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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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PRAG UND WIEN. Der Brief des tschechischen Ministerpräsidenten Siroky an Bundeskanzler Raab, in dem ein Treffen der beiden Staatsmänner angeregt wurde, fand in der letzten sonntäglichen Rundfunkrede des Wiener Kanzlers eine Antwort. Die Tschechoslowakei möge die sichtbaren Hindernisse an der gemeinsamen Grenze beseitigen und die Frage des in der Tschechoslowakei beschlagnahmten österreichischen Vermögens lösen, damit würde aufs erste freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern am besten gedient. Am selben Tage, an dem Raab in Wien sprach, hatte der tschechische Staatspräsident Novotny in Moskau eine lange Aussprache mit Chruschtschow. In Hinblick auf die bevorstehende Moskaureise Ing. Raabs ist diese Verbindung besonders zu beachten. Da Ungarn und Polen aus bekannten Gründen ausscheiden, stellt heute die Tschechoslowakei das westlichste Fenster des Ostblocks dar. Immer mehr Funktionen in dieser Hinsicht sind Prag in der letzten Zeit übertragen worden. Das verdient in Wien aufmerksam beobachtet zu werden. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer ... Wir wollen es aber gerade in diesem Zusammenhang vermerken; Eine Rundfahrt von „Jung-Salzburg“ durch Böhmen fand, mit dem gebotenen öffentlichen Auftreten dieser Spiel-und Sanggruppe, einen überraschend starken Widerhall, gerade auch in den Städten, die in der Vergangenheit sehr gespannte Beziehungen zum deutschen Wort hatten. Mit Geduld sollten sich in absehbarer Zeit nach Erledigung der erwähnten Voraussetzungen, die man wohl auch an der Moldau einkalkuliert haben mufj, jene Verbindungen wiederherstellen lassen, die Prag und Wien einst zu beider reichem Nutzen verbanden.

BONNS ZUSTIMMUNG ZUM RAAB-PLAN. Eine Sensation im Bonner Bundestag: Nachdem in den letzten Wochen in einem überhitzten Klima schwerste Auseinandersetzungen zwischen den Abgeordneten der CDU und der Opposition das Klima vergiftet hatten, kam es nun zu einer außenpolitischen Aussprache in sachlicher Atmosphäre und zu einem einstimmigen Beschluß des Bundestages: Die Regierung wird ersucht, möglichst bald die Großmächte aufzufordern, eine permanente Ost-West-Kommission zu bilden zur Vorbereitung der Wiedervereinigung der beiden Deutschland. Das ist bekanntlich nichts anderes als der „Raab-Plan“, den der österreichische Bundeskanzler mehrfach in außenpolitischen Gesprächen vorgeschlagen und nicht zuletzt auch mit Bundeskanzler Adenauer besprochen hat. Die Sprecher auf beiden Seiten im Bonner, Bundestag beriefen sich denn aucb_nachdrücklich auf „das österreichische Vorbild. In seinem Zeichen kam es also zur ersten und bereits so wichtigen Absprache zwischen Regierung und Opposition, die zu allermeist durch den außenpolitischen Gegensatz einander verfeindet sind. Neben „Oesterreich“ wirkt, und das verdient festgehalten zu werden, vor allem der bayrische Einfluß in Bonn als mäßigend, vermittelnd, im guten Sinne brückenbauend. In Bayern haben CSU und SPD Formen der Auseinandersetzung und Zusammenarbeit gefunden, die im deutschen Raum vorbildlich wirken können. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Der Bonner Entschluß kann jedoch für die gesamte Politik der Weltmächte in Europa bedeutungsvoll werden. Wenn sich nämlich die Westmächfe und Rußland in einer Ost-West-Kommission zur Bereinigung der deutschen Frage zu gemeinsamer Arbeit, in vielen Auseinandersetzungen zusammensetzen, würde, da auch die deutsche Frage nicht über Nacht zu lösen ist, ein Verhandlungsraum geschaffen werden, dessen Wirkungen unabsehbar sind. Ganz Europa wäre ja faktisch hier einbezogen, da Ober Deutschland verhandeln, Rücksicht nehmen auf alle europäischen Nachbarn in Ost und West heißt. Eine deutsche Außenpolitik, die konstant an Ost und West mit der Forderung der Einrichtung dieser Kommission herantritt, ohne sich durch Ablehnungen beirren zu lassen, könnte einen gesunden Druck — in Richtung Weltfrieden — ausüben und der- gesfalt der vielgeplagten Welt einen bedeutenden Dienst leisten.

„UND SIE BEWEGT SICH DOCH!“ Galileis bekanntes, vielumstrittenes Wort darf auf Genf, Sommer 1958, bezogen werden. Zum ersten Male seit den Genfer Verhandlungen 1955 zwischen Eisen-hower, Chruschtschow und Bulganin ist es zu neuen Verhandlungen zwischen russischen und amerikanischen Vertretern gekommen. Wissenschaftler haben das Wort in Genf. Die Politiker halten sich im Hintergrund, stehen als „Berater“ zur Seite. Das ist bereits außerordentlich interessant. USA- und UdSSR-Experten in Atomfragen beraten gemeinsam über die technischen Probleme der Atomabrüstung. Da steht etwa zur Frage, wie dicht das Netz der geplanten Kontrollposten zur Ueberwachung der Atomabrüstung sein soll. Diese Gespräche der Wissenschaftler haben nun eine bedeutende Unterstützung erhalten durch Chruschtschows letzten Brief an Eisenhower, der in Washington, Bonn, Pari, London begrüßt wird. Chruschtschow fordert die Errichtung einer 800 Kilometer breiten Zone beiderseits des Eisernen Vorhangs, die einer internationalen Luftkontrolle ausgesetzt werden soll, um Ueberrcschungsangriffe unmöglich zu machen. Das ist eine wichtige Annäherung an den Standpunkt der Westmächte im allgemeinen und an Präsident Eisenhower im besonderen, der sein politisches Werk bekanntlich mit einer Verwirklichung seiner Lieblingsidee krönen möchte: mit einer globalen Kontrolle des Luft- und Erdraumes hinsichtlich der Atorn-rüstung und Atomwaffen. Politisch beachtenswert ist zugleich der Moment, in dem dieses neue sowjetische Unternehmen gestartet wird. Die Sowjets haben seit der Wahl Eisenhowers keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie mit diesem Manne lieber als mit einem anderen Repräsentanten handelseinig werden wollen. Das Eingehen auf dessen Lieblingsplan erfolgt nun gerade in einem Moment, in dem der Präsident der USA dringend Erfolge nötig hat, nachdem sein Prestige in der letzten Zeit schwer angeschlagen wurde, nicht nur durch den Kampf um seinen engsten Mitarbeiter, Adams. Die Sowjets sind in Zeitnot. Im Gedränge zwischen Peking, dem inneren Druck der Massen in Rußland und den nicht übersehbaren Schwierigkeifen mit den Satellifen möchten sie, solange Eisenhower noch Präsident ist, mit den USA. zu einem Abschluß kommen. In der vielleicht richtigen Annahme, daß später das Verhandeln für sie schwerer wird. Vielleicht bringt dieser Sommer noch weltpolitische Ueberraschungen, von denen viele Nutznießer des Kalten Krieges, in Osf und West, nichts wissen wollen.

STAATSVISITE BEI EINEM „VERFEMTEN“. Es ist noch zu früh, die Bilanz des offiziellen Besuches zu ziehen, den Gamal Abd el Nasser zur Zeit in Jugoslawien abstattet, ober mit Sicherheit darf jetzt schon angenommen werden, daß sm keinen Posten enthalfen wird, der den Herren im Kreml für den ihnen da zugefügten Affront entschädigen könnte. Es ist schon ärgerlich genug für die obersten Hüter der kommunistischen Orthodoxie, daß Marschall Tifo gerade im Augenblick, da er durch seine Verurteilung als „Schismatiker“ in völlige Isolierung gedrängt werden sollte, einen Sukkurs empfängt, der seine Position nicht allein im eigenen Lande erheblich, stärken muß; noch schlimmer ist es, von Moskau aus gesehen, daß ihm diese Schützenhilfe nicht seitens der „Imperialisten“ geleistet wird, sondern von dem heule wichtigsten Repräsentanten einer „driften Kraft“, um deren Vertrauen und Freundschaft man so eifrig geworben hatte. Oberst Nasser, der erst kürzlich als Gast der UdSSR im Mittelpunkt ausgesuchter Ehrungen gestanden war, manifestiert durch seinen Besuch bei dem von Moskau Verfemten die feste Entschlossenheit, seine Politik, allen sowjetischen Verlockungen wie der Gefahr sowjetischer Repressalien zum Trotz, von einseitiger Bindung an den Osten freizuhalten. Daraus folgt keineswegs, daß er nun von seinem Prinzip der Unabhängigkeit nach beiden Seiten hin abgehen und Anlehnung an den Westen suchen wird. Vielleicht aber wird er jetzt dem Gedanken zugänglicher werden, daß die innere Konsolidierung seiner Vereinigten Arabischen Republik ein besseres Mittel zur Abwehr des sowjetischen Druckes sein würde, als die Förderung subversiver Bewegungen, deren Nutznießer letzten Endes die im arabischen Raum tätigen Emissäre Moskaus wären.

EIN DUBIOSES GUTACHTEN. Seit vielen Wochen betreiben die von Kairo und Damaskus dirigierten Radiostationen und Zeitungen eine Hetzpropaganda, deren Schärfe ein gewisser Goebbels nicht hätte überbieten können, gegen die legitime Regierung in Beirut. Davon konnte sich alle Welt überzeugen. Ebenfalls seit vielen Wochen werden libanesische Insurgenten auf syrischem Boden, jenseits der praktisch nicht mehr existierenden libanesischen Grenze, militärisch ausgebildet, ausgerüstet und mit Kriegsmaterial versorgt, welches selbst bei den schießfreudigen Bergstämmen der Drusen nicht zum normalen Hausrat zu gehören pflegt: mit Hand-und Gewehrgranaten, Maschinengewehren, Granatwerfern, Bazookas und selbst Feldgeschützen. Das wurde vom libanesischen Staatspräsidenten Chamoun und dem Außenminister Malik zu wiederholten Malen offiziell festgestellt, von den in Beirut akkreditierten Botschaftern Großbritanniens, Frankreichs und den USA bestätigt und zum Teil auch vom neutralen israelischen Grenzgebiet aus wahrgenommen. Trotz alledem hat der Generalsekretär der UNO, Dag Hammar-skjöld, nach seinen Blitzbesuchen in Beirut und in Kairo nichts anderes bekanntzugeben gewußt, als daß er keine Beobachtungen gemacht habe, die auf eine „massive Intervention“ der Arabischen Republik in Libanons innere Angelegenheiten schließen ließen. Da ergibt sich die Frage, was nach Hammarskjölds Ansicht noch weiter erforderlich wäre, um den Tatbestand einer „massiven Intervention“ zu erfüllen. Tatsächlich kommt das, was jetzt Im Libanon geschieht, nahezu einer offenen Aggression gegen diesen Staat gleich, und das Bemühen des UNO-Generalsekretärs, dies zu verschleiern, unterstreicht bloß das bedauerliche Unvermögen der UNO, die Friedensstörer zur Ordnung zu rufen.

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