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Frost im Ost-West-Verhältnis

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Noch ist es ein Gerücht, das seit Tagen in den Redaktionsstuben und Staatskanzleien die Runde macht. Aber, heißt es, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren: Die Vorbereitungen für ein Treffen Carter-Breschnew in Österreich, in Salzburg vielleicht, oder, wahrscheinlicher, in Wien - in den nächsten Wochen schon.

Fügt man eins ans andere, so ergibt dieses Gerücht schon einigen Wahrheitsgehalt: Der Stand der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen ist so gut schon wieder nicht, daß sich Carter und Breschnew in einer der beiden Hauptstädte, in Moskau also oder in Washington, treffen könnten. Wenn man sich also überhaupt zusammensetzen will, dann muß es schon ein dritter Ort sein - und die österreichische Reputation als Extrazimmer der Weltpolitik erspart den Quartiermachern wohl langes Suchen. Und der Abstecher nach Wien wird sich in Jimmy Carters Europa-Reiseroute im Juli auch noch einbauen lassen.

Aber frostig genug ist das amerikanisch-sowjetische Verhältnis derzeit -so kühl, daß wohl jeder der beiden Gesprächspartner des anderen Atem als Eishauch spüren könnte. Lange genug mußte sich Amerikas Präsident vom Kongreß, der Presse und auch von seinen Bündnispartnern den Vorwurf allzugroßer Weichheit, ja des Nichtrea-gierens auf die zielstrebigen Vorstöße der sowjetischen Außenpolitik gefallen lassen. Die Balance zwischen militärischen Anstrengungen einerseits und dem Bemühen um die Fortführung der Entspannungspolitik war schon recht heftig ins Schaukeln geraten. Aber innerhalb von zehn Tagen

• sprach US-Vizepräsident Mondale vor der Abrüstungskonferenz der UNO in New York von der Europa, Afrika und den Nahen Osten bedrohenden sowjetischen Atomrüstung,

• forderte Carter die Sowjets zur Zurückhaltung in Afrika und zum Verzicht des Einsatzes der Kubaner als „Fremdenlegionäre“ Moskaus auf,

• fand schließlich Sicherheitsberater Brzezinski - der, scheint's, immer mehr zum „Macher“ der amerikanischen Außenpolitik wird - die härtesten Worte für Sowjets und Kubaner.

Amerikas Verbündete dachten ähnlich. Das Routinetreffen der Bündnispartner des Atlantikpaktes (NATO) in Washington sollte ja ursprünglich nur das langfristige Verteidigungsprogramm gutheißen, ein praxisbezogenes Programm, das mit einer bündnisphilosophischen Erklärung garniert werden sollte. Praxisbezogen deshalb, weil es das Anlegen von Vorräten, die Verstärkung der Panzerabwehr und die Erhöhung der Transportkapazität für die amerikanischen Verstärkungen nach Europa vorsieht.

Ausgelöst durch die jüngsten Ereignisse in Zaire, stand dann aber eben doch die Sorge um die Entwicklung in Afrika im Vordergrund, die letztlich die aktuelle Analyse des Standes des West-Ost-Verhältnisses spürbar beeinflußte. Das klingt dramatisch, aber mehr noch als vor zwei Jahren, ja vor einem Jahr, beweist diese Reaktion,

wie zerbrechlich die Entspannungspolitik sein kann. Wenngleich sich sowohl der Präsident als auch seine engsten Mitarbeiter bisher scheuten, die unlösbare Verknüpfung zwischen der sowjetischen Afrika-Politik und der Ratifizierung des zweiten Abkommens zur Begrenzung der strategischen Rüstung (SALT II) offen auszusprechen.

Hier freilich zeigt sich schon, daß Jimmy Carters NATO-Verbündete ihm nur zögernd, wenn überhaupt, auf einen solchen Weg des Brückenabbrechens folgen würden. Nicht nur die Deutschen - die wichtigsten Partner im Bündnis - gewinnen allmählich den Eindruck, daß sich die politisch-militärischen Analysen der Carter-Ratgeber nicht unbedingt und in jeder Einzelheit mit ihren eigenen decken.

Dänemark, Norwegen, Holland und vor allem Großbritannien gingen hör-

bar auf Distanz, als sie begreiflich zu machen suchten, daß man zum Ost-West-Gegensatz wohl auch den typisch afrikanischen Kern des Problems einzukalkulieren habe. Es wäre allzuviel riskiert, sagt man dazu in den Hauptstädten dieser Länder, wollte man die Entspannungspolitik-konkret: das zu ratifizierende SALT-II-Abkommen -aufs Spiel setzen, nur um in Afrika den Sowjets Härte demonstrieren zu können.

Härte demonstrieren in Afrika derzeit aber Frankreichs Interventionstruppen, jene schnell per Luftbrücke verlegbaren Regimenter der Fremdenlegion und der Marineinfanterie: im Libanon - dort freilich im Dienst der UNO -, in Zaire, in Mauretanien und im Tschad. Still und zunächst auch unbemerkt hat Frankreichs Staatspräsident Giscard d'Estaing der Außenpolitik seines Landes einen Kurswechsel verordnet, der dazu geführt hat, daß man von Frankreichs Soldaten schon als den „Kubanern der NATO“ spricht. Ein böses Witzwort, von der französischen Linken geprägt und von den Gaullisten übernommen, die daran erinnern, daß Bindungen an NATO und Washington den Bruch jener Politik bedeuten, die Frankreich seit 1958 -nicht unbedingt zu seinem Nachteil -betrieben hat.

Gerät der Ost-West-Konflikt also außer Kontrolle? Wirken Kräfte mit, die nicht mehr beherrscht werden können? Muß Frankreich rechnen, immer tiefer in die afrikanischen Fehden verwickelt zu werden, die nach der Entkolonialisierung entstanden sind? Und Peking? Zu fern scheint den Chinesen Afrika, meint man. Aber da ist das Hilfeansuchen Mobutus von Zaire in den Stunden höchster Bedrängnis, da ist der Besuch des chinesischen Außenministers am Schauplatz, nur wenig später nach neuen schweren Grenzkonflikten am Ussuri, dem Grenzfluß zur Sowjetunion, und kurz nach dem Besuch Sicherheitsberaters Brzezinskis in Peking. Der fand an der Großen Mauer wieder recht drastische Worte für den „Feind aus dem Norden“, von den Gastgebern freilich artig mit Applaus dafür bedankt.

So spielt auf einmal auch der Konflikt um den Führungsanspruch in der Dritten Welt in diesen Rattenkönig von Konflikten hinein. Und die jüngste NATO-Tagung zeigt, daß auch die USA und ihre Verbündeten letztlich unsicher sind. Trotz aller gezeigten Stärke nach außen, fragt man sich im westlichen Verteidigungsbündnis, wie dieses Afrika wieder in den Griff zu kriegen sein könnte, nicht so sehr in den machtpolitischen Griff, der auch ein übler Rückfall in die alte Kolonialzeit wäre, sondern in den rettenden Griff, um den Kontinent vor dem Absinken in die Abhängigkeit und letztlich ins Chaos aus Familien- und Stammesfehden zu bewahren. Die eilends einberufene Zaire-Konferenz ist nur ein erster Schritt.

Und Moskau? Dort wird man zunächst prüfen und dann entscheiden müssen, was letztlich größer ist, mehr Vorteile bringt: der Machtzuwachs in Afrika, in der Dritten Welt, oder die Ost-West-Entspannung.

Darüber aber könnte Breschnew mit Carter sehr wohl reden. Vielleicht in den nächsten Wochen schon. Und vielleicht in Österreich.

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