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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE
DIE ERSTE GČNERALKONFERENZ DER INTERNATIONALEN ATOMENERGIEBEHÖRDE hat in Wien ihre Arbeit begonnen. Wenige Tage nach ihrer Eröffnung startete der erste russische Erdsatellit. Seine Funksignale werden von Empfangsgeräten in allen Ländern aufgenommen. Dieser erste künstliche Mond illustriert aut seine Weise den ersten Satz des Berichtes der Kommission zur Vorbereitung dieser Konferenz: „Die Entwicklung der friedlichen Verwendung der Atomenergie verlangt einen hohen Grad internationaler Zusammenarbeit.’ 61 Nationen, später werden es 82 Staaten sein, sind im Wiener Konzerfhaus vertreten. Ihre Flaggen wehen an der Eingangsfronf im Winde. Riesengroß, unsichtbar, aber sehr gegenwärtig, weht über ihnen die Fahne des Atoms: Flagge des Todes, des Lebens. Diese Konferenz und die sich nunmehr konstituierende Hohe Atombehörde wird harte und schwere Arbeit zu leisten haben. Sie muß diese Arbeit leisten, denn die unsichtbare Flagge mahnt sie täglich, die Entfesselung der atomaren Energien geht alle an. Alle sind betroffen; nicht nur durch das Wetfer und durch die radioaktiven Wolken, die seit Jahren um die eine Erde kreisen. Gerade auch die friedliche Ausschöpfung der Atomenergie verlangt eine weltumspannende internationale Kontrolle und wissenschaftliche Zusammenarbeit aller Beteiligten. Die Verwaltung und Beherrschung des Atoms ist die erste und letzte politische Aufgabe der Menschheit heute. Sie schließt alle Probleme der Friedenswahrung, der Friedensschaffung in sich ein. Eben deshalb hat die Internationale Atombehörde wesenhaft einen Rang, ebenbürtig der ganzen UNO. Nur in der Arbeit langer Jahre aber kann sie sich einspielen, entfalten. Dazu bedarf sie eines Klimas, das gleichermaßen durch Ernst und innere Freiheit bestimmt ist: Wien, im Schnittpunkt zwischen Ost und West, unweit der ungarischen Stacheldrähte, und gleichzeitig geborgen in einer uralten Tradition der Völkerverbindung, stellt beides zur Verfügung: den notwendigen Ernst und die notwendige Unbefangenheit. Es darf also gehofft werden, daß diese, unsere Stadt, die Bundeshauptstadt Oesterreichs, zum ständigen Sitz der Afombehörde gewählt wird. Als Friedensraum und Freiheitsraum vermag sie allen Delegierten etwas zu geben. — Die Presse hat in ihren Bildberichten zur Eröffnung dieser Konferenz stark ein Photo herausgestellt: der Chefdelegierte der Sowjetunion, Emelianow, im Gespräch mit dem Delegierten des Vatikans. Unsinnig wäre es, an dieses Bild ausschweifende Spekulationen zu knüpfen. Vorerst müssen die schlichten Tatsachen genügen. Der Herr über Leben und Tod hat durch seinen kleinsten Boten, das Atom, alle zu Tisch geladen. Um über ihr Leben und Sterber! zu verhandeln.
EIN BÄRENDIENST FÜR DEN BUNDESPRÄSIDENTEN. Daß der Bundespräsident schlecht beraten war, als er das Strafverfahren im Fall Graf & Stift niederschlug, ist inzwischen wohl auch seinen Ratgebern klargeworden. Das Volk will im Bundespräsidenten den objektiven und gerechten Vater des Vaterlandes sehen, nicht den vorgeschobenen Posfen einer politischen Gruppe oder Partei. Der Fall Graf & Stift könnte und müßte in seinen letzten Wirkungen zum Nutzen gereichen, wollte man sich dazu bequemen, ihn nicht so sehr als die Schuld einzelner, sondern als ein Verhängnis anzusehen, das uns alle trifft und belastet. Man soll es Dr. Schärf nicht zu schwer machen, aus der bisherigen Rolle des Parteivorsifzenden in die des Bundespräsi- denfen hineinzufinden. Wenn der Präsident des OeGB, NR Johann Böhm, in diesen Tagen einen Sonderdruck der Gewerkschaffszeitung „Solidarität” als Flugblatt in Millionenauflage an die Wohnparteien hinausgehen läßt, in dem der Rechtsbruch bei Graf & Stift als ein Kampf für das Recht gefeiert wird, so ist damit dem Bundespräsidenten ein Bärendienst erwiesen. „War die Abwehr des Gründungsversuches einer gelben Gewerkschaft ein Terrorfall?’ schreibt Präsident Böhm, und er setzt fort: „Allerdings kann man es den Befriebsbelegschaffen nicht zumuten, mit Gewerkschaftsfeinden zusammenzuarbeifen.” Das ist eine massive Drohung. Zu Ende gedacht, bedeutet sie, daß es jedem, der in Hinkunft als Arbeiter oder Angestellter gegen die Allmacht der Gewerkschaft aufbegehrt, so ergehen wird, wie es Maria D., Hertha T. und Josef A. in der Firma Graf & Stift erging. Rechtsbrüche sind dabei ungefährlich, denn prakfischerweise kann man damit rechnen, daß der Bundespräsident die Schuldigen vor den Straffolgen bewahrt. Es mag sein, daß der Rechtsstaat bisher nicht so sehr in Gefahr war, handelte es sich doch anfangs um Verstöße untergeordneter Funktionäre. Sobald aber der Präsident des Gewerkschaffsbundes als höchste Instanz Rechfsbrüche ausdrücklich in Schutz nimmt und damit seine Gefolgschaft ermuntert, auf diesem abschüssigen Weg forfzufahren, wird die Gefahr bedrohlich, sk
PARISER KRISE NR. 22. Die 22. Regierungskrise der Vierten Republik zeichnet sich dadurch aus, daß sie sich an einem Phantom entzündete: an dem „Rahmengesetz” für Algerien, für das die Regierung Bourgös-Maunoury keine Mehrheit erhalten konnte. Und dies, obwohl in der vorausgegangenen Debatte dem Rahmengesetz alle „föderalistischen Zähne’ so radikal gezogen worden waren, daß es bei nüchterner Prüfung auch den eingeschworenen Zentralisfen nicht mehr schrecken konnte. Es ist bezeichnend für die hysterische Atmosphäre, aus der die Krise entsprang, daß die kolonialistische Rechte auch noch diese leere Hülle in der Luft zerfetzte. Ebenso bezeichnend ist, wie kunterbunt die relative Mehrheit zusammengestückelt war, die das Kabinett dann stürzte. Zu den Linksund den Rechtsextremisten, die ohnehin gegen jede Regierung stimmen, stießen nicht nur diejenigen, denen jenes Rahmengesetz trotz aller Beschneidungen immer noch zu sehr föderalistisch war, sondern auch diejenigen, denen das zuwenig war. Einem Mangel an politischer Linie bei der Regierung steht also der genau gleiche Mangel bei der Zufallsopposition gegenüber. Wie aus dieser Konstellation eine arbeitsfähigere Regierung als die bisherige entstehen soll, ist vorerst für jedermann ein Rätsel. Dabei wäre eine arbeitsfähige Regierung nötiger denn je. Frankreich tritt in Sachen Algerien mit leeren Händen vor die UNO. In Algerien selbst ist der Guerillakrieg nach einer Pause, die etliche Wochen dauerte und falsche Hoffnungen aufkeimen lief), in diesen Tagen neu aufgeflammt. Die Verhaftung von 15 algerischen Offizieren der französischen Armee (und die scharfe Ueber- wachung ihrer nicht verhafteten Kameraden) zeigt, dcfj Frankreich im Begriff ist, selbst diesen treuesten algerischen Bevölkerungsteil noch zu verlieren. Vor allem aber hat nun die Unruhe auch auf das „Schwarze Afrika” südlich der Sahara übergegriffen: auf den Kongreß der größten Negerpartei, der „Demokratisch-afrikanischen Sammelbewegung”. Am letzten Wochenende hat die Parteimehrheit das bisher zugestandene Maß an Föderalismus als Attrappe gebrandmarkt und die weitere Treue zu Frankreich von der Umwandlung der „Französischen Union” in ein wirklich föderalistisches Gebilde abhängig gemacht. Daran, ob zum Nachfolger des gestürzten Ministerpräsidenten wiederum ein. zaghafter Kompromißler oder aber einer der wenigen entschiedenen Reformer bestellt werden wird, dürfte bereits abzulesen sein, ob Frankreich diesmal wieder (und damit vielleicht endgültig) den Zug verpaßt.
DER WEG IST FREI. Außenminister Pella, der von der Tagung der Vereinten Nationen in’ New York zurückgekehrt ist, hat die erwünschte Verständigung mit den Vereinigten Staaten über die italienische Nahostpolitik erzielt. Das Haupf- ihema war die in den letzten Monaten sich immer schärfer ausprägende „Seitenlinie” der italienischen Außenpolitik, die nach dem Nahen Osten und dem mitielmeerischen Afrika weisf und die mit dem Staatsbesuch des Präsidenten Gronchi in Teheran ihre ersten Früchte abwarf. Das gemeinsame amtliche Kommuniquö über die Washingtoner Besprechungen läßt keinen Zweifel an der völligen Uebereinstimmung der beiden Regierungen über die wirtschaftlichen und politischen Ziele der seit langem vorbereiteten italienischen Initiative, die damit gewissermaßen ihre internationale Sanktion erhält. In der anschließenden Pressekonferenz mit den italienischen Journalisten in Washington konnte Pella u. a. erklären, daß die fruchtbare, weif über das übliche Zeitmaß ausgedehnte Unterredung mit Duiles auch nicht den Schatten einer Meinungsverschiedenheit über den tätigen italienischen Beitrag zu den Mittel- meer- und Nahostproblemen und dessen Vereinbarkeit mit der Atlantiksolidaritäf habe aufkommen lassen. Tatsächlich erkennt das Kommunique die Harmonie beider Regierungen in dieser Frage mit den Worten an: „Der amerikanische Staatssekretär weiß die wichtigen Interessen und den bedeutenden Beitrag Italiens in jenen Sektoren voll einzuschätzen.” Der amerikanische Außenminister, der bei der Unterhaltung mit Pella nicht mit Lob über die Erfolge der italienischen Wirtschaffs- und Währungspolitik sparte, bekräftigt also den Expansionswillen dieses Landes und erkennt gleichzeitig dessen Anspruch an, die Teilnachfolge der dort gescheiterten oder zum Scheitern verurteilten Kolonialmächte anzutreten. Zumindest soll das durch seine geographische Vorzugsstellung und seine historischen Bande mit Nordafrika und dem Nahen Osten eng verknüpfte Mittelmeerland Italien Bahnbrecher der nur allmählich heranreifenden politischen Annäherung der sich heute gegenüber dem Westen noch mißtrauisch, ja feindlich verhaltenden arabischen Welt sein. In diesem Sinne heißt die hiesige demokratische Presse den schwungvollen Vorstoß ihres Außenministers gut und unterläßt nicht, geltend zu machen, daß die noch immer vorhandene wirtschaftliche und soziale Not weiter Bevölkerungskreise die Erschließung neuer (außereuropäischer) Märkte, darunter auch Lafeinamerikas, gebieterisch erfordere. Im Lauf der nächsten Jahre wird sich zeigen, ob die zielbewußte Arbeit der Regierungsmänner und der führenden Mäqner der Wirtschaft die erhofften Früchte bringen wird. r
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