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DER TON MACHT DIE MUSIK. „Das Atmosphärische war das Wichtigste an diesem Besuch", sagte uns ein Wiener Diplomat, der nicht eben besonderer Sympathien für den Osten en bloc verdächtig ist. Er sprach von der Visite, die Polens Außenminister Adam Rapacki in diesen Märztagen unserer Bundeshauptstadt abstaftete. Das Kommunique der beiden Außenminister — nach ihren zweitägigen Konferenz abgefaßt und in einer Pressekonferenz Rapackis erläutert — sagt sachlich nicht mehr, als dies andere Kommuniques auch tun. Seine wirtschafts-, rechts- und kulturpolitischen Linien bedürfen nun noch der Durchführung, die der Beamten- und Diplomatenebene Vorbehalten ist. Eine der wichtigsten konkreten Maßnahmen der Zukunft wird wohl endlich ein österreichischer Leseraum in Warschau, parallel zu dem der Polen in Wien, sein, wenn schon die Errichtung eines Kulturinstituls, an dem Polen zu Zeiten durchaus interessiert war, bisher leider aus innerösterreichischen Gründen nicht Wirklichkeit geworden ist. Aber wichtiger als alle Details ist die Tatsache als solche: daß es überhaupt zu diesem guten, im historischen Sinn nachbarlichen Verständnis zwischen zwei genuin katholischen Ländern unbeschadet ihrer Regierungsform und Staatsmaxime kommen konnte, daß die Minister Rapacki und Kreisky, jeweils auf dem Boden des Gastlandes unbefangen und ohne falsche Konzessionen ihre grundsätzlichen, weltpolitischen Meinungen darlegen konnten, daß man nicht zuletzt Prag und Budapest gegenüber von uns aus demonstrierte, wie es zwischen alten Nachbarn auch heute noch sein könnte, das ist das erfreuliche Fazit dieser ohne großen Pomp vorübergegangenen Besuchstage. Daß die Katholiken Österreichs — in verschiedenen Gruppierungen, unter denen auch diese Zeitung seit Jahr und Tag zu finden ist — etwas zu dieser Atmosphäre beitrugen, können sie sich bei oller Bescheidenheit zugute hallen.

DAS ANBOT DER INDUSTRIE, die Preise ab sofort stabil zu halfen — ein Lohnforderungsstillhalten vorausgesetzt —, muß grundsätzlich begrüßt werden. Grundsätzlich. Es gibt viele Möglichkeiten einer kritischen Stellungnahme zum Anbot der Industrie, bei dem das Kleingewerbe offensichtlich ebensowenig mifgeht wie jene Unternehmungen, die nur Dienstleistungen anbieten. Wenn der Herr Vizekanzler, eigentlich der Herr über Österreichs größtes Unternehmung skombinat, nun nein sagt und für den ÖGB Handlungsfreiheit proklamiert, muß man jedoch — gelinde gesagt — erstaunt sein. Erstens weil der Vizekanzler, wie schon so oft in der letzten Zeit, bemüht ist, nur noch Partei-, aber alles andere denn Staatsmann zu sein (welches Bemühen nun allmählich restlos gelingt). Die Stellungnahme des Vizekanzlers erfolgt, ohne zu bedenken, daß Preislizitationen, die auch durch Lohnforderungen herbeigeführt werden, nicht so sehr dem bösen Wolf (Unternehmer), sondern dem „Geißlein" schaden. Die Preis-Lohn-Debatte ist vtieder und diesmal völlig unnütz in die Mitte der innerpolitischen Diskussion gestellt worden. Wenn das gereizte Für und Wider durch das sachliche Gespräch abgelöst ist, werden wir uns erlauben, auch von unserem Standpunkt aus einiges zum Sachverhalt zu sagen, der vorläufig durch leidenschaftliche Dispute überdeckt ist.

ÖSTERREICH IN INGELHEIM: Vom 11. bis 26. März finden in Ingelheim am Rhein österreichische Tage statt. Träger und Veranstaltor sind hier nicht, wie sonst meist, staatliche, städtische Instanzen oder eben eine österreichische Werbestelle selbst, sondern, in Verbindung mit einer Volkshochschule, ein großes privates Unternehmen, C. H. Boehringer Sohn. Den Menschen am Rhein und Main wird Österreich nicht als ein Klischee, sondern als eine kulturelle, wirtschaftliche Wirklichkeit vogestellt. Das Burgtheater (in der Verfilmung eines Nesfroy-Stückes), geistliche Abendmusik, die neue Wiener Schule (Berg, Webern und Schönberg), das österreichische Lied von Mozart bis Marx (Anton Dermofa), österreichische Dichter der Jahrhundertwende (es liest Janko Musulin), und, ja, das gab es einstmals, der österreichische Film von Rang („Maskerade") präsentieren eine Seite Österreichs. Andere Saiten werden aufgezogen: die Wiener Operette und die Wiener Mode, Textilien, Kunsthandwerk, Bücher, Schallplatten, der Weinbau und die Wiener Küche präsentieren ein anderes. Zur Eröffnung dieser Österreich- Wochen, in denen einzelne Vorträge mit Land und Leuten in Österreich bekannt machen, sprach Friedrich Heer über „Humanität heute — Perspektiven eines Österreichers. Man möchte sich wünschen, daß jene Stellen, Ämter und Institutionen, die in Österreich von Amts wegen mit der heute mehr denn je notwendigen Darstellung des österreichischen Lebenswillens, des Willens zur Selbstbehauptung und Selbstdarstellung, in befreundeten und weniger befreundeten Ländern hauptberuflich befaßt sind, jeweils soviel Energie, Initiative und Phantasie aufbringen mögen wie hier einige „private" Männer am Rhein.

DAS FRIEDENSKORPS DER USA: Seit dem 17. Jahrhundert fordern, vielver- lacht, bedeutende europäische Denker der Friedensbewegung, wie der französische Mönch Crucö, der Schiller und Kant anregte, die Aufstellung und Ausbildung von Friedenskorps, den Einsatz der technischen und militärischen Intelligenzen für friedliche Arbeiten. Am 1. März 1961 ist es soweit: Präsident Kennedy beschloß durch Verwaltungsverfügung temporär und versuchsweise die Schaffung des „Internationalen Jugenddienstes", des „Friedenskorps". Zunächst sollen gut ausgebildefe Lehrer und Lehrerinnen, Ärzte, Techniker und Agronomen in Entwicklungsländer entsandt werden. Jeder Rekrutierte erhält einen Einführungskurs von sechs Wochen bis zu sechs Monaten, um in Sprache und Brauch des Landes, für das er bestimmt wird, eingeführt zu werden. Die Dienstzeit beträgt zwei bis drei Jahre. Zwei fundamental wichtige Neuerungen sind mit dieser Gründung verbunden: die Freiwilligen werden in Speise, Wohnung, Leben mit den Menschen ihrer Gastländer verbunden sein. Bisher bestand eine Kluft, die den Haß und die Abneigung und nicht zuletzt die feindliche Propaganda unterstützte, zwischen den hochbezahlten, anderslebenden Spezialisten, Facharbeitern und so weiter, die zu den „Unterentwickelten" gesandt wurden, und den farbigen Menschen. Nicht minder bedeutsam ist die innenpolitische Seite: Kennedy und seine Berater wollen die riesigen, fehlgeleitefen Kräfte der Jugend, die, in einer genormten, perfekten Gesellschaft Ins Kriminelle und Sexuelle fliehen, wek- ken und in den Dienst der Zukunft, der Menschheit stellen. Es ist an der Zeit, auch in Europa, und gerade in Österreich, eine Kettenreaktion zu entzünden: unerschlossen, unerweckt, verbrauchen sich nicht wenige junge Menschen, und taumeln dann in das Leben hinein, das ihnen blinde „Erwachsene" Vorleben, in Konsum und Selbstverzehr. Eine Initiative der Österreichischen Jugendbewegung in dieser Richtung kann als erfreulich vermerkt werden.

FORTSCHRITT UND REAKTION AM KONGO. Der Föderalismus feiert einen moralischen Sieg, den niemand vermutete: Während man im alten Europa seine Grundsätze da und dort als unbequemen Ballast ansieht (die heftige „Urteilsschelte" der deutschen Regierungskreise an der Karlsruher Verfassungsrichtern, die zur Beachtung des obersten föderalistischen Grundsatzes, dem der „Bundesfreundlichkeit", mahnten, beweist dies nur an einem besonders aktuellen Beispiel), während man auch bei uns föderalistische Prinzipien fast schon als überholt ansieht, erscheinen sie als Bauelemente eines soeben entstehenden Staatswesens in Afrika. Die Grenzen des ehemals belgischen Kongogebiefes waren mif dem Kartenlineal gezogen worden. Sie schlossen eine unübersehbare Vielzahl kleiner und kleinster Stammesräume ein. Kein Wunder, daß bei der plötzlichen Aufhebung der von außen kommenden Zentralherrschaft der Kampf aller gegen alle begann. Das Pendel, das zunächst in die Richtung der völligen Aufsplitterung wies, schwingt nun zurück: zwar nicht mehr zum Extrem des zentralistischen Einheitsstaates überholter Prägung hin, wohl aber in die gesunde Mitte des Sfaatenbündnisses, des integrierten Föderalsystems. Die Madagaskar- konferenz der Kongopolitiker schloß mit der grundsätzlichen Einigung über eine solche Lösung. Alle unterschrieben bis auf einen einzigen: Gizenga, der im Namen des Kommunismus am reaktionären Leitbild, dem zentralistischen Kommandosfaat des 19. Jahrhunderts, festhälf. Wen solcherart der Entscheidungskampf auch noch immer bevorsteht, so ist doch jetzt wenigstens etwas sehr Wichtiges gewonnen: Die klare Frontstellung der Parteien an Stelle des verwirrenden Durcheinander, das noch vor der Konferenz von Madagaskar herrschte.

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