vergangenen Sonntag von rückwärts und flüsternd Wiener Ausflüglern vorgelesen, die im Wagen auf der Triester Strafje ins Freie fuhren, im Strom vieler Inländer und noch mehr Ausländer, die sichtlich Italien, vom Norden her, zustrebten. Tausende Wagen fuhren da durch einen mächtigen Bogen einer Autobahnbrücke, vor der Abzweigung nach Maria-Enzersdorf. Auf ihm prangte ein riesiges Hakenkreuz. Vielleicht prangt es heute noch dort. Wir kennen nicht die Eindrücke der englischen, französischen, deutschen, italienischen Fahrer, die da vorbeifuhren, vielleicht noch fahren.

Wir glauben, dafj dies eine innerösferreichische Angelegenheit ist. Wobei wir nicht meinen, dafj ein Neonazismus als Exportware unsere schwer um Erweiterung des Exports ringende Wirtschaft unterstützen sollte, etwa jetzf, auf der Frankfurter Buchmesse, durch Verbreitung sehr „nationaler“ Zeitschriften und Drucksachen, die hierzulande erscheinen. Wir meinen auch nicht, daß die „Nationale Jugend“, die sich heute in ihren Versammlungen so gibt wie ihre Väter vor zwanzig und mehr Jahren, zum Abwaschen, zu Reinigungsaktionen befohlen werden sollte. Dieselbe Jugend, die, schwarz auf weifj, in ihrem Mitteilungsblatt verkündet, dafj sie wieder über den Ring marschieren wird. Wir rufen nichf gleich den Kadi. Wir denken nicht, in Erinnerung an die „Märzveilchen“ von 1938, diese Herbstzeitlosen von 1958 zu verklagen. Uebersehen aber können und dürfen wir sie nichf.

DE GAULLES GROSSER TAG. Die friedliche Sonntagssfille, in der das französische Referendum vor sich gegangen isf, darf nichf darüber hinwegtäuschen, dafj mit der überraschend hohen Mehrheit für de Gaulle und seine Verfassung folgenschwere Entschließungen gefallen sind. Gegen 80 Prozent der Wähler haben aus der unbändigen Sehnsucht nach „Stabilisierung“ heraus den Blankoscheck unterschrieben, der de Gaulle bis zur Annahme der neuen Institutionen, also vier Monate lang, eine Machtfülle beschert, über die ein gutes Jahrhundert lang kein Mann an der Spitze Frankreichs verfügt haf. Aus den nur viereinhalb Millionen einstimmen geht hervor, dafj die Kommunisten, die bei den letzten Pärlamentswahlen, 1946, noch über fünf Millionen Stimmen aufgebracht hatten, diesmal schwere Verluste erlitten haben — gut eine Million Nein-Stimmen gehen nämlich nicht auf ihr Konto. In die Freude der Franzosen darüber mischt sich ein bitterer Tropfen: Im Gegensatz zu den anderen Ueberseegebie-ten, Madagaskar, Guadeloupe, Martinique, Reunion, Nigeria, Elfenbeinküsfe, Somaliland und Senegal, haben in Guinea nur 551 mit Ja gestimmt, 50.500 mit Nein. Damit scheidet das bodenschatzreiche Gebiet ab sofort aus der französischen Gemeinschaft und wird ein selbständiger Staat. Ueber diese und andere Auswirkungen und Aufgaben der nächsten Monate wird unser Pariser Mitarbeiter in der nächsten „Furche“ die Leser eingehend unterrichten.

WASSER IM ZYPRIOTISCHEN WEIN. Erz-bischof Makarioj hat überraschenderweise seinem schweren, den Engländern so unbekömmlichen zypriotischen Wein eine beträchtliche Menge Wasser zugesetzt. Der jahrelang unbeugsame Vorkämpfer für „Enosis“ haf jetzt einen Vorschlag gemacht, der das Ziel der Vereinigung Zyperns mit Griechenland in den Hinfergrund rückt. Wohl bleibt er dabei, dah seiner Heimat nach einer Uebergangsperiode der Selbstverwaltung — gemeint ist da offenbar eine Autonomie nach dem letzten britischen Plan — die Unabhängigkeif, nach freier Wahl inner- oder außerhalb des Commonwealth, zu gewähren sei, aber ein etwaiger Anschluh an Griechenland oder eine griechisch-türkische Teilung der Insel solle auch dann noch nur mit Zustimmung der Vereinten Nationen gestattet sein. Offenbar ist Makarios davon überzeugt, dah es ihm zu gegebener Zeit nicht schwerfallen würde, die Mehrheit der Vereinten Nationen für „Enosis“ zu gewinnen. Das ist aber kein Grund, weshalb sein Vorschlag kurzerhand abgelehnt und nicht als Grundlage weiterer Verhandlungen angenommen werden sollte. Hat Zypern einmal die Unabhängigkeit erlangt, und früher oder später muh die britische Herrschaff dort jedenfalls ein Ende nehmen, dann könnte es leicht sein, dafj die Begeisterung für „Enosis“ einer nüchternen Erwägung der geradezu lebenswichtigen Vorteile weicht, die ein Verbleiben der Insel im Commonwealth für ihre Bevölkerung bedeuten würde. Gelänge es jetzt der britischen Diplomatie, den Führer der griechischen Zyprioten dazu zu bringen, als Garanten der künftigen Selbständigkeit Zyperns, wie der türkischen Minderheifsrechte, an Stelle der Vereinten Nationen die NATO zu akzeptieren, dann wäre der Weg geöffnet, um einen schon allzu lange schwelenden Brandherd zu löschen.

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