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Die weltpolitische Perspektive

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Es war vielleicht kein Zufall, daß die Ueberreichung der Noten, in denen die Botschafter der Westmächte in Moskau die Zustimmung ihrer Regierungen zu der von der UdSSR vorgeschlagenen Verlegung des Eröffnungsdatums des Berliner Viermächtetreffens vom 4. auf den 25. Jänner zum Ausdruck brachten, gerade am Neujahrstag erfolgte. Jedenfalls konnte die Wahl dieses Tages als ein Hinweis auf die hochgespannten Hoffnungen betrachtet werden, mit denen ungezählte Menschen in den Ländern des Westens die Nachricht von der bevorstehenden Zusammenkunft der vier Außenminister begrüßten, fast so, als sei schon durch das bloße Zustandekommen dieser Konferenz eine Gewähr d für gegeben, daß das Jahr 1954 im Zeichen einer entscheidenden Herabminderung der bis heute so gefahrvollen internationalen Spannung stehen werde.

Greifbare Unterlagen für eine solche Zuversicht sind allerdings schwer zu finden. Zehn Monate sind seit dem Tod Stalins verflossen, aber die damals weithin gehegte Annahme, daß das Ableben des Diktators einschneidende Veränderungen in der sowjetischen Politik nach sich ziehen würde, ist nicht eigentlich eingetreten. Gewiß, auf taktischem Gebiet hat sich einiges geändert; die offizielle sowjetische Tonart, dem Westen gegenüber, ist ein wenig entschärft worden; das sowjetische Besatzungsregime in Oesterreich wurde etwas weniger drückend gestaltet; sogar die Vormacht der „Imperialisten“, die USA, konnte einige Forderungen an Moskau durchsetzen, so hinsichtlich der Ausreiseerlaubnis für russische Frauen amerikanischer Staatsbürger; auf dem koreanischen Kriegsschauplatz fanden sich Moskaus Verbündete endlich dazu bereit, an Stelle der bereits längst bestehenden de-facto-Waffenruhe einen formellen Waffenstillstand treten zu lassen; die strategischen Ziele der UdSSR sind aber doch die gleichen geblieben. Das erwies sich deutlich genug auch für den, der manche andere Symptome unbeachtet ließ, durch die Worte, die Marschall Woroschilow am 6. November 1953 bei der Feier des 36. Jahrestages der bolschewikischen Revo-

lution namens der Regierung der UdSSR gesprochen hat: „Die allgemeine Linie unserer Außenpolitik war, ist und bleibt unverändert.“

Allein der Mangel sachlicher Fundamente für eine optimistische Beurteilung ost-westlicher Verständigungsmöglichkeiten wurde in weiten Kreisen durch andere Faktoren, .vor allem psychologischer Natur, wettgemacht. Wie das bei krisenhaften Situationen allzulanger Dauer oft der Fall ist, hat auch hinsichtlich der Ursachen des nun schon seit Jahren währenden „Kalten Krieges“ vielfach ein Gefühl der Uebermüdung und der Ungeduld die klare Erkenntnis verdrängt. Die mit allen Mitteln intensivster Propaganda betriebene sogenannte Friedenskampagne der Kommunisten hat da ebenso mitgewirkt wie das Versäumnis der westlichen Regierungen, die Prinzipien, auf denen die Koalition des Westens beruht, genügend scharf und eindringlich zu präzisieren und die Oeffentlichkeit mit den konkreten Punkten vertraut zu machen, die dem Versuch, zu einer Einigung mit Moskau zu gelangen, als Grundlage dienen sollen. So konnte sich die erstaunliche Meinung bilden, selbst bei politisch nicht unerfahrenen und prokommunistischer Sympathien bestimmt nicht verdächtigen Leuten, daß in Moskau mehr ehrlicher Verständigungswille zu finden sei als unter den ver- antwo?tlichen Staatsmännern des Westens, und daß die Berliner Konferenz deshalb zu den besten Hoffnungen berechtige, weil die Westmächte unter dem Druck des allgemeinen Verlangens nach Beendigung des „Kalten Krieges“ jetzt endlich dazu gebracht worden seien, ihr inneres Widerstreben zu überwinden und sich mit der längst verhand-

lungsbereitcn UdSSR an einen Tisch zu setzen. Bezeichnend für diese Denkart, die da in manchen sonst kühlen Köpfen Platz gegriffen hat, ist die bekannte Aeußerung des früheren Staatsministers im Foreign Office unter der Labour-Regierung, Hector McNeil, der in seinem parlamentarischen Plädoyer für eine Zusammenkunft der Regierungschefs Großbritanniens, Sowjetrußlands und der Vereinigten Staaten erklärt, das Haupthindernis für eine solche Zusammenkunft werde nicht in Moskau zu beseitigen sein, sondern in Washington.

Damit soll nun keineswegs gesagt sein, daß die Berliner Konferenz ebenso ergebnislos abschließen müsse wie die früheren Zusammenkünfte der vier Außenminister, oder gar mit einem neuerlichen Verlust für die Sache des Friedens. Im Gegenteil, die Voraussetzungen dafür, daß sie den Weg für eine allmähliche Bereinigung der zwischen Ost und West stehenden Probleme eröffnen kann, sind heute zweifellos günstiger, als dies noch vor etwa einem Jahr der Fall gewesen w-äre. Die UdSSR kämpft mit inneren Schwierigkeiten, die zumindest auf wirtschaftlichem Gebiet so offenkundig geworden sind, daß kaum noch versucht wird, sie zu verhehlen. Wie schlimm es namentlich mit der Ernährung und der Versorgung der sowjetischen Bevölkerung mit Konsumgütern aller Art bestellt ist, darüber gibt der offizielle Bericht über die Beschlüsse des Zentralkomitees der sowjetischen KP, welches sich in seiner Plenarsitzung vom 7. September 1953 eingehend mit dem Versagen des Kolchossystems und dessen Folgen beschäftigte, mehr als hinreichend Auskunft. Um dieser Schwierigkeiten Herr zu werden, braucht Moskau mehr als eine vorübergehende Atempause; es braucht, im Hinblick auch auf die für das sowjetische Regime keineswegs befriedigende Lage in den sogenannten volksdemokratischen Staaten, eine voraussichtlich lange währende Zeit internationaler Stabilität, den Ausbau seiner handelspolitischen Beziehungen mit dem Westen und als Vorbedingung hiefür die Entwicklung seiner wirtschaftlichen Kräfte und deren weitgehende Verlagerung vom bisher übermäßig bedachten militärischen auf den zivilen Sektor. Unter diesen Gesichtspunkten müßte der UdSSR nicht weniger als den Westmächten daran gelegen sein, das Kernproblem in der ost-westlichen Situation, das Problem Deutschland, baldmöglichst aus der Welt zu schaffen.

Dieses Problem kann freilich nicht anders aus der Welt geschafft werden als durch die Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage allgemeiner, freier Wahlen. Und das ist ein Punkt, mit dem sich Moskau schon mit Rücksicht auf den Widerhall, den eine solche Volksbefragung in den benachbarten Volksdemokratien finden würde, begreiflicherweise nur schwer abfinden kann. Trotzdem müßte, von Moskau aus gesehen, eine solche Lösung, einschließlich der für den Westen unerläßlichen Einbeziehung Deutschlands in die geplante Europäische Verteidigungsgemeinschaft, immer noch günstiger erscheinen als die Fortdauer des jetzigen Zustandes, aus dem sich früher oder später zwangsläufig eine neue „deutsche Gefahr“ für lie UdSSR ergeben würde.

Daß die geplante EVG einen rein defensiven Charakter trägt und schon kraft ihrer national heterogenen Zusammensetzung keine Bedrohung der UdSSR bedeuten kann, weiß man in Moskau sehr genau, und die dort gegen dieses Projekt erhobenen Einwendungen und Proteste sollten bei einer mit ernsten Dingen beschäftigten Konferenz keine Wiederholung finden. Anders verhält es sich mit der Organisation des Nordatlantik-Paktes. Wenn die UdSSR behauptet, sich durch diese Organisation und die in einem weiten Bogen von der Nordsee bis zum Mittleren Osten vorgeschobenen Stützpunkte amerikanischer Streitkräfte in ihrer Sicherheit bedroht zu fühlen, so wäre das ein Gegenstand, über den sich reden ließe. Allerdings würden die Vertreter Moskaus zur Kenntnis nehmen müssen, daß auch die Staaten des Westens sich bedroht fühlen, nicht bloß durch die gewaltigen Rüstungen der UdSSR selbst, sondern durch die unverhältnismäßig starke Bewaffnung der sowjetischen Satelliten, die allein über eine größere Zahl von aktionsbereiten Divisionen verfügen als die Mitglieder der NATO insgesamt. NATO und jene amerikanischen Stützpunkte sind nicht als Dauereinrichtungen gedacht; ihre Auflösung könnte in dem Augenblick in Betracht gezogen werden, da Moskau sich bereit finden würde, den Völkern seines europäischen Satellitenreiches das Recht uneingeschränkt freier Selbstbestimmung zurückzugeben.

Eiries steht fest. Die Außenminister der drei Westmächte werden in Berlin bis an die äußerste Grenze gehen, um den Weg für die von allen Völkern der Erde ersehnte friedliche Verständigung zwischen den sich heute gegenüberstehenden zwei Welten zu ebnen. Die Hoffnung der ganzen Welt richtet sich nun darauf, daß auch die Führer der UdSSR denselben Willen — sichtbar und hörbar — zeigen werden.

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