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Randhemerkungen zur woche

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VOR TISCHE, DAS HEISST VOR DEN LETZTEN NATIONALRATSWAHLEN, las man da und dort eine eigenartige politische Gleichung VDU + AKTION = SEB. Für weniger Eingeweihte: Der „Verband der Unabhängigen“ und die nach ihrem Ausscheiden aus dem Rahmen der Volkspartei in „Aktion zur politischen Erneuerung“ umgetauite „Junge Front“ hatten den herzhatten Entschluß getaßt, unter einer neuen gemeinsamen Fahne in die Schlacht zu ziehen„ ihre beiden Organisationen Zug um Zug zur „Sozialen Erneuerungs-bewegung“ zu verschmelzen. Landaul, landab wurde die große Nachricht ausgetrommelt, und während alle, die etwas von den Gewichten in der Politik ahnen, zurückhaltend blieben und weiterhin von den „Unabhängigen“ sprachen, kultivierte man nur an einer bestimmten Seite emsig und nicht ohne Mühe die Chiffre SEB. Das war, wie gesagt, vor dem 22. Februar. Heute lesen wir im sieirischen Organ des VDU:

„Kein vernünftiger Mensch — selbst wenn er noch vor einem halben Jahr, in einer politisch weniger gespannten Situation also, eine Namensänderung lür möglich gehalten hat — wird jetzt daran denken, die Bezeichnung VDU aufzugeben, und gegen einen neuen Namen zu vertauschen. Die Gründe, die gegen eine solche Umbenennung sprechen . . . liegen im übrigen so klar auf der Hand, daß sie jedem Kind ohne weiteres einleuchten würden. Es ist begreiflich, daß sich die in Landgemeinden, besonders in entlegenen Gegenden wohnenden VDU-An-hänger geradezu leidenschaftlich gegen eine Umbenennung aussprechen, da sie noch besser als der Großstädter wissen, wie schwierig es wäre, einen neuen Namen auch nur annähernd so populär zu machen wie den jetzigen. So wie bei einer Heirat der Name des einen Ehepartners künftighin von beiden Partnern getragen wird, so wird eben auch bei der politischen Verschmelzung dieser beiden politischen Partner der eine Name zugunsten des anderen, in diesem Falle zugunsten des populäreren, aufgegeben werden.“

Auf Nimmerwiedersehen also „Soziale Erneuerungsbewegung“! Leb wohl bald auch „Aktion“ ... ?

IN SEINER REDE VOM 16. APRIL stellte Präsident Eisenhower für das friedliche Nebeneinanderleben der Völker fünf Thesen auf: „1. Kein Volk der Erde kann als solches zum Feind erklärt werden, denn die Sehnsucht nach Frieden, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit ist der ganzen Menschheit gemeinsam. 2. Sicherheit und Wohlfahrt eines Volkes können auf die Dauer nicht durch Isolierung, sondern nur durch wirksame Zusammenarbeit mit Brudervölkern garantiert werden. 3. Das Recht eines jeden Volkes, seine Regierung und sein Wirtschaftssystem nach eigenem Ermessen zu bilden, ist unveräußerlich. 4. Der Versuch, einem anderen Volke eine Regierungstorm zu diktieren, kann durch nichts gerechtfertigt werden. 5. Die Hoffnung auf einen dauernden Frieden kann nicht auf ein Wettrüsten gegründet sein, sondern nur auf gerechte Beziehungen und nur auf ehrliches Verständnis für alle anderen Völker.“ Die erste dieser Thesen lehnt den Rassenhaß, den Begriti der nationalen Erbfeindschalt, den Gedanken des Revanchekrieges sowie auch die Identihzie-rung eines ganzen Volkes mit einem ethisch zu verurteilenden Regierungssystem ab. Wenn auch ein Urteil über die Veränderungen an den höchsten Stellen in Rußland augenblicklich noch verfrüht ist, so scheint doch vieles dafür zu sprechen, daß sich in der neuen Tonart, die jetzt von Moskau angeschlagen wird, mehr der Wille breiter Schichten als der einer einzelnen Persönlichkeit äußert. Man kann also in der Sowjetunion diese erste der Eisenhowerschen Thesen auch in dem Sinne auslegen, daß die amerikanische Regierung zwischen dem durch das Komin-form repräsentierten Regime und dem russischen Volke scharf unterscheidet. Mit der zweiten These werden Begriffe, wie Sanitätskordon und Eiserner Vorhang, verworfen und als Grundbedingung eines dauerhaften Friedens die weltweite Zusammenarbeit zwischen den Völkern dieser Erde aufgestellt Das ist nach den Versteinerungen und Abmauerungen, zu denen der kalte Krieg in den letzten Jahren geführt hat, eine befreiende und erlösende Parole. Die dritte These enthält die Forderung der Duldsamkeit gegenüber dem Regierungsund Wirtschaftssystem anderer Völker und verwirft damit Einmischung und politisches Pro-selytentum. Das entspricht nicht nur einem alten völkerrechtlichen Prinzip, sondern ist auch eine natürliche Konsequenz der Beziehungen der Westmächte zu der Sowjetunion vor dem kalten Kriege, der Stellung kommunistischer Regierungen innerhalb der Organisation der Vereinten Nationen und der jüngsten Entwicklung des Verhältnisses westlicher Regierungen zu dem kommunistischen Jugoslawien. In der vierten These wird dann allerdings dem allgemeinen Prinzip der Nichteinmischung noch eine deutlichere Fassung gegeben. Von entscheidender Bedeutung — gerade in diesem Augenblick der weltpolitischen Situation — ist die in der fünften These ausgesprochene Absage an ein Wettrüsten. Sie fällt zusammen mit der Kürzung des amerikanischen Militärbudgets um vier Milliarden Dollar, mit einer Reduktion der“ NATO-Ziele und mit der Wiederau/nähme von Abrüstungsgesprächen in der politischen Kommission der Vereinten Nationen. Wenn ein annähernd ähnlicher guter Wille in den maßgebenden Kreisen der Sowjetunion sich zur Geltung zu bringen vermag, wird man an dem schon zu lange gewitterdunklen weltpolitischen Horizont die Helle einer großen Hoffnung aufsteigen sehen.

ALS PULVERFASS EUROPAS gewertet und genützt zu werden, genießt seit hundert Jahren der Balkan nicht unverdientes Ansehen. Die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg haben durch den griechischen Bürgerkrieg, die Umwälzungen in Albanien und Bulgarien, vor allem aber durch die permanente Krise um Tito alles getan, um in den Zeltungen und Militärkabinetten, bei den politischen Beobachtern und den Wirtschaltsexperten die Erinnerung an diesen seinen alten Rul wachzuhalten. Die Invektiven Moskaus gegen Tito, die Propa-gandaieldzüge der Kominform haben hier das Ihrige beigetragen, die Sorge um diesen Sorgenwinkel Europas wachzuhalten. Im letzten Lebensjahr Stalins steigerten sich diese Auslälle in den Reden oltizieller russischer Persönlichkeiten zu unverhüllten, termlnlsler-ten Drohungen. Bald werde die Rache an dem Verräter ihren vollen Laut nehmen. Tito hat diese rhetorischen Aufmerksamkeiten nicht aut die leichte Schulter genommen, sein Englandbesuch, sein Werben um Amerika, zeigen, daß er der großen Allianz seiner Gegner eine noch größere von Verbündeten entgegenstellen will. Nun ist vor kurzem, wie Alliierte-Korrespondenten aus Moskau berichten, in einer Rede- des neuernannten Generalstabscheis der Sowjetunion, Marschall Sokolowski, vor Kriegsakademieschülern ein nicht unititeresr santer Satz gelallen. In Anspielung an Bisr marcks berühmtes Wort, der ganze Balkan sei nicht die Knochen eines einzigen pom-merschen Grenadiers wert, sagte Sokolowski: Der Balkan sei nicht einmal den* Bruch eines russischen Lastkraftwagens (im Original nannte der Marschall hier eine bestimmte Type) wert. Dieser Satz kann gewertet werden: als Ausdruck eines besonders hohen, verstärkten Interesses am Balkan (das er also verbergen soll), als Aussage einer persönlichen Meinung oder als Ausdruck einer Verlagerung der primären Interessen des russischen Weltreiches; vielleicht ins Innere, in die Stärkung der inneren Front; vielleicht nach Asien und Uebersee (wo sich in Südamerika gigantische Perspektiven abzeichnen, die bereits Hitler lür sich wahrzunehmen suchte). Der kleine Mann in Mitteleuropa wünscht sich nur eines: daß diese Worte so gemeint seien, wie sie gesagt waren. #

DIE SODAFRIKANISCHEN WAHLEN, die über die verschärlte Rassengesetzgebung Dr. Mal ans zu entscheiden hatten, haben mit einem Erlolg der Intransigenz geendet. Der überaus scharle Wahlkampf hat sich nur zwischen den etwa zweieinhalb Millionen Weißen abgespielt — die neun Millionen Neger, um deren Schicksal es ging, standen als ironisch abwartende Zuschauer beiseite. Wie so oit hat die radikale Parole Oberhand behalten. Dieses Skrutinium war auch dadurch bemerkenswert, daß die Opposition im britisch besiedelten Natal ebenso eine bedeutende Mehrheit erzielte wii anderseits die Nationalisten im von Buren bevölkerten Oranje-Freistaat. Hier zeichnen sich, 50 Jahre nach dem Burenkrieg, die Nahtstellen der Südälrikanischen Union ab. Wiewohl es das Wahlergebnis dem 78 jährigen Premierminister ermöglicht, sein Programm der ver-schärtten Rassentrennung (Apartheid) durchzuführen, Wird er doch nicht in der Lage sein, die Volksabstimmung auszuschreiben, die es Ihm gestatten könnte, die Union aus dem Commonwealth herauszulösen und die Republik auszurufen. Am Rande sei bemerkt, daß eine wirkliche Rassentrennung in der Praxis nicht durchführbar ist, da die südafrikanische Industrie, vor allem die großen Goldbergwerke, auf die schwarzen Arbeitskrälte gar nicht verzichten können. Im Norden der Union haben sich durch eine Abstimmung der weißen Bevölkerung Nyassaland, Süd- und Nord-Rhodesien zu einem neuen Territorium zusammengeschlossen, das einmal das achte Dominion des Commonwealth werden dürfte. Nimmt man die tiefgreifenden Unruhen in Britisch-Zentralafrika hinzu, so zeigt sich, daß der schwarze Erdteil, die letzte europäische Kolonialsphäre, in einer bedeutungsvollen und erschütterungsschwangeren Umbildung begriffen ist.

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