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Entspannung in einer Zeit der Sturmsignale

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Ob die Ost- West-Politik in eine neue Phase eingetreten ist, diskutierten Diplomaten, Militärs, Wissenschaftler und Journalisten bei einem Seminar der österreichischen Gesellschaft für A ußenpolitik aufdem niederösterreichischen Schloß Hernstein.

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Ob die Ost- West-Politik in eine neue Phase eingetreten ist, diskutierten Diplomaten, Militärs, Wissenschaftler und Journalisten bei einem Seminar der österreichischen Gesellschaft für A ußenpolitik aufdem niederösterreichischen Schloß Hernstein.

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Eindeutige Antworten gab es dabei kaum, Debattenbeiträge endeten beinahe obligat mit einem Fragezeichen. Was nicht verwundern muß in einer Zeit, in der die A ußenpolitik der neuen öS-Regierung nach wie vor nur in Konturen sichtbar ist.

Daß über Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates der USA nach unverblümten Worten von Präsident Ronald Reagans Sicherheitsberater Richard Allen (der gegen „offene pazifistische Gefühle im Ausland“ losgewettert hatte) und Prof. Richard Pipes („Die Entspannung ist tot“) eine Art Maulkorberlaß verhängt wurde, bekamen auch Teilnehmer des Außenpolitischen Seminars in Hernstein zu spüren.

Denn Prof. William Stearman, ein Osteuropa- und vor allem Polenfachmann, der ebenfalls in diesem wichtigen Beratergremium des amerikanischen Präsidenten sitzt, sprach mehr oder weniger gar nicht über das angekündigte Thema „Außenpolitik unter Reagan“.

Stattdessen unternahm er einen Streifzug durch die Geschichte der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen seit Beginn des Zweiten Weltkrieges, wiederkäute längst Bekanntes und bot dabei ganz das Bild des von den aggressiven Sowjets tief gekränkten, hintergangenen Amerikaners: Was ja sicher auch in vieler Hinsicht stimmt.

Prof. Stearman: „Es waren die Sowjets, die die Spannungen erzeugten und verschärften.“ Stichworte, die er zur Untermauerung dieser These anführte: die Annektion von an die Sowjetunion angrenzenden Gebieten; das Aufpropfen von kommunistischen Regierungen in den von der Roten Armee „befreiten“ Ländern Osteuropas; der Druck Moskaus auf diese Staaten, keine Hilfe aus dem Marshall-Plan der USA anzunehmen; die direkten und indirekten militärischen Interventionen Moskaus in Korea, Osteuropa, Indochina, Angola, Afghanistan; die Berlin- Blockade.

Den Eisernen Vorhang verglich Stearman mit dem römischen Grenzwall Limes und resümierte aus der jüngeren zeitgeschichtlichen Entwicklung: „Die amerikanische Politik gegenüber der Sowjetunion ist jämmerlich gescheitert.“

Prof. Nicolai Inosemzew, Direktor des „Institutes für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen“ sowie Vollmitglied des Zentralkomitees der KPdSU, sprach über die „Außenpolitik nach dem 26. Parteitag der KPdSU“. Sein Vortrag war eine Wiederholung dessen, was bereits das Parteiorgan „Prawda“ zum Thema alles zu berichten gehabt hatte.

Er betonte das Interesse Moskaus an Verhandlungen, um die Entspannung („Von ihr sind viele positive Aspekte bereits verloren gegangen“) zu bewahren und zu festigen sowie um Nachrüstungen einzudämmen.

Besondere Aufmerksamkeit widme man in Moskau natürlich der Abrüstung und vertrauensbildenden Maßnahmen. Denn schließlich: „Was kann wichtiger sein als der Friede?“

Im Gegensatz zu seinem Vorredner vermied Prof. Karl Birnbaum, Leiter des österreichischen Institutes für In- ternationaje Politik, solche „No-na“- Fragen und ging anders als Prof. Stearman sehr wohl auf das gestellte Thema ein. Analytisch brillant aufgebaut, referierte er über die „Ost-West-Politik aus einer europäischen Perspektive“.

Ziel der Entspannungspolitik der 70er Jahre auf Supermachtsebene sei es gewesen, trotz des weltweiten Wettbewerbs zwischen den USA und der UdSSR den Frieden zu sichern sowie Konflikte zu bewältigen und den Krieg zu verhüten. Die Mittel dazu: Verhandlungen, Kooperation und Kommunikation.

Dies waren auch die wesentlichen Mittel der Detente auf der europäischen Ebene, wo es neben der Friedenssicherung vor allem Ziel dieser Politik war, die Teilung Europas und in erster Linie Deutschlands zu überwinden oder zumindest ertragbarer zu machen.

Die Hauptvoraussetzungen für die Entspannungspolitik waren nach Birnbaum:

• ein Kräftegleichgewicht sowohl auf militärischem Gebiet als auch im Bereich der politischen Aktionsfreiheit; jedoch: „Die Sowjetunion hat ihre Militärpolitik auch in der Phase der Detente konsequent fortgeführt und in ihren Rüstungsanstrengungen nicht nachgelassen.“ Da im Westen nichts Gleichwertiges geschah, war die Folge ein ungünstigeres Gleichgewicht.

• die Ausgewogenheit der perzipierten Vorteile; dieser Pfeiler der Detente sei im Laufe der siebziger Jahre ebenfalls immer massiveren Erschütterungen ausgesetzt gewesen. Durch die Lähmung der Regierungsmacht in Wa- shington(„Watergate“,„Vietnam-Syn- drom“) hätte sich Moskau in seiner Politik weniger Zurückhaltung auferlegt und forciert aufgerüstet. Die Amerikaner wiederum faßten die Entspannung in der Folge immer mehr als eine „Einbahnstraße“ für die Sowjets auf.

Andererseits sahen die Sowjets ebenfalls die Ausgewogenheit der Vorteile aus der Entspannungspolitik zusehends bedroht, nämlich als die Wirtschaftskrise des Westens durch die verstärkte Verflechtung der Volkswirtschaften auch nach Osteuropa überschwappte und in den meisten Ländern Osteuropas systemkritische Menschenrechtsbewegungen auftauchten.

• Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit; auch hier deutliche Abnützungsund Krisenerscheinungen und zwar aufgrund der Wirtschaftskrise, der teilweisen chaotischen Situation in der Dritten Welt sowie dem Nichtvorhandensein klarer außenpolitischer Positionen Washingtons.

In der jetzigen Situation ortet Prof. Birnbaum Sturmsignale im Ost-West- Verhältnis. Weder in den USA noch in der UdSSR sei offensichtlich das Interesse an einem ausgewogenen Gleichgewicht sehr groß: In den USA befürworte sowohl die Regierung wie eine breite Öffentlichkeit die Wiederherstellung der Überlegenheit im militärischen Bereich; in der Sowjetunion an dererseits sei eine Tendenz zur stetigen Militarisierung durch das Streben nach „lOOOprozentiger Sicherheit“ gewissermaßen systemimmanent.

In dieser Situation der „Militarisierung und Polarisierung“ empfiehlt Prof. Birnbaum eine „partielle europäische Autonomisierung“ gegenüber den Supermächten; „Hauptaufgabe europäischer Politik muß es sein, sich nicht in die Zwangsjacke einer Militarisierung und Bipolarisierung stecken zu lassen, sondern die Supermächte zu einem modus vivendi zu bewegen.“

Eine Empfehlung, die natürlich nicht die Zustimmung aller Teilnehmer auf Schloß Hernstein fand, zumal eine solche Absetzbewegung die Europäer auch direkt in des Teufels Küche (sprich: in die Arme der Sowjets) führen könne.

Daß es im kalten Wind, der derzeit zwischen Ost und West pfeift, auch die Österreicher fröstelt, wurde in der Diskussion deutlich: Kritik an den militärischen Patentrezepten, die von Moskau und Washington derzeit als Allheilmittel für alle Probleme präsentiert werden; Kritik auch daran, daß die Supermächte momentan nicht gewillt sind, einen konstruktiven Dialog zti führen.

Kritik aber auch an der österreichischen Außenpolitik selbst: Der von Außenminister Pahr in einer Rede geprägte Begriff der „Äquidistanz zu den Großmächten“ stieß bei etlichen Diskutanten in Hernstein auf wenig Gegenliebe, denn so etwas wie eine „äquidistante Außenpolitik“ könne es überhaupt nicht geben. Das „missionarische Selbstverständnis“ der österreichischen Außenpolitik („Brückenbauer zwischen Ost und West“) wurde in Frage gestellt und darauf hingewiesen, daß das „Hochjubeln der Position des Neutralen“ uns in die Rolle eines „nützlichen Idioten“ bringen könnte.

Vorschlag eines Diskutanten: Österreich soll jene Möglichkeiten der Außenpolitik ausloten, woes auf dem Feld der Ost-West-Beziehungen wirklich Nützliches leisten könne.

Alles in allem ein durchaus sinnvolles Seminar, wenn auch mehr offene Fragen im Raum stehen blieben als Antworten gegeben wurden. Aber das ist in dieser Phase der Ost-West-Beziehun- gen ja auch kaum möglich ...

Doch wie könnte in diesem Umkreis als Zielscheibe ein Papst erscheinen, der im Oktober 1979 vor den Vereinten Nationen die „gerechte Lösung“ der Palästinenserfrage und die Internationalisierung Jerusalems verfocht, ja - zum Ärger Israels - einen prominenten PLO-Führer im Vatikan empfing?

Der Palästinenserführer Waddi Haddad hat schon 1976 deutschen Terroristen, die sich in Rom umschauten, von einer Entführung Pauls VI. abgeraten (wie Hans Joachim Klein 1978 der Pariser Liberation mitteilte). Ali Agcas fixe Idee, den Papst zu ermorden (oder auch die englische Königin oder den UN-Präsidenten, so sagt er), machte ihn sozusagen fit und ansprechbar für jede Art wirklicher oder vorgegebener Motivierung.

Alles andere war nur noch technische Sache von verschworenen Organisatoren, deren Beweggründe nicht minder aus zweiter Hand stammen und italienisch-rot, türkisch-braun oder libyschgrün eingefärbt sein können. Ob die Pistole auf dem geheimen Waffen- und Heroinhandelsweg in Bulgarien erstanden wurde (wie Agca sagt) oder legal über Zürich nach Wien oder Belgrad wanderte (wie die Polizei erklärt), ist von geringem Belang. Geld und falsche Pässe liegen auf solchen Wegen genug herum.

Kein Wunder also, daß Agca erst einmal mit 40.000 Mark kreuz und quer durch Europa reiste, um in Ost und West die Spuren zu verwischen, ehe er im letzten Dezember, aus Nordafrika kommend, in Palermo landete.

Daß der Papst den Anschlag überlebte, der Attentäter aber von fünf Polizisten Tag und Nacht bewacht, in der römischen Quästur sitzt, das nagt an seiner Selbstsicherheit. Das Verzeihen des Papstes, das ausgesprochen war, noch ehe die Mutter Agcas in einem hilflosen Brief darum bat, rührt ihn nicht. Furcht, nicht Reue sitzt ihm im Nacken, wenn er sich den Schlaf versagt, stundenlang, auch nachts, vor sich hinbrütet und Speisen von den Bewachern vorkosten läßt. Zur vorgeschriebenen Stunde betet er zu Allah.

Ob er ihn meinte oder jemanden ganz anderen, als er zu Protokoll gab: „Es gibt etwas ganz Großes in der Welt, das die Gerechtigkeit für alle wiederherstellen will und von dem ihr nie etwas wissen werdet.“ Er selber kennt das Geheimnis wohl nicht genau, und was er weiß, wird die Welt wohl nur erfahren, wenn es „dem ganz Großen" gefiele oder Agca die Nerven verlöre.

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