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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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PAX-CHRISTI UND ÖSTERREICH. Es war, wii Bundesminister Dr. Drimmel in seiner Be grüßungsrede zur Eröffnung des V. Pax-Christi Kongresses in Mariazell hervorhob, ein beson ders glücklicher Gedanke, diese Zusammenkunf begeisterter Vorkämpfer für einen wahre: Völkerfrieden zu Fütjen der Magna Mate Austriae abzuhalten; auf dem Boden eine Landes, das heute zwar klein ist an Fläche unc Bevölkerungsziffer, einst aber Teil war eine machtvollen Großreiches, welches im friedlicher und wohlgeschützten Zusammenleben eine Vielzahl an Art und Sprache verschiedene Völker den Gedanken übernationaler, einfacl menschlicher Zusammengehörigkeit jahrhun derfelang verkörpert hat. Daß dieser Gedankr im Rahmen des alien Oesterreichs so lange wirk sam bleiben konnte und erst dann seine Krat verlor, als die Irrlehren des Nafionalsozialismu um sich gegriffen hatten, muß allen als Ansporr dienen, denen eine echte Verständigung zwischer den Völkern und Rassen unserer Erde ein Her zensanliegen ist. Freilich, die Größe der Auf gäbe, die da zu bewältigen ist, und der siel zusehends vertiefende Gegensatz, besonder: zwischen den weiten Gliedern der Menschheits familie und denen anderer Hautfarbe, mag au manchen entmutigend wirken,. Doch entmutigend ja vielleicht hoffnungslos konnte auch die Lagt unseres kleinen Oesterreichs erscheinen, welche: als äufjerster Vorposten der freien Welt eine von vielfachen Schwierigkeiten und Gefahrer bedrängte Position zu verteidigen hat; aber da: österreichische Volk hat sich durch diese Schwierigkeiten und Gefahren dicht einschüch- fern lassen, und die Unerschrockenheit, mit de es seine Stellung behauptet, sollte wohl auch jene zuversichtlicher stimmen, die bei allerr guten Willen daran zweifeln, daß die hoher Ziele der Pax - Christi - Bewegung erreichbai seien.

SCHILLING-BALLADE. Mit jedem Monatserster rollen wieder Zehntausende der neuen 10- Schilling-Stücke in die Taschen der Oesierreicher Sie sind recht hübsch ausgefallen, wenn auch das autgeprägte Motiv — Mädchen mi Wachauer Haube — nicht gerade das Maximum an Originalitäf darsfellt. Auf Marmortischen klingt es wieder, wie einst im Mai, zur Zeit des schon sagenhaften Alpendollars. Und dennoch die Bevölkerung hat an den neuen Münzer keine rechte Freude. Während sonst jedes Silbergeld — man denke nur an die 25-Schilling- Silberstücke, die viele überhaupt nur vom Hörensagen kennen — nur ungern weitergereichi wird, sind alle Geschäftsleute und . Schalterbeamten froh, die eingegangenen 1O-Schilling- Münzen möglichst umgehend wieder loszuwerden. Der Grund für die geringe Popularitäi liegt in der leichten Verwechslungsmöglichkeit mit den I-Schilling-Münzen aus Aluminium, die beinahe genau dieselbe Größe haben. Hier setzt das allgemeine Kopfschütfeln ein: die beliebten •-Schilling-Münzen wurden nicht zuletzt unter der Begründung „Vermeidung einer Verwechslung” mit den neuen 10-Schilling-Stücken eingezogen. Diese Verwechslungsmöglichkeit ist aber bei den 1-Schilling-Münzen noch viel größer. So hat die Bevölkerung einen dreifachen Nachteil: Sie beklagt erstens den Ausfall einer praktischen Zahlungseinheif, an allen Orten sind ferner die 1-Schilling-Münzen knapp geworden, und außerdem besteht vor allem für ältere Leute, mit nicht mehr guten Augen, die Verwechslungsgefahr mit dem neuen „Alpendollar ä zehn Schilling”. Eine auf weitere Sicht angelegte Münzreform tut deswegen not. Die 1-Schilling-Münzen — sowieso ein Produkt der ersten Nachkriegszeit und numismatisch keine besondere Errungenschaft — sind einzuziehen und allmählich durch neue, kleinere und aus einer edleren Legierung, am besten einer Messinglegierung, ähnlich der unserer 20-Groschen1- oder der deutschen 10-Pfen- nig-Sfücke, zu ersetzen. Neue 2-Schilling-Münzen sind in Umlauf zu bringen. Je früher diese Münzreformen durchgeführt werden, desto besser.

DRAMATISCHE TAGE IN LONDON. Eine dramatische Entwicklung nahm die Londoner Abrüstungskonferenz: Staatssrekrefär Dulles war herbeigeeilt, um die Verbündeten Amerikas zu einem gemeinsamen Abrüstungsvorschlag an die Adresse der Sowjets zu bewegen. Dies gelang ihm auch weitgehend, obwohl Frankreich starke Widerstände in einigen Punkten, so in der Frage der Verminderung der stehenden Heere vorbrachte, und dies mit einer schwierigen Lage in Nordafrika begründete. Immerhin konnte Dulles im Namen aller Westalliierten, auch im Einverständnis mit Bonn, den Russen einen weitgehenden Plan der Luftinspekfion vorlegen, wobei er demonstrativ an die seinerzeitigen Gespräche und Vorschläge Eisenhowers in Genf erinnerte. Die Russen sollten sich entscheiden, ob sie die ganzen USA, Kanada und die Sowjetunion oder zwei Zonen in der Arktis unter gegenseitige Kontrolle stellen wollen. Im Falle einer Zustimmung zu einem dieser beiden Projekte würde der Westen einer weiteren Inspektionszone in Europa zustimmen. — Moskau lehnte ab. — Wes wollen die Russen? Diese Gretchenfrage ist, nach der Ausbootung Molotows, der einen Nervenzusammenbruch erlitten haben soll, natürlich besonders aktuell. — Die bekannte Scherzantwort auf diese Frage hat etwas für sich: „Das weiß nicht einmal Moskau selbst.” Moskau befindet sich offensichtlich in einem inneren Dilemma: die Politiker möchten eine Abrüstung, um ihre riesenhaften Projekte in Asien und die notwendige Erhöhung des Lebensstandards durchsetzen zu können. Die Militärs sind damit nicht uneinverstanden, beharren aber auf „Sicherheit”, und sehen mit größtem Mißtrauen jedem Einblick in ihre Einrichtungen entgegen. Luffinspektionen des größten Teiles des sowjetischen Territoriums haben für sie etwas Ungeheuerliches an sich. Dafür sind sie einfach nicht zu haben. Nun kommen ihnen die Politiker (also momentan die Leute um Chruschtschow) aus wohlverstandenem eigenen Interesse so weif, als es nur geht, entgegen, und tun alles, um den Sicherheitskomplex der Militärs zu befriedigen. In diesem Zusammenhang müssen auch die Aussprachen mit den Chefs der Balkanregierungen, zuletzt wieder mit Tito, gesehen werden: safety first, Sicherheit zuerst, das heißt für die sowjetischen Militärs möglichst geschlossene Gebiete eigener Herrschaft und verbündeter Kräfte, in denen es keine Unruhen gibt, und die man jederzeit kontrollieren kann. Die Versteifung in den Abrüstungsverhandlungen basiert auf dieser ihrer Sorge. So ist nun für manche Außenstehende der Eindruck entstanden, es hätte sich nichts geändert, ja man kehre zum alten „Njet” Molotows zurück. Das ist nicht richtig. Die russischen Militärs wollen keine ideologische Propaganda gegen den Westen, keine weitere Aufhetzung der Leidenschaften, weil sie diese im Innern und Aeußern fürchten, sie wollen handfeste Pakte mit aller Welf, nicht nur mit ihren Verbündeten. SJe wollen aber möglichst wenig dafür bezahlen. So wird es ein langes und hartfeš Feilschen rfiit den Sowjets geben.

DER TÄGLICHE ANSCHAUUNGSUNTERRICHT. Die politische Sauregurkenzeit ist zwar in kommunistischen Ländern nie Brauch gewesen, aber die seit den letzten Wochen wahrnehmbare und schaudererregende Aktivität des Kadar-Regimes in Ungarn verdient doch als trauriges Kuriosum erwähnt zu werden. Denn im Gegensatz zu den immerhin echten politischen Coups und Wochenendüberraschungen, die Moskau den Redakteuren und den Zeifungslesern beschert, gehören die Zeitungsmeldungen aus Budapest der letzten Wochen und Tage eher in die Sparte der Kuriosa, wie sie in Zeitungen früherer Jahrhunderte einen breiten Raum einnahmen und die Kenntnisse der Leser über fremde Länder, Kriege und sonstige Bräuche in seltsames, die wahren Dimensionen entstellendes Licht fauchten. Die Politik, Menschen, die einmal und auch damals nur in den unteren Rängen irgendwelcher Parteien irgendeine bescheidene und auch räumlich wie zeitlich begrenzte Rolle spielten, heute vor die Oeffentlichkeit zu zerren — indem man ihre Verhaftung bekannfgibf —, ist ebenso töricht wie sie auch unmoralisch ist. Besser, sie ist gar keine Politik. Denn welcher Politiker, und selbst ein Handlanger eines in seiner chronischen Enge und momentanen Bedrängfheif mit terroristischen Mitteln arbeitenden Regimes, ist so unklug, Gestalten aus einem politischen Schattenreich als seine gefährlichen Gegner hinzustellen, von deren Aburteilung die Stabilität des Landes abhänge, desselben Landes, dessen Bevölkerung ja „in wachsendem Maße” sich hinter dieses herrschende Regime scharen soll? Keinem der kürzlich in Ungarn verhafteten ehemaligen Politiker wurde zur Zeit ihrer Aktivität die Ehre zuteil, daß man seinen Namen in den Spalten der großen Zeitungen der Welt abdruckfe wie dies heute dank der gegen sie in Ungarn eingeleiteten Maßnahmen geschieht —, und vor allem ist keinem von ihnen zuzumulen, daß er selbst in den trüben ersten Novembertagen des Vorjahres in Budapest jene politische Rolle spielen konnte, die ihm heute in den Polizeiberichfen zugeschanzt wird. Vermutlich ist der Dienst, welchen diese bedauernswerten Menschen Demokratische Volksparteiler, Sozialdemokraten und Legitimisten — heute ihrem Vaterland und der Sache der Freiheit erweisen, der erste von Bedeutung in ihrer politischen Laufbahn, wenn auch ein unbeabsichtigter. Er besieht darin, daß sie Opfer eines Anschauungsunterrichtes wurden, den ein bankrottes Regime vor den Augen der Welt von seinem Wesen, von seinen „Ideen” und „Plänen” nun bereits fast tagtäglich veranstalte:.

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