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Silberstreif am Horizont

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Schon seit längerer Zeit hat sich der Eindruck aufgedrängt, daß die westliche Welt trotz ihres noch immer gewaltigen Potentials zunehmend in eine weltpolitische Passivität hineingeglitten sei, ja geradezu den Willen zur Selbstbehauptung verloren habe. Die Bilanz war bedrückend: 1975 wurden Saigon und Phnom Penh abgeschrieben, 1976 Luanda und Lourenco Marques, und

man mochte Wetten darüber abschließen, was als nächstes an der Reihe sein werde.

So schien ein Prozeß unaufhaltsam fortzuschreiten, den der bekannte Militärexperte Ferdinand Otto Mik-sche in einem Buch mit dem unheimlichen Titel „Kapitulation ohne Krieg“ schon 1965 vorhergesagt hatte. Wie das Schloß zum Schlüssel paßte die westliche Indolenz zum sowjetischen Konzept eines „Sieges ohne Krieg“.

Es hatte den Anschein, als würde sich ein ehrgeiziges Programm östlicher Weltmachtpolitik nahezu von selbst erfüllen. Die Vereinigten Staaten geben ihre Führungsrolle auf und sinken zu einer zweitrangigen, auf die westliche Hemisphäre beschränkten Macht zurück. Diesseits des Atlantik führt das Vordringen der Linkskräfte in den Staaten Lateineuropas zu einer weitgehenden Entstabüisierung, anderswo zeitigt die Entspannungseuphorie ähnliche Ergebnisse, und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten besorgen den Rest.

So gleitet der europäische Westen in einer seltsamen Mischung von Wil-lenlosigkeit und Illusion - halb zog sie ihn, halb sank er hin — der Sowjetmacht in die Arme. Das alles kann sich ohne einen einzigen scharfen Schuß vollziehen. Vielleicht bleiben sogar die bürgerlichen Freiheiten für einige Zeit erhalten, wenn nur die intellektuelle und industrielle Kapazität Westeuropas in den Dienst der Weltmachtpolitik Moskaus genommen werden kann.

Damit aber ist über die Hegemonie in der Alten Welt entschieden, denn China kann in seiner Randposition isoliert werden und das Schicksal der übrigen Regionen vollzieht sich von selbst.

Doch das Jahr 1978 hat eine Reihe von Entwicklungen gebracht, die nicht in dieses Konzept passen. In den Vereinigten Staaten scheint langsam die durch Vietnam und'Wa-tergate bedingte Lähmung zu weichen.

Der Westen ist eine versinkende Gesellschaft - dem Osten könnte unser System nicht als Muster empfohlen werden: So befand Alexander Solschenizyn in seiner großen Harvard-Rede, die von der FURCHE am 6. Oktober auszugsweise abgedruckt wurde. Daß es so arg auch wieder nicht steht um unsere westliche Gesellschaft, ist die Schlußfolgerung, die unser heutiger Autor aus einer Gegenwartsanalyse zieht.

Aber auch in Lateineuropa hat das neue Jahr wichtige Entscheidungen und neue Tendenzen gebracht. Frankreichs vereinigte Linke, welche um die Jahreswende die Macht schon in Griffweite zu haben schien, hat ihr Ziel nicht erreicht und ist in eine ernste Krise geraten. Aber auch in dem chaotischen Italien ist der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der KP zunächst einmal gebremst.

Dazu kommt in beiden Ländern ein wachsender Widerstand gegen die diktatorischen Anmaßungen der Kommunisten auf kulturellem Gebiet. Die „Neue Philosophie“ bei den Franzosen ist zwar mit ihren Einsichten gar nicht neu, aber sie hat das unbestreitbare Verdienst, alte Erkenntnisse wieder bewußt gemacht zu haben, die einem wohl sehr planmäßig gesteuerten Vergessen anheimgefallen waren. Nicht zuletzt unter ihrem Einfluß scheint auch bei den Italienern langsam ein Besinnungsprozeß in Gang zu kommen.

Wie weit übrigens die marxistische „Erziehungsdiktatur“ auf der Apen-ninenhalbinsel gediehen war, kann ich mit einem eigenen Erlebnis illustrieren. 1975 veröffentlichte der angesehene Verlag Laterza, der seinerzeit auch die Werke des liberalen Klassikers Benedetto Croce herausgebracht hatte, die Ubersetzung einer Auswahl meiner Aufsätze zur Ideologiekritik, die freilich nur Arbeiten umfaßte, welche sich mit Ideologien der Rechten auseinandersetzten.

Zu meiner größten Überraschung war aber ohne mein Wissen eine Einleitung vorangeschickt worden, die meine Untersuchungen vom Standpunkt der Linken „entgiften“ sollte.

Kaum weniger wichtig ist ein offenkundiges Einsetzen der Besinnimg in der Dritten Welt, ein Wandel in der Grundhaltung vom Ressentiment zum Realismus. Das spektaku-

läre Eingreifen der Sowjets und ihrer kubanischen Kolonialtruppen hat besonders in Afrika die Sorge ge-' weckt, man könnte aus einer Abhängigkeit in eine andere, noch drük-kendere geraten.

Die Zeit der europäischen Fremdherrschaft sinkt in die Vergangenheit zurück und die Einsicht macht sich langsam geltend, daß man vom Groll gegen die einstigen Herren nicht leben, die gewaltigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten aber noch immer

am ehesten mit Hilfe der westlichen Industriestaaten überwinden kann. Von Moskau aber ist außer Waffen, Militärberatern und neuen Machtha-bern nicht viel zu bekommen.

So hat nicht nur ein gemäßigter afrikanischer Politiker wie Leopold Senghor an die Vereinigten Staaten appelliert, endlich wieder ihre Führungsaufgaben wahrzunehmen, sondern auch der stark links orientierte Sekou Tour6 zeigt sich neuerdings dem Westen gegenüber erstaunlich konziliant

Ja, Angolas marxisitscher Präsident Neto knüpft wieder Kontakte zur ehemaligen portugiesischen Kolonialmacht und sucht nach einem Auslgeich mit dem benachbarten Zaire.

Vor allem aber bedeutet der Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen China und Japan eine neue Phase in den Bemühungen des Reiches der Mitte, den Hegemoniebestrebungen Moskaus in Ost- und Südostasien Einhalt zu gebieten.

Es scheint sich also auch diesmal die alte Regel zu bestätigen, daß eine Politik der Expansion und militärischen Drohung alle jene zusammenführt, die sich dadurch gefährdet fühlen, und sogar höchst verschiedene Partner zu einer Gegenkoalition oder Ähnlichem verbindet. Beispiele dafür sind noch in lebendiger Erinnerung.

Das alles ist freilich bei weitem kein Grund zur Euphorie. Vieles hegt noch im Ungewissen. Aber eine Chance scheint sich abzuzeichnen, die nun klug und zielbewußt genützt werden müßte. Zumal gegenüber der Dritten Welt sollten alle Anstrengungen unternommen werden, aus den noch immer vorhandenen Spannungen zu einer partnerschaftlichen Beziehung zu gelangen

Aber auch sonst“ ist vielleicht der Zeitpunkt für ein Umdenken gekommen. Vor allem hat man die „Entspannung“ viel zu sehr als eu-phemistische Umschreibung dessen verwendet, wofür es früher den häßlichen, aber treffenderen Ausdruck „Appeasement“ gegeben hatte, der gerade dann aus dem Verkehr gezogen wurde, als er am nötigsten gewesen wäre.

„Durch ihre Intransigenz hat sich die sowjetische Führung mehr und mehr in Gegensatz zu jenen gebracht, die in der Welt politisch und wirtschaftlich zählen - Amerika, Westeuropa, China, Japan. Doch auch anderswo wird man hellhöriger.

In einer solchen Situation ist eine selbstbewußtere Haltung des Westens möglich und vorteilhaft, die es ablehnt, Vorleistungen zu erbringen, welche nicht honoriert werden. Dies könnte vielleicht sogar die Sowjets der Einsicht näherbringen, daß sie ihre Karten überreizt haben und ihrerseits umdenken müssen. Die Greise im Kreml sind dazu freilich kaum noch in der Lage, möglicherweise aber eine nachfolgende, flexiblere und pragmatischere Generation.

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