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Punkt vier: Aufgabe der Stützpunkte

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Die letzte Sowjetnote an die westlichen Alliierten hat insoweit eine gewisse Klärung gebracht, als — in mannigfacher Einkleidung — endlich die sowjetische Grund-forderung für die „Entspannung“ bekanntgegeben wurde. Damit ist das eigentliche Ziel der sowjetischen Außenpolitik und der sowjetischen Friedensoffensive gegeben. In dieser Grundforderung ist das Programm-Minimum: die Aufgabe der militärischen und maritimen Stützpunkte außerhalb des amerikanischen Kontinents durch die USA; das Programm-Maximum: die Auflösung des Nordatlantikpaktes. Moskau hat seine Forderung gestellt, ohne natürlich den Preis, den es für die Erfüllung bezahlen würde, zu nennen. Es überläßt es jetzt der Gegenseite, entweder auf den Handel einzugehen und ihrerseits den Preis für ein Eingehen auf die Wünsche der Russen zu nennen, oder es bleibt weiter abwartend hinter dem Eisernen Vorhang und wird versuchen, mit anderen politischen Mitteln und Methoden dem Ziele näherzukommen.

Für jeden aber, der die Sowjetpresse, nicht nur die großen Tageszeitungen, aufmerksam liest, sind die Ziele der sowjetischen Außenpolitik längst kein Geheimnis mehr. Gerade in der letzten Zeit, noch vor der Note, hat die Moskauer Zeitschrift „Neue Zeit“ ein sehr interessantes Sechspunkteprogramm für die Außenministerkonferenz der vier Großmächte aufgestellt. Offiziell ist die Sowjetregierung für diese Publikation nicht verantwortlich. Doch erscheint bekanntlich die Zeitschrift in Moskau in mehreren Sprachen, wendet sich also vorwiegend an das Ausland. Es ist kein Geheimnis, daß sie bei ihrer Gründung als ein Sprachrohr des sowjetischen Ministeriums des Aeußeren gedacht war. Beinahe alles, was in dieser Zeitschrift erscheint, wird vom Außenministerium kontrolliert. Ueberhaupt tritt auch nach innen das Außenministerium jetzt bedeutend selbständiger auf als zu Zeiten Stalins. Die Sowjetpresse stand bisher unter dem direkten Diktat der Parteizentrale. Nur die Zeitung „Iswestija“ nahm gelegentlich, wenn es sich um ausgesprochen außenpolitische Artikel handelte, direkten Kontakt mit dem Außenministerium. Sollte jedoch etwas in der „Prawda“, dem zentralen Presseorgan der Partei, erscheinen, dann mußte auch das Außenministerium den Weg über das Zentralkomitee der Partei nehmen.

Nun ist seit einigen Wochen zum Chef der Presseabteilung des Ministeriums des Aeußeren der bisherige Chefredakteur der „Prawda“, 11 j i n, ernannt worden. Es kam auch früher einmal gelegentlich vor, daß ein Mitglied der Auslandsabteilung der TASS Pressechef wurde. Das erste Mal aber ist jetzt ein aktiver Zeitungsmann Pressechef geworden. Der Kontakt oder, richtiger gesagt, die direkte Befehlsausübung des Außen-ministeriums über die Sowjetpresse in Fragen der Außenpolitik, sollte eben verstärkt werden. Iljin kann auf Grund seiner Praxis besser entscheiden, wo und wann etwas in der Sowjetpresse erscheinen soll, um die entsprechende Wirkung zu erzielen. Dieser neue Einfluß des Außenministeriums, den es nie gehabt hat, ist natürlich darauf zurückzuführen, daß jetzt Molotow Außenminister ist. Das war er schon einmal. Damals aber lebte Stalin, der eigentlich sein eigener Außenminister war und natürlich die Kontrolle, die er durch den Apparat des Zentralkomitees der Partei ausübte, nicht aus der Hand gab. Jetzt ist aber Molotow der zweite Mann in dem leitenden Triumvirat von Staat und Partei, und es ist verständlich, daß auch das Ministerium, das er leitet, größeren Einfluß nach innen hin bekommt.

Nun zu dem Sechspunkteprogramm der „Neuen Zeit“. Als Tagesordnung der Konferenz der vier Außenminister stellt sich die „Neue Zeit“ oder richtiger die Sowjetregierung, folgende Themen vor:

1. Abschluß einer friedlichen Regelung in Korea.

2. Aufnahme Chinas in die UNO.

3. Rüstungsbeschränkungen und Verbot der Atom- und Wasserstoffbombe.

4. Aufgabe aller militärischen Stützpunkte auf fremdem Gebiet.

5. Einstellung der Propaganda des Kalten Krieges.

6. Die deutsche Frage.Ohne jeden Zweifel ist das eigentliche Ziel der „Friedensoffensive“ der vierte Punkt, also die russische Forderung, daß die USA alle militärischen Stützpunkte außerhalb ihres eigenen Territoriums aufzugeben hätten.

Ohne Verständigung über diese Frage ist eine Verständigung mit der Sowjetunion nicht möglich. Hier nützen keine noch so gutgemeinten Vorschläge, keine „neutralen Zonen“ oder ähnliche Vorschläge, die dem sowjetischen Einflußgebiet eine gewisse Sicherheit geben sollen. Für die Sowjets gibt es nur ein Ziel, das ist die Aufgabe der amerikanischen Stützpunkte nicht nur in Deutschland, Oesterreich und Triest, sondern auch in Frankreich, Italien, England, im Fernen Osten, ja selbst auf Grönland.

Natürlich formuliert die Sowjetpresse die Forderung nicht als eine einseitige Verpflichtung der westlichen Alliierten. Alle sollen ihre Truppen und Stützpunkte aus fremden Ländern zurückziehen. Also auch die Sowjetunion nicht nur aus Deutschland und Oesterreich, sondern auch aus allen Satellitenstaaten. Das sieht nach gleichem Recht aus. In Wirklichkeit verbessert es nur die strategische Lage der Sowjets und verschlechtert die des Westens. An sich ist die strategische Lage des russisch-chinesischen Blocks, eines geschlossenen riesigen Raumes, bedeutend besser als die der durch Ozeane und Meere getrennten westlichen Alliierten. Wenn der Kreml seine Truppen aus Polen, Ungarn und Rumänien (in der Tschechoslowakei und Bulgarien stehen ja keine geschlossenen russischen Verbände mehr) zurückzieht, so ändert sich für die Sowjets nichts. Die Armeen der Satelliten sind an die Sowjetunion durch die Herrschaft der Kommunisten in diesen Ländern, durch russische Kommandanten und Instruk-toren in diesen Armeen gefesselt. Für die Aufgabe Ostdeutschlands, eines sehr fraglichen, schmalen Streifens, erkauft sich dann der Kreml eine beinahe unangreifbare strategische Position.

Die Aufgabe der „Stützpunkte“ ist also die wichtigste und entscheidendste russische Forderung. Damit nicht genug, zielen auch alle anderen russischen Forderungen auf die Verbesserung seiner strategischen Lage hin. Bezüglich Oesterreichs liegt eine vollkommen klare russische Stellungnahme vor. Moskau ist bereit, Oesterreich vor Regelung aller anderen Fragen zu räumen. Die einzige Bedingung ist die österreichische Neutralität, natürlich von den westlichen Alliierten bestätigt. Sie verstehen damit eine Neutralität etwa nach dem Schweizer Muster.

Auch über das deutsche Problem hat sich die Sowjetpresse, wenn man sie zu lesen versteht, klar genug ausgedrückt. Die Sowjetunion ist bereit, Ostdeutschland aufzugeben, wenn die Westmächte darauf verzichten, Deutschland in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft einzubeziehen. Ueber-haupt soll Deutschland nicht das Recht kaben, sich an einem militärischen Bündnis zu beteiligen. Auch erscheint es Moskau selbstverständlich, daß es an der Rüstungskontrolle des „geeinigten“ Deutschlands beteiligt sein muß.

Komplizierter liegen die Ziele der Sowjets in Asien. Natürlich wird hier immer wieder die Forderung auf Anerkennung des roten Chinas und seine Aufnahme in die •UNO erhoben werden. Ob der Kreml seine Forderung frohen Herzens stellt, ist eine andere Frage. Wenn Mao aus seiner außenpolitischen Isolierung herauskommt, wird er ein sehr selbstbewußter Bundesgenosse sein. Aber man muß eben öfter zeigen, daß man sich der chinesischen Interessen annehme, sonst könnte sich das Verhältnis zu Peking noch schneller lockern.

Da an der Korea-Konferenz das rote China beteiligt sein wird, ist die Regelung des Korea-Problems theoretisch vor der Lösung aller andern Probleme möglich. Auch hier wird die Sowjetregierung bestimmt eine Neutralisierung vorschlagen. Wobei jedoch die Grundbedingung die sein wird, daß weder jdie nordkoreanischen Kommunisten, noch Syngman Rhee an der Macht bleiben. Die Regierung des geeinten, neutralen Koreas sollen ganz neue Männer übernehmen.

In Asien ist überhaupt das Schwergewicht der russischen Politik zu suchen. Darüber schweigt sich die Sowjetpresse allerdings gründlich aus. Doch sind auf anderen Wegen sowjetische Gedankengänge durchgesickert. Letztes Ziel der sowjetischen Außenpolitik ist es, die USA zum Isolationismus zurückzuführen, es an Europa zu desinteressieren. Die Politik des Kremls strebt auch diesem Ziel auf sehr verschlungenen Wegen zu. Doch schließlich gibt es für die Sowjetregierung nur eine Art der Verständigung: die direkte Verständigung mit Washington. Wenn einmal die Verhandlungen über Asien in Fluß kommen, wird die Welt daher Ueberraschungen erleben. Moskau und mit ihm Peking werden auf eine Sowjetisierung asiatischer Länder verzichten. Sie werden versuchen, sich mit den USA auf einer „antikolonialen“ Parole zu einigen — auf der Parole: „Asien den Asiaten.“ Mit andern Worten, die Sowjets und China werden auf kommunistische Staaten in Asien verzichten, jedoch auf völlig unabhängige Staaten, nach dem Muster Indiens, bestehen. Für Washington wird dann auch ein wirtschaftlicher Köder ausgeworfen werden. Man wird Amerika nicht nur versprechen, den gewaltigen chinesischen Markt zu öffnen, sondern es auch auf die Möglichkeiten der Investierung ihrer Kapitalien in den nichtkommunistischen asiatischen Staaten verweisen. Das liegt ganz in der Linie kommunistischer Gedankengänge. Nach der Meinung Moskaus ist ja Asien für einen wirklichen Kommunismus noch gar nicht reif. Es fehlt dort an genügenden Kadern eines modernen Industrieproletariates. Diese Länder müssen erst industrialisiert werden. Aus eigenem können sie die dazu benötigten Kapitalien nicht aufbringen. Rußland kann selbst diese Kapitalien nicht bergeben. China benötigt, genau so wie andere asiatische Länder, ebenfalls ausländisches Kapital, um eine großzügige Industrialisierung durchzuführen. Wenn es gelingt, den Strom des- amerikanischen Kapitals nach Asien zu lenken, dann hat der Kreml in weltweiter Konzeption seine asiatischen Probleme gelöst. Das Schwergewicht der amerikanischen wirtschaftlichen Interessen ist dann nach Asien verlebt, und die USA interessieren sich weniger für Europa. Die Sowjetunion kann einer langen Periode des Friedens entgegensehen, der sie dringend bedarf. Gleichzeitig werden die USA im Sinne der marxistischen materialistischen Geschichtsauffassung selbst zur Beschleunigung der Weltrcvolution durch Schaffung eines asiatischen Industrieproletariates beitragen. Eine Konzeption auf lange Sicht? Nun, es ist bekannt, daß die Russen in Jahrzehnten denken.

Voraussetzung ist, daß die amerikanischen Kapitalinvestierungen nicht zu einem politisch-militärischen Machtfaktor werden. Daher die Forderung auf vollkommene Unabhängigkeit der asiatischen Staaten und die Forderung des Verbotes militärischer Stützpunkte auf fremden Territorien.

Man kann als sicher annehmen, daß die Sowjetdiplomatie so lange jede klare Stellungnahme vermeiden wird, bis das Gespräch auf eben diese „militärischen Stützpunkte* kommt. Auch jede Konferenz, sei es eine Konferenz der vier Außenminister oder eine Konferenz „auf höchster Ebene“, wird praktisch ergebnislos verlaufen, wenn diese Grundforderung der Russen nicht diskutiert werden wird.

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