6657954-1959_40_05.jpg
Digital In Arbeit

RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

„DER KALTE ANSCHLUSS"! Der nunmehr auch in nationalen Kreisen als unselig erkannte Anschluß Oesterreichs an Deutschland war wohl in seinem letzten Akt das Ergebnis einer paramilitärischen Aktion; voranging aber eine Okkupation großer Teile der österreichischen Wirtschaft durch deutsche Unternehmungen. Die Regierung Oesterreichs war auf diese Weise nicht in der Lage, eine eigenständige Wirtschaftspolitik zu treiben. So war es der NS- Regierung ein leichtes, von Berlin her und zentral gelenkt die österreichische Wirtschaft in eine Anschlußreife zu bringen. Gerade in den Märztagen 1938 wurde daher der innige Zusammenhang von Staatspolitik und Wirtschaftspolitik offenbar. Seit Abschluß des Staatsvertrages beklagt man nun in Oesterreich eine von der Regierung in keiner Weise behinderte Infiltration der österreichischen Wirtschaft durch deutsche Unternehmungen. Eine Broschüre „Untersuchungen über den wachsenden westdeutschen Einfluß in der österreichischen Wirtschaft" „Unionverlag", Wien bringt in diesem Zusammenhang auf fast 50 Seiten Material, das, wie immer man sich zu den Verfassern der Broschüre stellen mag, beachtet und diskutiert werden muß. Aus der Materialsammlung kann man entnehmen, daß die deutsche Einflußnahme diesmal infolge der Verstaatlichung großer Teile der österreichischen Wirtschaft nicht so sehr in der Form direkter Beteiligung vor sich geht, sondern mehr durch Lizenz- und Produktionsverträge und auf dem Anleiheweg. Der Kapitalimport und Produktionsabkommen können einem Land wie Oesterreich nur nützen, wenn sie zur Erweiterung der Produkfionsanlagen führen und das Sozialprodukt mehren helfen. Die Verfasser der Broschüre glauben aber Grund zur Annahme zu haben, daß die Verträge, an die sich die österreichischen Unternehmungen binden, weder der Mehrung des Sozialproduktes noch der Schaffung von Arbeitsplätzen' dienen. Im Gegenteil. Im Zeichen der Integration wäre eine Autarkiebestrebung absurd. Was notwendig ist, das ist Autonomie. Nicht nur gegenüber den Einflüssen eines Landes.

NUR EIN SCHATTENPRÄSIDENT! Dr. Hermann Juch, derzeit Generalintendant der Deutschen Oper am Rhein, haf die Einladung, den Posten des Präsidenten der Salzburger Festspiele zu übernehmen, abgelehnt. Auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf erklärte Dr. Juch, was ihn in erster Linie zu diesem Schritt bewogen habe. Es sind die mangelndehK omp e- f e n z e n dieses Postens, auf dem ein Theatermann versagen müsse, „wenn er weder einö Verantwortung tragen, noch Mitverantwortung übernehmen könne." Er hege kein persönliches Ressentiment, aber er habe den Eindruck gewonnen, daß der Kompetenzbereich des Präsidenten künftig weiterhin zugunsten des künstlerischen Leiters Herbert von Karajan eingeschränkt werden würde. Somit liefe es auf eine Schattenpräsidenfenschaft hinaus, und hierfür will sich Dr. Juch nicht hergeben. — Ein Dilemma, in der Tatl Man will den derzeifigen künstlerischen Leiter halten, aber dieser hat — einerseits — nicht genügend Zeit, sich den Salzburger Festspielen zu widmen, wird sich aber — anderseits — nicht viel dreinreden lassen. — Es werden bereits andere Kandidaten genannt, die sich mit einer Präsidentenschaft im Schaffen vielleicht eher anfreunden könnten. Aber wer wird dann wirklich, im Fesfsommer 1960, wenn das neue Haus eröffnet wird, die Verantwortung fragen? Für eine Neuregelung der Kompetenz ist es jetzt schon reichlich spät, und das Direktorium sowie das Kuratorium der Festspiele können nur schwer von dem Vorwurf freigesprochen werden, daß sie zu spät und zögernd sich über diese Schwierigkeifen klar geworden sind. Denn der Rücktritt des 8 1jährigen Präsidenten Baron Puthon — nach 3 3 j ä h r i g e r Amtsführung als Fesfspielpräsident — kam doch wirklich nicht überraschendl.

PELLA UND DIE FOLGEN. Gereizt und nervös hat Außenminister Pella vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf Doktor Kreiskys Behandlung der Südtirolfrage reagiert. Pella drohte mit Abbruch der Verhandlungen zwischen Rom und Wien, wies darauf hin, daß die Südtiroler bereits in einer „Volksabstimmung" Gelegenheit gehabt hätten, sich frei zu entscheiden. Dieser Hinweis gestattete dem österreichischen Außenminister, um ein zweites Wort in der Generalversammlung zu bitten und die vielen Delegierten, die bisher von der Existenz der Südtiroler Frage überhaupt keine Ahnung haften, über die Verhältnisse unter Mussolini und Hitler und beider diktatorische Gewalfmaßnahmen in Südtirol aufzuklären. Wir wollen im gegenwärtigen Moment noch nicht näher auf die innenpolitischen Perspektiven von Pellas Invektive eingehen. Noch wissen wir nicht, wie lange Pella Außenminister bleiben und welche Gruppe die Politik der Demo- cristiani in der Zukunft bestimmen wird. Interessant ist, daß - Pellas Angriff gegen die Wiener Regierung in derselben Sitzung der UNO stattfand, in der er selbst mitteilte, daß Italien im nächsten Jahr Somaliland die volle Unabhängigkeit geben werde. Italien hat bekanntlich diese seine frühere Kolonie in Treuhänderschaff der UNO verwaltet. In derselben Sitzung wurde zudem General de Gaulles hochbeachfliohes Angebot an die Algerier bekannigegeben. Wie seltsam mutet angesichts beider einsichtsvoller Bemühungen an die Adresse afrikanischer Völker die engstirnige, hochmütige und unsachliche „Behandlung" eines alfeuropäischen Kulturvolkes von seifen Pellas an. Nun, die italienische Politik hat nun erreicht, was sie auf jeden Fall verhindern wollte: Südtirol steht vor der Weltöffentlichkeit zur Debatte. Es führt kein Weg mehr zurück zum stillen Abwürgen dieses kleinen Volkes, zu seiner Liquidierung durch admrnlstroHve Maßnahmen. Tausende Reisende aus ganz Europa, und immer mehr Politiker aus aller Welt bekommen den Fall Südtirol zu Gesicht. Südtirol ist nicht mehr allein ein innenpolitisches Problem Italiens, sondern eine Frage der europäischen Integration. Sein Fall wird in dem Moment gelöst sein, in dem sich Rom dieser Tatsache voll bewußt wird.

PROTESTMARSCH IN BONN. Die Haupfstadt der Deutschen Bundesrepublik erlebte am letzten Wochenende ihre bisher größte poetische Demonstration. Sieben Stunden lang zogen 60.000 Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet im Schweigemarsch unter dumpfem Trommelklang und mit schwarzen Fahnen durch Bonn, um gegen die nach Meinung des deutschen Gewerkschaftsbundes ungenügende Behandlung der Kohlenkrise durch die Regierung zu demonstrieren. Eine perfekte Organisation sorgte für Ruhe, Ordnung, Anmarsch und Abmarsch, für Verpflegung und Ausscheidung kleiner kommunistischer Infrltrationsversuche, Die Polizei staunte und brauchte nirgends einzugreifen. Nun, die Disziplin des deutschen Arbeiters ist eine wohlbekannte Erscheinung. Die Kohlenkrise, zum anderen, ist ein Phänomen, das weif über Europa hinaus seine Kreise gezogen hat. Die „Furche" wies in ihrer vorletzten Nummer darauf hin. Was wollten also die Ruhrkumpel, was die Männer, die an ihrer Spitze marschierten, die Führer des deutschen Gewerkschaftsbundes? Der Kumpel fürchtet um seinen Lebensstandard, fürchtet zu einer Masse von Arbeitern abzusinken, die nicht wissen, ob morgen ihre Betriebe noch arbeiten. Die Führung des deutschen Gewerkschaffsbundes möchte mit der Regierung besser und öfter als bisher ins Gespräch und ins Geschäft kommen. Die Plakate wandten sich zumeisf an Erhard und Adenauer, wobei der Wirtschaffsminisfer von den Betroffenen als wichtiger angesehen wird. Diese Gespräche sind nun bereits im Gange. Dennoch soll man diese so zähme und friedliche Demonstration nicht unterschätzen. Sie wurde von wohlbestallten Funktionären organisiert und von Arbeitern durchgeführf, die alle noch recht gut verdienen. Wie anders würde über Nacht das Bild werden, wenn arbeitslose Massen streikten und desorientierte, über die „Schwäche" ihrer Führung erbitterte und radikalisierte Gewerkschaftler die Führung solcher Märsche an sich rissen. Das ist die Stunde X, auf die die Kommunisten warten. Sie nie Wirklichkeit werden zu lassen, setzt tatsächlich eine engere und vertrauensvollere Zusammenarbeit zwischen Reqierungsmännern und Arbeiferver- tretern voraus, als sie in Bonn bisweilen bis jetzt bestand.

AMERIKANER UND RUSSEN. Das sind die beiden wichtigsten Elemente des Schlußkommuniques über die Gespräche Eisenhower- Chruschtschow in Camp David: alle schwebenden weltpolitischen Probleme, einschließlich der Berlin-Frage, sollen „nicht durch Anwendung von Gewalt, sondern auf friedlichem Wege durch Verhandlungen" beigelegt werden, und: die USA und UdSSR beschließen eine Intensivierung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen. Dazu gehört vor allem eine Verstärkung des gegenseitigen Handels und eine wissenschaftliche und kulturelle Zusammen-1 arbeit. Ein praktisches Exempel für letztere wurde soeben der Welt vorgestellt. Die Zusammenarbeit des amerikanischen und russischen Gesundheitsdienstes sieht vor: direkte Zusammenarbeit zwischen den obersten Behörden beider Staaten, gemeinsame Forschungsprogramme zur Bekämpfung besonderer Krankheiten, Verstärkung des Austausches von Wissenschaftlern und Spezialisten, vermehrte gemeinsame ärztliche Kongresse. — Aber, heißt das nicht, das Pferd vom Schwanz aufzäumen? Wo bleibt das ungelöste Berlin-Problem, die Frage der „beiden deutschen Staaten" und die anderen Konfliktstoffe in aller Welt, die nicht zuletzt die beiden Mammufmächfe trennen? Nun, diese Konfliktstoffe bleiben als solche erhalten, man will und wird über sie bei vielen Gelegenheiten und Verhandlungen weiter- sfreiten, ohne an die Waffen zu appellieren. In Camp David haf eine neue Phase weltpolitischer Entwicklungen begonnen. Amerikaner und Russen beginnen den Stahlhelm und die Scheuklappen abzunehmen und einander ruhig und hochinteressiert ins Gesichf zu sehen. Wenn die Beschlüsse von Camp David realisiert werden, steht das Ende des kalten Krieges vor der Tür.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung