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RANDBEMERKUNGEN zur Woche

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VERNUNFTIGE MÄSSIGUNG. Für den Herbst nächsten Jahres steht die Neuwahl unseres Nationalrates bevor; ein Ausblick, der erfah-rungsgemäfj parteipolitische Rücksichten bei der Erstellung von Ansprüchen an den Staatshaushalt in den Vordergrund rücken läßt. Damit erklärt sich wohl auch die geringe Rücksichtnahme, die der Appell des Finanzministers, die Wünsche der einzelnen Ressorts an das nächste Budget in möglichst bescheidenen Grenzen zu halten, zunächst gefunden hatte. Forderungen wurden angemeldet, deren Erfüllung die Staatsausgaben um nicht weniger als 25 Prozent auf rund 50 Milliarden Schilling hinauftreiben würde. Vielleicht war Dr. Karnitz selbst überrascht, dafj es ihm schließlich gelang, seine Ministerkollegen der einen wie der anderen Couleur von der Unmöglichkeit zu überzeugen, den Budgetrahmen ohne schwerste Gefährdung der Stabilität unserer Währung auch nur annähernd so weit auszudehnen, und sie auch zur Einsicht zu bringen, dafj nicht eine weitere Belastung des Steuerträgers, sondern eine Politik der Förderung und Erleichterung der Wirtschaft der richtige Weg ist, um dem Staat erhöhte Einnahmen zu verschaffen. Mit der erzielten Einigung auf der Basis eines Voranschlages, der mit rund 40 Milliarden die Höhe des heurigen Budgets nicht wesentlich übersteigt und daher sehr bedeutende Abstriche an den Plänen der verschiedenen Regierungsressorts erfordert, haben beide Koalitionsparteien ein erfreuliches Verständnis für realpolitische Notwendigkeiten und für den Primat staatlicher vor parteilichen Interessen bewiesen; kein schlechter Auftakt zu dem nun beginnenden letzten Jahr der gegenwärtigen Legislaturperiode.

MEHR KINDER — HÖHERE STEUERN: ein verhängnisvoller Grundsatz, der in Oesterreich seit geraumer Zeit Geltung hat und sich leider auch noch im Referentenentwurf zur zweiten Einkommensfeuernovelle 1958 irgendwie niederzuschlagen scheint. Dagegen wendet sich nun nachdrücklich das österreichische Nationalkomitee der Internationalen Familienunion (UlOr), dem die beiden österreichischen Familienverbände angehören, in einer aufsehenerregenden Erklärung. Es tritt für das den „Furche'-Lesern aus mehreren Darstellungen geläufige Splitting-Verfahren ein und verlangt eine Befristung der geplanten Novelle, um den Gesetzgeber zu rechtzeitiger Reformarbeit zu verhalfen. In der Uebergangsphase müsse der große Unterschied in der Besteuerung beiderseits verdienender Ehegatten und alleinverdienender Familienerhalter gemildert werden. Die „$,t.$u,ergruppep“ seie.n ein., durchaus ungenügendes Verfahren, das der Steuergerechtigkeit keinesfalls Gerechtigkeit widerfahren lasse. Um endlich einmal die Arbeit der Ehegattin im Haushalt und an den Kindern entsprechend anzuerkennen, müsse auch für die Ehegattin, die ausschließlich im Haushalf täfig ist, ein Absefzbetrag von zehn Prozent der Einkünfte des steuerpflichtigen Gatten, mindestens aber 6000 Schilling im Jahr (höchstens 10.000 Schilling) gewährt werden. Das Ist eine klare und durchaus erfüllbare Forderung. Sie mufj einmal aufgegriffen, durchgedacht — und durchgeführt werden. Die ganze Rederei von Kinder- und Jugendproblemen bleibt in dünner Luft, wenn die Frauen die Betreuung des Heims und die Pflege des Kindes so teuer bezahlen müssen wie durch die derzeitigen Steuersätze.

STAATSBESUCH AUS NORWEGEN. Am letzten Wochenende weilte, aus Belgrad kommend, der norwegische Minisferpräsident Einar Ger-hardsen mit seiner Gattin drei Tage lang in Wien. Es war ein offizieller Besuch, und wenn auch in den Kommuniques vornehmlich von Empfängen, vom Opernbesuch und von der sonntägigen Fahrt in die Wachau die Rede war, so darf man mil Sicherheit annehmen, dar} bei den Begegnungen des hohen Gastes mit den österreichischen Staatsmännern die beide Staaten berührenden Fragen der internationalen Politik Hauptgegenstand der Gespräche waren. Die norwegischen Gäste kamen aus Belgrad: dort wurde zum Abschluß des neuntägigen Staatsbesuches ein gemeinsames Kommunique veröffentlicht, in dem von der Notwendigkeit gesprochen wird, die Bemühungen der Vereinten Nationen um die Erhaltung des Friedens zu unterstützen und die Bedingungen tür ein friedliches Nebeneinanderleben der Völker zu schaffen. Es ist in diesem Zusammenhang beachtenswert, da(j Norwegen gerade in letzter Zeit im Zuge der bekannten Ereignisse vor dem Forum der Vereinten Nationen in höchst rühmlicher Weise um die Wiederbelebung erstarrter diplomatischer Positionen bemüht war. Es ist aber nicht weniger wichtig, auch daran zu erinnern, dafj Ministerpräsident Gerhardsen in seiner Antwort auf die Begrüfjung durch Bundeskanzler Raab unter anderem auch Oesterreichs Leistung bei der Betreuung der ungarischen Flüchtlinge erwähnte. Er zeigte damit, dafj man in Norwegen die besonderen Aufgaben und Pflichten, die das neutrale Oesterreich zu erfüllen hat, zu würdigen weif;. Der Besuch aus dem hohen Norden wurde in Oesterreich als willkommene Gelegenheit begrüßt, Gefühle der Freundschaft und des Verständnisses sichtbar werden zu lassen — in einer Welt, in der die räumlichen Entfernungen immer geringer und die gemeinsam zu lösenden globalen Probleme immer zahlreicher und schicksalsentscheidender werden.

AUF ADAMS FOLGT KILB. Die Fernsehschirme ganz Amerikas richteten sich auf den bis vor kurzem mächtigsten Mann des Regimes Eisenhower, Adams, der da unbewegten Gesichts seinen unwiderruflichen Rücktritt erklärte. Präsident Eisenhower hatte ihn bis zuletzt zu halten gesucht, vergeblich. Stärker war der Druck der öffentlichen Meinung und die Angst der Republikanischen Partei, im nächsten Wahlkampf durch Adams belastet zu sein, der überführt worden war, von Mister Goldfine Geschenke angenommen und Verfahren gegen diesen beeinflußt zu haben. Nun folgt Bonn Washington. Der Fall Kilb kommt vor das Parlament. Der langjährige persönliche Referent des Bundeskanzlers Adenauer wurde verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, Mercedes-Wagen, direkt von der Firma, als Leihgabe, ferner Kaffee von der Deutschen Schlafwagengesellschaft, der „Mitropa“, angenommen zu haben. Nun läuft geaenwärtig in Bonn eine Reihe von Untersuchungen gegen höhere Beamte in verschiedenen Minisferien. Bundesinnenminister Schröder ruft deshalb soeben die Beamtenschaff in der Bundesrepublik auf, sich „unter allen Umständen von der vielleicht etwas zu großzügigen Geschenkpraxis“ fernzuhalten, die in der deutschen Wirtschaft eingerissen sei. Diese Rede in der Tagesschau des deutschen Fernsehens ist allein ein eindrucksvolles Dokument für die Entwicklung der Umgangsformen in der industriellen Gesellschaff der Wirtschaftswunderwelt. Dies will nicht ironisch versfanden werden. Hier liegt, jenseits des Kriminellen und der Korrupfion, ein ernstes, heikles Problem vor. In allen Staaten sind heute höhere Beamte im beruflichen und gesellschaftlichen Verkehr mit Männern der Wirfschaft und großer Interessenverbände verbunden. Parties, Sommerurlaube, Jagdgesellschaften und zahlreiche „Aufmerksamkeiten“ und „kleine Höflichkeitsgeschenke“ schaffen Verbindungen und Verbindlichkeiten. Wo isf die Grenze? Das ist im Einzelfall sehr schwer zu sagen. Zwei Dinge aber sollten aus gegebenem Anlaß festgehalten werden: die Verantwortung des Beamten wird heute in hohem Maße belastet durch die spezifischen Versuchungen, die an ihn dergestalt herantreten. Darauf muß er und soll die Oeffenflichkeit Rücksicht nehmen, und sollen vor allem jene Rücksicht nehmen, die vielleicht unbewußt den Beamten in Versuchung führen und unqewollt Männer zu Fall bringen, die vielleicht nichts anderes waren als eben — gedankenlos.

TOT WIE DIE ROSENKRIEGE... Am Anfang des soeben abgelaufenen Jahreskongresses der britischen Labour Party in Scarborough erinnerte der zurücktretende Jahrespräsident der Partei, Tom Driberg, daran, daß es bei den nächsten allgemeinen Wahlen eine Viertelmillion Jungwähler geben werde, für die der letzte Krieg und die Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre „schal und tot“ seien wie „die Rosenkriege des Mittelalters“. Um die Gewinnung dieser Wähler geht es heute in England (und nicht nur in England) vor allem — auch bei den Konservativen, die mit ihrem erst vor kurzem veröffentlichten Programm die gegenwärtige große Volkstümlichkeit ihrer klugen, auf die Ueber-brückung der Gegensätze bedachten Regierungspolitik zu verstärken suchen — und erst recht bei ihren Gegnern, die, als Oppositionspartei, ihre Ansichten zur Lösung der weltweiten Probleme freier, ungehemmter preisgeben können. In einer Resolution fordert die Partei Gails-kells und Bevans die Räumung der chinesischen Küsteninseln, die Aufnahme Pekings in die Vereinten Nationen. Weitere Forderungen: Bemühung um Gipfelkonferenz, Hilfsfonds für unterentwickelte Länder, Einstellung der Atomversuche mit Verhandlungen über allgemeine und kontrollierte Abrüstung, „Disengagement“ in Europa. Hinter diesen Beschlüssen steh heute die ganze Partei: es gibt keine Rebellengruppe mehr, wie einst zu Bevins Zeiten, und der damalige Führer der Parteiopposition, Aneurin Bevan, ist der designierte Außenminister einer künftigen Labourregierung. Der anerkannte Führer der Partei, Hugh Gaitskell, wurde für das von ihm darqelegte Wirtschaftsprogramm — Expansion, Vollbeschäftigung und Erhöhung des Lebensstandards, statt wie früher Verstaatlichung, standen in dessen Mittelpunkt — auch von den radikalsten Gewerkschaftsführern stark gefeiert. Es ist damif zu rechnen, daß die aus dem Parteitag in Scarborough gestärkt hervorgegangene Labour-Führung auf die Außenpolitik Großbritanniens und dadurch auch auf die des großen atlantischen Partners einen zunehmend stärkeren Druck auszuüben imstande sein wird — zumal ja vor Wahlzeifen hüben wie drüben sich die Tendenz einzustellen pflegt, die Bemühungen auf die inneren, wirtschaftlichen Problerne zu konzentrieren und nach außen die Politik der Entspannung zu befürworten.

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