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Randbemerkungen ZUR WOCHE

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DIE GENFER KONFERENZ, die am 26. April programmgemäß begonnen hat, nachdem verschiedene Seiten sie zu torpedieren, zuletzt noch zu verschieben versucht hatten, bringt zum erstenmal alle großen Gegner und Spieler zusammen, die heute die Verantwortung für die Geschicke der Menschheit tragen. Die UNO-Generalversammlungen brachten, das soll gerade in dieser Stunde festgehalten werden, nur einen Bruchteil dieser einen Menschheit miteinander ins Gespräch: gerade die asiatischen Mächte waren nur durch Strohmänner oder so fragwürdige Repräsentanten wie „Nationalchina“, also die auf Formosa stationierten Tschangkaischek-Leute, vertreten. Rotchina, eine Weltmacht, die bisher ausgeschaltet erschien, hat nach Genf die zahlenmäßig stärkste Delegation gesandt, über 200 Mann: eine gewaltige Verstärkung des östlichen Potentials, aber auch eine ebenso starke Belastung. Der Osten hat es in letzter Zeit an Demonstrationen seiner Schlagkraft nicht fehlen lassen: der Sturm auf Dien Bien Phu, die französische Festung in Vietnam, die mit dem tonking-chinesischen Delta das Tor zu Indonesien verriegelte, hat den Westen ebenso alarmiert wie das sowjetische Werben um Frankreich, wie die Entführung eines Führers der russischen Emigration nach Ost- Berlin, wie die Affäre Petrow in Australien. Am . schwierigsten ist unzweifelhaft die Situation der USA. Auf den Vereinigten Staaten lastet eine Verantwortung, lasten einige Aufgaben, die fast unlösbar erscheinen. Die Genfer Konferenz stellt die westliche Welt vor die bisher schwerste Belastungsprobe ihrer Einheit seit dem Kriegsende. Es ist der Ferne Osten, es sind Asien und zumal China, als ein Komplex, dem gegenüber die USA, Frankreich und England seit langem grundsätzlich verschiedene Haltungen einnehmen. Das wußte der Kreml, der in Genf das Wort Stalins von der kommenden Aufspaltung der westlichen Abwehrfront einzulösen hofft. Die Vereinigten Staaten haben deshalb auch das Menschenmögliche getan, um mit Frankreich und England auf eine gemeinsame Linie in Genf zu kommen. McCarthy wurde zurückgepfiffen — zum erstenmal wirksam seit seinem Auftreten; der Staatssekretär des Aeußeren, John Foster Dulles, hat in Blitzbesuchen in London und Berlin die Lage abzuklären versucht, Präsident Eisenhower gab eine überraschende Erklärung ab, die eine amerikanische militärische Garantie für Europa darstellt. Churchill demonstrierte zugunsten der Verteidiger von Dien Bien Phu, wobei ihm die Spaltung der Laböur Party in einen antiamerikanischen Bevon-Flügel und einen schwächeren gemäßigten Flügel zumindest momentan zu Hilfe kam. England erhofft, seine seit dem Verlust von Singapur im letzten Krieg angeschlagene asiatische Stellung neu zu festigen — gleichzeitig verhandeln englische Geschäftsleute mit rotchinesischen Regierungsstellen in Berlin. Die Nahtstelle des Westens ist Frankreich. Hier können sich Regierung und Parlament nicht aus dem Dilemma lösen, daß Frankreich einerseits nicht aus eigener Kraft Indochina und damit Südostasie’n halten kann, anderseits das Eingreifen der Amerikaner in Asien ob der möglichen Folgen der Kriegsausweitung fürchtet. Offensichtlich fürchten maßgebende einflußreiche französische Politiker und Parlamentarier die Deutschen und Amerikaner mehr als die Sowjetrussen... — Offensichtlich ist also vor Genf eine bedeutende Schwäche der westlichen Welt wieder einmal sichtbar geworden. Dasselbe aber gilt für den Osten, dessen Schwächen nicht nur die „Absprünge“ von Offizieren, Diplomaten und Geheimdienstmännern, ihr Sichabsetzen in den freien Westen verraten, sondern das ganze Lavieren in Ostdeutschland, Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei, dieses Absägen, Austauschen, Wiedereinsetzen von Regierungen und ihren Gefolgsleuten. — Es sieht, wenn nicht alle Zeichen trügen, doch so aus: die Weltmächte brauchen Frieden, um sich von den, Anstrengungen des heißen und kalten Krieges zu erholen. Rotchina hat nicht Moskau zuliebe 200 Mann nach Genf gesandt als Statisten für eine Oper des Kremls. Es wird am diplomatischen Geschick und an der Geduld des Westens liegen, seinerseits das zu versuchen, was der Osten ihm zugedacht hat: eine Aufgliederung des Ostblocks in seine naturgegebenen, sehr verschiedenen Interessensphären. Wolga und Jangtsekiang fließen in verschiedener Richtung, strömen jeweils anderen Meeren und Hemisphären zu.

EINE ARBEITSGEMEINSCHAFT KATHOLISCHER VERBÄNDE hat vorige Woche im Sitzungssaal des nö. Landhauses der Oeffentlichkeit die Aufnahme ihrer Tätigkeit angezeigt. Erstmalig nach dem Jahre 1945 sammelt sich die junge Generation verschiedener bewährter katholischer Vereinigungen, die bereits vor dem Jahre 1938 der Kirche und der Heimat in Oesterreich unschätzbare Dienste geleistet haben, um in einer gemeinsamen Front die katholische Aktivität des Landes zu beleben. Der Sprecher dieser neuen Sammlung österreichischer Katholiken, Leg.-Sekr. Dr. Franz K a r a s e k, betonte die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Nebeneinanderwirkens von Katholischer Aktion und anderen katholischen Organisationen, die, wie in anderen Ländern, zu einer harmonischen Zusammenarbeit führen werde, wenn die vom Heiligen Vater für die Tätigkeit der K. A. herausgegebenen Richtlinien ihrem Sinn und Geist nach befolgt würden. Diese Sammlung, die entstanden sei aus einer Gewissensunruhe vieler junger Menschen, wolle deutlichen Widerstand jenen entgegensetzen, die die Aktivität der Katholiken auf die „rein religiösen Fragen" einschränken möchten, wolle durch eine klare soziale Programmatik den Mitbürgern glaubhaft machen, daß der höhere Lebensstandard, die materielle und geistige Sicherheit auch mit anderen Mitteln als denen des Sozialismus erreicht werden kann, und wolle vor allem ihre Mitglieder an die Peripherie des christlichen Raumes senden, um die Katholiken, wenn notwendig, auch auf Umwegen wieder in die Mitte der Kirche heimzuholen. Dr. Husinsky verdolmetschte die Begeisterung und Liebe dieser Generation zur österreichischen Heimat, an deren Lebensfähigkeit sie nicht den geringsten Zweifel hege. Der Vertreter der Kolpingfamilie, Franz Ka i ndl, ermunterte schließlich die Delegierten der Verbände, „Alltagsmensehen zu werden, die wochentags so leben, wie sie sonntags beten". Die nächsten Monate werden zeigen, ob diese Arbeitsgemeinschaft imstande ist, jenen Platz im katholischen Organisationsleben auszufül- ten, der uns seit langem verwaist erscheint. Die Notwendigkeit einer solchen Sammlung und die Richtigkeit ihrer programmatischen Zielsetzung wollen wir nicht bezweifeln. Wir glauben, daß der Weg, der hier von jungen Menschen beschritten wird, richtig ist und von den Katholiken Oesterreichs begrüßt werden wird. Wir möchten nur wünschen, daß diesen so hoffnungsvoll begonnenen Bestrebungen im Interesse der Kirche und des Landes reiche Erfolge beschieden sein mögen.

IM OSTERART1KEL DER „ÖBERÖSTERREICHISCHEN NACHRICHTEN" unabhängiges Tagblatt österreichischer Demokraten stand es schwarz auf weiß: „Nachdem Oesterreich 1866 aus dem Deutschen Bund, also aus dem Reichsverband, endgültig hinausgedrängt worden war, entstand beinahe zur gleichen Zeit jene literarische und geisteswissenschaftliche Richtung, die um die Jahrhundertwende mit Hofmannsthal, Bahr, Kralik usw. das ,usw.’ ist allein schon köstlich. Die Red. ihren Höhepunkt erreichte. Sie interpretierte Oesterreichs geistige und historische Gestalt in einer Form, die sich der Wirklichkeit entfremdete und einer vergeistigenden Auflösung den Boden bereitete. Dieser Lesart zufolge wäre Oesterreich ein völkerversöhnendes Paradies des Friedens gewesen. Der große Zug des Kampfes und der Opfer, der durch unsere Geschichte geht, drohte der Verniedlichung anheimzufallen, Oesterreich nur mehr als eine geistige und nicht mehr als eine reale politische Größe zu gelten. Oesterreichs Geschichte aber ist voll von Kämpfen und Opfern, sie ist vor allem in Südosteuropa die Geschichte des großen ordnenden Ausgriffs mit Schwert und Pflug." Soweit das wörtliche Zitat. Es ist anzunehmen, daß die Herren Hofmannsthal, Bahr und Kralik besonders letzterer die österreichische Geschichte zumindest genau so gut kannten, wie der Autor dieser Oster- betrachtung „Auferstehung des Volkes". Daß sie aber zugleich auch ungefähr unterscheiden konnten, was Geschichte und was Politik ist. Politik, Staatsklugheit, Volkserziehung, Kunst des Möglichen, Erfüllung der historischen Gegenwartsstunde war es schon um die Jahrhundertwende, als dies rein machtmäßig noch möglich gewesen wäre, nicht mehr „mit Schwert und Pflug" nach Südosteuropa auszugreifen. Heute aber werden solche Sätze einfach zur Groteske. Und mehr noch: zu einem nicht ganz ungefährlichen Spiel mit einem Feuer, das zu Zeiten der Jahrhundertwende ein Grenzfort einäschern, heute aber uns allesamt verbrennen kann Nicht einmal das bewußte Hundertmillionenvolk denkt mehr an Schwert und Pflug im Südosten. Es ist selbst ihm nicht gut bekommen, „auszugreifen".

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