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Begegnung im Sommer

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In der Hitze des Sommers, unter dem Druck der Weltlage, bei der Belastung nicht zuletzt jedes privaten Lebens durch viele Sorgen hat sich ein Zustand verschärft, der sich bereits in den letzten Jahren herausbildete. Immer mehr Menschen werfen nur einen flüchtigen Blick in die Zeitung, um den Tagesstand des Weltbarometers zu konsultieren. Für den ersten Schreck findet sich jeweils genug — und dann sucht man Ablenkung, Erfrischung bei Unterhaltungsstoffen, in Magazinen und dergleichen. An diesem Zustand ist die Presse selbst nicht ganz unschuldig. Gewiß ist es ihre vordringliche Aufgabe, „das Neue“, die Tagesnachricht zu bringen. Muß dies aber so oft in der aggressivsten, einseitigsten, härtesten Form geschehen — so, daß jedermann beim ersten Blick auf der Straße die „Lenkung“ merkt, die über-bevmßte Dosierung des Nachrichten-materials verstimmt spürt und eben nach anderem greift? Allzusehr haften zudem in der Erinnerung unseres Volkes — noch klebt der Nachgeschmack auf all unseren Zungen — jene gelenkten, gemachten Pressekampagnen vergangener Jahre, zuletzt eines gewissen Jahrzehntes, die furchtweckenden Vorboten fürchterlicher Dinge.

Angesichts dieser Verhältnisse verdient eine Leistung besondere Erwähnung, weil sie so gar nichts mit Lenkung, Planung, Kommandierung von irgendein am „Oben“ her zu tun hat, sondern schlicht und einfach das Ergebnis eines demokratischen Zusammenspiels freier Kräfte ist. Das allein sollte, als ein erfreuliches Symptom heutiger Möglichkeiten, Interesse finden. Eben daß es in unserer Welt zunehmender Unfreiheiten noch so etwas wie eine freie Presse gibt — und diese sich zu einer echten Begegnung ohne Reglementierung findet. Noch erfreulicher bezeugt sich das Ganze, wenn wir seinen Gegenstand näher besehen. Die Presse in der Deutschen Bundesrepublik hat die Anregungen, die in letzter Zeit mehrfach von österreichischer Seite ausgingen, hinsichtlich einer Aussprache und Begegnung zwischen den beiden Ländern durchwegs freundlich aufgenommen und ein beachtenswertes Verständnis für die Schwierigkeiten der österreichischen Situation dokumentiert. Wenn es im Leitartikel der angesehenen südwestdeutschen Wochenzeitung „Christ und Welt“, der den Titel trägt „Der österreichische Nachbar“, gleich im ersten Satz heißt: „Vom österreichischen Nachbarn spricht man heute in Westdeutschland nur wenig“, wenn dann bald darauf festgestellt wird: „Die geringe Beachtung, die Österreich in der westdeutschen Presse findet, steht in keinem Verhältnis zu dem Raum, den das Thema Deutschland in österreichischen Zeitungen einnimmt“, wenn dann schließlich miterkannt wird: „Die gemeinsame europä-

ische Ebene ist für die Entwicklung und Bewährung des deutsch-österreichischen Verhältnisses schlechthin entscheidend“, dann freut uns das auch als Resonanz auf die schlichten Versuche unseres Blattes, am Aufbau einer neuen Atmosphäre der notwendigen Verständigung mitzuwirken. Noch wichtiger aber erscheint uns zu sein, das beide Partner einfordernde Anliegen an sich richtig zu sehen, immer präziser herauszuarbeiten — damit wir befähigt werden, die richtigen Schritte zu gehen,- in einer Zeit, die infolge ihrer Kraftlosigkeit an Liebe, ihres Mangels an Vertrauen und Hoffnung so leicht bei allen Verhandlungen, Kongressen, Absprachen ein Opfer ihrer Umwege und Abwege wird.

Gut also, wird selbst der ungeduldige und mißtrauische Leser und Interessent sich sagen: Ein erster Schritt ist getan worden — es hat eine gewisse Tuchfühlung, ein erster Kontakt zwischen österreichischer und deutscher Presse stattgefunden. Seit Jahren aber, so wissen wir, haben schon offizielle Vertreter von Bruderparteien hüben und drüben, österreichische und deutsche, an politischen Tagungen, an politischen Parteikongressen in beiden Ländern teilgenommen, jeweils auch unter viel Beifall Reden gehalten. Was aber sah dabei für uns heraus? Wie soll es nun weitergehen?

Jedem Wohlwollenden und Einsichtigen ist es nun klar, daß zwei Dinge nicht geeignet sind, die weitere Begegnung zu fördern: 1. Das „Aufmachen und Gründen von Vereinen und Organisationen, die nur zu leicht von Innen- oder Außenstehenden mißbraucht beziehungsweise verdächtigt werden können — nicht nur als Keimzellen eines neuen „Anschlusses“, sondern auch als Versuch, ins innerpolitische Kraftfeld des Partners eindringen zu wollen und dergestalt jene notwendige Distanz zu versehren, die eine Grundbedingung echter Begegnung, ja Freundschaft ist. Zum Zweiten ist es nun allen Gutmeinenden nicht Weniger einsichtig, daß gelegentliche freundliche Worte dies- und jenseits von Inn und Donau die Erwartung der Gastwirte, und der Dank der ersten Rucksacktouristen, ebensowenig wie die Bankettansprachen der „öffentlichen Herum-steher“, um mit Nietzsche und Heidegger zu sprechen, befähigt sind, aus dem unverbindlich lauen Klima der Redereien und „Freundlichkeiten“ herauszuführen, ins Feld ernstzunehmender Anteilnahme sowohl an notwendig gemeinsamen wie notwendig getrennt bleibenden Problemen.

Den rechten Weg scheint uns sein Ausgangspunkt zu weisen: die Initiative einzelner Persönlichkeiten und einzelner Kreise, die konkrete Anliegen haben. Das Konkrete ist nicht nur der Feind jedes Mythos und jeder Ver- und Uber-

Spannung, sondern auch deren einziger überwinder. Nun gibt es der konkreten Anliegen die Fülle. Wirtschaft, Handel, Verkehr (nicht nur Fremdenverkehr). Die von allen deutschen Kennerkreisen als hervorragend beurteilte Vertretung Österreichs auf der großen internationalen Bauausstellung „Constructa“, Hannover, konnte etwa mit ihren oft überraschenden österreichischen Erfindungen und technischen Methoden besser, weil einfach positiv, Österreichs Leistungswillen heute demonstrieren als alle Reden und so zur Zerstörung der Legende beitragen, als sei der Österreicher ein ungern arbeitender, der modernen Technik fremd gegenüberstehender, Muße und Laune liebender Erdengast. Wenn nun, wie wir sehr hoffen, der deutsche Buchmarkt sich wieder dem österreichischen Buch auf-

schließen wird (deutsche Verleger haben es dem österreichischen Autor bereits getan und damit eine alte Tradition aufgenommen), besteht begründete Hoffnung, daß ein solches, einmaliges Aufscheinen sich zu jenem nachhaltenden dauernden Eindruck erweitert, der einfach auf der steten Präsenz ruht. Das ist es nämlich, worauf es entscheidend ankommt: Die stete Gegenwärtigkeit des anderen. Dieses Im-Auge-Sein und daher Im-Auge-Behalten seines Schaffens, seiner Arbeit, seiner Leistung — und dann nach diesem, von Tag zu Tag mehr auch seines inneren Strebens, seiner eigentümlichen Hoffnungen, Wünsche und Befürchtungen.

Nun freut uns aufrichtig die Präsenz Österreichs auf den deutschen Fußballplätzen — \fc*ien seinereeite wird in wem-

gen Tagen die alte deutsche Meisterelf Schalke gastlich empfangen; es soll damit bewußt gezeigt werden, daß die Vorkommnisse 1941 im Wiener Stadion als das zu werten sind, was sie waren: berechtigte Demonstration des Wiener Widerstandswillens gegen ein Regime, das öffentliche Mißfallenskundgebungen nur mehr in zwei Räumen dulden und irgendwie hinnehmen-mußte: in der Freiheit des Sports und der hier zusammenströmenden Massen und in der Freiheit des geschlossenen Gottesdienstes. — Diese Freude über sportliche Renkontres sollte jedoch nicht allein bleiben. Der immer noch weite und tiefe deutsche Raum kann sich noch in vielen und wesentlichen Dingen Österreich ganz anders erschließen als bisher. Wir selbst versuchen einen neuen Anfang zu setzen. In diesem Sommer etwa nehmen erstmalig wieder 400 deutsche Studenten und Akademiker an den Salzburger Hochschulwochen teil, deutsche Künstler und Regisseure arbeiten bei den Salzburger Festspielen mit. Arbeiten mit — auf dieses Mitarbeiten kommt es neben dem Da-Sein an. Arbeit in Geduld, Ausdauer, mit Mut und Hoffnung — Arbeit an gemeinsamen Aufgaben kann und soll das Tor öffnen zur Aussprache

Ober jene Dinge, die m den Imponderabilien des Andersseins wurzeln und die nicht „bereinigt“ werden können durch öffentliche Flurbereinigungen, generalisierende Abmachungen und schon gar nicht durch Organisationen, Proklamationen und alles das, was im zwielichtigen Raum des Nur-Willentlichen, des lauten Wortes und Wollens, des Affekts und der aufdringlichen Beleuchtung produziert wird.

Nun gibt es seit Jahren schon mehr von dieser täglichen Arbeit miteinander, als der breiten Öffentlichkeit beiderseits bekannt ist — sie in das Bewußtsein der Völker zu heben, ist die schöne Aufgabe einer Publizistik, die hier sich im Dienst einer wahren Friedensmittlung bewähren kann. So beweist gerade dieser Sommer, daß es mehr des Erfreulichen zu berichten gibt, als viele meinen. Man muß es nur sehen wollen. Im anderen Volk, im eigenen Volk, in der Welt. Von hier aus gesehen, haben es die deutsch-österreichischen Beziehungen in sich: nachdem sie lange Zeit Zeichen der europäischen Krise, Mal am Fieberthermometer waren, vermögen sie heute das andere anzusagen: Das Wachsen einer langsamen inneren Gesundung.

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