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Im Osten nichts Neues

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Das russische Veto, mit dem im Sicherheitsrat in Paris am 25. Oktober der von den neutralen Mitgliedern ausgearbeitete Vermittlungsvorschlag zur Beilegung des Berliner Streitfalles abgelehnt wurde, hat an der internationalen Situation nichts geändert. Wohl enttäuschte nach dem diesmaligen Vorspiel das russische Veto die voreiligen Hoffnungen einer nach Friedenskundgebungen ausgehungerten Welt, aber es blieb doch der Eindruck zurück, daß man von einer Verständigung nur durch eine dünne Wand getrennt war. Unter diesem Eindruck haben dann auch die Vertreter der Westmächte den Gedanken fallen lassen, die Berliner Angelegenheit der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu überweisen, deren Beschlüsse keinem Veto unterliegen. Zugleich setzen die neutralen Mitglieder des Sicherheitsrates ihre Bemühungen um einen Vergleich fort. Sofern es zutrifft, daß die Verständigung, wie Wyschinski in der Begründung seines Einspruches erklärte, nur daran scheiterte, daß in der Resolution vom 25. Oktober keine ausreichende Garantie für die G1 e i c h- zeitigkeit der Einführung der Ostmark in ganz Berlin und der Aufhebung der russischen Verkehrseinschränkungen gegeben war, müßte man gewiß das Unterfangen, auch diese Schwierigkeit noch zu überwinden, nicht für aussichtslos halten.

Allein diese vermeintlich dünne Wand scheidet nicht eine unzulängliche Kompromißformel von einer, die alle Teile befriedigt, sondern sie trennt die Bereitschaft zu ehrlicher Zusammenarbeit von dem Entschlüsse, sich endgültig voneinander abzusetzen. Diese Alternative läuft nicht auf die Entscheidung zwischen Frieden und Krieg hinaus. Unter Umständen kann m einer reinlichen Scheidung der Einflußsphären eine bessere Gewähr des Friedens liegen als in einer durch Meinungsverschiedenheiten und politische Infiltrierungen dauernd erschütterten Zusammenarbeit. Mit der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen haben sich die Großmächte des Westens und Ostens in gleicher Weise zum Grundsatz der internationalen Zusammenarbeit bekannt, die russische Regierung allerdings mit einer gewissen Mentalreservation, indem sie das Vetorecht erzwang. Die Gerechtigkeit erfordert es, zu diesem Vorbehalt Rußlands die ablehnende Haltung in Erinnerung zu bringen, welche die Westmächte in dem entscheidenden Jahre nach der Besetzung Österreichs durch die Nazitruppen drei russischen Koalitionsvorschlägen gegenüber einnahmen. Die ersten zwei Anregungen Moskaus in dieser Richtung erfolgten am 18. März und am 2. September 1938, während die westlichen Regierungen nicht müde wurden, mit Hitler zu verhandeln. Mit dem letzten dieser drei Vorschläge trat Rußland am 29. März 1938 nochmals an. die Westmächte heran, wiewohl cs von der Münchener Konferenz ausgeschlossen worden war und der Kreml dies als Versuch einer Einkreisung empfunden hatte. Nach diesem dritten vergeblichen Werben um eine Verständigung mit den Westmächten zur Abwehr der nazistischen Gefahr gab Stalin seinem Unmut über die westliche Politik öffentlich Ausdruck und ersetzte den westlich orientierten Litwinow durch Molotow, der für ein Zusammengehen mit Deutschland war. So wurden die Voraussetzungen für den Krieg geschaffen, den jetzt Churchill den „überflüssigen" nennt.

Seit der Potsdamer Konferenz haben es die Westmächte an Beweisen für ihre Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit der Sowjetunion wahrlich nicht fehlen lassen und besonders in jüngster Zeit darin eine nervenlose Geduld an den Tag gelegt, die in Moskau augenscheinlidi"mißverstanden wird, wenn man dem von Reuter am 28. Oktober verbreiteten Texte eines Interviews Generalissimus Stalins mit einem Vertreter der „Prawda“ die amtliche russische Auffassung von den Differenzen im Berliner Streitfall entnehmen darf. Rußland hat indessen den Weg zu einer einverständlichen Friedenspolitik nur damit offen gehalten, daß es in’ der Organisation der Vereinten Nationen verblieb und dort von Zeit zu Zeit auf eine allgemeine Abrüstung drängte. Aber gleichzeitig wurden auf beiden Seiten umfangreiche Vorkehrungen für eine Abgrenzung der Einflußsphären und eine Befestigung der Randpositionen getrpffen. Es besteht kein zwingender Grund, in diesen Maßnahmen — hüben oder drüben — irgendwelche aggressive Absichten zu erblicken. In welchem Sinne schließlich die Entscheidung fallen wird, kann heute schwer beurteilt werden, weil dies von den undurchsichtigen Machtverhältnissen im Kreml und im Moskauer Politbüro noch mehr abhängt als von der bevorstehenden amerikanischen Präsidentenwahl und der inneren Konsolidierung Frankreichs. Die jüngste Entwicklung läßt eher auf eine Scheidung der Einflußsphären schließen. Darauf deuten der Abbruch der konsularischen Beziehungen zwischen Rußland und den Vereinigten Staaten, die Organisation eines westdeutschen und eines ostdeutschen Staates, die Betreibung eines militärischen Atlantikpaktes sowie der kürzlich von Bevin ausgesprochene Gedanke einer regionalen Umgestaltung der Vereinten Nationen.

Der Keim zu einer Teilung der Welt in zwei voneinander abgeschlossene Lager wurde an dem Tage gelegt, an dem die drei alliierten Großmächte, unmittelbar vor der Beratung in Yalta, die geographische Abgrenzung der Besatzungszonen beschlossen. Es gehörte keine prophetische Veranlagung dazu, vorauszusehen, daß sich Besatzungszonen leicht in Einflußzonen entwickeln würden. Dieser Beschluß bildet ja auch den Ursprung des Berliner Streitfalles. Die Berliner Differenz ist eine Episode im Kampf um das Denken des deutschen Volkes. Und dieser Kampf ist nicht weltanschaulicher Art, sondern reiner Machtkampf. Die Weltanschauung ist dabei kaum mehr als ein Mittel. Freilich ein Mittel, das, im Verein mit der Idee der deutschen Einheit geschickt angewandt, eine mächtige Rolle spielen kann. Das von russischer Seite jetzt nach der Abstimmung im Sicherheitsrat überraschender Weise in Umlauf gesetzte Gerücht, Moskau plane in der nächsten Zeit die Truppen aus Ostdeutschland zurückzuziehen, dürfte wohl nur den taktischen Zweck verfolgen, den Berliner Streitfall zu entwerten und die Aufmerksamkeit des deutschen Volkes auf ein anderes Gebiet zu lenken. Ohne diesem Gerücht größere Bedeutung beimessen zu wollen, darf man darin immerhin auch eine Tendenz erblicken, einer Verschärfung der Gegensätze auszuweichen. Das schon erwähnte Interview Stalins könnte eine solche Auffassung unterstützen, soweit es seine Erklärung darin findet, daß es auf die öffentliche Meinung in der Sowjetunion abgestellt war. Es bleibt dann allerdings noch immer der Ausfall gegen die sechs neutralen Mitglieder des Weltsicherheitsrates schwer begreiflich. Denn die Chance, die in der selbständigen Haltung dieser Neutralen gegenüber den i westlichen Großmächten für Rußland liegt, r müßte im Kreml, sollte man meinen, eben- i sowenig unbemerkt bleiben, wie in r Washington der Beifallssturm, mit dem im Palais Chaillot der Appell des mexikanischen Vertreters an die Weltmächte, ihre Streitfragen auf gütlichem Wege beizulegen, beantwortet wurde.

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