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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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DIE ZUKUNFT DES BURGTHEATERS. Der Kampf um die „Burg“, um die Butgtheater-direklion, ist der einzige „Kulturkampf“, der Oeslerreich verblieben ist: die einzige kulturpolitische und, wenn man will, geistige Auseinandersetzung, die hierzulande mit Ernst und Eifer, mit Kabale, Haß und Liebe betrieben wird. — Man mag diese tragikomische Situation belächeln und bedauern — ist sie doch, vom Ganzen her gesehen, Ausdruck der Schrumpfung des kulturellen Raumes und des vitalen Interesses an und in ihm; man vermag dieses Drama jedoch nicht zu übersehen; bildet doch der Kampf gegen den jeweiligen Burgfheater-direkfor und für seinen präsumptiven Erben den Hauptgegensfand der kulturellen Berichterstattung und Kritik unserer Morgen-Mitfag-Abend-Presse, die aus vielerlei persönlichen und anderen Gründen am Aufgang und Untergang der jeweils regierenden Regime in der Burg inter-essiert ist. Nun erfährt die Oeffentlichkeit durch •ine Mitteilung des Unterrichtsministeriums, daß ab 1. September 1959 Ernst Haeusserman die Nachfolge Rotts antreten wird. Haeussermans Vater, Reinhold, der bekannte Komiker der Burg und langjährige offizielle Repräsentant der Wiener Schauspielerschaft, hatte dem jungen Ernst die ersten Wege geebnet. Der Knabe Ernst Haeusserman stand in jenen Jahren auf den Brettern der Burg, in denen die Weltbühne eben wieder einmal zu erbeben und einzustürzen begann. Diese Erschütterung haf seinen Weg bestimmt. Kurz nach der Besetzung Oesterreichs ging er 1938 nach England, dann nach Amerika. In harten Lehr- und Wanderjahren haf Ernst Haeusserman jenes diplomatische Talent entwickelt, das zu seiner angeborenen und anerzogenen Vorliebe zum Theater hinzutrat. Der Vielbewanderfe, Vielgereiste kennt die Menschen und weifj mit ihnen umzugehen. Als geborenes Wiener Kind, als „gelernter Oesterreicher“ und als „Amerikaner“ haben sich ihm Horizonte geöffnet, die ihm grofje, echte Chancen schaffen, Die Prognosen für sein Wirken an der Burg stehen ausnehmend günstig. Das schwerbelastete, traditionsreiche Prunkschiff, eben das Wiener Burgtheater, bedarf wohl eines Steuermannes, der es flott und umsichtig aus dem flachen Sund ins Weltmeer führt: dorthin, wo gute Winde wehen, wo der Atem der Freiheit, des Lebens und die Kraft des grofjen Theaters zu Hause sind.

EIN TOR MIT FUSSANGELN ist für Oesterreich die Pforte der Freihandelszone wegen der besonderen Bedeutung des Einbaues der Monfan-unionwaren in die Zone. Oesterreich erhob die Forderung, für Kohle und Stahl einen sofortigen und vollkommenen Zollabbau durchzuführen.

Verständlich, wei) nur auf diese Weise eine gleichmäßige Stellung innerhalb der Freihandelszone erreicht werden kann. Aber Oesterreich blieb, wie die bisherigen Besprechungen in der Union zeigen, allein, obwohl Mr. Mandling im Europarat erklärt hat, daß eine Freihandelszone ohne Kohle und Stahl undenkbar wäre. Bloh, Schweden hat den österreichischen Vorschlag — aus eigenen Handelsinteressen, nicht aus europäischem Gemeinschaftsgefühl — unterstützt, freilich ziemlich lau. Es zeichnete sich in der letzten Zeit auch deutlich ab, dafj ein Zollabbau mit bedeutendem französischen Widerstand zu rechnen hat. Das will genau beobachtet werden, weil Oesterreich bei seinen Stahllieferungen in das Gebiet der Montanunion — vor allem nach Italien — eine erhebliche Zollspanne zu bewältigen hat. Was eine solche Sachlage bei den jetzf rückläufigen Stahlpreisen für die heimische Stahlindustrie bedeutet, darf nicht unterschätzt werden. Das Betrübliche am den Dingen ist, dafj eine grofje Idee vom regionalen Egoismus langsam in den Hintergrund geschoben wird.

DE GAULLES VERBEUGUNGSTOUR. Die 20.000 Kilometer, die der französische Ministerpräsident General de Gaulle unter der glühenden Sonne Afrikas im Flugzejg zurücklegte, waren gewifj anstrengend, aber noch nicht das Schwerste, was auf dieser Reise ungewöhnlicher AH zu bewältigen war. Der Werbefeldzug des Generals fand diese Länder in verschiedenen Stadien des nationalen Erwachens und Freiheitsdranges vor — Gefühle übrigens, die vor allem aus Frankreich selbst importiert wurden und erst langsam um sich greifen. Auf Madagaskar, in Französisch-Aequatorialafrika und auf der Elfenbeinküsle war alles noch wie einst. Man jubelte dem General zu — und erst in Guinea gab es auch Zwischenrufe, die dem General übersetzt wurden und die „Unabhängigkeif“ lauteten. Der Empfang in Dakar war bereits unfreundlich, der Eindruck peinlich. Senegal, dessen Hauptstadt Dakar ist, will die afrikanische Einheit und die Unabhängigkeit oder, unter Umständen, die Konföderation mit Frankreich. Die letzte Etappe der Reise erwies sich als die schwierigste. Der General zeigte sich nicht mehr, er verlas bloh eine Proklamation im Rundfunk, die wieder einmal weder die Araber noch die französischen Extremisten, die in Algier nach wie vor die Herren sind, zufriedenstellte. Und wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dafj die prahlerischen Meldungen vor „Verbrüderungsszenen zwischen Moslems und Siedlern“ von Ende Mai Unfug und kurzlebige Propaganda waren, der Aufenthalt de Gaulles in Algerien und das, was inzwischen und seither in Frankreich selbst geschieht, bewiesen es. Totale Absperrung, menschenleere Strafjen, Morde, Bombenaftenfafe und in die Luft gesprengte Petroleumlager: dies ist die Bilanz einer Reise, von der man noch nicht weifj, in welche Zukunft sie führt.

EINLADUNG ANGENOMMEN. Mit bemerkenswerter Schnelligkeit beantwortete die Sowjef-regierung die Einladung der angelsächsischen Wesrmächfe, an einer Konferenz über die Einstellung der Kernwaffenversuche teilzunehmen. Die Regierung in Moskau stimmte in ihrer Note sowohl der Abhaltung dieser Konferenz als auch dem vorgeschlagenen Termin, dem 31. Oktober, zu und schlug ihrerseits vor, das Programm der Beratungen auf eine Beendigung von Kernwaffenversuchen aller Art von allen Staaten für alle Zeiten auszudehnen, denn die von den Angelsachsen genannte Frist von einem Jahr sei nicht ernst zu nehmen angesichts der Erfahrung, dafj man neue Versuche ohnehin etwa ein Jahr lang vorbereifen müsse. Präsident Eisenhower beeilte sich, seiner Genugtuung über die zustimmende Antwort Chruschtschows Ausdruck zu geben. Es ist für unsere Gegenwarf bezeichnend, dafj bei all den friedlichen Worten, an deren Ernst man gerne glauben möchte, auch andere, alarmierende Nachrichten, diesmal aus dem Fernen Osten, den Zeitungsleser erreichen. Die Entwicklung der letzten Wochen zeigt deutlich, dafj es den wirklichen Großmächten unserer Erde, den USA und der Sowjetunion, letzten Endes an der Vermeidung von weiteren Zusammenstößen gelegen ist. Ihr Wollen findet aber seine Grenze an entgegengesetzten Bestrebungen von Mächten zweiten oder driften Ranges, die Ihre engstirnigen, egoistischen Pläne auch auf Kosten der übrigen Menschheit verfolgen und die beiden Riesen sich vorzuspannen versuchen. Was entscheidet; der Notenwechsel zwischen Moskau und Washington oder das, was in der Straße von Formosa geschieht? Gewiß das erstere, aber Brandstifter pflegen nie um das Einverständnis derer zu ersuchen, die sie mit ihren Handlungen erpressen wollen.

GLUT UNTER DER ASCHE. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen schlofj seine Beratungen in den Hauptstädten des Nahen Ostens vorläufig ab. So wenig Bestimmtes man von den bisherigen Ergebnissen dieser Gespräche auch hörte, eines scheint sicher: der Friede im Nahen Osten bedarf der gemeinsamen Anstrengungen aller Beteiligten, die in New York beschlossenen Prinzipien der Nichteinmischung und friedlichen Zusammenarbeit mit der rauhen Wirklichkeit in tragbaren Einklang zu bringen. Auch hier wieder scheinen „untergeordnete Organe“ nicht immer genau zu wissen, was ihre höchsten Vorgesetzten in der wohltemperierten Atmosphäre New-Yorker Sitzungssäle miteinander aushandelten. Der Radiokrieg, geführt von der Vereinigten Arabischen Republik gegen Jordanien, wird nun wieder fortgesetzt. König Hussein von Jordanien fühlt sich nach wie vor bedroht und soll auch gegenüber Hammarskjöld darauf bestanden haben, dafj die englischen Truppen so lang im Lande bleiben, solange es die Sicherheit des Staates verlange. Auch der neue Präsident des Libanon, Fuad Seheh-b, soll, amerikanischen Meldungen zufolge, die Meinung vertreten, dafj die Anwesenheit der amerikanischen Truppen weiterhin erwünscht sei. Großbritannien liefert Israel modernste Waffen, denn man weif;, dafj der Mittelpunkt des Unruheherdes sehr bald wieder einmal der israelische Staat werden kann. Ein Lichtschimmer am trüben Horizont: Präsident Nasser hat den italienischen Ministerpräsidenten, dessen kluge Haltung in den Wochen der Krise auch von arabischer Seite rühmend anerkannt wurde, eingeladen, nach Kairo zu kommen. Ebenfalls mif Fanfani konferierte auch Generalsekretär Hammarskjöld, aus dem Nahen Osten kommend, bei seiner Zwischenlandung in Rom. Die Möglichkeifen, die sich einer europäischen Macht mittlerer Gröhe und einem Staatsmann von hohen oolitischen und menschlichen Qualitäten bei der Sicherung des Friedens heutzutage wieder eröffnen, liegen angesichts dieser Nachricht offen zutage.

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